Neues Poli­zei­ge­setz: Wie Bayern die innere Sicher­heit gefährdet

Antje Wildgrube [CC BY 3.0 de], via Wikimedia Commons

Vor langer Zeit einmal galt auch in Bayern das Prinzip der Verhält­nis­mä­ßig­keit. Heute nicht mehr. Das Poli­zei­auf­ga­ben­ge­setz deutet an, wie sehr die CSU von auto­ri­tären Nachbarn im Osten inspi­riert ist. Die Freiheit degra­diert sie zur Marginalie.

Das neue Poli­zei­auf­ga­ben­ge­setz (PAG) für Bayern ist vom Landtag verab­schiedet, die poli­ti­schen Argumente sind ausge­tauscht, bislang folgenlos. Entscheiden werden am Ende die Verfas­sungs­ge­richte.

Auch wenn die Wahr­schein­lich­keit hoch ist, dass das PAG die Verfas­sungs­ge­richte nicht unver­än­dert passieren wird, beruhigt das nicht. Denn die Frage, ob poli­zei­liche Eingriffs­be­fug­nisse überhaupt bis zur Grenze des verfas­sungs­recht­lich Möglichen reichen sollten, ist aus der poli­ti­schen Diskus­sion fast verschwunden – im Zusam­men­hang mit der Verhin­de­rung von Krimi­na­lität und Terror ist sie faktisch tabui­siert. Hinter­fragt werden im Gegenteil die verfas­sungs­recht­li­chen Grenzen selbst, ablesbar etwa an der Hart­nä­ckig­keit, mit der Politiker der Union die klaren Entschei­dungen des Euro­päi­schen Gerichts­hofs zur Unzu­läs­sig­keit der anlass­losen Vorrats­da­ten­spei­che­rung in Frage stellen.

In der Sicher­heits­po­litik sollte jede Maßnahme das Ergebnis von Abwä­gungen sein, etwa des Sicher­heits­ge­winns gegen den Verlust an Freiheit. Niemand, der bei Verstand ist, würde jemals das theo­re­tisch Mögliche zugleich als zwingend notwendig betrachten. 

Wie kommt es zu diesem Tabu? Man muss nur die Begrün­dungs­stränge der CSU in der Ausein­an­der­set­zung um das PAG nach­voll­ziehen, um den Mecha­nismus zu verstehen.

Sprechen über Politik der Freiheit wird unterbunden

Das neue Poli­zei­auf­ga­ben­ge­setz werde „Leben retten und Menschen helfen, nicht Opfer zu werden“, sagte Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder (CSU). Der Vorsit­zende der CSU-Land­tags­frak­tion Thomas Kreuzer teilte mit, wer der Polizei präven­tive Mittel verwei­gern möchte, mache die Gemein­schaft „wehrlos“. In der Land­tags­de­batte ergänzt er, er wolle nicht dafür in Haftung genommen werden, wenn etwas passiere. 

Portrait von Manuela Rottmann

Manuela Rottmann ist Bundes­tags­ab­ge­ord­nete der Grünen und Mitglied im Rechtsausschuss

Bums, aus, fertig. Wer will schon ein Menschen­leben auf dem Gewissen haben? Wer will sich vorhalten lassen, dass er nicht alles getan hat, um Tote zu verhin­dern? Niemand. Wider­spruch mundtot gemacht. Letzte Halte­linie sind  allen­falls die Grund­rechte.  Doch auch auf sie kann man die volle Wucht des Arguments prallen lassen: Menschen werden sterben, hängt man Grund­rechte allzu hoch.

Schon das Sprechen über eine Politik der Freiheit, der außer­po­li­zei­li­chen Präven­tion und der Verhält­nis­mä­ßig­keit von Risiko und Eingriffs­in­ten­sität wird unter­bunden. Vermut­lich war Gerhart Baum der letzte deutsche Innen­mi­nister, der überhaupt noch wusste, dass das verfas­sungs­recht­lich Zulässige nicht per se deckungs­gleich mit dem sicher­heits­po­li­tisch Notwen­digen ist.

Gerede von maximaler Sicher­heits­po­litik ist wohlfeil

Wo es um Leben oder Tod geht, muss der Gesetz­geber alles einsetzen, so der Tenor. Blickt man jedoch auf andere sicher­heits­re­le­vante Themen, fällt die Schief­lage dieser Sicht auf: Alles Menschen­mög­liche tun, um Verkehrs­tote zu verhin­dern? Im Leben nicht. Ein allge­meines Tempo­limit ist in Deutsch­land nach wie unvor­stellbar. In den ersten Monaten des Jahres 2018 sind bereits 15 Radfahrer bei Unfällen mit LKWs zu Tode  gekommen, oft Kinder oder ältere Menschen. Die Verpflich­tung, in die LKWs elek­tro­ni­sche Abbie­ge­as­sis­tenzen einzu­bauen, könnte das Risiko verrin­gern. Seit Jahren verhallt diese Forderung im Wind.

Das Gerede von maximaler Sicher­heits­po­litik ist wohlfeil. Alles Menschen­mög­liche für die Sicher­heit? Warum verdrei­facht die CSU dann nicht den Innenetat und verviel­facht die Poli­zei­kräfte, bis wirklich jedes Tötungs­de­likt unmöglich ist?

Kritiker werden als Mittäter diskreditiert

Augen­schein­lich lahmt in dieser Argu­men­ta­tion etwas. In der Sicher­heits­po­litik ergibt sich keine Maßnahme aus sich selbst, sondern ist immer das Ergebnis von Abwä­gungen, etwa des Ressour­cen­be­darfs gegen den Nutzen und die Voll­zugs­wahr­schein­lich­keit, oder des Sicher­heits­ge­winns gegen den Verlust an Freiheit. Kurz gesagt: Niemand, der bei Verstand ist, wird jemals das theo­re­tisch Mögliche als zwingend notwendig betrachten.

Tatsäch­lich handelt es sich beim PAG um einen Trick: Die ständige Auswei­tung der Eingriffs­be­fug­nisse wirkt maximal entschlossen, doch belastet den Haushalt um keinen Cent. Das PAG ist: billiger Popu­lismus. Jede, die die Frage zu stellen wagt, ob das Mögliche auch das Richtige ist, wird von den Sicher­heits­po­pu­listen als Mittä­terin durch Unter­las­sung diskreditiert.

CSU gefährdet Sicherheit

Tatsäch­lich ist es das PAG selbst, das Sicher­heit verhin­dert. Grund­sätz­lich ist es ja richtig, die Eingriffs­be­fug­nisse der Landes­po­lizei bundes­weit zu verein­heit­li­chen. Jeder Laie kann sich vorstellen, wie lähmend die Zusam­men­ar­beit über die Landes­grenzen hinweg dadurch wird, dass überall unter­schied­liche Rege­lungen gelten. Doch die CSU hat ein brachiales Gesetz verab­schiedet, das kein anderes Land guten Gewissens als Maßstab aner­kennen kann.

Absur­der­weise spricht sich Thomas Kreuzer deshalb auch gegen eine Verein­heit­li­chung der Landes-Poli­zei­ge­setze aus: „Ich will nicht, dass wir in Bayern Gesetze wie in mancher Hanse­stadt in Deutsch­land haben.

Die CSU könnte mehr Sicher­heit haben. Dafür müsste sie aber auf ihren Sonderweg verzichten. Sie müsste in einen Dialog über das Notwen­dige und das Sinnvolle treten, der anspruchs­voller wäre, als das Niveau ihrer bishe­rigen Einlassungen.

Mit einem bundes­weiten Konsens könnte sich die poli­zei­liche Zusam­men­ar­beit tatsäch­lich verbes­sern. Die Unein­heit­lich­keit der Landes­ge­setze ist unstreitig eine der wesent­li­chen Schwach­stellen der Terror­be­kämp­fung in Deutschland.

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