Klima­wandel und Tech­no­logie: Aufbruch in die ökolo­gi­sche Moderne

Shut­ter­stock /​ AOF750

Die liberale Gesell­schaft braucht eine grüne indus­tri­elle Revo­lu­tion, um dem Klima­wandel zu begegnen. Mit demo­kra­ti­scher Politik, Erfin­der­geist und einer dyna­mi­schen Ökonomie lassen sich Ressour­cen­ver­brauch und Wirt­schafts­wachstum entkoppeln.

Die Ausein­an­der­set­zung um den Klima­wandel ist in eine neue Phase getreten: Die Alarm­zei­chen einer immer rascheren Verän­de­rung der Ökosphäre nehmen zu, und gleich­zeitig wird diese zu einem bestim­menden poli­ti­schen Faktor. Hundert­tau­sende junger Leute sind Vorreiter einer „Klima-APO“, und sie ziehen die Älteren mit sich. Klima­schutz war bei der Euro­pa­wahl 2019 ein zentrales Motiv und birgt auch mit Blick auf Deutsch­land das Potenzial, die poli­ti­sche Land­schaft umzu­pflügen. Umwelt­po­litik ist kein Nischen­thema mehr, sondern wird zur neuen Zentralachse der Politik.

Aktuell halten fast 60 Prozent der Bevöl­ke­rung den Klima­wandel für das drän­gendste Problem unserer Zeit – so die Ergeb­nisse einer Umfrage der Forschungs­gruppe Wahlen aus dem September 2019. Dieser Wert wurde bislang nur über­troffen von früheren Sorgen vor Arbeits­lo­sig­keit sowie der Unruhe um die Flücht­lings­po­litik 2015/​16. Während der Konflikt um die Flücht­lings­po­litik durch ein Bündel von inte­gra­tiven und restrik­tiven Maßnahmen einge­dämmt werden konnte, ist eine Entschär­fung bei der Klima­frage nicht in Sicht. Wie die Reak­tionen auf das jüngst beschlos­sene „Klima­paket“ der Bundes­re­gie­rung zeigen, nimmt die Ausein­an­der­set­zung noch an Heftig­keit zu. Wenn die Kluft zwischen klima­po­li­ti­scher Ungeduld in der Gesell­schaft und der Trägheit von Politik und Wirt­schaft tiefer wird, kann daraus eine Legi­ti­ma­ti­ons­krise unseres Gesell­schafts­mo­dells entstehen, das auf der Kombi­na­tion von liberaler Demo­kratie und Markt­wirt­schaft beruht. Wer beide zukunfts­fest machen will, muss sich der ökolo­gi­schen Heraus­for­de­rung stellen.

Die indus­tri­elle Moderne basiert bislang auf der scheinbar unbe­grenzten Verfüg­bar­keit fossiler Energien. Sie waren der Treib­stoff für eine ungeheure Stei­ge­rung von Produk­tion und Konsum und eine immer weiter ausgrei­fende Mobilität. Gleich­zeitig haben die Indus­tria­li­sie­rung der vorma­ligen „Dritten Welt“ und der expansive Lebens­stil der wach­senden globalen Mittel­schicht zu einem drama­ti­schen Anstieg des Ener­gie­ver­brauchs geführt. Seine Haupt­quellen sind Kohle und Öl. Rund die Hälfte aller fossilen Ener­gie­träger, die seit Beginn der Indus­tria­li­sie­rung verfeuert wurden, fallen in die vergan­genen 30 Jahre. 

Portrait von Ralf Fücks

Ralf Fücks ist geschäfts­füh­render Gesell­schafter des Zentrums Liberale Moderne.

Histo­risch betrachtet sind die Vorreiter der indus­tri­ellen Moderne – Europa und die USA – für den Löwen­an­teil der stei­genden CO2-Konzen­tra­tion in der Atmo­sphäre verant­wort­lich. Inzwi­schen sind die bevöl­ke­rungs­rei­chen neuen Indus­trie­na­tionen Asiens an ihnen vorbei­ge­zogen: China steht heute für rund 28 Prozent der welt­weiten CO2-Emis­sionen, Indien folgt nach den USA bereits auf Rang drei. Japan hat seinen CO2-Ausstoß seit 1960 verfünf­facht. Deutsch­land ist das einzige Land unter den sechs welt­größten „Klima­sün­dern“, dessen CO2-Emis­sionen in diesem Zeitraum in etwa gleich geblieben sind. Im Verhältnis zum Basisjahr 1990 sind sie sogar um rund 30 Prozent gesunken. Der Anteil der Bundes­re­pu­blik an der globalen Wirt­schafts­leis­tung beträgt etwa 3,2 Prozent, an den Treib­haus­gas­emis­sionen 2 Prozent. Dennoch liegen die deutschen CO2-Emis­sionen pro Kopf über dem euro­päi­schen Durch­schnitt. Das liegt vor allem am hohen Anteil der Kohle am Ener­giemix. Schweden kommt mit seiner Kombi­na­tion aus Wasser­kraft und Atom­energie nur auf die Hälfte des deutschen Werts.

Einem Zauber­lehr­ling gleich hat die indus­tri­elle Moderne einen Prozess globaler Erwärmung in Gang gesetzt. Er führt uns in einer histo­risch kurzen Frist aus der relativ stabilen Klimazone der vergan­genen zehn­tau­send Jahre hinaus, in der sich die mensch­liche Zivi­li­sa­tion entwi­ckeln konnte. In den zurück­lie­genden 200 Jahren stieg die mittlere globale Tempe­ratur um 1,1 Grad; der Trend geht steil nach oben. Die Erwärmung der Arktis und das Schmelzen des Grönland-Eises verlaufen schneller als vermutet, ein Hitze­sommer jagt den nächsten. Wir müssen um die künftigen Lebens­be­din­gungen auf unserem Heimat­pla­neten fürchten. Wenn der Treib­haus­ef­fekt außer Kontrolle gerät, wird das die Lebens­welt von Milli­arden Menschen gefährden. Die drama­ti­schen Folgen eines sich selbst verstär­kenden Klima­wan­dels sind oft genug beschrieben worden, ebenso ihre sicher­heits­po­li­ti­sche Dimension. Umwelt­be­dingte Massen­mi­gra­tion und Konflikte um knappe Wasser­re­serven bergen ein erheb­li­ches Gewaltpotenzial.

Neuer „Kultur­kampf“

Jetzt, da sich erweist, dass die Verbren­nung von Kohle, Öl und Gas das Erdklima aus den Fugen hebt, gerät auch der Hedo­nismus der Moderne in die Kritik. In den wohl­ha­benden Ländern – vorneweg in Deutsch­land – wächst eine Bewegung, die eine radikale Verän­de­rung des indi­vi­du­ellen Lebens­stils fordert. Die Freude am Fahren, der Urlaubs­flug, die große Wohnung, die perma­nente Online-Kommu­ni­ka­tion, die jährlich wech­selnden Moden, die jahres­zeit­un­ab­hän­gige Verfüg­bar­keit von Lebens­mit­teln aus der ganzen Welt und der hohe Fleisch­konsum gelten als ökolo­gi­scher Sünden­fall. Für die Anhänger eines neuen Öko-Puri­ta­nismus ruiniert unser Streben nach „immer mehr“ den Planeten. „Tuet Buße und kehrt um!“, ist deshalb der neue kate­go­ri­sche Imperativ.

Der Philosoph Peter Sloter­dijk hat diesen neuen „Kultur­kampf“ bereits vor Jahren voraus­ge­sehen: „Die expres­sions- und emis­si­ons­feind­liche Ethik der Zukunft zielt gera­de­wegs auf die Umkehrung der bishe­rigen Zivi­li­sa­ti­ons­rich­tung“, sagte er 2009 in einer Rede auf der Klima­kon­fe­renz in Kopen­hagen. „Sie verlangt Vermin­de­rung, wo bisher Vermeh­rung auf dem Plan stand, sie fordert Mini­mie­rung, wo bisher Maxi­mie­rung galt, sie will Zurück­hal­tung, wo bisher Explosion erlaubt war, sie verordnet Spar­sam­keit, wo bisher Verschwen­dung als höchster Reiz empfunden wurde, sie mahnt die Selbst­be­schrän­kung an, wo bisher die Selbst­frei­set­zung gefeiert wurde. Denkt man diese Umschwünge zu Ende, so gelangt man im Zuge der meteo­ro­lo­gi­schen Refor­ma­tion zu einer Art von ökolo­gi­schem Calvinismus.“

Die bisherige Wirkung all dieser Bußpre­digten ist aller­dings sehr über­schaubar. Zwar geht unter den Jungen und Gebil­deten der Fleisch­konsum ebenso zurück wie der Drang zum eigenen Auto. Zugleich steigen die Zulas­sungs­zahlen für SUVs ebenso wie die Zahl der Flug­reisen und der Strom­ver­brauch der digitalen Kommu­ni­ka­tion. Die Zahl derje­nigen, die ihre persön­liche CO2-Bilanz drastisch gesenkt haben, fällt kaum ins Gewicht.

Das liegt nicht nur an der Macht alter Gewohn­heiten und indi­vi­du­eller Bequem­lich­keit. Unsere persön­liche Klima­bi­lanz hängt stark von Struk­turen ab, die sich indi­vi­duell nur sehr bedingt verändern lassen: von der Art der Ener­gie­er­zeu­gung, den Gebäuden, in denen wir wohnen, den verfüg­baren Alter­na­tiven zum Automobil und von den Berufen, in denen wir tätig sind. Für Geschäfts­leute, Wissen­schaft­le­rinnen, Ange­hö­rige des inter­na­tio­nalen Kultur­be­triebs, Politiker und die Eliten der globalen Zivil­ge­sell­schaft ist das Fliegen keine Frage der indi­vi­du­ellen Moral, sondern ihres beruf­li­chen Alltags. Selbst wo es sinnvoll und zumutbar wäre, den Zug statt das Flugzeug zu nehmen, scheitert das allzu oft an fehlenden Kapa­zi­täten und zeit­rau­benden Verbin­dungen der Bahn.

Damit wir uns recht verstehen: Es gibt keine Freiheit ohne persön­liche Verant­wor­tung. Es ist gut und richtig, mit Rad oder Bahn zu fahren und keine Produkte zu kaufen, für die Menschen geschunden werden oder Tiere leiden. Jedem steht es frei, das „gute Leben“ in einem Mehr an Muße und sozialen Bezie­hungen statt in einer Stei­ge­rung von Einkommen und Konsum zu suchen. Aber ein nüch­terner Blick auf die Größe der ökolo­gi­schen Heraus­for­de­rung zeigt, dass sie mit dem Appell zur Genüg­sam­keit nicht zu lösen ist. Eine Reduktion von Treib­haus­gasen um 90 Prozent und mehr ist nicht durch die Beschrän­kung von Mobilität und Konsum zu erreichen. Ohne eine grüne indus­tri­elle Revo­lu­tion werden wir den Wettlauf mit dem Klima­wandel nicht gewinnen. Ihr Kern besteht in einer Entkopp­lung von Wohl­stands­pro­duk­tion und Natur­ver­brauch. Das ist ambi­tio­niert, aber machbar.

Klima­wandel und Demokratie

Die Kritik an der Lang­sam­keit der Demo­kratie mit ihrer Kompro­miss­ori­en­tie­rung hat eine lange Tradition. Ange­sichts immer neuer Alarm-Nach­richten über schmel­zende Gletscher, brennende Wälder und auftau­ende Perma­f­rost­böden wird der Ruf nach durch­grei­fenden Maßnahmen lauter. Es ist kein Zufall, dass promi­nente Umwelt­schützer wie der Norweger Jørgen Randers mit dem chine­si­schen Modell eines vermeint­lich aufge­klärten Auto­ri­ta­rismus sympa­thi­sieren. Randers gehörte zu dem Team um den Ökonomen Dennis Meadows, das 1971 den berühmten Bericht zu den „Grenzen des Wachstums“ für den Club of Rome verfasste. Bereits diese Urschrift der modernen Umwelt­be­we­gung war von einem auto­ri­tären Grundton durchzogen.

Wenn man die Rettung aus der ökolo­gi­schen Krise vor allem in der Einschrän­kung von Produk­tion, Konsum und Fort­pflan­zung sucht, ist das konse­quent. Auto­ri­täre Regimes scheinen dann eher in der Lage, die notwen­digen Verzichts­leis­tungen durch­zu­setzen, weil sie in gerin­gerem Maße als parla­men­ta­ri­sche Demo­kra­tien von der Zustim­mung der Bevöl­ke­rung abhängig sind. Demo­kratie wird in dieser Lesart zu einem Luxus, den wir uns ange­sichts der Klima­krise nicht mehr leisten können.

Gegen die auto­ri­täre Versu­chung der Ökologie zu argu­men­tieren, bedeutet nicht, die ökolo­gi­sche Krise zu verharm­losen. Wenn die Erder­wär­mung außer Kontrolle gerät und die Meere kippen, wird das große Verwer­fungen nach sich ziehen, von wirt­schaft­li­chen Einbrü­chen bis zu welt­weiten Wande­rungs­be­we­gungen. Insofern gefährdet die Umwelt­krise auch die Demo­kratie. Wir müssen deshalb alles tun, um die ökolo­gi­sche Trans­for­ma­tion der Indus­trie­ge­sell­schaft voranzutreiben.

Wider eine Ökologie des Verzichts

Die Ökologie des Verzichts beruht auf einer stati­schen Sicht auf die Bezie­hungen zwischen Mensch und Natur. Sie begreift die Erde als einen fixen Raum, der nur ein begrenztes Potenzial an Ressourcen bietet, in dem sich die Menschen einrichten müssen. Über­schreiten sie die von der Natur gesetzten Grenzen, droht die Selbst­ver­nich­tung der mensch­li­chen Gattung. Ein Vorläufer dieses Denkens war der britische Theologe und Ökonom Thomas Malthus, ein Zeit­ge­nosse von Goethe. Seine berühmt gewordene „Bevöl­ke­rungs­theorie“ postu­lierte, dass die Erde nur rund eine Milliarde Menschen ernähren kann. Ein Über­schreiten dieser Schwelle führe zu kata­stro­phalen Hungers­nöten bis hin zum Zusam­men­bruch der mensch­li­chen Zivilisation.

Was Malthus nicht voraussah, war die enorme Stei­ge­rung der land­wirt­schaft­li­chen Produk­ti­vität durch chemische Dünger, Pflan­zen­schutz­mittel, moderne Maschinen und die Züchtung ertrag­rei­cherer Pflanzen und Nutztiere. Heute leben mehr als sieben Milli­arden Menschen auf der Erde, ihre Lebens­er­war­tung hat sich seither verdop­pelt und die verfüg­bare Kalo­rien­menge pro Kopf um mehr als die Hälfte erhöht. Ein Wunder? Ja, aber ein Wunder auf der Basis von Wissen­schaft und Technik. Was Malthus außer Acht ließ, war die mensch­liche Erfin­dungs­kraft. Wir können die Natur­ge­setze nicht außer Kraft setzen, aber die wachsende Natur­er­kenntnis und der tech­ni­sche Fort­schritt ermög­li­chen es, die „natür­li­chen Grenzen“ immer weiter hinaus­zu­schieben. Die „Grenzen des Wachstums“ sind keine fixe Größe. Die Sonnen­ein­strah­lung auf der Erde bietet ein fast uner­schöpf­li­ches Ener­gie­po­ten­zial für eine ökolo­gi­sche Indus­trie­ge­sell­schaft, die auf der Kombi­na­tion von natür­li­cher und tech­ni­scher Photo­syn­these, von Bioöko­nomie und Wasser­stoff beruht.

Auch der Report „Die Grenzen des Wachstums“ huldigt einer linearen Logik. Für Dennis Meadows und seine Kollegen war Wirt­schafts­wachstum unver­meidbar mit einem wach­senden Verbrauch eng begrenzter Ressourcen verbunden. Nach ihren Hoch­rech­nungen musste eine fort­ge­setzte Expansion der Welt­wirt­schaft bereits um das Jahr 2000 zur Erschöp­fung der natür­li­chen Ressourcen führen. Öl, Gas, Kupfer, Bauxit, Zinn, Eisenerz und andere wichtige Rohstoffe würden versiegen, die Meere wären leer­ge­fischt, die Konta­mi­na­tion von Böden und Gewässern mit giftigen Stoffen würde irreversibel.

Womit sie nicht gerechnet hatten, war die steigende Effizienz im Umgang mit knappen Ressourcen, die Entde­ckung immer neuer Rohstoff­quellen und eine immer umfas­sen­dere Umwelt­ge­setz­ge­bung, die zumindest in den fort­ge­schrit­tenen Ländern dem Raubbau an der Natur Grenzen zog. Im Ergebnis hat sich die Welt­be­völ­ke­rung seit 1970 glatt verdop­pelt, die Lebens­er­war­tung ist ebenso gestiegen wie das Bildungs­ni­veau, die Kinder­sterb­lich­keit ist gesunken, und die Luft- und Gewäs­ser­qua­lität ist in Europa und Nord­ame­rika deutlich besser als zu Beginn der 1970er Jahre, gleich­zeitig sind die bekannten Vorräte der meisten Rohstoffe heute größer. Inzwi­schen ist unsere Sorge nicht mehr, dass der Indus­trie­ge­sell­schaft die Rohstoffe ausgehen. Als zentrales ökolo­gi­sches Problem haben sich die Dezi­mie­rung der biolo­gi­schen Vielfalt sowie die Über­las­tung des Erdsys­tems mit den Schad­stoffen des Indus­trie­sys­tems entpuppt, vorneweg die Über­frach­tung der Atmo­sphäre mit Treibhausgasen.

Frei­wil­liger oder erzwun­gener Verzicht auf dieses und jenes wird die ökolo­gi­sche Krise besten­falls verlang­samen, aber nicht stoppen. Das gilt erst recht mit Blick auf die Milli­arden Menschen auf unserem Planeten, die nichts sehn­li­cher wollen als den Anschluss an ein modernes Leben: gut ausge­stat­tete Wohnungen, Bildung und profes­sio­nelle Gesund­heits­ver­sor­gung, die Möglich­keit zu reisen, eine reich­hal­tige Ernährung. Für die große Mehrheit der Welt­be­völ­ke­rung ist „Null­wachstum“ keine Alter­na­tive. Für sie ist wirt­schaft­li­ches Wachstum nach wie vor der Hebel für höheren Lebens­stan­dard, bessere Bildung und Gesund­heits­ver­sor­gung. Es kommt deshalb alles darauf an, die Art und Weise unseres Wirt­schaf­tens zu verändern: vom Raubbau an der Natur zur Koope­ra­tion mit der Natur. Das wäre der Modus für ein nach­hal­tiges bezie­hungs­weise grünes Wachstum, das stei­genden Wohlstand – zumindest für die große Mehrheit der Welt­be­völ­ke­rung – mit der Treu­hän­der­schaft für die natür­li­chen Lebens­grund­lagen verbindet.

Für eine grüne indus­tri­elle Revolution

In einer stagnie­renden oder gar schrump­fenden Ökonomie sinken auch die Inves­ti­tionen und damit das Inno­va­ti­ons­tempo. Gerade weil die Zeit ange­sichts des Klima­wan­dels drängt, brauchen wir umgekehrt ein höheres Tempo bei der Umstel­lung auf erneu­er­bare Energien, umwelt­freund­liche Land­wirt­schaft und klima­neu­trale Mobilität. Der ökolo­gi­sche Umbau der Indus­trie­ge­sell­schaft erfordert steigende Inves­ti­tionen in alter­na­tive Ener­gie­sys­teme und neue Produk­ti­ons­an­lagen, in den Ausbau des öffent­li­chen Verkehrs und die ökolo­gi­sche Moder­ni­sie­rung unserer Städte. Wenn wir es richtig anstellen, entsteht daraus eine neue ökono­mi­sche Dynamik, eine lange Welle umwelt­freund­li­chen Wachstums.

Bei Lichte besehen, geht es ohnehin nicht um die Frage, ob die Welt­wirt­schaft weiterhin wächst. Ange­sichts einer auf zehn Milli­arden stei­genden Welt­be­völ­ke­rung, der fort­schrei­tenden Indus­tria­li­sie­rung der Länder des Südens und des anhal­tenden Wachstums der Städte lautet die alles entschei­dende Frage, ob es gelingt, Wert­schöp­fung und Umwelt­be­las­tung zu entkop­peln. Bei einer jähr­li­chen Wachs­tums­rate von drei Prozent wird sich die globale Wirt­schafts­leis­tung in den kommenden 20 Jahren in etwa verdop­peln. Im gleichen Zeitraum müssen die Treib­haus­gas­emis­sionen drama­tisch sinken, um den Tempe­ra­tur­an­stieg im Zaum zu halten. Das erfordert nichts weniger als eine grüne indus­tri­elle Revo­lu­tion mit einer ähnlich durch­schla­genden Wirkung wie die Erfindung der Dampf­ma­schine, die Elek­tri­fi­zie­rung oder das Automobil. Im Kern geht es um eine dreifache Trans­for­ma­tion der alten Indus­trie­ge­sell­schaft: erstens von fossilen Ener­gie­quellen zu erneu­er­baren Energien, zweitens um eine konti­nu­ier­liche Stei­ge­rung der Ressour­cen­ef­fi­zienz (aus weniger Rohstoffen und Energie mehr Wohlstand erzeugen) und drittens um den Übergang zu einer modernen Kreis­lauf­wirt­schaft, in der jeder Reststoff wieder in die biolo­gi­sche oder indus­tri­elle Produk­tion zurück­ge­führt wird.

Wer Freiheit und Ökologie in Einklang bringen will, muss vor allem auf Inno­va­tion setzen und den Wett­be­werb um die besten Lösungen fördern. Das ist keine Absage an staat­liche Eingriffe in den Markt. Auch eine liberale Umwelt­po­litik kommt nicht ohne Grenz­werte und Verbote aus. Aber sie sind nicht der Königsweg für die Lösung der ökolo­gi­schen Frage. Ziel­füh­render ist die Einbe­zie­hung ökolo­gi­scher Kosten in die Preis­bil­dung. Markt­wirt­schaft funk­tio­niert nur, wenn die Preise die ökolo­gi­sche Wahrheit spiegeln. Eine ökolo­gi­sche Steu­er­re­form, die Treib­haus­gas­emis­sionen und den Verbrauch knapper natür­li­cher Ressourcen verteuert, hat einen weitaus größeren Effekt als immer neue Ge- und Verbote. Die Mehr­be­las­tungen, die durch Umwelt­steuern entstehen, können in Form eines Öko-Bonus an alle Bürge­rinnen und Bürger zurück­er­stattet werden. Ein solcher Pro-Kopf-Betrag hätte sogar einen sozialen Umver­tei­lungs­ef­fekt, weil Gering­ver­die­nende in der Regel einen gerin­geren CO2-Fußab­druck aufweisen als Wohlhabende.

Der Weg über einen sukzessiv anstei­genden CO2-Preis ist der kosten­güns­tigste Weg zum Klima­schutz – er setzt die Maßnahmen zur Senkung von Kohlen­di­oxid-Emis­sionen frei, bei denen das güns­tigste Kosten-Nutzen-Verhältnis erzielt werden kann. Der zweite große Vorteil liegt darin, dass sie die Eigen­in­itia­tive von Unter­nehmen und Verbrau­chern in eine nach­hal­tige Richtung lenkt, ohne ihnen Vorschriften zu machen. Zugleich liefert ein stei­gender CO2-Preis Anreize für klima­freund­liche Inves­ti­tionen und Kauf­ent­schei­dungen aufseiten der Produ­zenten und Konsumenten.

Klima­öko­nomen kommen auf lenkungs­wirk­same Einstiegs­preise von 50 bis 60 Euro pro Tonne, die nach und nach auf einen drei­stel­ligen Betrag ansteigen. Der von der Bundes­re­gie­rung beschlos­sene CO2-Tarif von 10 Euro pro Tonne bleibt weit unter dieser Schwelle. In Schweden, das bereits Anfang der 1990er Jahre eine nationale CO2-Steuer einführte, liegt der Preis gegen­wärtig bei 115 Euro je Tonne. Er gilt für wirt­schaft­liche Akti­vi­täten, die nicht vom euro­päi­schen CO2Emissionshandel erfasst werden.

Neuer Anlauf

Die Pariser Klima­kon­fe­renz von 2015 hat sich nicht als der große Durch­bruch erwiesen, den sich viele erhofft hatten. Die globalen Treib­haus­gas­emis­sionen steigen weiter, die meisten Staaten bleiben hinter ihren Absichts­er­klä­rungen zurück. Das gilt auch für die Bundes­re­pu­blik. Die Trägheit von Politik, Wirt­schaft und Alltags­ge­wohn­heiten bremst rasche Fort­schritte. CO2-intensive Indus­trien wehren sich gegen die Entwer­tung ihres Kapitals. Viele Entwick­lungs­länder setzen nach wie vor auf Kohle zur Deckung ihres Ener­gie­hun­gers. In Schlüs­sel­län­dern wie den USA und Brasilien ist ein klima­po­li­ti­sches Rollback im Gang. Für Trump und Bolsonaro ist das Pariser Abkommen nur lästiger Ballast. Die russische Führung setzt auf die Stei­ge­rung der Öl‑, Gas- und Kohle­ex­porte als Geschäfts­mo­dell. Auch in China steigen die CO2-Emis­sionen weiter an, trotz des beein­dru­ckenden Ausbaus erneu­er­barer Energien und der Elek­tro­mo­bi­lität. Dieser Trend kann nur umgekehrt werden, wenn die fort­ge­schrit­tenen Indus­trie­länder zeigen, dass es auch anders und besser geht.

Die ökolo­gi­sche Krise erzwingt einen funda­men­talen Umbau der Indus­trie­ge­sell­schaft. Die rasche Entwick­lung digitaler Technik, von Hoch­leis­tungs­rech­nern und super­schnellen Daten­netzen bis hin zu selbst­ler­nenden Robotern und 3D-Druck im indus­tri­ellen Maßstab, bietet auch neue Poten­ziale für ressour­cen­op­ti­mierte Produk­tion und eine vernetzte Kreis­lauf­wirt­schaft. Ohne intel­li­gente Verbund­netze wäre die Ener­gie­wende, die eine Verknüp­fung von Millionen dezen­traler Anlagen erfordert, undenkbar. Auf diesem Weg voran­zu­gehen, ist die besondere Verant­wor­tung und Chance der hoch­in­dus­tria­li­sierten Länder.

Die deutsche Ener­gie­wende hat dazu beigetragen, die Lernkurve erneu­er­barer Energien zu finan­zieren. Heute sind Solar- und Wind­kraft­an­lagen vieler­orts kosten­güns­tiger als neue Kohle- und Atom­kraft­werke. Diese Pionier­rolle sollten wir auch bei Strom­spei­chern und intel­li­genten Netzen, der Umwand­lung von Rege­ne­ra­tiv­strom in Wasser­stoff und synthe­ti­sche Kraft­stoffe, bei Elek­tro­mo­bi­lität und Biotech­no­logie über­nehmen. Nur wenn wir zeigen, dass Klima­schutz und wirt­schaft­li­cher Erfolg zwei Seiten einer Medaille sind, kann Europa zum Modell für andere werden. Gleich­zeitig sichern wir damit unsere eigene wirt­schaft­liche Zukunft.

Ange­sichts einer drohenden Zuspit­zung ökolo­gi­scher Krisen stehen wir vor drei abseh­baren Optionen. Die erste liegt in der Radi­ka­li­sie­rung einer Umkehr­be­we­gung, die die Rettung in der frei­wil­ligen oder erzwun­genen Schrump­fung von Produk­tion und Konsum sucht, in Verzicht und Verbot. Ihr Gegenpol ist ein trotziges „Weiter so“, die Verlän­ge­rung des fossilen Indus­tria­lismus bis zum Kollaps. Die dritte Möglich­keit liegt in einer neuen Synthese zwischen Natur und Technik. Ange­sichts der Belas­tungs­grenzen des Erdsys­tems bleiben uns zwei Quellen des Fort­schritts: Die Einstrah­lung von Sonnen­en­ergie auf die Erde und die mensch­liche Krea­ti­vität. Auf einer Kombi­na­tion von beidem muss eine frei­heit­liche und nach­hal­tige Gesell­schaft aufbauen. Wir können die drohende Selbst­zer­stö­rung der Moderne mit den Mitteln der Moderne bewäl­tigen: mit demo­kra­ti­scher Politik, Wissen­schaft, einer dyna­mi­schen Ökonomie und einer aktiven Zivilgesellschaft.

Der Text erschien in „Aus Politik und Zeit­ge­schichte

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