Stromlos in Ottawa

John R. Southern [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)] via Flickr

Ein Tornado rast durch, der Blitz schlägt am Flughafen ein und plötzlich kriegt man eine Ahnung davon, wie schnell das normale Leben und die Zivili­sation bedroht sein können.

Ein Tornado rast durch, der Blitz schlägt am Flughafen ein, alle Lichter gehen aus, mit Ausnahme der roten auf den Feuer­wehr­wägen, die jetzt über das Rollfeld brettern. Etwas später kehrt die Sonne am Horizont mal eben kurz und knallgelb zurück, aber der Strom nicht. Bitte verlassen Sie die Lounge, sagt ein Mann, ohne Licht könne man hier „aus Sicher­heits­gründen“ nicht bleiben.

Man merkt, wie schnell die Norma­lität einer Zivili­sation bedroht und wie abhängig von Energie und Elektri­zität das ganze Leben und auch die Aufrecht­erhaltung der Ordnung ist. 

Dann sind wir stranded in Ottawa, Kanada, eine Delegation mit Spitzen­po­li­tiker aus Baden-Württemberg auf Politik­pro­mo­ti­ontour. Trudeau-Handschüt­telfoto im Gepäck, also erfolg­reich. Drei Klein­busse fahren nach Mitter­nacht vom Flughafen zurück in die Stadt auf der Suche nach einem Hotel, das noch Betten frei hat. Schwierig, weil hier offenbar am nächsten Tag eine Großver­an­staltung ist, Marathon oder so. Im Radisson ist Notbe­leuchtung, alles leicht surreal, dunkle Lobby, in einem Rollstuhl hängt ein schief schla­fender Mensch, bißchen David Lynch-Stimmung. Kein Strom, kein Licht, kein Bier, erst auch keine Zimmer mehr, dann doch. Man kriegt eine Taschen­lampe in die Hand gedrückt und soll dann durch die Dunkelheit seine Zimmer­nummer finden, sein Bett und seine Zahnbürste. 

Portrait von Peter Unfried

Peter Unfried ist Chefre­porter der taz und Autor.

Alle Leute starren auf ihre mobilen Geräte, die ihnen Orien­tierung und Halt geben und sagen in immer depri­mier­terem Ton: Noch 22 Prozent, noch 13 Prozent, noch 5 Prozent. Dann fangen sie an zu hyper­ven­ti­lieren, rasen durch die Hotel­lobby, um irgendwo Stoff zu bekommen, ein existen­ti­eller Kampf um die Steck­dosen am Notstrom­ag­gregat beginnt, denn wenn der Iphone-Akku bei Null ist, dann ist auch das Leben zuende. So fühlt sich das jeden­falls an.

Ich will das jetzt nicht überdra­ma­ti­sieren, aber das Ganze ist eine vergleichs­weise noch freund­liche Erinnerung daran, wie eine Welt wird, in der in der Folge ungebremster Erder­hitzung unter anderem auch Wirbel­stürme, Überschwem­mungen und andere Katastrophen zunehmen, die eben keine „Natur“-Katastrophen sind, sondern powered by fossil energy.

Theore­tisch weiß das jeder, aber so richtig merkt man erst in so einem Moment, wenn die Ampeln nicht mehr funktio­nieren, ein ganzer Stadtteil schwarz ist und man mit dem Kopf gegen die Badezim­mertür kracht, wie schnell die Norma­lität einer Zivili­sation bedroht ist und wie abhängig von Energie und Elektri­zität das ganze Leben ist und auch die Aufrecht­erhaltung der Ordnung.

Schon wenn es plötzlich nur noch drei Steck­dosen oder zehn Wasser­fla­schen gibt, muss ziemlich bald jeder selbst sehen, wo er bleibt. Da beginnt man zu verstehen, warum Silicon Valley-Milli­ardäre sich Bunker in Neuseeland bauen lassen.

In der ganzen Aufregung ist zunächst unter­ge­gangen, dass der Spitzen­po­li­tiker gar nicht mehr da ist. Er habe sich „abgesetzt“, höhnt die Opposition. Eine Vertre­terin der Regie­rungs­fraktion weist das empört zurück. Davon könne keine Rede sein. Eine SMS belegt, dass er in Gedanken bei der Gruppe ist und alles Gute wünscht. Der Vertreter der AfD hat fast die ganze Reise geschwiegen, doch nun erhebt er die Stimme. Die Erneu­er­baren Energien sind schuld, sagt er. Mit Atomstrom wäre das alles nicht passiert.

Textende

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