„Wider die Anti­mo­derne im Namen der Ökologie“

Shutterstock/​Ryan Rodrick Beiler

Eine verzicht­ge­prägte, beschau­liche Lebens­weise wird den Klima­wandel nicht aufhalten. Die Welt­wirt­schaft könnte sich in den nächsten zwei Jahr­zehnten annähernd verdop­peln – ob es uns passt oder nicht. Deshalb müssen wir die Inno­va­ti­ons­dy­namik der Markt­wirt­schaft in eine ökolo­gi­sche Richtung lenken, meint Ralf Fücks.

Die Klima­krise ist der perfekte Boden für das Aufblühen aller möglichen Endzeit- und Umkehr­be­we­gungen, ähnlich den Büßer­be­we­gungen am Ende des Mittel­al­ters. Sie sehen in der Zügel­lo­sig­keit und im deka­denten Wohlleben unserer Zeit die Ursünde, die zur ewigen Verdammnis der Klima­hölle führt. Deshalb fordern sie den Bruch mit der expan­siven Moderne und den Rückzug in eine selbst­ge­nüg­same Lebens­form.  Sie wollen den Rückbau der Industrie, die Beschrän­kung der Mobilität und eine Mini­mie­rung unserer Eingriffe in die Natur, kurz: die Rück­ab­wick­lung des Anthro­po­zäns, in dem der Mensch zum domi­nie­renden Faktor der Erdge­schichte wurde.

Ein eifriger Verfechter dieser Anti­mo­derne im Namen der Ökologie ist der Ökono­mie­pro­fessor Niko Paech. Er geißelt „die Lebens­lüge einer Gesell­schaft, deren Mehrheit meint, sie sei klima­kom­pe­tent, aber lebt wie ökolo­gi­sche Vandalen.“ Sein Ideal ist eine Gesell­schaft, die auf die „Befrie­di­gung essen­ti­eller Grund­be­dürf­nisse“ reduziert ist. Eine solche Kehrt­wende erfordert eine mentale Umpro­gram­mie­rung im großen Stil; politisch läuft sie auf eine auto­ri­täre Mangel­ver­wal­tung hinaus. Eine vom Überdruss an der Konsum­ge­sell­schaft beseelte Minder­heit mag dem Weg der „Befreiung durch Verzicht“ frei­willig folgen, die große Mehrheit müsste zu ihrem Glück gezwungen werden.

Auf die schiefe Ebene gerät man, wenn man den ökolo­gi­schen Sünden­fall in der Maßlo­sig­keit der Moderne sieht. Wenn der Klima­wandel auf ein zu viel an Produk­tion & Konsum zurück­ge­führt wird, kann uns nur die Wende zum Weniger retten. Da es um eine nahezu voll­stän­dige Reduktion von Treib­haus­gasen geht und die Hoffnung auf Technik für Paech bloßer Selbst­be­trug ist, müsste die Absenkung des Lebens­ni­veaus so radikal sein, dass sie auf demo­kra­ti­schem Weg nie und nimmer durch­setzbar ist.

Dras­ti­sche Verarmung der Gesellschaft

Für Paech ist die kapi­ta­lis­ti­sche Moderne und ihr expan­siver Lebens­stil der große Gegner, bedeuten sie doch ständige Grenz­über­schrei­tung, rastlose Inno­va­tion, immer neue Möglich­keiten und immer neue Bedürf­nisse. An ihre Stelle soll eine beschau­liche, statio­näre Lebens- und Gesell­schafts­form treten. Dass in einer stark schrump­fenden Wirt­schaft auch der Sozi­al­staat und die Bildungs­aus­gaben herun­ter­ge­fahren werden müssten, bleibt außen vor. Tatsäch­lich läuft Paechs Strategie des Schrump­fens auf eine dras­ti­sche Verarmung der Gesell­schaft hinaus. Zwar hätten dann alle mehr Zeit, im Gegenzug würden aber Steu­er­ein­nahmen und private Einkommen auf ein Niveau sinken, das eben nicht mehr als die „Befrie­di­gung essen­ti­eller Grund­be­dürf­nisse“ erlaubt.

Diese Denke ist so reak­tionär wie irre­füh­rend. Sie negiert nicht nur den enormen sozialen Fort­schritt, der mit der wissen­schaft­lich-tech­ni­schen Revo­lu­tion einher­ging. Sie verkennt auch, dass nicht das Volumen, sondern die Art und Weise der Produk­tion die ökolo­gi­sche Krise verur­sacht. Wären tatsäch­lich die moderne Konsum­ge­sell­schaft und die expansive Logik des Kapi­ta­lismus die Wurzel allen Übels, hätte der „real exis­tie­rende Sozia­lismus“ das ökolo­gi­sche Paradies sein müssen. Die DDR kam Paechs Ideal einer Gesell­schaft ohne „deka­denten Luxus“ ziemlich nah: spärliche Versor­gung mit Konsum­gü­tern, ewig lange Warte­zeiten auf spar­ta­ni­sche Klein­wagen, kaum private Flug­reisen, knapper Wohnraum und sparsam einge­rich­tete Wohnungen, exotische Lebens­mittel waren rar, Smart­phones und private Computer unbekannt.

Gleich­zeitig hatte die DDR höhere Pro-Kopf-Emis­sionen als die deutlich reichere Bundes­re­pu­blik, die Luft war verpestet, viele Gewässer waren Kloaken. Wie das? Eben, weil das Maß der Umwelt­be­las­tung nicht linear an das Produk­tions- und Konsum­ni­veau gekoppelt ist. Ressour­cen­ef­fi­zienz, Ener­gie­basis und Produk­ti­ons­technik wirken sich ebenso auf die Umwelt­bi­lanz aus wie der Stand der Umwelt­ge­setz­ge­bung und das Umwelt­be­wusst­sein der Bürge­rinnen und Bürger.

Segnungen der modernen Wissenschaft

Tatsäch­lich wurden alle ökolo­gi­schen Fort­schritte der letzten Jahr­zehnte durch Politik und Technik erzielt. Dass im Rhein wieder Lachse schwimmen, unser Leitungs­wasser beden­kenlos getrunken werden kann, die Luft­qua­lität drama­tisch besser wurde und die euro­päi­schen Wälder wieder wachsen, ist Folge von Umwelt­ge­setzen und tech­ni­schen Inno­va­tionen. Jetzt beginnt ein neues Stadium der Indus­trie­ge­sell­schaft: der Übergang von Kohle, Öl und Gas zu erneu­er­baren Energien sowie von linearen Produk­ti­ons­ketten zu vernetzten Wert­stoff­kreis­läufen. Ziel dieser „grünen indus­tri­ellen Revo­lu­tion“ ist die Entkopp­lung von Wohl­stands­pro­duk­tion und Natur­ver­brauch. Für Paech sind Wirt­schafts­wachstum und Umwelt­zer­stö­rung untrennbar. Das ist empi­ri­scher und theo­re­ti­scher Humbug.

Ein Welt­kon­zern wie BASF hat seine CO₂-Emis­sionen seit 1990 annähernd halbiert und die Produk­tion verdop­pelt. Im gleichen Zeitraum sanken die euro­päi­schen CO₂-Emis­sionen um rund 30 Prozent, während die Wirt­schafts­leis­tung um 50 Prozent stieg. Auch bei den konsum­be­zo­genen CO₂-Emis­sionen zeigt sich ein – wenn auch flacheres – Minus. Außerdem sagt die Vergan­gen­heit wenig über die Möglich­keiten der Zukunft. Zu Beginn des indus­tri­ellen Zeit­al­ters lebten etwa eine Milliarde Menschen auf der Erde, die durch­schnitt­liche Lebens­er­war­tung in Europa lag bei 37 Jahren. Heute sind wir 7,5 Milli­arden Erden­bürger, ihre Lebens­er­war­tung liegt bei über 70 Jahren. Dieses Wunder verdankt sich einer rasanten Stei­ge­rung der Arbeits­pro­duk­ti­vität und den Segnungen der modernen Wissen­schaft. Krea­ti­vität schlägt Knappheit.

Wer klima­neu­trales Wachstum zu einem Ding der Unmög­lich­keit erklärt, gibt unseren Planeten auf. Die Welt­wirt­schaft wird sich in den nächsten 20 bis 25 Jahren annähernd verdop­peln, ob es uns passt oder nicht. Dafür sorgen vier mächtige Trends: eine weiter wachsende Welt­be­völ­ke­rung, der Aufstieg von immer mehr Menschen in die globale Mittel­schicht, die zuneh­mende Urba­ni­sie­rung der Welt sowie die Beschleu­ni­gung des wissen­schaft­lich-tech­ni­schen Fort­schritts. Wenn wir den Klima­wandel stoppen wollen, müssen wir die Inno­va­ti­ons­dy­namik der Markt­wirt­schaft in eine ökolo­gi­sche Richtung lenken. Dafür braucht es poli­ti­sche Leit­planken, insbe­son­dere steigende Preise für umwelt­schäd­liche Emis­sionen und den Verbrauch knapper Ressourcen. Wer Ökologie und Freiheit unter einen Hut bringen will, muss vor allem auf die Krea­ti­vität offener Gesell­schaften setzen.

Der Beitrag erschien zuerst am 10.12.2019 im Tages­spiegel.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spen­den­tool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­ti­sche Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steu­er­lich absetzbar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

News­letter bestellen

Mit dem LibMod-News­letter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.