Dominic Cummings: ein Revo­lu­tionär in Westminister?

John Gomez /​ Shut­ter­stock

Dominic Cummings – der Chef­be­rater von Premier­mi­nister Boris Johnson – sehnt Krise und Zerüttung herbei. Darin sieht er die Gele­gen­heit zur Gründung einer neuen poli­ti­sche Orga­ni­sa­tion. Was der Aufstieg dieses Anti-Parteien-Poli­ti­kers über Groß­bri­tan­nien und die Tories aussagt.

Chaos, Krise und Zerrüt­tung – für Dominic Cummings, den Berater des briti­schen Premier­mi­nis­ters Boris Johnson, ist das der Zustand, in dem er sich wohl fühlt. Die uner­war­teten Wendungen der briti­schen Politik sind nach seiner Ankunft in der Downing-Street noch drama­ti­scher geworden. Cummings’ Einfluss wird etwa hinter den Entschei­dungen von Johnson vermutet, das Parlament in den Zwangs­ur­laub zu schicken oder im September 21 Abge­ord­nete der Konser­va­tiven Partei aus der Fraktion auszu­schließen. Für seine Anhänger ist er ein genialer Stratege, der alles dafür tut, um sich in einem Macht­kampf durch­zu­setzten. Für seine Gegner ist er ein impul­siver und gefähr­li­cher Chaot, der alles aufs Spiel setzt.

Wenn er seine tech­no­kra­ti­sche Utopie beschreibt, spricht er immer wieder von Effizienz und Hoch­leis­tung. Um Demo­kratie geht es ihm dabei weniger. 

Sein Aufstieg ist für die Konser­va­tive Partei ein Risiko. Der Ausschluss von 21 Abge­ord­neten, von denen aller­dings zehn später wieder in die Partei aufge­nommen wurden, war eine Kampf­an­sage an die moderaten Mitglieder. Der ehemalige konser­va­tive Premier­mi­nister John Major nannte Cummings daraufhin einen „poli­ti­schen Anar­chisten“ und rief Johnson dazu auf, solche Berater loszu­werden, „bevor sie die poli­ti­sche Atmo­sphäre irrepa­rabel vergiftet haben“. Bei den Tories wird Cummings mit seiner krie­ge­ri­schen Bereit­schaft, die Regeln zu brechen, von vielen mit Miss­trauen betrachtet. Er ist nie Partei­mit­glied gewesen und stellte sich als Politiker nie zur Wahl. Er hat aber immer wieder die Regie­rungs­eliten kriti­siert, die aus seiner Sicht inef­fi­zient und inkom­pe­tent sind. Und er sieht Krisen grund­sätz­lich als Chancen, etwas Neues aufzu­bauen, auch wenn dafür das alte System zerstört werden muss. Sollten die Tories an der jetzigen Krise zerbre­chen, würde Cummings das in Kauf nehmen und müsste dafür keine poli­ti­sche Verant­wor­tung tragen. 

Portrait von Julia Smirnova

Julia Smirnova ist freie Jour­na­listin und Studentin am King’s College London. 

Will Cummings das poli­ti­sche System sprengen?

In seinem letzten Blog­ein­trag vom Juni, der vor seinem Wechsel in das Team von Johnson veröf­fent­licht worden ist, beschrieb er etwa die jetzige Situation in Groß­bri­tan­nien, als eine Krise, die einmal in 50 oder 100 Jahren vorkomme. Solche Krisen seien „die Wellen, die einer reiten kann, um die Dinge zu verändern, die norma­ler­weise unver­än­derbar sind“.  Weiter schrieb er, ein zweites Refe­rendum – oder sogar zwei Refe­renden (über den Brexit und die schot­ti­sche Unab­hän­gig­keit) seien 2020 unter dem Labour-Chef Jeremy Corbyn als Premier­mi­nister möglich – und das wäre eine ideale Start­rampe für eine komplett neue poli­ti­sche Orga­ni­sa­tion, nicht zuletzt weil die Konser­va­tive Partei in so einem Fall praktisch nicht mehr exis­tieren werde.

Cummings pflegt das Image eines Rebellen. Ob am Regie­rungs­sitz an der Downing-Street oder bei der jüngste Partei­kon­fe­renz der Tories erscheint er demons­trativ lässig gekleidet – in einer Sport­jacke, einem T‑Shirt und Jeans oder einem Hemd über der Hose und ohne Krawatte. Regeln im poli­ti­schen Betrieb sind für Cummings nicht in Stein gemeißelt, sondern lediglich Konven­tionen, die man brechen kann, wie es einem passt. Und außerdem bringt er mit diesem Klei­dungs­stil seine Miss­ach­tung gegenüber der poli­ti­schen Elite zum Ausdruck.

Begeis­te­rung für Mathematiker

Immer wieder kriti­sierte er die mangelnde Effizienz der Politiker. Ihnen fehle Erfahrung in der Verwal­tung von großen und komplexen Projekten, schrieb er 2014 in einer Kolumne in der Zeitung The Times. Und überhaupt müsse man aufhören, Politiker aus einer Gruppe von Egomanen mit Oxford- und Cambridge-Abschlüssen in geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Fächern auszu­wählen. Dass Cummings selbst eigent­lich in diese Gruppe passt – er studierte Geschichte an der Oxford-Univer­sität – scheint ihn nicht zu stören. Dafür unter­streicht er gerne seine Begeis­te­rung für Mathe­ma­tiker, Physiker, Infor­ma­tiker und Ingenieure.

Die tech­no­lo­gi­schen Ideen müsse man in der Regierung zum Einsatz bringen, um die effi­zi­en­testen Entschei­dungen zu treffen, schrieb Cummings in seinem Blog. Am liebsten hätte er die gewählten Politiker in der Regierung durch Fachleute ersetzt. Wenn er seine tech­no­kra­ti­sche Utopie beschreibt, spricht er immer wieder von Effizienz und Hoch­leis­tung. Um Demo­kratie geht es ihm dabei weniger. So zählt er China zu den „wenigen Hoch­leis­tungs­re­gie­rungen“, die das Potenzial von neuen Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien nutzen – er meint damit die Kombi­na­tion von Über­wa­chungs­tech­no­lo­gien, künst­li­cher Intel­li­genz und Sammlung von gene­ti­schen Daten. Er klingt beinahe faszi­niert von der chine­si­schen Fähigkeit, die großen tech­ni­schen Projekte des 20. Jahr­hun­derts wie der Entwick­lung der ersten Atombombe, die Mond­lan­dung oder die Erfindung des Internets zu analy­sieren und Lehren daraus ziehen – etwas, was moderne west­li­chen Demo­kra­tien angeblich verlernt hätten.

Anar­chis­ti­sche Jahre in Russland

Cummings hat ein zwie­späl­tiges Verhältnis zum Estab­lish­ment. Er ist in Durham aufge­wachsen, einer Stadt im Nordosten Englands und weiß seinen nörd­li­chen Akzent bewusst zu nutzen – um sich der Elite entge­gen­zu­setzen. Er kommt nicht aus der Ober­schicht, aber auch nicht aus armen Verhält­nissen. Sein Vater arbeitete als Projekt­ma­nager auf einer Ölplatt­form, seine Mutter als Lehrerin, später betrieben beide einen Bauernhof. Cummings ging auf die beste Privat­schule in Durham, auch wenn sie nicht zu den briti­schen Elite­schulen wie Eton oder West­minster gehört. An der Oxford-Univer­sität wirkte er als Eigen­brötler, der zunächst nichts mit den anderen Erst­se­mes­tern zu tun haben wollte, wie ihn seine Kommi­li­tonin, die Jour­na­listin Lebby Eyres, in einer Kolumne für den Telegraph beschrieb. In Oxford kam er unter dem Einfluss von Norman Stone, einem schot­ti­schen Geschichts­pro­fessor, der für seine rechten poli­ti­schen Ansichten, Euro­skep­ti­zismus und unkon­ven­tio­nelles Verhalten bekannt war.

Nach dem Ende des Studiums ging Cummings 1994 nach Russland, das ihm gleich nach dem Zerfall der Sowjet­union wie ein perfektes anar­chis­ti­sches Umfeld für Expe­ri­mente vorge­kommen sein dürfte. Der junge Brite arbeitete dort unter anderen für eine öster­rei­chi­sche Firma, die eine regionale russische Flug­ge­sell­schaft ausbauen wollte. Sein Ex-Chef beschrieb ihn später in der Zeitung Mirror als amüsant, gebildet, aber unnötig kriegs­lustig und nicht zuver­lässig. Inzwi­schen ruft die britische Oppo­si­tion dazu auf, zu über­prüfen, was genau Cummings in Russland gemacht hat und welche Kontakte daraus entstanden sind.

Zurück in Groß­bri­tan­nien, arbeitete er für „Business for Sterling“, eine poli­ti­sche Kampagne gegen die Einfüh­rung des Euro. Beein­druckt vom Erfolg der Kampagne, heuerte Iain Duncan Smith, der damalige Partei­führer der Tories, Cummings 2002 als seinen Direktor für Strategie an. Schon damals fiel der junge Berater mit seiner bewusst nach­läs­sigen Kleidung und machia­vel­lis­ti­schen Zügen auf – er bestand etwa darauf, dem Partei­vor­sit­zenden David Davis uner­wartet sein Amt zu entziehen, während dieser im Urlaub war. Britische Zeitungen sahen darin damals einen Macht­kampf zwischen dem Tradi­tio­na­listen Davis und dem Störer Cummings. Doch nach acht Monaten musste Cummings seinen Job auch räumen – weil er sich zu viele Feinde in der Partei gemacht hat.

Spin­doctor der Brexit-Kampagne

Doch bei aller Verach­tung dem Estab­lish­ment gegenüber hätte Cummings nie Karriere gemacht ohne die Fähigkeit, doch mit den Vertre­tern der poli­ti­schen Elite zusammen zu arbeiten. Etwa aus der gleichen Zeit stammt Cummings’ Freund­schaft mit Michael Gove, einem Times-Jour­na­listen und konser­va­tiven Politiker. Als Gove 2007 zum Bildungs­mi­nister wurde, holte er Cummings als Berater ins Minis­te­rium. Die Bewer­tungen seiner Arbeit im Bildungs­mi­nis­te­rium gehen ausein­ander. Für einige Kollegen war er leiden­schaft­li­cher Reformer, für andere ein unor­ga­ni­sierter Kämpfer gegen das bestehende büro­kra­ti­sche System. Immerhin soll laut der Zeit­schrift „New Statesman“ die Strategie, die Cummings ihm vorschlug, Gove vor einem Rücktritt gerettet haben. Das habe die Verbin­dung zwischen den beiden Männern gestärkt.

Weithin bekannt wurde er durch seine Rolle im Brexit-Refe­rendum. Er leitet die Kampagne für den Austritt aus der EU, verhalf den Brexit-Anhängern zum Sieg und trug so dazu bei, dass in Groß­bri­tan­nien das poli­ti­sche Chaos der letzten Jahre ausbrach. Er setzte dabei auf einfache Botschaften sowie auf Werbung im Internet. Es war eine Kampagne, die Groß­bri­tan­nien stark pola­ri­sierte – und im Sinne von Cummings sehr effizient war. Ein Video, das später auf Twitter verbreitet wurde, zeigt wie Cummings eupho­risch auf den Tisch springt und mit der Faust ein Stück aus der Decke schlägt, als die Ergeb­nisse des Refe­ren­dums verkündet werden.

Zum Start der jetzigen Kampagne vor den Parla­ments­wahlen, die im Dezember statt­finden, machte Cummings publik, dass er für den Wahlkampf der Konser­va­tiven Partei nicht zuständig sein wird. Ihm stehe ein medi­zi­ni­scher Eingriff bevor. Und ob er nach der Wahl weiter Johnson beraten wird, sollte er gewinnen, steht noch nicht fest. Schließ­lich wollte Cummings keine Karriere in der öffent­li­chen Politik machen, sondern sah die Politik eher als Instru­ment, um seine Ziele zu erreichen. Doch egal, wie sein Weg weiter geht – er hat schon heute einiges an Unruhe  in der briti­schen Politik angerichtet.

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