Deutschland kann seinen Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung leisten
Umweltpolitik ist mehr als Einsparung von Kohlenstoffdioxid, meint Thomas Köhler von der Konrad Adenauer Stiftung: Klima, Tierwohl, Landschaftsgestaltung und Recycling müssten im Zusammenhang gedacht werden. Wenn wir die ökologischen Kosten unserer Wirtschaftsweise im Steuer- und Abgabensystem berücksichtigten, würde die ökologische Krise zur Chance, denn ein marktwirtschaftlicher Ansatz belohnt Forschungsgeist und Innovation.
Man mag darüber diskutieren, ob die recht plötzlich gestiegene öffentliche Aufmerksamkeit für den Klimawandel eine hinreichende sachliche Grundlage hat: Die Aufgabe stellt sich schließlich nicht erst seit heute, und ausreichend starke Antworten werden auch nicht erst seit heute gesucht. Aber das ist unmaßgeblich. Das in der öffentlichen Meinung gestiegene Gefühl eines zunehmenden Handlungsdrucks sollte weniger als Bedrohung als vielmehr als große Chance begriffen werden. Denn gerade in liberalen Demokratien gilt es auch immer mit dem Faktum umzugehen, dass Aspekte der Nachhaltigkeit gegenüber der Gegenwartspräferenz der Bevölkerungsmehrheit den Kürzeren ziehen. Die Zeitfenster, in denen das weniger stark der Fall ist, müssen genutzt werden.
Deutschland muss mehr tun als andere – im eigenen Interesse
Was aber tun, wenn die gestiegene öffentliche Aufmerksamkeit und das gestiegene Gefühl eines massiv zunehmenden Handlungsdrucks in hohem Maße deutsche Phänomene sind? Die jüngsten Europawahlergebnisse könnten ein Indiz dafür sein, dem international ausgerichteten Wirken von Greta Thunberg zum Trotz.
Hinzu kommt, dass isoliertes Handeln zunächst einmal nur sehr begrenzte Wirkung entfaltet. Schon bei anderen großen Herausforderungen der Zeit wie etwa der Gestaltung der Globalisierung und des digitalen Wandels ist offenkundig, dass die Regelungsmacht Deutschlands und auch Europas allein am Ende zu klein ist. Dass also verbindliche Regeln in einem größeren internationalen Raum Bestand haben müssen. Beim Klimawandel ist die Grenzenlosigkeit schon rein technisch noch weitaus größer, ebenso wie der Anreiz zu einem Trittbrettfahrerverhalten. Der Schutz der Atmosphäre ist ein globales öffentliches Gut.
Die Antwort auf die obige Frage muss daher zweigeteilt ausfallen:
Erstens: Natürlich muss die Lösung auf internationaler Ebene gesucht werden. Mit dem Kyoto-Protokoll von 1997 und seiner Verpflichtung der Industrieländer auf die Reduzierung von Treibhausgasen sowie dem Klimaübereinkommen von Paris 2015 wurde dieser auf weltweite Beteiligung gerichtete Weg nicht nur beschritten, sondern maßgeblich auch von Deutschland vorangebracht. Es hat ja auch durchaus in der Vergangenheit bemerkenswerte Erfolge gegeben, wenn man etwa an das schrittweise Schließen des Ozonlochs nach dem Montreal- Protokoll von 1987 denkt.
Zweitens gilt aber auch: Deutschland muss mehr tun als andere. Grund dafür sind nicht allein globale Gerechtigkeitserwägungen, nach denen die wirtschaftlich weiter entwickelten und wohlhabenderen Staaten einen stärkeren Beitrag leisten müssen als Staaten mit Nachholbedarf in ihrer Entwicklung. Es geht vor allem auch darum, wie Deutschland Einfluss erhalten möchte in einer Welt, die durch zunehmende politische Heterogenität in Europa und dem globalen Westen sowie durch zunehmende Machtverschiebungen zugunsten asiatischer Staaten gekennzeichnet ist. Deutschland setzt international bisher vor allem auf Soft Power, und wenn Deutschland nicht innerhalb der NATO künftig eine gänzlich andere Rolle spielen möchte, dann ist das auch für die Zukunft das Mittel der Wahl.
Das heißt aber: Wir müssen in unseren Zielen anspruchsvoller sein als andere. Wir müssen verlässlich sein und eingegangene Verpflichtungen auch tatsächlich erfüllen. Und mehr noch: Wir müssen dabei auch zeigen, dass wir die Anpassung von Wirtschafts- und Lebensweise bei gleichzeitigem Erhalten von individueller Freiheit, wirtschaftlicher Stärke und sozialem Ausgleich hinbekommen. Die ökologische Fortentwicklung von Produktion und Konsum muss auch wirtschaftlich nachweislich erfolgreich sein. Diesbezüglich gibt es nicht nur national, sondern auch international viel Skepsis.
Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ist offen für eine stärkere Berücksichtigung ökologischer Ziele
Nachhaltigkeit ist mehr als Umweltschutz und Umweltschutz ist mehr als das Eindämmen des Klimawandels. Gemeinsam gilt aber: Nachhaltigkeit ist durch ein marktorientiertes Wirtschaften allein nicht gewährleistet, auch nicht durch ein auf sozialen Ausgleich ausgerichtetes marktorientiertes Wirtschaften allein. Hierfür bedarf es eines klaren Ordnungsrahmens.
Den ordoliberalen Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft folgend sollte es in erster Linie um die Bindung der laufenden Politik an langfristige Ziele gehen – so wie etwa das Ziel der Geldwertstabilität über die Unabhängigkeit der Zentralbank oder der Verzicht auf übermäßige Staatsverschuldung durch die Schuldenregel des Grundgesetzes abgesichert und dem kurzfristigen demokratischen Prozess auf der Basis demokratisch vereinbarter Langfristregeln entzogen wird. Die Idee einer Verankerung von Nachhaltigkeit im Grundgesetz ist insoweit naheliegend, entscheidend ist hier die Ausgestaltung.
Ein solcher Ansatz trägt zu einer „Erneuerung“ der Sozialen Marktwirtschaft bei, weil er ein zu lösendes Problem mit Instrumenten der Sozialen Marktwirtschaft aufgreift – es geht also gerade nicht um eine neue Wirtschaftsordnung oder das Zurückdrängen wirtschaftlicher oder sozialer Ziele durch ökologische Zielsetzungen. Wichtigster Anwendungsfall ist die Internalisierung bisher nicht berücksichtigter externer Kosten bei öffentlichen Gütern
Marktmechanismen nutzen, soziale Teilhabe erhalten
Dass jetzt verstärkt über die Bepreisung von CO2 gesprochen wird, ist dann auch durchaus folgerichtig. Im Vordergrund muss stehen, über den Preismechanismus die effizientesten Ansätze zur Vermeidung, zum Abbau oder zur Speicherung von CO2 zu finden. Schon jetzt bestehen im deutschen Steuer- und Abgabensystem sehr unterschiedliche Schattenpreise für den Ausstoß einer Tonne CO2. Den CO2-Ausstoß einheitlicher zu bepreisen, kann daher einen Beitrag zu einer effizienteren CO2-Vermeidung leisten. Die Bindung von CO2 ist allerdings bisher nicht in Ansätze zur Bepreisung von CO2-Ausstoß integriert, worunter die Steuerungsleistung leidet.
Förderungen sind an dieser Stelle nicht immer das beste Mittel. Offenkundig wird das gegenwärtig beim Energiesektor: Wenn die Stromerzeugung in ein Emissionshandelssystem eingebunden ist, ist der CO2-Ausstoß bereits hierüber limitiert. Die zusätzliche Förderung bestimmter erneuerbarer Energien bräuchte dann eigentlich einer besonderen Begründung, denn sie kann im gegenwärtigen System zwar den Preis einer Tonne CO2 im Emissionshandelssystem senken, im Ergebnis aber nicht den CO2-Ausstoß reduzieren. Zudem gilt es noch Lösungen dafür zu finden, wie integrierte Ansätze zu technischen Innovationen bei der Speicherung von CO2 oder zur Wiederaufforstung gesetzt werden können.
Auch beim Ausgleich für die aus der CO2-Bepreisung resultierenden Einnahmen gilt es, nicht zu schematisch zu denken. Richtig ist es, nicht auf Mehreinnahmen für einen ohnehin schon finanziell gut ausgestatten Staat zu zielen, mithin im Ergebnis netto Abgabenerhöhungen zu vermeiden. Ob dafür allerdings die in Deutschland eher systemfremde „Rückzahlung“ über Kopfpauschalen das richtige Mittel ist, kann durchaus bezweifelt werden.
Richtig ist es auch, die mit einer systematischeren CO2-Bepreisung verbundene finanzielle Umverteilungswirkung innerhalb der Bevölkerung im Auge zu behalten. Das darf aber nicht zu einer Zementierung des verteilungspolitischen Status quo führen. Es stellt sich eher die Frage, ob nicht andere größere Steuer- und Abgabensysteme gleich mitreformiert werden sollten, sodass die Verteilungswirkung am Ende alles in allem passt. Zudem sind die einzelnen Preisreagibilitäten zu berücksichtigen. Denn dort, wo kurz- und mittelfristig zusätzlichen CO2-Kosten gar nicht ausgewichen werden kann – etwa beim Pendeln zur Arbeit im ländlichen Raum – bietet sich eine jedenfalls übergangsweise Kompensation im unmittelbar damit verbundenen Abgabensystem eher an als eine Pauschalrückzahlung.
Maßstab für den sozialen Ausgleich darf im Kern nicht (allein) die Veränderung der gegenwärtigen finanziellen Verteilungsposition sein. Maßstab muss vielmehr sein, ob in einem Steuer- und Abgabensystem, das die ökologischen Aspekte stärker und systematischer berücksichtigt (einschließlich von Kostenkomponenten, die etwa aus einem Zertifikatesystem resultieren), hinreichende Chancen auf wirtschaftliche und soziale Teilhabe für alle bestehen. Die Einschränkung der persönlichen Möglichkeiten zur Lebensgestaltung darf nicht unverhältnismäßig sein.
Wichtig ist zugleich, sich vollständig auf die Weiterungen eines CO2- Bepreisungssystems einzulassen. Erstens sollte auch ein mit dem bestehenden europäischen Zertifikatehandel kompatibles nationales Bepreisungssystem nicht das Engagement für europäische oder internationale Lösungen mit dem Ziel eines Level Playing Field mindern. Zweitens sollten die in Artikel 6 des Pariser Abkommens angelegten Möglichkeiten zur Erbringung von Reduktionsleistungen in anderen Regionen der Welt dort ausgeschöpft werden, wo dies eine höhere Wirkung und mithin Effizienz hat als ein entsprechendes Investment im Inland. Und drittens dürfen die mit solchen Kooperationen, mit einem Zertifikatezukauf oder mit Leistungen an internationale Institutionen verbundenen Zahlungen ebenso wenig als „Strafzahlung“ oder „Ablasshandel“ diffamiert werden wie die möglicherweise auf deutschen Staatsgebiet damit verbundenen etwas geringeren CO2-Minderungsquoten als „Zielverfehlung“.
Die Bekämpfung des Klimawandels löst nur einen Teil der Aufgabe
Gerade wenn verstärkte Maßnahmen gegen den Klimawandel das Gebot der Stunde sind, besteht die Gefahr, dass sie eine umfassendere umweltpolitische Agenda ersetzen. Es geht jedoch um deutlich mehr als das Eindämmen des Treibhauseffektes. Die ethischen Fragen des Umgangs mit Tieren, die Vorstellungen zur Gestaltung der Landschaft, die Sicherheit von Ernährung und Energieversorgung, die Potenziale individueller Mobilität, die Konkurrenz um die Nutzung öffentlichen Raumes, die Gestaltung von Wohn- und Siedlungsstrukturen und ihre Auswirkungen auf Lebenschancen, der Umgang mit Müll und seine Auswirkungen auf künftige Stoffkreisläufe – all dies sind Aspekte, die die künftige Lebensgestaltung prägen werden. Es ist notwendig, hierzu einen Diskurs über normative Vorstellungen zu führen. Unzureichend jedenfalls wäre es, die künftigen Entwicklungen in diesen Feldern allein aus einer klimabezogenen Strategie resultieren zu lassen oder sich verfrüht und einseitig auf eine bestimmte Technologie festzulegen. Digitalisierung, Globalisierung, demografischer Wandel und Klimawandel greifen ineinander, auch in ihren Innovationspotenzialen. Diese gilt es zu nutzen – und Türen hierfür offen zu halten. Der marktwirtschaftliche Ansatz ist auch ein technologieoffener, geprägt von Innovations- und Forschungsgeist. Das müssen wir fördern und nicht ausbremsen.
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