Stromlos in Ottawa
Ein Tornado rast durch, der Blitz schlägt am Flughafen ein und plötzlich kriegt man eine Ahnung davon, wie schnell das normale Leben und die Zivilisation bedroht sein können.
Ein Tornado rast durch, der Blitz schlägt am Flughafen ein, alle Lichter gehen aus, mit Ausnahme der roten auf den Feuerwehrwägen, die jetzt über das Rollfeld brettern. Etwas später kehrt die Sonne am Horizont mal eben kurz und knallgelb zurück, aber der Strom nicht. Bitte verlassen Sie die Lounge, sagt ein Mann, ohne Licht könne man hier „aus Sicherheitsgründen“ nicht bleiben.
Man merkt, wie schnell die Normalität einer Zivilisation bedroht und wie abhängig von Energie und Elektrizität das ganze Leben und auch die Aufrechterhaltung der Ordnung ist.
Dann sind wir stranded in Ottawa, Kanada, eine Delegation mit Spitzenpolitiker aus Baden-Württemberg auf Politikpromotiontour. Trudeau-Handschüttelfoto im Gepäck, also erfolgreich. Drei Kleinbusse fahren nach Mitternacht vom Flughafen zurück in die Stadt auf der Suche nach einem Hotel, das noch Betten frei hat. Schwierig, weil hier offenbar am nächsten Tag eine Großveranstaltung ist, Marathon oder so. Im Radisson ist Notbeleuchtung, alles leicht surreal, dunkle Lobby, in einem Rollstuhl hängt ein schief schlafender Mensch, bißchen David Lynch-Stimmung. Kein Strom, kein Licht, kein Bier, erst auch keine Zimmer mehr, dann doch. Man kriegt eine Taschenlampe in die Hand gedrückt und soll dann durch die Dunkelheit seine Zimmernummer finden, sein Bett und seine Zahnbürste.
Alle Leute starren auf ihre mobilen Geräte, die ihnen Orientierung und Halt geben und sagen in immer deprimierterem Ton: Noch 22 Prozent, noch 13 Prozent, noch 5 Prozent. Dann fangen sie an zu hyperventilieren, rasen durch die Hotellobby, um irgendwo Stoff zu bekommen, ein existentieller Kampf um die Steckdosen am Notstromaggregat beginnt, denn wenn der Iphone-Akku bei Null ist, dann ist auch das Leben zuende. So fühlt sich das jedenfalls an.
Ich will das jetzt nicht überdramatisieren, aber das Ganze ist eine vergleichsweise noch freundliche Erinnerung daran, wie eine Welt wird, in der in der Folge ungebremster Erderhitzung unter anderem auch Wirbelstürme, Überschwemmungen und andere Katastrophen zunehmen, die eben keine „Natur“-Katastrophen sind, sondern powered by fossil energy.
Theoretisch weiß das jeder, aber so richtig merkt man erst in so einem Moment, wenn die Ampeln nicht mehr funktionieren, ein ganzer Stadtteil schwarz ist und man mit dem Kopf gegen die Badezimmertür kracht, wie schnell die Normalität einer Zivilisation bedroht ist und wie abhängig von Energie und Elektrizität das ganze Leben ist und auch die Aufrechterhaltung der Ordnung.
Schon wenn es plötzlich nur noch drei Steckdosen oder zehn Wasserflaschen gibt, muss ziemlich bald jeder selbst sehen, wo er bleibt. Da beginnt man zu verstehen, warum Silicon Valley-Milliardäre sich Bunker in Neuseeland bauen lassen.
In der ganzen Aufregung ist zunächst untergegangen, dass der Spitzenpolitiker gar nicht mehr da ist. Er habe sich „abgesetzt“, höhnt die Opposition. Eine Vertreterin der Regierungsfraktion weist das empört zurück. Davon könne keine Rede sein. Eine SMS belegt, dass er in Gedanken bei der Gruppe ist und alles Gute wünscht. Der Vertreter der AfD hat fast die ganze Reise geschwiegen, doch nun erhebt er die Stimme. Die Erneuerbaren Energien sind schuld, sagt er. Mit Atomstrom wäre das alles nicht passiert.
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