Klima­pro­teste: Kampf um die Mitte statt Endzeit-Getöse

Julia Hawkins [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)] via Flickr

Die Proteste von „Fridays for Future“ haben das Klima­pro­blem ins Zentrum von Politik und Gesell­schaft gerückt. Eine Radi­ka­li­sie­rung der Proteste nach dem Muster von „Extinc­tion Rebellion“ würde diesen Erfolg gefährden. Es kommt darauf an, neue Mehr­heiten für eine konse­quente Klima­po­litik zu bilden.

Robert Habeck stand am Bran­den­burger Tor rum und streikte für Klima­po­litik, als die „Klima­paket“ genannten Beschlüsse der Bundes­re­gie­rung nach und nach bekannt wurden. „Die Leute um mich herum hatten Tränen in den Augen vor Enttäu­schung und Fassungs­lo­sig­keit“, schreibt der Bundes­vor­sit­zende der Grünen in seinem Blog über den 20. September.

Ich stand da auch irgendwo. Bei mir heulte niemand. Ich will mich aber gar nicht lustig machen, sondern zugeben, dass ich vor Ort schon auch von der Verknüp­fung eines nüch­ternen poli­ti­schen Ziels und der neuen Emotio­na­lität angefasst war, die Klima­po­litik zumindest derzeit zu haben scheint. Es braucht diese Verknüp­fung von Wissen und Fühlen, es braucht eine „emotio­nale Klima-Intel­li­genz“, sonst wird die Mehr­heits­ge­sell­schaft den Arsch nicht hoch­kriegen, weil das aus verschie­denen Gründen einfach sehr, sehr viel verlangt ist.

Weil die Gegner von Klima­po­litik das größte Interesse haben, Radi­ka­li­sie­rung, Frei­heits­be­rau­bung, Moral, Tugend, Verzicht und den ganzen Ablen­kungs­kanon durch­zu­kauen, ist es der Job der Klima­po­litik-Befür­worter sich auf keinen Fall wieder aus der liberalen Mitte drängen zu lassen. 

Die große Frage lautet: Wie geht es jetzt weiter?  Oder präziser: Wie geht es weiter, damit es wirklich los geht? Bisher wurden die Gefühle aktiviert oder inten­si­viert, nicht aber die Politik.

Die Klima-Akti­vistin Greta Thunberg hatte im Angesicht dieses Mißver­hält­nisses mit ihrer Rede vor der UN in New York mit dem konfron­ta­tiven „How dare you?“ die rheto­ri­sche Schlag­zahl erhöht. Um klar­zu­ma­chen, dass mehr­heit­li­ches Kopf­ni­cken zwar ein wichtiger Schritt ist, aber halt nur der erste. Die stra­te­gi­sche Reaktion des nicht an Klima­po­litik inter­es­sierten Rands der Gesell­schaft besteht erwar­tungs­gemäß darin, Thunberg und die Fridays for Future-Bewegung Richtung Radi­ka­li­sie­rung schubsen zu wollen. Tenor: Erst Schule schwänzen, dann sooo gemein mit uns sprechen, was kommt als Nächstes: Auto­schlüssel wegnehmen? 

Portrait von Peter Unfried

Peter Unfried ist Chef­re­porter der taz und Autor.

 Ökologie steht nicht über Demokratie

Nun ist es ja so, dass apoka­lyp­ti­sches Sprechen schon in den letzten 40 Jahren nicht zu Klima­po­litik geführt hat, insofern ist das Konzept der rheto­ri­schen Radi­ka­li­sie­rung längst geschei­tert. Und wenn nun Extinc­tion Rebellion radi­ka­leren Protest verspricht, um die Leute „wach­zu­rüt­teln“ oder was man da so zu sagen pflegt, dann ist auch das eine Frage der Balance. In Zeiten, in denen der demo­kra­ti­sche Rechts­staat von auto­ri­tären Kräften bedroht wird, ist es eine ganz schlechte Idee, ihn im Namen einer höheren Öko-Wahrheit anzu­greifen. Und sonst auch.

Greta Thunberg, Luisa Neubauer und FFF sind Game-Changer, weil sie eben nicht die radikal erfolg­losen Rollen­spiele der Vergan­gen­heit nach­spielen, weil sie nicht selbst­ge­recht das „Wir müssen“ mora­lis­tisch raus­schreien, sondern das Prak­ti­sche „wir wollen“ mehr­heits­fähig machen – und zwar in dem Wissen um die Komple­xität einer sozi­al­öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­tion und der Notwen­dig­keit, es mitein­ander hinzu­kriegen, gerade mit den Arsch­lö­chern und denen, für die wir Arsch­lö­cher sind.

Der „Calvi­nismus“, also die religiös aufge­la­dene Mora­li­sie­rung des Klima­pro­blems, ist jetzt die Kultur oder Strategie derer, die keine Klima­po­litik wollen und sich mit Mora­lismus dagegen wehren, weil das ihren Status Quo bedroht, der freie Verschmut­zungs­rechte beinhaltet. Das betrifft nicht nur die AfD, sondern auch die erstaun­lich popu­lis­tisch-hilflose FDP, deren Vorsit­zender Lindner mit auf Blockade zielenden Moral- und Ideo­lo­gie­vor­würfen nur so um sich wirft, weil er bisher keine Erzählung denken kann, die Zukunft beinhaltet – und die FDP.

Das notwen­dige Handwerk der klima­po­li­tisch-Progres­siven wird also darin bestehen, den Calvi­nismus beim Protest-Rand zu belassen. Keines­falls den Mehrheits-Main­stream zu verlassen, um selbst wieder Schrei­hals-Rand zu werden. Sondern mit einem breiter gewor­denen ökoli­be­ralen Main­stream nun eine sachliche Diskus­sion zu führen, mit welcher Ordnungs­po­litik die Klima­ziele von Paris tatsäch­lich oder zumindest annähernd in der Bundes­re­pu­blik und der EU einge­halten werden können.

Die Bundes­grünen in Deutsch­land sind, anders als das gern behauptet wird, NICHT mit Fridays for Future und Klima­po­litik zur zweiten führenden poli­ti­schen Kraft im Land geworden. Ihre Rele­vanz­stei­ge­rung begann unmit­telbar nachdem Lindner Ende 2017 eine Bundes­re­gie­rung aus Union, Wahl­ge­winner FDP und der margi­nalsten Partei im Bundestag absagte, weil die ihm zu stark erschien. Danach ging es für die FDP abwärts, während die Grünen 2018 erwachsen wurden oder zumindest so aussehen und damit – wie es Robert Habeck geplant hatte – die Sozi­al­de­mo­kratie als „führende Kraft der linken Mitte“ abgelöst haben.

Die Grünen müssen fachliche Orien­tie­rung geben

Was die Grünen in 40 Jahren nicht schafften und das auch, weil sie selbst immer anderes zu tun hatten, gelang Fridays for Future innerhalb weniger Monate: Ernst­hafte Klima­po­litik in die Mitte der Gesell­schaft zu tragen. Weil sie es eben nicht als Teil eines eman­zi­pa­to­risch-ideo­lo­gi­schen Umbaus verstehen, sondern als physi­ka­li­sche Grundlage unser aller Zukunft.

Nun ist es aus Sicht der Mehr­heits­ge­sell­schaft ganz offenbar die Aufgabe der neuen Grünen, der Diskus­sion um das Wie einer Klima­po­litik, fachliche Orien­tie­rung und auch Dynamik zu geben.

Es geht darum, Paris in zweierlei Hinsicht als Zukunfts­chance ernster als bisher zu nehmen: Erstens den Klima­ver­trag, zweitens Macron. Die Grünen haben die dialek­ti­sche Aufgabe, das Klima­päck­chen der Bundes­re­gie­rung in den Bereichen zu stützen, wo es ein Anfang ist. Und Vorschläge zu entwi­ckeln, die die Sache nach der nächsten Wahl deutlich voran­bringen, ihr eine euro­päi­sche Dimension geben – und damit um eine Mehrheit zu werben.

Weil die Gegner von Klima­po­litik das größte Interesse haben, „Radi­ka­li­sie­rung“, Frei­heits­be­rau­bung, Moral, Tugend, Verzicht und den ganzen Ablen­kungs­kanon durch­zu­kauen, ist es der Job der Klima­po­litik-Befür­worter, sich auf keinen Fall im Zuge einer aufge­heizten Extinc­tion Rebellion-Diskus­sion wieder aus der liberalen Mitte drängen zu lassen.

Sozial-ökolo­gi­sche Inno­va­tion statt Endzeit-Getöse

Es geht statt­dessen darum, jetzt über knall­harte Wirt­schafts- und Ordnungs­po­litik zu sprechen. Aber eben nicht nach dem alten christ- und sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Denken, dass „Umwelt“ ein Neben­wi­der­spruch ist, der Pause hat, wenn die Wirt­schaft weniger wächst. Sondern dass sozi­al­öko­lo­gi­sche Inno­va­tion die Antwort auf eine kommende Rezession sein wird.

Jetzt kann man sagen, das sei ein bisserl viel eier­le­gende Woll­milchsau. Aber sagen wir so: Wir wissen nicht, ob das wirklich alles so toll hinhaut. Aber wir wissen definitiv, dass es mit der alten Logik überhaupt nicht mehr weiter­geht. Und sicher ist auch: Klima­po­litik mit Endzeit­ge­töse über alles zu stellen, das geben weder die deutsche Gesell­schaft her, der es dafür einfach mehr­heit­lich zu gut geht. Und auch nicht ihre komplexen Sytemlogiken.

Das Nötige und das Mögliche wird man nicht parallel schalten können. Zum Beispiel: Die notwen­digen Flächen für schnellen onshore-Wind­kraft­ausbau müsste man sich ohne Bürger­be­tei­li­gung oder gar durch Enteig­nung holen. Das ist mit den Grünen eben genau nicht zu machen. Hoffe ich.

Das alte bundes­re­pu­bli­ka­ni­sche Verständnis von „Maß und Mitte“ kann man nicht aufheben, aber man kann jetzt verschieben, was Maß und Mitte klima­po­li­tisch bedeuten. Und dass wir immer nur um uns Deutsche kreisen und die Franzosen um Frank­reich, das kann man jetzt noch über­winden, solange Macron steht. Die Grünen, wenn sie es denn wirklich drauf haben sollten, müssen in dieser Lage nicht im alten Sinne utopis­tisch werden.

Sie müssen europa- und welt­po­li­tik­fähig sein. Und zwar radikal. Das gilt auch für den Teil der Gesell­schaft, der Klima­po­litik ernsthaft umsetzen will.

Textende

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