Kapitel 3 des Berichts „Sicherheit im Wandel“: Innere Sicherheit

Es ist das Recht jedes Einzelnen, in Frieden zu leben.

Während die Charta der Grund­rechte der Europäi­schen Union in Art. 6 ein Recht auf Sicherheit enthält, findet sich ein solches im Grund­gesetz (GG) nicht. Die Grund­rechte des GG dienen der Gewähr­leistung der Freiheits­rechte des Indivi­duums vor Eingriffen der öffent­lichen Gewalt; sie sind in erster Linie Abwehr­rechte der Bürger gegen den Staat. Daraus lassen sich nur in sehr engen Grenzen Schutz- und Leistungs­an­sprüche ableiten. Auch aus den Grund­rechten auf Leben und körper­liche Unver­sehrtheit und auf Schutz des Eigentums folgt kein eigenes „Grund­recht auf Sicherheit“.

Das bedeutet aber nicht, Bürge­rinnen und Bürger mit ihren berech­tigten Sicher­heits­in­ter­essen allein und schutzlos zu lassen. Vielmehr setzt das Grund­gesetz den Schutz der Bevöl­kerung als wesent­liche Aufgabe des Staates voraus. Daraus leitet sich das staat­liche Gewalt­mo­nopol ab. Aus dem Gesamtsinn des Grund­ge­setzes, dem Rechts­staats­prinzip und vor allem dem Recht auf Leben und körper­liche Unver­sehrtheit ergibt sich zweifelsohne eine staat­liche Pflicht zur Sorge für die Sicherheit der Bürger. Sie ist eine zentrale Quelle staat­licher Legitimation.

Es ist das Recht jedes und jeder Einzelnen, in Frieden zu leben. Der Staat hat die Verpflichtung, diese Sicherheit zu gewähren. Gewalt­freiheit (innerer Frieden) einer Gesell­schaft ist eine Grund­be­dingung von indivi­du­eller Freiheit (Freiheit von Furcht).

Sicherheit ist ein Grund­be­dürfnis des Menschen. Sie fällt unter die Kategorie der öffent­lichen Güter, die den gemein­samen Nutzen aller vergrößern. In diesem Zusam­menhang muss die Rolle des Staates in der Demokratie neu gedacht werden. Der klassische Libera­lismus zielt vor allem auf die Einhegung staat­licher Macht. Gewal­ten­teilung und Bürger­rechte sollen vor staat­licher Willkür schützen. Dieser Impetus ist immer noch aktuell. Angesichts der großen Umwäl­zungen unserer Zeit wächst jedoch das Bedürfnis nach Schutz durch den Staat. Das gilt für die soziale Sicherheit wie für die klassische innere Sicherheit. Es geht um einen handlungs­fä­higen Staat, der das Sicher­heits­be­dürfnis der Bürge­rinnen berück­sichtigt und zugleich die Menschen- und Bürger­rechte gewährleistet.

Sicherheit und Freiheit stehen in einem Spannungs­ver­hältnis. Sie bedingen einander und können zugleich in Konflikt mitein­ander geraten, wenn das eine auf Kosten des anderen verfolgt wird. Die Mehrheit der Bevöl­kerung will keine Entscheidung zwischen Freiheit oder Sicherheit, sondern sieht Sicherheit als eine Bedingung subjek­tiver Freiheit. Dieses Spannungs­ver­hältnis gilt es immer neu auszutarieren.

Wie in anderen Lebens­be­reichen sind es auch in Sicher­heits­fragen die Kommunen, in denen die Bürge­rinnen und Bürger staat­liche Präsenz oder Ohnmacht erleben. Sie unter­scheiden dabei nicht zwischen Zustän­dig­keiten von Bund, Ländern und Gemeinden, zwischen Ortspo­lizei, Landes­po­li­zei­be­hörden und Bundes­grenz­schutz. Deshalb muss die Zusam­men­arbeit zwischen den Sicher­heits­be­hörden der verschie­denen staat­lichen Ebenen verbessert werden. Ziel muss sein, die Kommunen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben optimal zu unter­stützen – dazu gehören auch die Gewähr­leistung von Recht und Ordnung, der Schutz des Eigentums und der Schutz vor Gewalt.

Die Kommission unter­scheidet im Folgenden zwischen subjek­tiver Sicherheit (Sich-Sicher-Fühlen, gefühltes Ausmaß von Krimi­na­lität) und objek­tiver Sicherheit (Sicher-Sein, empiri­sches Ausmaß von Kriminalität).

Laut Polizei­licher Krimi­nal­sta­tistik liegt ein deutlicher Rückgang der polizeilich regis­trierten Straf­taten in den letzten 25 Jahren (ohne auslän­der­recht­liche Verstöße gegen Aufent­halts­be­stim­mungen) und damit ein Zugewinn an objek­ti­vierter Sicherheit vor. Ein Großteil der verübten schweren Straf­taten wird von einer kleinen Gruppe von Inten­siv­tätern verübt: Relativ wenige Täter sind für 30–70 Prozent der gesamten Straf­taten verantwortlich.

Das Vertrauen in die Polizei ist weiterhin hoch. Laut einer Umfrage vom Dezember 2018 haben 78 Prozent der Befragten hohes Vertrauen in die Polizei.

Generell meint grob die Hälfte (45 Prozent), dass „wir heute in einer besonders unsicheren Zeit leben“. Aber mit Blick aufs eigene Land haben die meisten Befragten ein hohes Sicher­heits­gefühl. Die Angst vor Bedro­hungen ist zum Teil sogar gesunken. Fürch­teten sich 2016 noch 45 Prozent vor Terror­an­schlägen, so sind es Anfang 2019 noch 28 Prozent. Bei der Angst vor Gewalt­ver­brechen gingen die Zahlen im selben Zeitraum von 33 auf 26 Prozent zurück, bei Diebstahl und Einbruch von 34 auf 23 Prozent. Von einer wachsenden „Sicher­heit­s­panik“ kann deshalb nicht die Rede sein.

Dennoch deckt sich „gefühlte Unsicherheit“ in der Bevöl­kerung nicht unbedingt mit den Daten der Krimi­na­li­täts­sta­tistik. In Umfragen schätzen die Befragten das Vorkommen schwerer Delikte regel­mäßig überpro­por­tional hoch ein. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass Straf­taten aufgrund ihres Echos in sozialen Netzwerken stärker verun­si­chern. Eine einzelne Tat kann Ängste schüren, auch wenn sie statis­tisch sehr selten vorkommt.

Als gefährdet wird häufig weniger die persön­liche als vielmehr die gesell­schaft­liche Sicherheit bezeichnet. Die Kommission vermutet daher in der Sorge um die innere Sicherheit (auch) eine Metapher für allge­meine Befürch­tungen und Zukunfts­ängste. In Krimi­na­li­täts­furcht bündeln sich generelle Unsicher­heiten über die eigene und die gesell­schaft­liche Zukunft. Sie ist deshalb auch nicht allein mit Krimi­na­li­täts­be­kämpfung und Prävention zu beant­worten, sondern durch eine Stärkung des gesell­schaft­lichen Zusam­men­halts, Bildung und soziale Sicherheit in Zeiten des Wandels.


Sicherheit im Wandel_​Kapitel 3

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