Sicherheit: Zur Figur des „gefähr­lichen Fremden“

Quelle: Flickr/​Linke Bundestagsfraktion

Ein afgha­ni­scher Flüchtling ersticht ein 15jähriges Mädchen. Schlimm. Weshalb entzündet sich an dieser Bluttat eine so heftige, emotional aufge­ladene Kontro­verse? Es geht – unter anderem – um die Frage, ob die Zuflucht von jungen Männern aus Zentral­asien und Nordafrika zu einem höheren Gewalt­risiko für Mädchen und Frauen führt und wie damit umzugehen ist. Diese Debatte wird nicht nur aus dem rechts­extremen Spektrum angeheizt. Manuela Rottmann erklärt, weshalb es in Teufels Küche führt, wenn wir ganze Menschen­gruppen unter General­ver­dacht stellen und repressive Maßnahmen an soziale oder kultu­relle Merkmale knüpfen.

Ich habe gezögert, auf den Text von Götz Aly in den Stutt­garter Nachrichten zur Tötung eines jungen Mädchens in einer kleinen Stadt in Rheinland-Pfalz und weiteren Gewalt­taten durch Flücht­linge zum Jahres­wechsel zu erwidern. „Relati­vierung, Ignoranz gegenüber den Opfern, Blindheit gegenüber den Sicher­heits­ri­siken aus der Zuwan­derung von Geflüch­teten, Multi­kulti-Naivität“ – die Reaktion auf jede diffe­ren­zie­rende Sicht auf das Thema Gewalt gegen Frauen durch Geflüchtete scheint mir schon so gut wie festzu­stehen, bevor ich mich an die Tastatur gesetzt habe.

Wenn wir von unseren Annahmen über soziale oder kultu­relle Ursachen von Gewalt auf die Gefähr­lichkeit einzelner Menschen schließen, sitzen wir in der Falle. 

Götz Aly kriti­siert in dem Anfang Januar erschie­nenen Text das Schweigen der Bundes­kanz­lerin und von Integra­ti­ons­staats­mi­nis­terin Aydan Özoguz zur Sicher­heitslage und unter­stellt als Motiv Feigheit. Das lässt auf eine gewisse Egozentrik bei der Beschäf­tigung mit Sicher­heits­ge­fühlen schließen. Just die von ihm namentlich adres­sierte Aydan Özoguz  – nicht etwa der Innen­mi­nister – ist von Alexander Gauland bereits im Bundes­tags­wahl­kampf zur Zielperson ausge­rufen worden. Anne Spiegel Integra­ti­ons­mi­nis­terin in Rheinland-Pfalz, hatte sich geäußert, sie hat eine Pflicht zu medizi­ni­schen Alters­tests bei jungen Geflüch­teten im Zusam­menhang mit dem genannten Tötungsfall abgelehnt. Seit Anfang Januar steht sie unter Polizei­schutz. Dass sie bedroht wird, ist nicht die Schuld von Götz Aly. Aber es ist ein bitterer Umstand, den man bei der Bewertung von Schweigen mittler­weile mitein­be­ziehen muss. Die einen beklagen, mit ihrer Angst nicht gehört zu werden. Die anderen werden an Leib und Leben bedroht, wenn sie auf diese Angst anders als mit dem Ruf nach Schärfe und Abschottung reagieren

Nach Entste­hungs­be­din­gungen der Gewalt fragen

Soviel zum Schweigen. Aber es hilft ja nichts.

Nein, es ist nicht falsch, nach kultu­rellen Hinter­gründen und Bedin­gungen von Gewalt zu fragen und daraus Schlüsse zu ziehen. Die kritische Krimi­no­logie tut genau das. Es gibt hier kein Tabu. Aber welche Schlüsse sind zulässig und vernünftig?

Wir müssen nach den Entste­hungs­be­din­gungen für Gewalt fragen, damit wir diese verändern können, um mehr Sicherheit zu schaffen. Sicherheit entsteht aus der Kombi­nation von Prävention und effek­tiver Straf­ver­folgung. Dazu gehört die harte, kritische Ausein­an­der­setzung mit kultu­rellen Mustern, mit patri­ar­chalen Struk­turen, genauso wie die Frage, welche Wohnsi­tuation, welche familiäre Situation, welche anderen Parameter Gewalt fördern.

Aber es gibt niemals eine einfache kausale Linie von den Bedin­gungen, in denen ein Mensch lebt oder aufge­wachsen ist, zur Tat oder Nicht-Tat. Die Wenigsten werden Täter: Die wenigsten Männer, die wenigsten jungen Männer, die wenigsten Menschen, die selbst Gewalt erlebt haben, die wenigsten Flüchtlinge.

Das Gebot der Gleichheit jedes Einzelnen vor dem Recht

Wenn wir aber von unseren Annahmen über soziale oder kultu­relle Ursachen von Gewalt auf die Gefähr­lichkeit einzelner Menschen oder Menschen­gruppen schließen, anhand ihrer Biografie, ihres Geschlechts, ihres sozialen Status oder ihres kultu­rellen Hinter­grunds, sitzen wir in der Falle. Wenn wir an solche Merkmale indivi­duelle Sanktionen, Gefah­ren­ab­wehr­maß­nahmen und Repres­salien knüpfen, dann werden alle Funda­mente des Rechts­staats einge­rissen: Das Recht, dass der Unbescholtene auch unbehelligt bleibt, das Diskri­mi­nie­rungs­verbot, das Gebot der Gleichheit jedes Einzelnen vor dem Recht. Und wir gewinnen keine Sicherheit. Denn Diskri­mi­nierung fördert Gewalt. Wer nicht mehr an seinem Handeln, sondern daran gemessen wird, was er ist und wo er herkommt, hat wenig Grund, sich an Normen zu halten. Er hat davon nämlich keinen Nutzen. Es ist egal, was er tut oder lässt. Denn er gilt als gefährlich, so oder so, und er wird entspre­chend behandelt.

Der Rechts­staat ist kein naiver Luxus für fried­liche Zeiten. Er ist das aus bitterer Erfahrung geronnene Wissen darüber, wie Frieden und Sicherheit in einer Gesell­schaft entstehen und woran sie zerbrechen.

Warum aber löst ein fremder kultu­reller Hinter­grund von Tätern bei uns so viel aus? Warum lösen grausamste Taten deutscher Täter in unserer unmit­tel­baren Nähe nicht in gleichem Maße dieses Gefühl aus, dass die Gefahr immer näher rückt, dass man persönlich immer bedrohter ist?

Wir spalten die Gefahr der Täter­schaft von der eigenen kultu­rellen Identität ab

Weil wir alle gezwungen sind, mit dem Risiko und mit der Angst davor zu leben, dass wir selbst oder uns nahe Stehende Opfer werden. Oder Täter. Und dagegen entwi­ckeln wir Strategien: Wir verdrängen. Ein anderes Wort dafür wäre: Wir relati­veren das Risiko. Wir alle tun dies jeden Tag, sonst würden wir uns nicht mehr vor die Tür wagen. Oder wir schreiben Gefähr­lichkeit bestimmten Menschen­gruppen zu. Auch das entlastet: Die Gefahr der Täter­schaft lässt sich von der eigenen kultu­rellen Identität abspalten. Der vertraute kultu­relle Raum erscheint sicherer. Und es entsteht der trüge­rische Eindruck, die Kontrolle über das Risiko zurück­zu­ge­winnen, wenn es sich klar verorten lässt. Wenn es einen einfach lesbaren Indikator für Gefahr gibt, dann kann man sich davor schützen. Wenn sich die Enkelin von Flücht­lingen fern hält, wird ihr nichts passieren. Wenn die Fremden die Gefähr­lichen sind, dann kann man die Gefahr mit den Flücht­lingen aussperren. Der Zorn gegen die, die diesen Schluss zum unbeschol­tenen einzelnen Menschen nicht mitmachen, ist auch ein Zorn darüber, dass einem diese entlas­tende Sicht auf die Gefahr versagt wird.

Die Ängste ernst nehmen – was bedeutet das also für einen Staat? Was erwartet Götz Aly von der Politik? Dass sie Gewalt­taten nicht beschönigt und die Struk­turen, die Gewalt fördern, bekämpft? Ja, das erwartet er zu Recht. Darüber kann man, muss man debat­tieren. Ob wir genug gegen patri­ar­chale Weltbilder tun. Ob wir den Zugang zu Waffen besser kontrol­lieren können. Oder ob es klug ist, Flücht­linge monatelang in Massen­un­ter­künfte zu zwingen. Diese Arbeit leisten aber beileibe nicht nur Kritiker der sogenannten „Willkom­mens­kultur“.  Da trübt die eigene Eitelkeit den Blick. Wenn aber damit gemeint ist, sich die trüge­rische Zuordnung von Gefähr­lichkeit zu einzelnen Menschen aufgrund ihrer Herkunft zu eigen zu machen: Nein, das darf ein Staat nicht.

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