Russland und der European Green Deal

Welche Folgen hat der „European Green Deal“ für die russische Ökonomie und für die Zukunft der europäisch-russi­schen Wirtschafts­be­zie­hungen? Unter dieser Frage­stellung veran­stal­teten das Zentrum Liberale Moderne und die Arbeits­gruppe Ökolo­gische Moder­ni­sierung des Peters­burger Dialogs am 20. November einen Workshop mit russi­scher und deutscher Betei­ligung. Es handelt sich um den Auftakt eines umfas­sen­deren LibMod-Projekts zu Klima­wandel und ökono­mi­scher Moder­ni­sierung Russlands. Die breite Betei­ligung auf russi­scher Seite zeigt, dass diese Diskussion inzwi­schen größere Kreise zieht. Einige Ergeb­nisse der ersten Gesprächs­runde fassen wir hier zusammen. 

Die Wirtschafts­be­zie­hungen der EU mit Russland sind vom Import kohlen­stoff­in­ten­siver Rohstoffe geprägt. Diese enge Verflechtung mit dem fossilen Energie­sektor Russlands gerät zunehmend in Konflikt mit den neuen, ambitio­nier­teren Klima­zielen der EU. Die bilate­ralen Bezie­hungen müssen auf eine nachhaltige Basis gestellt werden, da sie in der jetzigen Form nicht zukunfts­fähig sind.

Die russische Regierung verfolgt bislang aller­dings keine ambitio­nierten klima­po­li­ti­schen Ziele. Der Anteil erneu­er­barer Energien am russi­schen Energiemix beträgt, trotz großer Poten­tiale, etwa ein Prozent, während es in der EU gegen­wärtig etwa 40 Prozent sind. Die Regierung setzt weiter auf Öl, Kohle, Gas plus Kernkraft und nimmt in Kauf, dass die russi­schen Treib­haus­gas­emis­sionen bis 2030 noch steigen. Beim offizi­ellen Ziel einer Reduktion von CO2-Emissionen auf 70 Prozent des Niveaus von 1990 besteht noch deutliches Potential nach oben. Bislang reagieren Russlands Regierung sowie große Teile der Unter­nehmen zwar auf Entschei­dungen der EU, greifen Heraus­for­de­rungen durch den Klima­wandel aber nicht aktiv auf. Es dominiert die Einstellung, dass Russland klima­po­li­tisch nicht in Vorleistung treten müsse. Verteidigt wird diese Haltung damit, dass die aktuellen Emissionen deutlich geringer sind als zu Sowjet­zeiten. Zudem wird immer wieder auf die Funktion der großen Waldflächen als CO2-Senke verwiesen.

Da die russische Wirtschaft sowie die Staats­fi­nanzen stark vom Export fossiler Rohstoffe abhängig sind, wird die ambitio­niertere Klima­po­litik der EU von den Macht­eliten als Angriff auf das russische Geschäfts­modell betrachtet. Vor allem die angekün­digte Einführung von CO2-Grenz­ab­gaben durch die EU erregt die Gemüter. Sie werden von russi­schen Offizi­ellen als protek­tio­nis­ti­scher Akt gewertet, der gegen die russische Export­wirt­schaft gerichtet ist.

Diese unter­schied­lichen Perspek­tiven – Aufbruch und Chancen auf der europäi­schen, Bedrohung auf der russi­schen Seite – machen die Klima­frage und den European Green Deal zu einem poten­zi­ellen Konflikt­thema. Zugleich können darin auch Möglich­keiten einer vertieften Zusam­men­arbeit bei der ökolo­gi­schen Moder­ni­sierung der russi­schen Wirtschaft liegen. Die Konzeption eines „Border Adjus­tment Mechanism“ sollte intensiv mit Russland (wie mit anderen Handels­partnern) disku­tiert werden, um das politische Konflikt­po­tential einzu­dämmen.

Koope­ra­ti­ons­chancen ausloten, Konflikt­felder bearbeiten

Russland ist heute eine fossile Energie­groß­macht. Insbe­sondere der Öl- und Gassektor ist politisch und finan­ziell eng mit den Macht­eliten verbandelt. Es bleibt fraglich, wieweit die gegen­wärtige russische Führung bereit und in der Lage ist, einen ökolo­gi­schen Kurswechsel einzu­leiten, der das bisherige System infrage stellt. Dagegen sehen reform­ori­en­tierte Kräfte Russlands in Klima­po­litik und ökolo­gi­scher Moder­ni­sierung eines der wenigen Felder, auf denen eine konstruktive Zusam­men­arbeit trotz fortbe­stehender politi­scher Spannungen möglich scheint.

Rückhalt für eine Abkehr vom fossilen Geschäfts­modell wird es auch in großen Teilen der Gesell­schaft nur geben, wenn die Trans­for­mation sozial­ver­träglich gestaltet werden kann. Hoffnung wird diesbe­züglich auf den Export von Wasser­stoff auf Erdgas­basis gesetzt, bei dem das freiwer­dende CO2 aufge­fangen und unter­ir­disch gelagert werden soll. Entspre­chende Koope­ra­ti­ons­pro­jekte mit europäi­schen Partnern werden bereits vorbe­reitet. Ein anspruchs­vol­leres Verfahren ist die Methan-Pyrolyse, bei der Kohlen­stoff in fester Form entsteht, der weiter­ver­ar­beitet werden kann.

„Blauer Wasser­stoff“ ohne strikte Kritierien ein Etikettenschwindel

Für die EU ist ein kriti­scher Punkt, wieweit blauer Wasser­stoff für eine längere Übergangs­frist akzep­tiert wird, ohne die Erdgas­för­derung und das benötigte Pipeline-System langfristig zu verfes­tigen. Ohne strikte Nachhal­tig­keits-Kriterien und ein entspre­chendes Monitoring der Umwelt­ef­fekte wäre „blauer Wasser­stoff“ nur ein klima­po­li­ti­scher Etikettenschwindel.

Dennoch stecken in einer ökolo­gi­schen Trans­for­mation gewichtige Chancen für die überfällige ökono­mische Moder­ni­sierung Russlands: in der Produktion von klima­neu­tralem Wasser­stoff und erneu­er­baren Energien im großen Stil, in höherer Energie­ef­fi­zienz, einer modernen Bioöko­nomie und einer größeren Rolle von kleinen und mittleren Unter­nehmen, die zukunfts­fähige Arbeits­plätze bieten.

Die Rolle der Zivilgesellschaft

Eine ökolo­gische Moder­ni­sierung Russlands wird nicht allein „top down“ erfolgen. Wie in Europa wird dafür auch eine kritische Öffent­lichkeit, politische Parti­zi­pation und die Wächter­funktion von Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen benötigt. Aller­dings stößt die Aktivität (und die Koope­ration mit) der russi­schen Zivil­ge­sell­schaft auf Schranken, die durch die repressive Gesetz­gebung und die Einengung legaler Spiel­räume für NGO’s gesetzt werden. Auch dies ist ein Thema, das im Rahmen eines EU-Russland-Klima­dialogs aufge­griffen werden muss.

In der russi­schen Bevöl­kerung herrscht derzeit wachsende Sorge über die ökolo­gi­schen und gesund­heit­lichen Folgen von Waldbränden und Umwelt­ver­schmutzung durch den fossil-indus­tri­ellen Komplex. Diese unmit­tel­baren Auswir­kungen des ökolo­gi­schen Raubbaus sind stärker im öffent­lichen Bewusstsein verankert als die Gefahren des Klimawandels.

Umwelt­pro­teste in Russland sind kommunal oder regional, sie zielen auf konkrete Probleme wie Müllde­ponien und Luftver­schmutzung. Eine offene Ausein­an­der­setzung mit der Politik des Kremls wird vermieden. Zugleich tragen die lokalen Initia­tiven zur Aufklärung der Gesell­schaft bei und stärken das zivile Selbst­be­wusstsein. Neben dem modernen Sektor der russi­schen Unter­nehmen ist insbe­sondere die Zivil­ge­sell­schaft ein poten­zi­eller Treiber einer ökolo­gi­schen Trans­for­mation des Landes. Sie gilt es zu unterstützen.

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