Forum 1a: Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen: die internationale regelbasierte Ordnung auf dem Prüfstand
Wie können die Verantwortlichen für Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden? Über Fragen des Völkerstrafrechts diskutierten Christoph Heusgen, Tania Freiin von Uslar-Gleichen, Anton Korynevych und Frank Hoffmeister.
Die ukrainische Regierung strebt an, wie Anton Korynevych ausführte, über die Vereinten Nationen ein Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression – den Beginn des Angriffskrieges – einzurichten, um zwei Probleme zu umgehen: die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten und die Aufhebung der Immunitäten.
„Man kann durch eine Abstimmung in der Generalversammlung ein Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression auf den Weg bringen“ (Christoph Heusgen)
Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und ehemaliger deutscher Botschafter bei der UN, plädierte für eine Reform des UN-Sicherheitsrats und eine Stärkung der Generalversammlung. Man könne durch eine Abstimmung in der Generalversammlung ein Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression auf den Weg bringen, so Heusgen. Bisher hätten sich die G7-Staaten diesem Weg nicht verschrieben. Deutschland solle die Eruierung dieser Möglichkeit mit Nachdruck unterstützen und das Recht der Stärkeren nicht zulassen.
Die Errichtung eines Sondertribunals wird im Angesicht des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als notwendig erachtet, da der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) aufgrund einer legalen Lücke im Römischen Statut des IStGHs aktuell kein Strafverfahren für das Verbrechen der Aggression aufnehmen kann. Auf die Frage, wie diese Strafbarkeitslücke im Völkerstraffrecht geschlossen werden könne, stellte Frank Hoffmeister, Direktor für allgemeine Angelegenheiten beim EAD zunächst klar: Aus juristischer Sicht sei eine Angriffshandlung Russlands gegenüber unschuldigen Zivilisten in der Ukraine eindeutig ein Völkerrechtsverbrechen.
Staatenverantwortlichkeit und individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit
Das löse zwei Konsequenzen aus. Erstens: Staatenverantwortlichkeit, das heißt, Russland als Staat müsse für die völkerrechtliche Straftat geradestehen und sie wiedergutmachen. Zweitens: Es gebe eine strafrechtliche individuelle Verantwortlichkeit derjenigen in der russischen Führung, die für den Angriffskrieg verantwortlich sind, insbesondere Präsident Putin, Premierminister Mischustin, Verteidigungsminister Schoigu und hohe militärische Offiziere.
In Bezug auf die Frage der Staatenverantwortlichkeit habe die Ukraine einen wichtigen Fall vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) gebracht: Die Ukraine hat Russland vor dem IHG wegen Völkermordes verklagt. Hier habe die EU eine überwältigende Solidarität gezeigt, indem 26 Mitgliedstaaten in Den Haag interveniert hätten, um die Rechtsauffassung der Ukraine zu unterstützen.
Um die strafrechtliche Verantwortlichkeit individueller Personen festzustellen, müsse einer der vier folgenden und im Römischen Statut enthaltenen Tatbestände erfüllt sein: 1. Verbrechen der Aggression (Angriffskrieg); 2. Kriegsverbrechen; 3. Verbrechen gegen die Menschlichkeit; 4. Völkermord.
Der Internationale Strafgerichtshof dürfe in Bezug auf Angriffskrieg nur ermitteln, wenn der angreifende Staat IStGH-Vertragspartei sei (Russland ist dem Römischen Statut bisher nicht beigetreten) oder wenn der UN-Sicherheitsrat die Situation an den IStGH überweise. Da Russland einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat innehat, wird es eine Überweisung an den IStGH blockieren. Das heiße, im Römischen Statut stehe das Verbot des Angriffskrieges, aber dem IStGH seien aktuell die Hände gebunden so Hoffmeister.
Ein möglicher Weg sei, dass sich die Ukraine an die UN-Generalversammlung wende. Die wiederum ermächtigt den Generalsekretär mit der Ukraine einen Vertrag zu schließen, um ein neues UN-basiertes Gericht (Sondertribunal) zu errichten. Leider könne die Generalversammlung im Unterschied zum Sicherheitsrat keine Zwangsmaßnahme gegen Russland ergreifen, sondern nur Empfehlungen abgeben.
Andererseits könne man, wenn die Ukraine internationale Partner um Hilfe bitte, ein so genanntes hybrides Modell wie das Kosovo-Modell anwenden. Ein dritter Weg wäre, dass die UN-Generalversammlung die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und internationalen Partnern, in Form einer sogenannten „coalition of the willing“, positiv bewerte und alle Mitglieder ermutige, eine gemeinsame Resolution dazu zu verabschieden. Derzeit versuchen ca. 40 Staaten diese Idee aufs Gleis zu setzen.
Zur deutschen Rolle in diesem komplexen Verfahren äußerte sich Tania Freiin von Uslar-Gleichen, Beauftragte für Fragen des allgemeinen und besonderen Völkerrechts im Auswärtigen Amt. Deutschland arbeite an der Schließung dieser Strafbarkeitslücke intensiv mit. „Wir können ein Sondertribunal nicht als eine Siegerjustiz darstellen (…). Wir brauchen eine Legitimität, insbesondere wenn es darum geht, Immunität zu durchbrechen“. Deutschland verfolge einen zweigleisigen Ansatz. Erstens: zusammen mit der Ukraine ein wirksames und legitimes Instrument für die völkerstrafrechtliche Verfolgung der russischen politischen und militärischen Führung zu schaffen, die zum Präzedenzfall werden soll. Zweitens: das Römische Statut zu reformieren und den Internationalen Strafgerichtshof zu ermächtigen, den Aggressionskrieg zu verurteilen, auch wenn der Angreiferstaat nicht Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs ist.
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