NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
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NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Popkultur von rechts
Social Media
Algospeak –
„Unter dem Radar der Restriktionen“
Das Projekt pre:bunk der Amadeu Antonio Stiftung hat das Ziel, Tiktok als pädagogischen Interventionsraum zu erschließen und Ansätze digitaler Radikalisierungsprävention und Handlungsoptionen im Umgang mit Hate Speech weiterzuentwickeln. Im Interview spricht das Projektteam über die Herausforderung von subtilen extremistischen Online-Ansprachen.
Euer Projekt pre:bunk klärt über demokratie- und menschenfeindliche Narrative auf Tiktok auf. Dabei geht es auch um das Phänomen Algospeak – was versteht ihr darunter?
Algospeak ist eine Abkürzung für algorithmusbasierte Sprache und bezeichnet Codes, Chiffren oder sprachliche Umschreibungen, die strategisch genutzt werden, um unbemerkt von technischer Plattformmoderation kommunizieren zu können. Konkret kann das durch Andeutungen, veränderte oder falsche Schreibweisen von Wörtern beziehungsweise dem Ersatz einzelner Buchstaben durch Ziffern und Symbole oder Emojis erfolgen. Eine Dimension von Algospeak, die wir betrachten, ist die Umwegkommunikation – das ist ein Begriff aus der Antisemitismusforschung. Dabei geht es um explizit menschenfeindliche Ideologien, die etwa durch veränderte Worte oder mit Hilfe von > Memes transportiert werden.
Zu welchem Zweck nutzen Rechtsextreme Algospeak beziehungsweise Umwegkommunikation?
Soziale Medien sind für rechtsextreme Akteur*innen wichtig, um ihre Reichweite zu erweitern, sich zu vernetzen, Anhänger*innen zu mobilisieren und ihre Ideologien zu streuen. Dabei greifen sie auf subtile Kommunikationstechniken zurück, um ihre antidemokratischen Botschaften zu verbreiten, ohne sofort aufzufallen. Trotz der Plattform-Moderation gegen missbräuchliches Verhalten und Diskriminierung, finden sie kreative Schlupflöcher wie Algospeak, um unter dem Radar von Restriktionen zu agieren und trotzdem eine große Reichweite zu erzielen. Rechtsextreme Akteur*innen nutzen Algospeak als Umwegkommunikation, um Nutzer*innen zu erreichen, die noch gar nicht mit ihren menschenfeindlichen Ideologien in Berührung gekommen sind und die Grenzen dessen, was öffentlich akzeptiert ist, schleichend zu verschieben. Hassrede kann dadurch schrittweise normalisiert werden. Durch kontinuierliche Wiederholung und leichte Anpassung werden Wörter und Aussagen zunehmend als Teil des normalen Diskurses wahrgenommen und mit der Zeit von vielen Nutzer*innen weniger kritisch hinterfragt. Chiffren wie „n@dzi“ oder antisemitische Codes wie Gartenzwerg-Memes zeigen, wie sich rechtsextreme Akteur*innen die Plattformlogik zu eigen machen.
Wird Algospeak hauptsächlich in rechtsextremen Kontexten verwendet?
Nein. Generell wird vermutet, dass der Algorithmus von Tiktok auf bestimmte Begriffe reagiert, die häufig mit Hassrede oder Desinformation in Verbindung stehen. Mit Algospeak sollen also vorausgesehene Einschränkungen der Inhalte durch die technische Plattform-Moderation vermieden werden. Mit Sicherheit greifen viele junge Menschen Trends oder Hashtags, die Algospeak beinhalten, aus Spaß und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit auf. Die Codes werden so zu einer Art Insider-Wissen, das zeigt, dass man die Sprache und Kultur der jeweiligen Community versteht.
Zudem existieren Wörter, die von bestimmten Communities als positive Eigenbezeichnung, von anderen aber als Beleidigung verwendet werden. Auch hier wird durch Algospeak versucht, einer potenziellen Reglementierung zu entgehen. Leider birgt das die Gefahr einer Re-Tabuisierung. Beispiele sind etwa für die LGBTQIA+-Community wichtige Begriffe wie „schwu/“ (schwul), „qu33r“ (queer), „Le$bian“ (Lesbe). Auch problematische Wörter, die in einem pädagogischen Kontext zur politischen Aufklärung verwendet werden, können davon betroffen sein. Algospeak wird also auch von Creator*innen verwendet, um progressive Inhalte vor befürchteter Moderation zu schützen.
Welche Möglichkeiten gibt es, um subtilen rechtsextremen Ansprachen auf Tiktok zu begegnen?
Algospeak und insbesondere rechtsextreme Umwegkommunikation auf Tiktok sind im Hinblick auf die Verbreitung menschenfeindlicher Ideologien und die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren im demokratischen Diskurs ein unterbelichtetes Phänomen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, braucht es ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen.
Soziale Arbeit im Online-Raum: Um Phänomenen wie Umwegkommunikation zu begegnen, bedarf es Ansätze, die das Klima auf sozialen Medien nachhaltig positiv beeinflussen. Pädagogisches Community-Management und Prebunking, eine Strategie zur Sensibilisierung in Bezug auf Desinformation, können im Rahmen von Digital Streetwork erfolgen. Soziale Arbeit im Online-Raum verfolgt einen lebensweltorientierten und aufsuchenden Ansatz, um Hassrede auf sozialen Medien vorzubeugen. Dadurch kann Radikalisierung präventiv begegnet werden.
Transparenz: Es ist wichtig, dass Tiktok und andere soziale Plattformen ihre Moderationsprozesse offenlegen und den Nutzer*innen verständlich machen, wie Inhalte bewertet und moderiert werden.
Rechtliche Prüfung: Unabhängige Expert*innen sollen überprüfen, ob und wann reglementierende Maßnahmen mit der Meinungsfreiheit vereinbar sind.
Verbesserung von Content-Moderation: Die Plattformen müssen an der Schulung von Moderator*innen arbeiten, um ein besseres Verständnis für kontextbezogene Inhalte und die Unterscheidung zwischen Algospeak und Umwegkommunikation als antidemokratischer Strategie zu entwickeln.
Forschung: Es bedarf einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung über die Auswirkungen von Algospeak und Umwegkommunikation auf Online-Communities, marginalisierte Gruppen und den demokratischen Diskurs.
Problem benennen: Um Nutzer*innen vor den Auswirkungen von Umwegkommunikation zu schützen, ist es wichtig, sie darüber aufzuklären und für diese Form der Hassverbreitung zu sensibilisieren. Das kann ein Signal an die Hater*innen sein, dass die Codierung von menschenverachtenden Inhalten gesehen und geahndet wird.
pre:bunk ist ein Projekt der Amadeu Antonio Stiftung mit dem Fokus auf Medienkompetenz. Es überträgt den Ansatz des Digital Streetwork in Videoformate.
GLOSSAR
Memes (Internet-Memes)
sind digitale Medieninhalte wie Bild-Text-Kombinationen, Kurzvideos oder GIFs, die von Nutzerinnen und Nutzern reproduziert, abgewandelt und verbreitet werden und durch massenhafte Bezugnahme viral gehen. Memes sind oft humorvoll oder satirisch, sie können auch politische oder menschenfeindliche Ideologien transportieren.