Wer hat Angst vor moderner Pflanzenzucht?

Die Debatte um Neue Genomische Techniken (NGT) geht in die vorerst finale Runde: Bald soll auf EU-Ebene entschieden werden, ob und unter welchen Bedin­gungen die neuen Methoden der Pflan­zen­züchtung in der EU angewendet werden können. Martin Reich vom Öko-Progres­siven Netzwerk fasst zusammen, warum die Ängste vor der Neure­gu­lierung überzogen sind und die Landwirt­schaft NGT benötigt, um unter den Bedin­gungen des fortge­schrit­tenen Klima­wandels, Nahrungs­mittel zu produzieren.

Die Chancen: Präzisere Züchtung für eine nachhaltige Landwirtschaft

Die Landwirt­schaft ist massiv vom voran­schrei­tenden Klima­wandel betroffen. Das erfordert, dass zahlreiche Lösungen parallel Anwendung finden müssen, um auch zukünftig die Nahrungs­mit­tel­si­cherheit zu gewähr­leisten: Dazu gehören Techno­logien wie Precision Farming und neue Ansätze, bei denen unter­schied­liche Kulturen auf einer Fläche gehalten werden (Agroforst). Zudem können Neue Genomische Techniken (NGTs) zu einer umwelt- und klima­ver­träg­lichen Landwirt­schaft beitragen.

In der EU wird gerade die Regulierung von NGTs disku­tiert. Worum genau es bei dem aktuell vorlie­genden Entwurf der EU-Kommission[1] geht, erörtern Jens Kahrmann und Georg Leggewie ebenso verständlich wie kompakt in ihrem Beitrag über Neues Recht für genomische Techniken.

Neue Genomische Techniken für eine klima­freund­liche und resiliente Landwirtschaft

Zahlreiche Forschungs­pro­jekte in vielen Ländern der Welt und an vielen unter­schied­lichen Pflanzen zeigen, wie vielfältig und sinnvoll NGTs zu einer nachhal­tigen, vielfäl­tigen, klima­freund­lichen und ‑resili­enten Landwirt­schaft beitragen können. Eine Auswahl anschau­licher Beispiele finden Sie in unserer CRISPR-Bibliothek, die momentan erweitert wird. Dabei geht es um deutlich mehr als nur um Toleranzen gegen Pflan­zen­schutz­mittel. Längst widerlegt, aber immer noch häufig zu hören ist die Behauptung, es würden haupt­sächlich Herbi­zid­to­le­ranzen angestrebt. Hierzu lohnt ein Blick in die umfang­reiche Datenbank der EU-SAGE. Dort sind lediglich knapp 6% für dieses Züchtungsziel verzeichnet. Die meisten Projekte aber haben andere Absichten: etwa eine größere Toleranz von Nutzpflanzen gegen Schäd­linge (bioti­scher Stress) oder gegenüber Umwelt­fak­toren wie Hitze, Trockenheit und Kälte zu erreichen, aber auch einen höheren Ertrag zu erzielen.

Risiken: unabhängig von der Züchtungsmethode

Es existieren bislang keinerlei wissen­schaft­liche Studien, die auf direkte negative Auswir­kungen von mittels NGTs oder auch mithilfe klassi­scher Gentechnik gezüch­teter Pflanzen auf andere Organismen oder gar Ökosysteme hinweisen. Im Gegenteil belegen zahlreiche, auch öffentlich finan­zierte Studien ihre Sicherheit.[2] Das ist auch nicht verwun­derlich, schließlich ist es wissen­schaft­licher Konsens, dass für mögliche Risiken, die von Nutzpflanzen für Umwelt oder auch Gesundheit ausgehen könnten, allein die konkreten Eigen­schaften relevant sind – und nicht, auf welche Weise diese erzeugt wurden. Transgene Pflanzen sind den Menschen längst bekannt, einige werden sogar seit hunderten von Jahren als Lebens­mittel genutzt – etwa die Süßkar­toffel. Auch bei herkömm­lichen geneti­schen Verän­de­rungen wie der Kreuzung können ungewollte Neben­wir­kungen wie beispiels­weise giftige Substanzen entstehen.

Der Einwurf von Gegnern der NGT, dass mit dieser Methode DNA nun auf eine andere Art verändert wird, als durch Kreuzung, Mutagenese oder andere gängige Verfahren, wird von Wissenschaftler:innen zurück­ge­wiesen. Verein­facht formu­liert: Es ist nur relevant, welche Buchstaben im DNA-Code verändert wurden und was das bewirkt, irrelevant ist hingegen, wie diese Verän­derung zustande kam.  Eine Sicher­heits­be­wertung ergibt daher immer nur auf Ebene des Produktes, also der Pflanze, Sinn.

Wahlfreiheit dank neuer Regelung

Eine große Sorge einiger Landwirt/​innen und Akteur/​innen der Zivil­ge­sell­schaft besteht darin, dass zukünftig die Wahlfreiheit über den Konsum von Lebens­mittel mit oder ohne genetisch verän­derte Lebens­mittel einge­schränkt würde.

Der Biologe Robert Hoffie zeigt, warum gerade eine neue Regulierung für mehr echte Wahlfreiheit sorgen würde. Es könnten dann nämlich, im Gegensatz zu jetzt, sowohl konven­tio­nelle und biolo­gische als auch mit NGTs gezüchtete Pflanzen angepflanzt, gehandelt und gekauft werden. Entlang der gesamten Wertschöp­fungs­kette bis hin zu Verbraucher:innen würde die Neure­gelung für mehr und nicht, wie so oft behauptet, für weniger Wahlfreiheit sorgen.

Ein Leben ohne Gentechnik: möglich, aber sinnlos

Auf den ersten Blick scheint es naheliegend, eine Kennzeichnung auch von jenen Pflanzen zu fordern, bei denen mit NGT genetische Verän­de­rungen erzeugt wurden, die denen der durch konven­tio­nelle Züchtung entstan­denen entsprechen. Doch bei genauerer Betrachtung sprechen deutlich mehr und stich­haltige Argumente dagegen. Die zwei wichtigsten sind:

  1. Keine Möglichkeit des Nachweises: Per Definition lassen sich bei NGT1-Pflanzen keine geneti­schen Verän­de­rungen nachweisen, die nicht auch auf natür­lichem Wege oder durch konven­tio­nelle Züchtung entstehen können. Die Behauptung einiger Organi­sa­tionen, mit NGT erzeugte Verän­de­rungen im Erbgut ließen sich immer nachweisen, wurde durch unabhängige Wissenschaftler:innen widerlegt. Eine verpflich­tende Kennzeichnung von NGT1 käme deshalb einem fakti­schen Verbot gleich, da sie rechtlich nicht umsetzbar ist (da nicht nachweisbar).
  2. Fairness durch Gleich­be­handlung: Die neue Regelung würde NGT-Züchtungen, bei denen keine artfremde DNA eingefügt wurde und die Verän­derung unter einem festge­legten Schwel­lenwert liegt, lediglich jenen gleich­stellen, die durch klassische Mutagenese, etwa mithilfe von Strahlung oder Chemi­kalien, erzeugt wurden und die deshalb bereits aus der Gentechnik-Kennzeichnung ausge­nommen sind. Diese finden sich übrigens in jedem Super­markt, auch als Bio-Ware (mehr dazu hier). Es wäre inkon­sistent, unfair und Verbraucher/​innen gegenüber intrans­parent, diese Pflanzen und Lebens­mittel unter­schiedlich zu behandeln. Zudem belegt eine deutliche Mehrheit wissen­schaft­licher Studien der letzten Jahrzehnte, dass von biotech­no­lo­gi­schen Verfahren in der Pflan­zen­züchtung kein erhöhtes Risiko ausgeht. Das ist logisch, da es sich um dieselbe Art von Verän­derung handelt.

Auch wenn mit der neuen Gesetz­gebung NGT1 (= keine artfremde DNA und Verän­derung nur in geringem Umfang) zukünftig genauso von der Gentechnik-Regulierung ausge­nommen würde wie heute schon die Mutagenese, könnten Kennzeich­nungen wie „Ohne Gentechnik“ nach derzei­tigem Schema sehr wahrscheinlich weiterhin rechts­sicher vergeben werden. Die vorge­schlagene Regelung stellt also kein Hindernis für die bestehende Lebens­mit­tel­kenn­zeichnung dar.

Biolandbau: weiter­machen wie bisher

Im Unter­schied dazu lässt sich eine Nicht­ver­wendung bestimmter Methoden deutlich einfacher handhaben. Der ökolo­gische Landbau prakti­ziert dies seit vielen Jahren erfolg­reich, denn zum Beispiel auch eine Anwendung von synthe­ti­schem Dünger wird durch die Bio-Kennzeichnung ausge­schlossen. Und das, obwohl sie nicht im Produkt nachge­wiesen werden kann. Die Biobranche kann ihre Kriterien also problemlos um einen Ausschluss von NGTs in der Züchtung erweitern. Auf eigenen Wunsch ist der Biolandbau im Gesetz­entwurf von der Zulassung von NGT-Pflanzen ausge­nommen.  Die Wahl, keine mit NGTs gezüch­teten Pflanzen zu konsu­mieren, besteht also weiterhin. Noch mehr kann eine neue Regulierung die Bedarfe einer einzelnen Branche gar nicht adressieren.

Breite Akzeptanz und positive Einstellung

Eine evidenz­ba­sierte Ausein­an­der­setzung mit diesem Thema erfordert, dass auch sozial­wis­sen­schaft­liche Erkennt­nisse berück­sichtigt werden. Dies gilt insbe­sondere dann, wenn es um eine so zentrale Entschei­dungs­grundlage wie die Akzeptanz in der Bevöl­kerung geht. Viele Entscheidungsträger/​innen gehen davon aus, dass die Mehrheit der Bevöl­kerung sich eine „gentech­nik­freie“ Landwirt­schaft wünscht. Diese Annahme stützt sich jedoch auf Umfragen, die aus sozial­wis­sen­schaft­licher Sicht metho­disch sehr fragwürdig sind.

Werden hingegen metho­disch fundierte Umfragen durch­ge­führt, die die Problem­stellung verständlich darstellen, Hinter­grund­in­for­ma­tionen liefern und Zielkon­flikte einbe­ziehen, ergibt sich ein diffe­ren­ziertes Bild und nicht etwa pauschale Ablehnung. Dabei zeigt sich, dass NGTs in der Bevöl­kerung durchaus auf breite Zustimmung stoßen.

Eine grund­le­gende Ablehnung gegenüber Innova­tionen in der Züchtung, inklusive NGTs, existiert in der Bevöl­kerung nicht.

Patente: nicht nur schlecht – aber es gibt gute Alternativen

Ebenso naheliegend wie die Forderung nach einer Kennzeichnung, erscheint vielen auch der Wunsch, Patente auf bestimmte Eigen­schaften von Pflanzen zu verhindern. Doch wie bei vielen Aspekten dieser Debatte geht dabei oft die notwendige Diffe­ren­zierung verloren, und bestehende Zielkon­flikte bleiben unbeachtet.

Patente haben sich in vielen Wirtschafts­be­reichen als wirksames Schutz­in­strument bewährt. Sie schaffen ein Gleich­ge­wicht zwischen dem Anreiz zur Innovation, der Refinan­zierung des Entwicklers oder der Entwick­lerin und dem breiten Zugang zu neuen Entwick­lungen für die Gesell­schaft. In der Pflan­zen­züchtung existiert darüber hinaus das Sorten­schutz­recht: Züchter/​innen erhalten damit ein exklu­sives Vertriebs­recht für ihre geschützte Sorte. Im Sorten­schutz verankert ist aber auch das sogenannte Züchter­pri­vileg, dieses berechtigt Züchter/​innen dazu, mit den geschützten Sorten anderer eigene neue Sorten zu entwi­ckeln. Dieses Sorten­schutz-System hat sich vor allem in Europa bewährt und trägt erheblich zur Innova­ti­ons­kraft der Pflan­zen­züch­tungs­be­triebe bei.

Doch auch für die mit NGTs entwi­ckelten Eigen­schaften, die Zugang in mehrere Sorten finden können, braucht es eine Form von Schutz, denn ihre Erfor­schung und Entwicklung kosten Geld. Hier könnte Paten­tierung durchaus das System der Wahl sein, um für die Gesell­schaft den größten Gesamt­nutzen zu erzielen. Im Gegensatz zum Sorten­schutz machen Patente den Fortschritt für alle trans­parent und einsehbar – in diesem Fall die zugrunde liegenden geneti­schen Verän­de­rungen. Dieses Prinzip hat in zahlreichen Indus­trien dazu beigetragen, Innova­tionen breit zugänglich zu machen und Fortschritt zu ermöglichen.

Ziel muss es sein, Schutz­rechte nicht pauschal abschaffen zu wollen, sondern sie gerecht, verhält­nis­mäßig und trans­parent zu gestalten, wie wir es als Öko-Progres­sives Netzwerk gemeinsam mit WePlanet in einem aktuellen White Paper fordern.

Fazit

Zusam­men­fassend spricht der Erkennt­nis­gewinn aus Forschung, Analysen und Debatten der letzten Jahre eine deutliche Sprache: Es wäre für die europäische Bevöl­kerung, den Innova­ti­ons­standort EU, für Umwelt und Klima mit großer Wahrschein­lichkeit eine Gefahr, die Anwendung von NGTs nicht endlich zu ermög­lichen und zu fördern. Die betrof­fenen Entscheidungsträger/​innen sollten sich deshalb von lang gehegten Vorur­teilen, wirtschaft­lichen Parti­ku­lar­in­ter­essen und politi­schem Kalkül freimachen und eine evidenz­ba­sierte Regulierung auf den Weg bringen. Als gemein­nützige Vereine stehen das Öko-Progressive Netzwerk und WePlanet jederzeit für einen offenen Austausch und eine Vernetzung mit Wissenschaftler/​innen zur Verfügung.

[1] Europäische Kommission: Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über mit bestimmten neuen genomi­schen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewon­nenen Lebens- und Futter­mittel sowie zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/​625. 05.07.2023. 411 final 2023/​0226 (COD). https://food.ec.europa.eu.

[2] Bundes­mi­nis­terium für Bildung und Forschung: 25 Jahre BMBF-Forschungs­pro­gramme zur biolo­gi­schen Sicher­heits­for­schung Umwelt­wir­kungen gentech­nisch verän­derter Pflanzen. https://www.pflanzenforschung.de.

 

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