Wie russisch-ameri­ka­ni­schen „Friedens­plänen“ begegnen?

Protest in Boston gegen geplantes Friedensabkommen zwischen der Ukraine und Russland
Foto: IMAGO /​ Anadolu Agency

Noch ist unklar, was aus dem russisch-ameri­ka­ni­schen 28-Punkte-Plan zur Aufteilung der Ukraine wird. Die hekti­schen Verhand­lungs­be­stre­bungen der letzten Wochen haben keine der grund­le­genden Streit­fragen lösen können: Souve­rä­nität der Ukraine, russische Gebiets­an­sprüche und Sicher­heits­ga­rantien. Doch der nächste Plan kommt bestimmt. Wie zukünftig mit russisch-ameri­ka­ni­schen „Friedens­plänen“ umgehen? Eine Check­liste von Simon Schlegel.

Mit der folgenden, aus fünf Punkten bestehenden Check­liste, einem Fünf-Punkte-Schnelltest, lassen sich Ernst­haf­tigkeit sowie Erfolgs­chancen des aktuellen sowie alle folgenden russisch-ameri­ka­ni­schen „Friedens­pläne“ einschätzen einschätzen und bewerten.

1. Hat sich auf dem Schlachtfeld etwas verändert?

Die traurige Realität des Krieges ist, dass die eigent­liche Politik auf dem Schlachtfeld statt­findet. Zu sagen, dass die Ukraine an der Front unter Druck steht, wäre ein Under­statement. Kyjiw kämpft mit riesigen Problemen bei der Mobili­sierung, hat seinen Innova­ti­ons­vor­sprung bei der Kriegs­führung mit Drohnen eingebüßt und schießt einen immer kleineren Anteil der russi­schen Raketen und Drohnen ab, die jede Nacht Städte im ganzen Land terro­ri­sieren. Aus all diesen Gründen verliert die Ukraine langsam Terri­torium. In dieser prekären Situation droht nun Washington die verblei­bende Militär­hilfe, beispiels­weise bei der Zielauf­klärung, einzustellen.

Dennoch steht die Front nicht vor dem Kollaps. Jeder eroberte Quadrat­ki­lo­meter kostet Russland einen hohen Blutzoll. Moskau hat nicht die Kapazität für schnelle Angriffe in großen Verbänden, etwa auf frontnahe Großstädte wie Charkiw oder Saporischschja.

Ein Plan, der von der Ukraine existenz­ge­fähr­dende Zugeständ­nisse abver­langt, könnte nur dann erfolg­ver­spre­chend sein, wenn die Lage an der Front so verzweifelt wäre, dass Weiter­kämpfen die schlechtere Option darstellen würde. Beim jetzigen Tempo liegt dieser Zeitpunkt noch weit in der Zukunft. Mit der Zeit kann sich die Balance auf dem Schlachtfeld auch wieder zu Gunsten der Ukraine verschieben, etwa wenn es ihr gelingen sollte, mit Tiefen­schlägen die russische Waffen­pro­duktion und Logistik zu stören.

Nachdem die USA faktisch die Fronten gewechselt haben, hängt der weitere Verlauf des Krieges entscheidend von den Europäern ab. Ohne eine massive Aufsto­ckung der militä­ri­schen und finan­zi­ellen Unter­stützung wird die Ukraine nicht aus der Defensive herauskommen.

Die Kriegs­ziele Russlands und der Ukraine werden sich nur ändern, wenn sich die Kräfte­ver­hält­nisse auf dem Schlachtfeld grund­legend verschieben. Erst dann kann die eine Seite der anderen ihre Kriegs­for­de­rungen aufzwingen.

2. Haben die Verhan­delnden Verfü­gungs­gewalt über die Verhandlungsmasse?

Der 28-Punkte Plan enthielt eine ganze Reihe von Zugeständ­nissen an Moskau. Diese hätten von der Ukraine, der NATO, der EU, der G7, der UN-Atomenergie-Organi­sation, von belgi­schen Banken und dem Inter­na­tio­nalen Straf­ge­richtshof kommen müssen. Trump und Putin haben in diesen Insti­tu­tionen entweder gar kein Mitspra­che­recht oder müssen sich erst mit ihren Partnern einigen. Während Washington und Moskau gegenüber kleineren Ländern über viele militä­rische und wirtschaft­liche Druck­mittel verfügen, hat zum Beispiel der Inter­na­tionale Straf­ge­richtshof ein großes Interesse daran, seine Unabhän­gigkeit unter Beweis zu stellen. Auch das ukrai­nische Parlament würde wohl nicht einfach mitspielen. Es müsste die Entblößung der eigenen Vertei­di­gungs­linien beschließen und viele Bürger der russi­schen Gewalt­herr­schaft ausliefern. In der EU und der NATO würden die USA die Zugeständ­nisse von Regie­rungen benötigen, über deren Köpfe hinweg sie gerade einen Diktat­frieden ausge­handelt haben.

Wenn die Verhandler eine Verhand­lungs­masse aufteilen, über die sie nur eine begrenzte Entschei­dungs­gewalt haben, ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass die Umsetzung scheitert. Andere betei­ligte Akteure werden allen­falls wider­strebend mitmachen, ohne dass ihre Koope­ration tatsächlich erzwungen werden kann.

3. Ergibt die Rollen­ver­teilung Sinn?

Russland hat schon beim geschei­terten Minsk-II-Abkommen aus dem Jahr 2015 so getan, als ob es Vermittler wäre, während es tatsächlich Kriegs­partei war. Im 28-Punkte-Plan setzte sich diese Rollen­ver­mi­schung unter Betei­ligung der USA fort. Unter Punkt 4 waren die USA, das stärkste Mitglied der NATO, gleich­zeitig auch als Vermitt­lerin zwischen NATO und Russland vorge­sehen. Unter Punkt 14 waren die Vermittler USA auch als direkte Profi­teure der in Europa festge­setzten russi­schen Staats­ver­mögen benannt, die gemäß dem Plan aufge­teilt werden sollten. Unter Punkt 15 ernennen sich die USA und Russland selbst zu den Hütern über die Einhaltung des Abkommens. Wenn die Ukraine und Europa dem Plan zugestimmt hätten, hätten sie sich damit gleich zwei Böcke zum Gärtner gemacht. Der Entwurf des „Friedens­plans“ spricht eine deutliche Sprache: Die Trump-Adminis­tration sieht Putin als Partner und ein Ende des Krieges als willkommene Gelegenheit für profi­table bilaterale Geschäfte mit russi­schen Oligarchen.

Natürlich kommen auch manchmal Abkommen zur Unter­zeichnung, bei denen Inter­es­sen­kon­flikte bereits in der Vertrags­struktur angelegt sind, besonders wenn eine Vertrags­partei mit dem Rücken zur Wand steht – das Minsk-II-Abkommen ist dafür das beste Beispiel. Solange aber keiner der beiden Kriegs­par­teien das Wasser bis zum Hals steht, sprechen solche Ungereimt­heiten in einem „Friedensplan“ gegen dessen Realisierung.

4. Entspricht das Tempo der Komplexität?

Die Trump-Adminis­tration hat immer wieder versucht, ihre politi­schen Gegner durch ein hohes Tempo zu überrumpeln. Die ursprüng­liche Deadline für eine ukrai­nische Unter­schrift unter den 28-Punkte-Plan setzte Trump auf den 27. November fest, kaum eine Woche nach dem Bekannt­werden des Dokuments. Er verband diese Frist mit der Drohung, der Ukraine auch die verblei­bende ameri­ka­nische Hilfe zu entziehen. Die Deadline kassierte Trump schnell wieder, wie er das früher zum Beispiel bei Tarif­ver­hand­lungen immer wieder getan hat, wenn jeweils klar wurde, dass das aggressive Tempo nicht zur Komple­xität des Problems passt. Wie schon bei Trumps Friedensplan für den Nahen Osten handelt es sich nicht um ein durch­dachtes Konzept, sondern um einen politi­schen Coup. Hier wie dort ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass die Umsetzung scheitert.

Noch gefähr­licher wäre es, wenn Trump und Putin syste­ma­tisch vorgehen und für ihre Vorstöße nachhaltige politische Unter­stützung aufbauen sollten. Bei weiteren Schnell­schüssen täten Kyjiw und seine europäi­schen Partner gut daran, auf die Bremse zu treten und genau hinzu­schauen. Die Europäer würden sich jedoch nur in einer starken Veto-Position befinden, sollten sie bereit sein, der Ukraine notfalls auch ohne die USA militä­risch und finan­ziell über die Runden zu helfen.

5. Wurde der Prozess mitgedacht?

Natürlich geht es in einem Rahmen­ab­kommen wie dem 28-Punkte-Plan vor allem um Zielver­ein­ba­rungen. Wenn die Parteien sich über diese einmal einig sind, finden sie auch Wege für die Umsetzung.

Nur, ganz ohne den Prozess mitzu­denken, geht es auch bei den großen Linien nicht. So würden etwa die im Plan gefor­derte Verschiebung der ukrai­nisch-russi­schen Grenze oder der Verzicht auf den NATO-Beitritt eine Verfas­sungs­än­derung mit sich bringen, über die das Parlament erst nach Aufhebung des Kriegs­rechts bestimmen könnte und für die es eine Zweidrit­tel­mehrheit braucht. Auch sieht der Plan massive Eingriffe in die politische Souve­rä­nität der Ukraine vor. Die Ukraine soll russi­schen Medien freien Zugang gewähren, den Moskauer Kirchen­fürsten mehr Rechte einräumen und „Nazi-Ideologie“ verbieten. (Letzteres ist die Putinsche Bezeichnung für jedes Unabhän­gig­keits­streben der Ukraine.) Diese Forde­rungen sind nicht nur unzumutbar und vage, es ist auch nicht klar, wann und in welcher Reihen­folge die Ukraine sie umsetzen müsste. Das gäbe dem Kreml jede Menge Vorwände, eine Verletzung des Abkommens durch die Ukraine zu rekla­mieren. Damit hätte Moskau den Kriegs­grund für die nächste Runde in der Hand.

Die meisten Friedens­ab­kommen scheitern an der Umsetzung, nicht an der Zielfor­mu­lierung. Der russisch-ameri­ka­nische Plan ist auf beiden Ebenen so gestrickt, dass die Vermutung naheliegt, dass seine Urheber in Moskau und Washington mit ihrem Vorstoß Verhand­lungs­be­reit­schaft lediglich vortäu­schen wollen.

Zu guter Letzt…

Nach fast vier Jahren Krieg sollten wir Initia­tiven, die den Krieg ernsthaft beenden wollen, nie leicht­fertig vom Tisch fegen. Friedens­ver­hand­lungen beginnen nie mit überein­stim­menden Zielen oder einem ausge­reiften Plan. Aber wenn alle der oben genannten fünf Punkte gravie­rende Defizite aufweisen, ist es wahrscheinlich, dass die Initiative schnell versandet und dass ihre Urheber sie eher als Störfeuer denn als echte Friedens­in­itiative gestartet haben. Für Russland wäre ein Scheitern des Plans ein willkom­mener Vorwand, den Krieg mit aller Gewalt fortzu­setzen – für Trump wäre es Anlass, die Ukraine vollends fallen zu lassen.

Dennoch darf man dieses russisch-ameri­ka­nische Manöver nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es verstärkt den Trend einer Rückkehr zur Großmacht­po­litik, bei der große Atommächte nach Gutdünken kleinere Länder unter­ein­ander aufteilen.

Europa muss, wenn es über sein Schicksal mehr als nur nachver­handeln will, gewappnet sein, seine Inter­essen auch gegen den Willen Russlands und ohne die Unter­stützung der USA zu vertei­digen. Bis zur strate­gi­schen Autonomie ist es noch ein weiter Weg. Doch Schock­mo­mente wie der 28-Punkte-Plan sollten Europa aufrütteln, diesen Weg viel schneller zu beschreiten. Jetzt ist ein entschei­dender Moment, an dem Europa sich als handlungs­fähig erweisen muss. Sonst wird nebst der Ukraine der ganze Kontinent zur Verhand­lungs­masse zwischen Moskau und Washington.

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