Bericht aus Wien: Stimmen und Stimmung – Nach der Nationalratswahl
Fred Luks berichtet einmal im Monat für LibMod aus der österreichischen Hauptstadt.
Grüß Gott aus Wien!
Folgt man Karl Kraus, ist Österreich eine „Versuchsstation des Weltuntergangs“. Nun, man kann nicht behaupten, dass die Geschichte Herrn Kraus bisher widerlegt hätte. Ob die aktuelle Lage in diese Richtung zeigt, werden wir sehen.
Sicher ist: Es gab eine Nationalratswahl – nach einem selten brutalen Wahlkampf, in dem Dirty Campaigning und gegenseitige Vorwürfe politischen Analphabetentums an der Tagesordnung waren. Die christlich-soziale Österreichische Volkspartei ist mit starken Stimmenzuwächsen vor den Sozialdemokraten als Siegerin ins Ziel gegangen.
Die ÖVP hat übrigens nicht als ÖVP gewonnen, sondern als „Liste Kurz“, benannt nach dem jungen Außenminister, der jetzt wohl Kanzler werden wird. Dritte wurde – mit ebenfalls hohen Zuwächsen – die rechtspopulistische FPÖ, gefolgt von den eher liberalen „Neos“, deren Vorsitzender sich bereits als Beschaffer einer für Verfassungsänderungen notwendigen Zweidrittelmehrheit positioniert.
Fünfter wurde die „Liste Pilz“, benannt nach Peter Pilz, der die Grünen verlassen und mit dafür gesorgt hat, dass die Partei aus dem Parlament geflogen ist. Das ist die eigentliche Sensation dieser Wahl: Die Grünen hatten bei der vorigen Wahl noch ein Rekordergebnis erzielt; letztes Jahr wurde ihr ehemaliger Vorsitzender nach zwei hart umkämpften Wahlgängen Bundespräsident. Und nun: Ende, aus, vorbei. Zumindest für diese Legislaturperiode.
Sebastian Kurz hat im Wahlkampf nicht nur auf eine offenbar verbreitete Anti-Zuwanderungsstimmung gesetzt. Neu war, wie sehr seine Person im Mittelpunkt der Kampagne stand. Mit dem Bedeutungszuwachs von Personen, „Listen“ und „Bewegungen“ scheint Österreich im internationalen Trend zu liegen. Mit Blick auf Emmanuel Macrons Nicht-Partei schreibt Armin Thurnher im Wiener Magazin Falter, „En Marche“ habe „neue Maßstäbe von Zurechnungslosigkeit und Eitelkeit gesetzt.“ Er beobachtet eine Verachtung für politische Kompetenz, für das politische System und „Verachtung für Politik als Beruf“. Bemerkenswert, dass auf diesem Trend auch Leute surfen können, die in ihrem Leben nie etwas anderes gemacht haben als Politik.
Diese Tendenzen und das schwindende Vertrauen in Institutionen geben zu denken. Ein sich verbreitender Plebiszitpopulismus will Entscheidungen dadurch fällen, dass das Volk direkt befragt wird. Institutionelle Abläufe mit ihren eingebauten Abwägungsprozessen und Kompromissen, fachliche Kompetenz und parlamentarische Entscheidungsfindung werden als elitär verhöhnt. Dem „Volkswillen“ zum Durchbruch zu verhelfen, verspicht vor allem die FPÖ.
Was all dies am Ende bedeutet, ist noch offen. Immerhin ging die erste Reise des Kanzlers in spe nicht nach Budapest oder Warschau, sondern nach Brüssel. Sicher ist jedenfalls, dass man angesichts des Gesamtergebnisses der Nationalratswahl von einem deutlichen Rechtsruck sprechen kann. Und: Anders als in Deutschland gelten Rechtsradikale in Österreich als potenzielle Koalitionspartner. Wenn die wahrscheinlichste Konstellation – Liste Kurz und „Freiheitliche“ – eine Regierung bildet, wird es wohl beinharte Migrationspolitik geben. Und – durchaus paradox, wenn man sich „für die kleinen Leute“ positioniert, eine „neoliberale“ Wirtschaftspolitik . Welche Rolle Themen wie Europa, Bildung, Wissenschaft und Umwelt spielen werden, ist unklar.
Eine andere offene Frage ist, wie sich das Wahlergebnis auf die Stimmung im Lande auswirken wird. Die ist natürlich nicht operationalisierbar wie die Stimmenverteilung. Wie liberal und modern (oder illiberal und unmodern) eine Gesellschaft ist, macht sich aber nicht nur an der Hydraulik parlamentarischer Prozesse und an den Stellenbesetzungen in Ministerien fest, sondern auch an der gesellschaftlichen Atmosphäre.
Die wird sich nach der Neusortierung der politischen Kräfteverhältnisse verändern. Und dieser Wandel wird wohl, wie zahlreiche Beispiele nahelegen (in jüngster Zeit: Brexit-Votum und Trump-Wahl) zulasten von Armen und Schwachen und von Leuten gehen, die anders leben, lieben und aussehen als viele Menschen in Österreich sich das für „echte“ Österreicherinnen und Österreicher vorstellen. Ausländer‑, frauen- und also menschenfeindlich die Stimme zu erheben, wird leichter werden. Diejenigen, die schon lange auf diese Gelegenheit warten, werden sie nutzen.
Offener scheint die österreichische Gesellschaft durch die Wahl also nicht zu werden. Autoritäre Stimmen haben gewonnen – ganz sicher im Nationalrat und vermutlich eben auch im Alltag. Wenn man an einer liberalen Moderne interessiert ist, darf man in Österreich eines ganz gewiss nicht tun: schweigen. Denken Sie an Herrn Kraus…
Ich halte Sie auf dem Laufenden.
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