Zwischenruf: Thüringen und die Folgen

Die Thüringer Ereig­nisse werfen einen langen Schatten auf die Bundes­po­litik. Der angekün­digte Rückzug von AKK ist nicht das Ende der Diskussion um die künftige Orien­tierung der Union, sondern eröffnet sie neu. Gut möglich, dass die Chaos-Tage von Erfurt den Ausgang der kommenden Bundes­tagswahl entscheidend verändern. Die Mesal­liance der Thüringer FDP und CDU mit der AfD hat der links-rechts-Polari­sierung Auftrieb gegeben. Rot-Rot-Grün gilt nun als „antifa­schis­ti­sches Bündnis“, während man FDP und Union als konser­va­tiven Wieder­gängern nicht mehr über den Weg traut. Das stärkt die Ränder und schwächt die politische Mitte. 

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Man kann die Ereig­nisse rund um die Wahl des FDP-Abgeord­neten Kemmerich zum Minis­ter­prä­si­denten Thüringens mit den Stimmen der AfD als Beleg für die Funkti­ons­tüch­tigkeit der bundes­deut­schen Demokratie lesen. Kaum verbreitete sich die Nachricht von diesem Coup, brach auch schon eine bundes­weite Protest­welle los. In den sozialen Netzwerken tobte der Bär, es gab spontane Demons­tra­tionen. Die Spitzen der Union – vorneweg Markus Söder – distan­zierten sich scharf von ihren Thüringer Partei­freunden. In der FDP setzten zahlreiche Abgeordnete und ehemalige Partei­granden die zögernde Partei­führung um Christian Lindner unter Druck. Binnen 24 Stunden wurde aus dem frisch gewählten Minis­ter­prä­si­denten ein politi­scher Zombie. Der Tabubruch einer Mehrheits­bildung unter Einschluss der Höcke-AfD entpuppte sich als Rohrkrepierer.

Im Ergebnis wurde die Abgrenzung der demokra­ti­schen Parteien gegenüber der AfD gefestigt. Das Buben­stück von Thüringen wird sich so schnell nicht wieder­holen. Die Sorge über eine schlei­chende „Faschi­sierung“ und eine drohenden „Weimarer Koalition“ aus Natio­nal­kon­ser­va­tiven und Rechts­extremen wurde in der Praxis widerlegt; die demokra­tische Resilienz der Bundes­re­publik erwies sich als intakt.

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Also alles gut? Mitnichten. Die letzte Woche offen­barte einen besorg­nis­er­re­genden Verlust an Weitsicht, Urteils­fä­higkeit und Handlungs­fä­higkeit der „alten Mitte“ im Partei­en­spektrum der Bundes­re­publik. Das gilt am schärfsten für die FDP. Parteivize Wolfgang Kubicki feierte die Wahl Kemme­richs als „großar­tigen Erfolg.“ Christian Lindner war vorsich­tiger. Seine ersten Stellung­nahmen folgten der Linie: Schön ist das nicht, aber jetzt ist es so. SPD und Grüne sollten sich mit dem neuen Minis­ter­prä­si­denten von Höckes Gnaden arran­gieren. Schnell stellte sich heraus, dass die FDP-Führung von dem Erfurter Coup keineswegs überrascht wurde. Kemmerich hatte im Vorfeld mit seinem Vorsit­zenden telefo­niert. Was genau besprochen wurde, wissen nur die beiden. Zumindest hatte der unumschränkte FDP-Chef seinen Thüringer Partei­freund nicht gedrängt, von einer Kandi­datur abzusehen. Er ließ Kemmerich freie Hand – als handle es sich um eine bloße landes­po­li­tische Angele­genheit. Das war entweder Chuzpe oder eine katastro­phale Fehlein­schätzung. Erst angesichts des Sturms der öffent­lichen Entrüstung, der inner­par­tei­lichen Revolte und der scharfen Distan­zierung der CDU-Führung erinnerte sich Christian Lindner wieder an seine Devise „Besser nicht regieren als falsch regieren.“

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Auch die CDU kommt angeschlagen aus dieser Affäre. Zwar ließen die Partei­vor­sit­zende und ihr General­se­kretär keinen Zweifel an ihrer politi­schen Haltung. Auch hatten sie ihrer Thüringer Fraktion dringlich abgeraten, einen eigenen Gegen­kan­di­daten zum amtie­renden Minis­ter­prä­si­denten Ramelow aufzu­stellen. Aber ihre Autorität reichte nicht aus, um die Thüringer Lokal­fürsten davon abzubringen, das Stimm­bündnis mit der AfD in Kauf zu nehmen. Der angekün­digte Rückzug von „AKK“ mag diverse Gründe haben – Thüringen war der entschei­dende Anstoß.

Es brauchte die Inter­vention der Kanzlerin aus Südafrika, um das unwürdige Spiel zu beenden. Ihre ultimative Forderung, die Wahl Kemme­richs „rückgängig zu machen“, war in der Sache geboten. Der Form nach war das eine beispiellose Einmi­schung in die Entscheidung eines Landes­par­la­ments. In dieses Dilemma geriet die Unions­führung nur deshalb, weil sie die Dinge in Thüringen viel zu lange treiben ließ, ohne ihre bundes­weite Brisanz zu erkennen.

Es war inter­essant zu sehen, dass Markus Söder als erster aus der Führungs­garde der Union nach vorne ging, den Thüringer Coup scharf kriti­sierte und in einem bemer­kens­werten Statement jeder Zusam­men­arbeit mit der AfD eine Absage erteilte. Er hat offenbar verstanden, dass jedes Liebäugeln mit einem „Rechts­bündnis“ die Union ihre Rolle als führende Kraft der Mitte kostet und ihre Regie­rungs­fä­higkeit zerstört.

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Auch wenn der Versuchs­ballon einer neuen Mehrheits­bildung rechts von der Mitte geplatzt ist, bleibt der politische Flurschaden immens:

  • Die FDP ist noch tiefer in Misskredit geraten; bei Teilen der jüngeren Generation und des linken Spektrums ist sie regel­recht verhasst. Das ist doppelt fatal: erstens werden damit die Optionen für eine Regie­rungs­bildung jenseits von Rot-Rot-Grün dezimiert; zweitens droht mit der FDP auch der politische Libera­lismus in Verruf zu geraten.
  • Wenn das Motiv für FDP und CDU in Thüringen war, eine Links­ko­alition unter Führung eines Minis­ter­prä­si­denten zu verhindern, der sich standhaft weigert, die DDR als Unrechts­regime zu bezeichnen, dann haben sie das glatte Gegenteil bewirkt. Rot-Rot-Grün erscheint jetzt erst recht als legitime Alter­native zum Flirt mit der AfD.
  • Mehr noch: in zahlreichen Kommen­taren wird die Links­partei als demokra­tische Kraft geadelt, mit der man beden­kenlos koalieren kann. Das schüttet das Kind mit dem Bade aus. So richtig es ist, die Ramelow-Linke nicht auf eine Stufe mit der AfD zu stellen, so blauäugig ist es, die Vorbe­halte gegen Markt­wirt­schaft, liberale Demokratie und Westbindung zu ignorieren, die zur politi­schen DNA der Links­partei gehören.
  • Die Mesal­liance der Thüringer FDP und CDU mit der AfD hat der links-rechts-Polari­sierung wieder Auftrieb gegeben. Rot-Rot-Grün wird als „antifa­schis­ti­sches Bündnis“ geadelt, während FDP und Union als unsichere Kanto­nisten darge­stellt werden, denen man nicht über den Weg trauen kann.
  • Gut möglich, dass das Buben­stück von Erfurt den Ausgang der kommenden Bundes­tagswahl entscheidend verändert. Die FDP kann dieses Experiment an den Rand ihrer parla­men­ta­ri­schen Existenz bringen, der Union droht der Verlust ihrer Position als stärkste demokra­tische Kraft.

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