„Wider die Antimoderne im Namen der Ökologie“
Eine verzichtgeprägte, beschauliche Lebensweise wird den Klimawandel nicht aufhalten. Die Weltwirtschaft könnte sich in den nächsten zwei Jahrzehnten annähernd verdoppeln – ob es uns passt oder nicht. Deshalb müssen wir die Innovationsdynamik der Marktwirtschaft in eine ökologische Richtung lenken, meint Ralf Fücks.
Die Klimakrise ist der perfekte Boden für das Aufblühen aller möglichen Endzeit- und Umkehrbewegungen, ähnlich den Büßerbewegungen am Ende des Mittelalters. Sie sehen in der Zügellosigkeit und im dekadenten Wohlleben unserer Zeit die Ursünde, die zur ewigen Verdammnis der Klimahölle führt. Deshalb fordern sie den Bruch mit der expansiven Moderne und den Rückzug in eine selbstgenügsame Lebensform. Sie wollen den Rückbau der Industrie, die Beschränkung der Mobilität und eine Minimierung unserer Eingriffe in die Natur, kurz: die Rückabwicklung des Anthropozäns, in dem der Mensch zum dominierenden Faktor der Erdgeschichte wurde.
Ein eifriger Verfechter dieser Antimoderne im Namen der Ökologie ist der Ökonomieprofessor Niko Paech. Er geißelt „die Lebenslüge einer Gesellschaft, deren Mehrheit meint, sie sei klimakompetent, aber lebt wie ökologische Vandalen.“ Sein Ideal ist eine Gesellschaft, die auf die „Befriedigung essentieller Grundbedürfnisse“ reduziert ist. Eine solche Kehrtwende erfordert eine mentale Umprogrammierung im großen Stil; politisch läuft sie auf eine autoritäre Mangelverwaltung hinaus. Eine vom Überdruss an der Konsumgesellschaft beseelte Minderheit mag dem Weg der „Befreiung durch Verzicht“ freiwillig folgen, die große Mehrheit müsste zu ihrem Glück gezwungen werden.
Auf die schiefe Ebene gerät man, wenn man den ökologischen Sündenfall in der Maßlosigkeit der Moderne sieht. Wenn der Klimawandel auf ein zu viel an Produktion & Konsum zurückgeführt wird, kann uns nur die Wende zum Weniger retten. Da es um eine nahezu vollständige Reduktion von Treibhausgasen geht und die Hoffnung auf Technik für Paech bloßer Selbstbetrug ist, müsste die Absenkung des Lebensniveaus so radikal sein, dass sie auf demokratischem Weg nie und nimmer durchsetzbar ist.
Drastische Verarmung der Gesellschaft
Für Paech ist die kapitalistische Moderne und ihr expansiver Lebensstil der große Gegner, bedeuten sie doch ständige Grenzüberschreitung, rastlose Innovation, immer neue Möglichkeiten und immer neue Bedürfnisse. An ihre Stelle soll eine beschauliche, stationäre Lebens- und Gesellschaftsform treten. Dass in einer stark schrumpfenden Wirtschaft auch der Sozialstaat und die Bildungsausgaben heruntergefahren werden müssten, bleibt außen vor. Tatsächlich läuft Paechs Strategie des Schrumpfens auf eine drastische Verarmung der Gesellschaft hinaus. Zwar hätten dann alle mehr Zeit, im Gegenzug würden aber Steuereinnahmen und private Einkommen auf ein Niveau sinken, das eben nicht mehr als die „Befriedigung essentieller Grundbedürfnisse“ erlaubt.
Diese Denke ist so reaktionär wie irreführend. Sie negiert nicht nur den enormen sozialen Fortschritt, der mit der wissenschaftlich-technischen Revolution einherging. Sie verkennt auch, dass nicht das Volumen, sondern die Art und Weise der Produktion die ökologische Krise verursacht. Wären tatsächlich die moderne Konsumgesellschaft und die expansive Logik des Kapitalismus die Wurzel allen Übels, hätte der „real existierende Sozialismus“ das ökologische Paradies sein müssen. Die DDR kam Paechs Ideal einer Gesellschaft ohne „dekadenten Luxus“ ziemlich nah: spärliche Versorgung mit Konsumgütern, ewig lange Wartezeiten auf spartanische Kleinwagen, kaum private Flugreisen, knapper Wohnraum und sparsam eingerichtete Wohnungen, exotische Lebensmittel waren rar, Smartphones und private Computer unbekannt.
Gleichzeitig hatte die DDR höhere Pro-Kopf-Emissionen als die deutlich reichere Bundesrepublik, die Luft war verpestet, viele Gewässer waren Kloaken. Wie das? Eben, weil das Maß der Umweltbelastung nicht linear an das Produktions- und Konsumniveau gekoppelt ist. Ressourceneffizienz, Energiebasis und Produktionstechnik wirken sich ebenso auf die Umweltbilanz aus wie der Stand der Umweltgesetzgebung und das Umweltbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger.
Segnungen der modernen Wissenschaft
Tatsächlich wurden alle ökologischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte durch Politik und Technik erzielt. Dass im Rhein wieder Lachse schwimmen, unser Leitungswasser bedenkenlos getrunken werden kann, die Luftqualität dramatisch besser wurde und die europäischen Wälder wieder wachsen, ist Folge von Umweltgesetzen und technischen Innovationen. Jetzt beginnt ein neues Stadium der Industriegesellschaft: der Übergang von Kohle, Öl und Gas zu erneuerbaren Energien sowie von linearen Produktionsketten zu vernetzten Wertstoffkreisläufen. Ziel dieser „grünen industriellen Revolution“ ist die Entkopplung von Wohlstandsproduktion und Naturverbrauch. Für Paech sind Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung untrennbar. Das ist empirischer und theoretischer Humbug.
Ein Weltkonzern wie BASF hat seine CO₂-Emissionen seit 1990 annähernd halbiert und die Produktion verdoppelt. Im gleichen Zeitraum sanken die europäischen CO₂-Emissionen um rund 30 Prozent, während die Wirtschaftsleistung um 50 Prozent stieg. Auch bei den konsumbezogenen CO₂-Emissionen zeigt sich ein – wenn auch flacheres – Minus. Außerdem sagt die Vergangenheit wenig über die Möglichkeiten der Zukunft. Zu Beginn des industriellen Zeitalters lebten etwa eine Milliarde Menschen auf der Erde, die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa lag bei 37 Jahren. Heute sind wir 7,5 Milliarden Erdenbürger, ihre Lebenserwartung liegt bei über 70 Jahren. Dieses Wunder verdankt sich einer rasanten Steigerung der Arbeitsproduktivität und den Segnungen der modernen Wissenschaft. Kreativität schlägt Knappheit.
Wer klimaneutrales Wachstum zu einem Ding der Unmöglichkeit erklärt, gibt unseren Planeten auf. Die Weltwirtschaft wird sich in den nächsten 20 bis 25 Jahren annähernd verdoppeln, ob es uns passt oder nicht. Dafür sorgen vier mächtige Trends: eine weiter wachsende Weltbevölkerung, der Aufstieg von immer mehr Menschen in die globale Mittelschicht, die zunehmende Urbanisierung der Welt sowie die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Wenn wir den Klimawandel stoppen wollen, müssen wir die Innovationsdynamik der Marktwirtschaft in eine ökologische Richtung lenken. Dafür braucht es politische Leitplanken, insbesondere steigende Preise für umweltschädliche Emissionen und den Verbrauch knapper Ressourcen. Wer Ökologie und Freiheit unter einen Hut bringen will, muss vor allem auf die Kreativität offener Gesellschaften setzen.
Der Beitrag erschien zuerst am 10.12.2019 im Tagesspiegel.
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