Kampf gegen Dunkel­heit und Kälte

Ener­gie­si­cher­heit und Vertei­di­gung in Zeiten des Krieges – Quint­essenzen von unserer Reise in die Ukraine mit einer Bundestagsdelegation.

Im September reiste LibMod mit einer Bundes­tags­de­le­ga­tion in die Ukraine, nach Kyjiw und der Region Tscher­nihiw. Neben einem FDP-Abge­ord­neten nahmen wissen­schaft­liche Mitarbeiter:innen von der SPD, den Grünen, der CDU, der CSU und der FDP teil. Das zentrale Thema: die bedrü­ckende Situation im ukrai­ni­schen Ener­gie­sektor als Folge der russi­schen Angriffe auf die Infra­struktur. Die Frage nach mili­tä­ri­scher Unter­stüt­zung drängt.

Treffen mit ukrai­ni­schen Abge­ord­neten aus dem Ener­gie­aus­schuss der Werchowna Rada, mit Energieexpert:innen und Vertreter:innen der Ener­gie­wirt­schaftund mit Militärexpert:innen sowie mit dem Mensch­rechts­be­auf­tragten des Parla­ments standen ebenso auf dem Programm wie Besuche der lokalen Selbst­ver­wal­tung in Tscher­nihiw Oblast und der regio­nalen Staats­ad­mi­nis­tra­tion der Tscher­nihiw Region. Im Rahmen der Reise besuchten wir Objekte der Ener­gie­infra­struktur sowie Orte russi­scher Kriegs­ver­bre­chen und sprachen mit Bewohnern darüber, wie sie die russische Besatzung in der Tscher­nihiw Region oder die Umzin­ge­lung der Stadt Tscher­nihiw überlebt haben. Wir wollten wissen wie der Alltag der dortigen Bevöl­ke­rung ange­sichts des regel­mä­ßigen Beschusses und der Strom­aus­fälle aktuell aussieht.

Seit Beginn der russi­schen Voll­in­va­sion im Februar 2022 hat die Ener­gie­infra­struktur der Ukraine massiv unter gezielten Angriffen gelitten. Besonders im Sommer und im Winter wird das Land von Strom­aus­fällen heim­ge­sucht, da Russland syste­ma­tisch Strom­erzeu­gungs­an­lagen und Umspann­werke angreift. Laut des Berichts von Josep Borell, das beim Treffen mit den G7-Außenminister:innen präsen­tiert wurde, sind mitt­ler­weile 24,5 Gigawatt an Strom­erzeu­gungs­ka­pa­zi­täten beschä­digt oder zerstört – eine Bilanz, die das ohnehin fragile Ener­gie­system der Ukraine weiter unter Druck setzt. Besonders drama­tisch ist die Lage in den östlichen Regionen, die nahe der Front liegen und in denen noch immer ein Großteil der Bevöl­ke­rung lebt.

Noch ein paar Wochen zuvor sah das alltäg­liche Leben in Kyjiw ganz anders aus. Als wir in Kyjiw waren, brummten nicht ständig die Diesel­ge­ne­ra­toren vor jedem Laden, abends leuch­teten Lichter in den Fenstern und der Alltag der Menschen war nicht von Grafiken, bestimmt, die zeigen, wie viele Stunden am Tag ihnen Strom zur Verfügung steht, wie es noch vor kurzem der Fall war. Doch die schein­bare Norma­lität trügt. Die Strom­ver­sor­gung in Kyjiw funk­tio­niert aktuell zwar, doch alle wissen, dass dies nur ein vorüber­ge­hender Zustand ist. Die Angst vor dem kommenden Winter ist allgegenwärtig.

Zerstörte Infra­struktur und Heraus­for­de­rungen des Wiederaufbaus

Russland verfolgt eine gezielte Strategie: Die Zerstö­rung der gesamten Ener­gie­ver­sor­gung – vor allem der Groß­städte wie Kyjiw, Charkiw, Dnipro und Odesa – vor dem nahenden Winter soll die Bevöl­ke­rung keine Heizung, und keinen Strom zur Verfügung haben. Besonders betroffen sind Umspann­werke, die durch die aus der Sowjet­union vererbten Zentra­li­sie­rung der ukrai­ni­schen Ener­gie­ver­sor­gung ein besonders anfäl­liges Ziel sind. Seit März 2024 begann Russland in besonders großem Umfang, die Wärme- und Strom­ge­ne­ra­toren und die Gasin­fra­struktur zu atta­ckieren – darunter auch jene Gasspei­cher, die von den EU-Mitglieds­staaten genutzt werden.

Der Wieder­aufbau dieser zerstörten Ener­gie­infra­struktur stellt eine immense Heraus­for­de­rung dar: Derzeit liegt die Gesamt­erzeu­gungs­ka­pa­zität der Ukraine bei neun Gigawatt – gerade ausrei­chend für den Übergang vom Herbst auf den Winter. Doch für die extremen Wetter­lagen im Sommer und Winter reicht dies bei Weitem nicht aus. Um dem entge­gen­zu­wirken, gibt es zwei Haupt­maß­nahmen: den Strom­im­port aus der EU zu erhöhen und den Wieder­aufbau der zerstörten Kapa­zi­täten voran­zu­treiben. Der Wieder­aufbau bedeutet in der Realität aber den Bau neuer Anlagen, wobei der Fokus vor allem auf die dezen­trale Ener­gie­er­zeu­gung als das resi­li­en­tere Modell gelegt wird. Zudem gleicht der Aufbau großer Anlagen einer Sisy­phus­auf­gabe, denn sie werden nicht selten erneut Ziel russi­scher Angriffe. Ausge­rechnet dort, wo die Zerstö­rung am größten ist, im Osten des Landes, wird der Wieder­aufbau zusätz­lich dadurch erschwert, dass Inves­ti­tionen in diesen gefähr­deten Regionen ausbleiben.

Im Bereich der kriti­schen Infra­struktur hat die Zivil­ge­sell­schaft die Pionier­auf­gabe der Ausrüs­tung mit erneu­er­baren Ener­gie­quellen über­nommen. Die Stiftung Energy Act for Ukraine hat im Jahr 2022 als eine der ersten (seitdem aber bei Weitem nicht die einzige) ange­fangen, Solar­pa­nels und Speicher im Rahmen von ihren Kampagnen 100SolarSchools und 50SolarHospitals Solar­pa­nels und Speicher in Kran­ken­häu­sern und Schulen zu instal­lieren.[1] Gerade in den befreiten Gebieten, die unter der Besatzung stark gelitten haben, in den Regionen Kyjiw, Tscher­nihiw und Mykolajiw, ist die von jungen Frauen geführte Stiftung besonders aktiv.

Diese dezen­trale Ener­gie­er­zeu­gung und der Ausbau erneu­er­barer Energien sind viel­ver­spre­chende Ansätze, um die Ener­gie­ver­sor­gung der Ukraine zukunfts­fä­higer und wider­stands­fä­higer zu machen. Laut der Studie von Berlin Economics im Auftrag von Green­peace könnte zum Beispiel die instal­lierte Solar­ka­pa­zität der Ukraine bis 2030 auf 14 Gigawatt anwachsen.[2] Eine besonders wichtige Rolle dabei würde in den nächsten Jahren auch die Wind­energie spielen. Doch der Krieg behindert große Inves­ti­ti­ons­pro­jekte massiv, und ohne Sicher­heits­ga­ran­tien wird es schwer sein, inter­na­tio­nale Inves­toren zu über­zeugen und grüne Wende für mehr Ener­gie­si­cher­heit Wirk­lich­keit werden zu lassen.

Die billigste Schutz­maß­nahme gegen russische Angriffe

Eine der drän­gendsten Fragen für die ukrai­ni­sche Regierung ist, wie die bestehende Infra­struktur besser vor Angriffen geschützt werden kann. Während der Reise besich­tigte die Gruppe eines der größten Umspann­werke des Landes und erhielt Einblicke in die Schutz­maß­nahmen, die gegen Drohnen- und Rake­ten­an­griffe errichtet wurden: Dabei sollen drei Stufen des Schutzes die Anlagen vor Drohnen, Schrapnell und indi­rekten Einschlägen bewahren. Handelt es sich bei dem Angriff um einen direkten Rake­ten­treffer, gibt es aller­dings nur eine Möglich­keit, die Anlage zu schützen: Mittels der in „Stufe 3“ benannten Maßnahmen. Dafür muss eine Art Festung voll­um­fäng­lich über das Umspann­werk gebaut werden. Einen solchen Schutz zu errichten, dauert viele Jahre und ist extrem teuer. Das kann die Ukraine sich in der Kriegs­zeit nicht leisten.

Aller­dings werden die meisten Zerstö­rungen, rund 75 %, nicht durch Raketen, sondern durch Drohnen verur­sacht: Die 3,5 m langen russisch-irani­schen Shahed-Drohnen wiegen 200 kg, dazu kommt bis zu 50 kg Spreng­stoff. Damit können diese relativ günstigen Drohnen sehr viel Schaden verur­sa­chen. Um die Umspann­werke gegen diese Droh­nen­an­griffe zu schützen, hat das staat­liche TSO Ukrenergo schon mehrere Schutz­ana­lgen gebaut. Auch diese Anlagen sind sehr teuer, die Ukraine kann die Kosten nicht allein tragen.

Daher gibt es erheb­liche Unter­stüt­zung der ukrai­ni­schen Ener­gie­infra­struktur durch westliche Länder. Allein im letzten Monat haben die USA, Deutsch­land, Frank­reich, Dänemark und viele andere Länder ange­kün­digt, mit mehreren Millionen Dollar und Euro sowohl den Wieder­aufbau der zerstörten Anlagen als auch die Schutz­maß­nahmen gegen künftige Angriffe mitzufinanzieren.

Dabei steigen die Kosten für den Wieder­aufbau und die Vertei­di­gung mit jedem weiteren russi­schen Angriff, also tagtäg­lich. „Russland kennt keine roten Linien“, sagen ukrai­ni­sche Militärexpert:innen beim Treffen mit der deutschen Dele­ga­tion. „Die westliche Angst vor einer Eska­la­tion des Krieges eröffnet Putin die Möglich­keit, unge­hin­dert weiter­zu­ma­chen.“ Die Ukraine benötigt daher nicht nur finan­zi­elle Unter­stüt­zung beim Wieder­aufbau, sondern vor allem mehr mili­tä­ri­sche Mittel, um ihre Städte und Infra­struktur vertei­digen zu können und weitere Zerstö­rung zu verhindern.

Immer wieder hörten die Mitglieder der Dele­ga­tion bei ihren Gesprä­chen mit ukrai­ni­schen Politiker:innen und mit Vertreter:innen der regio­nalen Verwal­tung und der Zivil­ge­sell­schaft dieselbe Forderung: mehr Waffen und Munition, um Russland Einhalt zu gebieten. Die ukrai­ni­sche Luft­ab­wehr, die trotz hoher Abfang­quoten durch eine ständige Muni­ti­ons­knapp­heit einge­schränkt ist, muss oft hilflos dabei zusehen, wie russische Raketen einschlagen und kritische Infra­struktur zerstören.

Eine stärkere Unter­stüt­zung durch westliche Waffen­lie­fe­rungen, insbe­son­dere Luft­ab­wehr­ra­keten und moderne Kampfjets wie die F‑16, könnte nach Ansicht der ukrai­ni­schen Seite entschei­dend sein. Die beste und sicherste Art der Abschre­ckung ist aber die Möglich­keit, die Mili­tär­ziele, russische Mili­tär­flug­plätze, tief im russi­schen Terri­to­rium anzu­greifen. Die Erlaubnis dafür wird als stra­te­gi­sche Notwen­dig­keit angesehen, um den Krieg zu beenden und künftige Angriffe zu verhin­dern. Die Zerstö­rung der Abflug­orte russi­scher Kampfjets wäre der billigste Weg, die Bevöl­ke­rung und die Infra­struktur in der Ukraine zu schützen. Ohne diese Möglich­keit wird auch die Zerstö­rung des Ener­gie­system nie ein Ende haben.

Die Gesprächs­partner in der Ukraine stellen klar: Deutsch­land hat sich verpflichtet, die ukrai­ni­sche Luft­ver­tei­di­gung zu stärken und kommt dem Verspre­chen nach. Gleich­zeitig aber betonen sie auch die dringende Notwen­dig­keit, die Produk­tion und Inves­ti­tionen in die eigene Rüstungs­in­dus­trie zu beschleu­nigen, sowie in die ukrai­ni­sche Rüstungs­pro­duk­tion zu investieren.

Trotz der finan­zi­ellen und mili­tä­ri­schen Unter­stüt­zung – die oft verspätet und unzu­rei­chend kommt – gibt es immer noch eine Lücke zwischen den Endzielen der Ukraine und denen ihrer west­li­chen Partner. Der Westen scheitert, den Krieg als Teil eines globalen Konfliktes zwischen der Demo­kratie und dem Auto­ri­ta­rismus anzu­er­kennen. Während die Ukraine den Krieg als Kampf um ihre Freiheit, demo­kra­ti­sche Werte und ihre Existenz gegen einen impe­ria­lis­ti­schen Angriff sieht, fehlt es auf west­li­cher Seite an einer gemein­samen lang­fris­tigen Strategie für einen Sieg. Dies, so der Konsens vieler Gesprächspartner:innen in der Ukraine, müsse sich ändern, um die Wider­stands­fä­hig­keit des Landes auf Dauer zu sichern.

NATO-Mitglied­schaft als erste Priorität für die Sicher­heit der Ukraine

Trotz all der genannten Schwie­rig­keiten und der anhal­tenden Zerstö­rungen blickt die Ukraine weiterhin fest entschlossen Richtung NATO- und EU-Mitglied­schaft. In Umfragen sehen über 80 Prozent der ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung den Beitritt zu diesen beiden Orga­ni­sa­tionen als die wich­tigste Zukunfts­per­spek­tive an.[3] Dabei wird die trans­at­lan­ti­sche Inte­gra­tion in der Gesell­schaft als erste Priorität gesehen. Denn ohne Beitritt zur NATO bleibt die Sicher­heit und auch die euro­päi­sche Inte­gra­tion der Ukraine weiterhin bedroht.[4] Für die Ukraine geht es nicht nur darum, die Menschen und die Gebiete von der russi­schen Besatzung zu befreien, sondern sich zudem als inte­graler Teil der euro­päi­schen Gemein­schaft und des west­li­chen Sicher­heits­sys­tems zu etablieren. Nur so kann die künftige Sicher­heit der Ukraine aber auch die Sicher­heit und Zukunft Europas gewähr­leistet werden.

[1] https://www.energyactua.com/

[2] https://berlin-economics.com/studie-im-auftrag-von-greenpeace-moeglichkeiten-und-herausforderungen-von-solarenergie-in-der-ukraine/

https://www.greenpeace.de/publikationen/20240607-greenpeace-report-BE-solar-marshallplan-ukraine-encv.pdf

[3] https://ecfr.eu/publication/the-meaning-of-sovereignty-ukrainian-and-european-views-of-russias-war-on-ukraine/

[4] https://libmod.de/welcher-friede-einige-botschaften-unserer-konferenz-die-ukraine-und-wir/

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spen­den­tool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­ti­sche Arbeit von LibMod.

Spenden mit Bankeinzug

Spenden mit PayPal


Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steu­er­lich absetzbar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

Verwandte Themen

News­letter bestellen

Mit dem LibMod-News­letter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.