Die Energiewende braucht einen neuen Anlauf
Klimapolitik ist in Deutschland unbeliebt geworden. Es gäbe einen besseren Weg. Ein Gastbeitrag von Ralf Fücks in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Die gute Nachricht: Die Energiewende nimmt Fahrt auf. Das gilt zumindest für den Stromsektor. Im Jahr 2021 wurde der Stromverbrauch in Deutschland zu rund 41 Prozent aus Erneuerbaren Energien gedeckt. 2022 waren es 46,2 Prozent. Im ersten Halbjahr 2023 stieg ihr Anteil auf rund 52 Prozent. Windenergie hat die Kohle als wichtigster Energieträger abgelöst.
Die Zuwachsraten bei Windkraft und Solaranlagen steigen. Das müssen sie auch: Wenn die Erneuerbaren bis 2030 zumindest 80 Prozent des Stromverbrauchs decken sollen, wie es das „EEG 2023“ vorsieht, muss sich ihre Ausbaugeschwindigkeit verdreifachen.
Die Ampel hat dafür wichtige Weichen gestellt. Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt, Stromnetze schneller ausgebaut werden – dringend notwendig, um Windstrom von den Küstenländern in die Industriezentren Süd- und Westdeutschlands zu transportieren. Der aktuelle Ausbaustand hängt um Jahre hinter dem Plansoll zurück. Parallel soll der Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur vorangetrieben werden.
Man kann diese Zwischenbilanz durchaus als Erfolgsgeschichte lesen. Woher kommt es, dass die Aufbruchstimmung rund um die Energiewende dennoch in Skepsis, Kritik und schlechte Laune gekippt ist – bei der Industrie wie bei vielen Bürgern? Spätestens seit dem Hin und Her um das Heizungsgesetz steht Klimapolitik unter dem Generalverdacht, sie sei lebensfremd und praxisfern. Aber die Ursachen für den Stimmungsumschwung liegen tiefer.
Wir erleben gegenwärtig die Kollision der Energiewende mit einer veränderten geopolitischen, ökonomischen und sozialen Realität. Auf dem Papier sah das alles sehr schlüssig aus: Die Architekten der „großen Transformation“ konnten genau sagen, welche Ziele in welchen Sektoren und in welchem Zeitraum zu erreichen sind, welche Hebel dafür umgelegt werden müssen und welche Wege zum Ziel führen. Bei diesem großen Plan blieben allerdings einige wichtige Elemente außen vor, die jetzt zu Störfaktoren werden.
Weshalb stolpert die Energiewende?
- Wir sind jetzt in einer Etappe der Klima- und Energiewende, in der sich die Kostenwahrheit nicht länger verdrängen lässt. Vielleicht erreichen wir tatsächlich irgendwann den Punkt, an dem kostengünstige erneuerbare Energien im Überfluss zu Verfügung stehen. Aber bis dahin werden die Kosten noch steigen. Dass „Sonne und Wind keine Rechnung schicken“ ist wohl wahr. Dafür sind die Anschub- und Systemkosten der Energiewende umso höher:
- Seit Beginn des EEG wurde der Markthochlauf der erneuerbaren Energien mit ca. 300 Milliarden Euro gefördert. Klimapolitisch war das gut angelegtes Geld: Wir haben damit maßgeblich die beeindruckende Kostendegression für Solar- und Windenergie finanziert, die sie jetzt zu einer globalen Erfolgsgeschichte werden lässt.
- Auf absehbare Zeit werden wir noch ein duales System mit fossilen Kraftwerken als Back Up für Wind- und Solarstrom finanzieren müssen. Der Neubau von Gaskraftwerken wird sich nur rechnen, wenn dafür eine Kapazitätsprämie bezahlt wird. Ob die 20 neuen Anlagen, die in der Kraftwerksstrategie der Bundesregierung vorgesehen sind, ausreichen und ob sie tatsächlich bis 2030 ans Netz gehen werden, ist fraglich.
- Dazu kommen die Kosten für den Ausbau des Stromnetzes, für Speicherkapazitäten sowie die Bereitstellung von klimaneutralem Wasserstoff. Auch die „Dispatch“-Kosten für den Ausgleich der Schwankungen im Stromnetz steigen mit dem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien.
- Auch wenn die Strom- und Gaspreise inzwischen deutlich unter ihrem Höhepunkt liegen, bewegen sich die Energiekosten für private Haushalte, Gewerbekunden und Industrie nach wie vor am oberen Ende der europäischen Länder. Strom, Heizung und Mobilitätskosten sind inzwischen eine soziale Frage. Mit Blick auf die soziale Akzeptanz der Energiewende war es ein Riesenfehler, das „Klimageld“ zurückzuhalten, mit dem die Einnahmen aus dem Emissionshandel als Pro-Kopf-Pauschale an die Bürger zurückfließen sollten.
- Die Stromkosten für energieintensive Unternehmen sind bei uns um das Zwei- bis Dreifache höher als in anderen großen Industrieregionen. Industriestrompreise sind ein Wettbewerbsfaktor, der auf Dauer kaum zu kompensieren ist. Das gilt erst recht, weil Deutschland zugleich bei Unternehmenssteuern, Bruttolöhnen, Sozialabgaben und Bürokratiekosten im oberen Bereich liegt. Die Folgen sind schon jetzt gravierend: Der Produktionsindex der energieintensiven Industriezweige liegt um die 20 Prozent unter dem Basisjahr 2015. Es fließen deutlich mehr Investitionen aus Deutschland ins Ausland als umgekehrt. Es wäre leichtfertig, die schleichende Deindustrialisierung achselzuckend als unvermeidlichen Strukturwandel abzutun. An Grundstoffchemie, Stahl und anderen energieintensiven Branchen hängen Wertschöpfungsketten quer durch die Industrie.
- Angesichts der Kostendynamik der Energiewende war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Schattenhaushalten des Bundes ein Schlag ins Kontor. Jetzt stellt sich die Frage umso schärfer, wer die Mehrkosten der ökologischen Transformation trägt, die sich bis auf weiteres nicht am Markt amortisieren. Auch bei einer überfälligen Flexibilisierung der Schuldenbremse wird der Staat diese Kosten nicht unbegrenzt übernehmen können. Auf Dauer müssen sich Öko-Investitionen der Unternehmen betriebswirtschaftlich rechnen. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist ein kontinuierlich ansteigender CO2-Preis. Ob sich ein ambitioniertes europäisches Cap & Trade-System durchhalten lässt, wenn andere große Industrieregionen diesen Weg nicht mitgehen, bleibt eine offene Frage.
- Dass die Bundesregierung die Stilllegung der letzten 6 deutschen Atommeiler unbeirrt durchgezogen hat, sorgte für weitere Irritationen. Klimapolitisch wie energiewirtschaftlich wirkte diese Entscheidung wie aus der Zeit gefallen. Dass die Koalition nicht bereit war, die Reihenfolge von Atomausstieg und Kohleausstieg ernsthaft zu diskutieren, hat viel Kredit gekostet.
- Schwerer noch wiegen die Nachteile der nationalen Engführung der Energiewende. Die „Energiewende in einem Land“ treibt die Kosten und schmälert die Verfügbarkeit umweltfreundlicher Energien. Wir sollten die Energiewende stärker als internationales Projekt konzipieren: als großräumigen Verbund von Wind- und Solarstrom, biogenen Energieträgern und Wasserstoff von Skandinavien bis Nordafrika, von der Atlantikküste bis zur Ukraine mit ihrem enormen Potenzial erneuerbarer Energien.
- Auch die einseitige Konzentration auf Elektrifizierung und grünen Wasserstoff gegenüber anderen biochemischen Energieträgern sollte überdacht werden. Es spricht viel dafür, die Palette klimaneutraler Energien möglichst groß zu halten und es dem Wettbewerb zu überlassen, wo „grüne Moleküle“ die günstigere Alternative zu „grünem Strom“ sind.
Ein neuer Anlauf ist nötig
Was folgt aus alledem? Ganz bestimmt nicht, unsere klima- und energiepolitischen Ziele aufzugeben. Die Klimakrise gibt uns keine Auszeit. Deutschland besitzt immer noch gute Voraussetzungen, zum Vorreiter für umweltfreundliche Technologien, Produkte und Dienstleistungen zu werden. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass die weltweite Nachfrage nach Öko-Technik und grünen Produkten unter dem Druck der Klimakrise steil ansteigen wird.
Wohl aber müssen wir unsere Strategien, das Instrumentarium und auch die Zeitachse der Energiewende neu justieren. So drängend die Klimakrise auch ist – wir können den Umbau einer hoch komplexen Industriegesellschaft nicht allein an den Rechenmodellen der Klimaforschung ausrichten. Die ökologische Transformation wird nur gelingen, wenn sie auch ein ökonomisches Erfolgsmodell wird und sozialverträglich bleibt.
Wir brauchen einen neuen Anlauf für einen Energiekonsens zwischen Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft. Hinter das Ziel einer klimaneutralen Energieversorgung gibt es kein zurück. Aber wir müssen uns neu verständigen, wie wir dieses Ziel am besten erreichen, wer welchen Beitrag leisten muss und wie wir die Kosten fair verteilen.
Der Beitrag erschien am 17.03.24 in der FAS.
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