Wie russisch-amerikanischen „Friedensplänen“ begegnen?

Noch ist unklar, was aus dem russisch-amerikanischen 28-Punkte-Plan zur Aufteilung der Ukraine wird. Die hektischen Verhandlungsbestrebungen der letzten Wochen haben keine der grundlegenden Streitfragen lösen können: Souveränität der Ukraine, russische Gebietsansprüche und Sicherheitsgarantien. Doch der nächste Plan kommt bestimmt. Wie zukünftig mit russisch-amerikanischen „Friedensplänen“ umgehen? Eine Checkliste von Simon Schlegel.
Mit der folgenden, aus fünf Punkten bestehenden Checkliste, einem Fünf-Punkte-Schnelltest, lassen sich Ernsthaftigkeit sowie Erfolgschancen des aktuellen sowie alle folgenden russisch-amerikanischen „Friedenspläne“ einschätzen einschätzen und bewerten.
1. Hat sich auf dem Schlachtfeld etwas verändert?
Die traurige Realität des Krieges ist, dass die eigentliche Politik auf dem Schlachtfeld stattfindet. Zu sagen, dass die Ukraine an der Front unter Druck steht, wäre ein Understatement. Kyjiw kämpft mit riesigen Problemen bei der Mobilisierung, hat seinen Innovationsvorsprung bei der Kriegsführung mit Drohnen eingebüßt und schießt einen immer kleineren Anteil der russischen Raketen und Drohnen ab, die jede Nacht Städte im ganzen Land terrorisieren. Aus all diesen Gründen verliert die Ukraine langsam Territorium. In dieser prekären Situation droht nun Washington die verbleibende Militärhilfe, beispielsweise bei der Zielaufklärung, einzustellen.
Dennoch steht die Front nicht vor dem Kollaps. Jeder eroberte Quadratkilometer kostet Russland einen hohen Blutzoll. Moskau hat nicht die Kapazität für schnelle Angriffe in großen Verbänden, etwa auf frontnahe Großstädte wie Charkiw oder Saporischschja.
Ein Plan, der von der Ukraine existenzgefährdende Zugeständnisse abverlangt, könnte nur dann erfolgversprechend sein, wenn die Lage an der Front so verzweifelt wäre, dass Weiterkämpfen die schlechtere Option darstellen würde. Beim jetzigen Tempo liegt dieser Zeitpunkt noch weit in der Zukunft. Mit der Zeit kann sich die Balance auf dem Schlachtfeld auch wieder zu Gunsten der Ukraine verschieben, etwa wenn es ihr gelingen sollte, mit Tiefenschlägen die russische Waffenproduktion und Logistik zu stören.
Nachdem die USA faktisch die Fronten gewechselt haben, hängt der weitere Verlauf des Krieges entscheidend von den Europäern ab. Ohne eine massive Aufstockung der militärischen und finanziellen Unterstützung wird die Ukraine nicht aus der Defensive herauskommen.
Die Kriegsziele Russlands und der Ukraine werden sich nur ändern, wenn sich die Kräfteverhältnisse auf dem Schlachtfeld grundlegend verschieben. Erst dann kann die eine Seite der anderen ihre Kriegsforderungen aufzwingen.
2. Haben die Verhandelnden Verfügungsgewalt über die Verhandlungsmasse?
Der 28-Punkte Plan enthielt eine ganze Reihe von Zugeständnissen an Moskau. Diese hätten von der Ukraine, der NATO, der EU, der G7, der UN-Atomenergie-Organisation, von belgischen Banken und dem Internationalen Strafgerichtshof kommen müssen. Trump und Putin haben in diesen Institutionen entweder gar kein Mitspracherecht oder müssen sich erst mit ihren Partnern einigen. Während Washington und Moskau gegenüber kleineren Ländern über viele militärische und wirtschaftliche Druckmittel verfügen, hat zum Beispiel der Internationale Strafgerichtshof ein großes Interesse daran, seine Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen. Auch das ukrainische Parlament würde wohl nicht einfach mitspielen. Es müsste die Entblößung der eigenen Verteidigungslinien beschließen und viele Bürger der russischen Gewaltherrschaft ausliefern. In der EU und der NATO würden die USA die Zugeständnisse von Regierungen benötigen, über deren Köpfe hinweg sie gerade einen Diktatfrieden ausgehandelt haben.
Wenn die Verhandler eine Verhandlungsmasse aufteilen, über die sie nur eine begrenzte Entscheidungsgewalt haben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Umsetzung scheitert. Andere beteiligte Akteure werden allenfalls widerstrebend mitmachen, ohne dass ihre Kooperation tatsächlich erzwungen werden kann.
3. Ergibt die Rollenverteilung Sinn?
Russland hat schon beim gescheiterten Minsk-II-Abkommen aus dem Jahr 2015 so getan, als ob es Vermittler wäre, während es tatsächlich Kriegspartei war. Im 28-Punkte-Plan setzte sich diese Rollenvermischung unter Beteiligung der USA fort. Unter Punkt 4 waren die USA, das stärkste Mitglied der NATO, gleichzeitig auch als Vermittlerin zwischen NATO und Russland vorgesehen. Unter Punkt 14 waren die Vermittler USA auch als direkte Profiteure der in Europa festgesetzten russischen Staatsvermögen benannt, die gemäß dem Plan aufgeteilt werden sollten. Unter Punkt 15 ernennen sich die USA und Russland selbst zu den Hütern über die Einhaltung des Abkommens. Wenn die Ukraine und Europa dem Plan zugestimmt hätten, hätten sie sich damit gleich zwei Böcke zum Gärtner gemacht. Der Entwurf des „Friedensplans“ spricht eine deutliche Sprache: Die Trump-Administration sieht Putin als Partner und ein Ende des Krieges als willkommene Gelegenheit für profitable bilaterale Geschäfte mit russischen Oligarchen.
Natürlich kommen auch manchmal Abkommen zur Unterzeichnung, bei denen Interessenkonflikte bereits in der Vertragsstruktur angelegt sind, besonders wenn eine Vertragspartei mit dem Rücken zur Wand steht – das Minsk-II-Abkommen ist dafür das beste Beispiel. Solange aber keiner der beiden Kriegsparteien das Wasser bis zum Hals steht, sprechen solche Ungereimtheiten in einem „Friedensplan“ gegen dessen Realisierung.
4. Entspricht das Tempo der Komplexität?
Die Trump-Administration hat immer wieder versucht, ihre politischen Gegner durch ein hohes Tempo zu überrumpeln. Die ursprüngliche Deadline für eine ukrainische Unterschrift unter den 28-Punkte-Plan setzte Trump auf den 27. November fest, kaum eine Woche nach dem Bekanntwerden des Dokuments. Er verband diese Frist mit der Drohung, der Ukraine auch die verbleibende amerikanische Hilfe zu entziehen. Die Deadline kassierte Trump schnell wieder, wie er das früher zum Beispiel bei Tarifverhandlungen immer wieder getan hat, wenn jeweils klar wurde, dass das aggressive Tempo nicht zur Komplexität des Problems passt. Wie schon bei Trumps Friedensplan für den Nahen Osten handelt es sich nicht um ein durchdachtes Konzept, sondern um einen politischen Coup. Hier wie dort ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Umsetzung scheitert.
Noch gefährlicher wäre es, wenn Trump und Putin systematisch vorgehen und für ihre Vorstöße nachhaltige politische Unterstützung aufbauen sollten. Bei weiteren Schnellschüssen täten Kyjiw und seine europäischen Partner gut daran, auf die Bremse zu treten und genau hinzuschauen. Die Europäer würden sich jedoch nur in einer starken Veto-Position befinden, sollten sie bereit sein, der Ukraine notfalls auch ohne die USA militärisch und finanziell über die Runden zu helfen.
5. Wurde der Prozess mitgedacht?
Natürlich geht es in einem Rahmenabkommen wie dem 28-Punkte-Plan vor allem um Zielvereinbarungen. Wenn die Parteien sich über diese einmal einig sind, finden sie auch Wege für die Umsetzung.
Nur, ganz ohne den Prozess mitzudenken, geht es auch bei den großen Linien nicht. So würden etwa die im Plan geforderte Verschiebung der ukrainisch-russischen Grenze oder der Verzicht auf den NATO-Beitritt eine Verfassungsänderung mit sich bringen, über die das Parlament erst nach Aufhebung des Kriegsrechts bestimmen könnte und für die es eine Zweidrittelmehrheit braucht. Auch sieht der Plan massive Eingriffe in die politische Souveränität der Ukraine vor. Die Ukraine soll russischen Medien freien Zugang gewähren, den Moskauer Kirchenfürsten mehr Rechte einräumen und „Nazi-Ideologie“ verbieten. (Letzteres ist die Putinsche Bezeichnung für jedes Unabhängigkeitsstreben der Ukraine.) Diese Forderungen sind nicht nur unzumutbar und vage, es ist auch nicht klar, wann und in welcher Reihenfolge die Ukraine sie umsetzen müsste. Das gäbe dem Kreml jede Menge Vorwände, eine Verletzung des Abkommens durch die Ukraine zu reklamieren. Damit hätte Moskau den Kriegsgrund für die nächste Runde in der Hand.
Die meisten Friedensabkommen scheitern an der Umsetzung, nicht an der Zielformulierung. Der russisch-amerikanische Plan ist auf beiden Ebenen so gestrickt, dass die Vermutung naheliegt, dass seine Urheber in Moskau und Washington mit ihrem Vorstoß Verhandlungsbereitschaft lediglich vortäuschen wollen.
Zu guter Letzt…
Nach fast vier Jahren Krieg sollten wir Initiativen, die den Krieg ernsthaft beenden wollen, nie leichtfertig vom Tisch fegen. Friedensverhandlungen beginnen nie mit übereinstimmenden Zielen oder einem ausgereiften Plan. Aber wenn alle der oben genannten fünf Punkte gravierende Defizite aufweisen, ist es wahrscheinlich, dass die Initiative schnell versandet und dass ihre Urheber sie eher als Störfeuer denn als echte Friedensinitiative gestartet haben. Für Russland wäre ein Scheitern des Plans ein willkommener Vorwand, den Krieg mit aller Gewalt fortzusetzen – für Trump wäre es Anlass, die Ukraine vollends fallen zu lassen.
Dennoch darf man dieses russisch-amerikanische Manöver nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es verstärkt den Trend einer Rückkehr zur Großmachtpolitik, bei der große Atommächte nach Gutdünken kleinere Länder untereinander aufteilen.
Europa muss, wenn es über sein Schicksal mehr als nur nachverhandeln will, gewappnet sein, seine Interessen auch gegen den Willen Russlands und ohne die Unterstützung der USA zu verteidigen. Bis zur strategischen Autonomie ist es noch ein weiter Weg. Doch Schockmomente wie der 28-Punkte-Plan sollten Europa aufrütteln, diesen Weg viel schneller zu beschreiten. Jetzt ist ein entscheidender Moment, an dem Europa sich als handlungsfähig erweisen muss. Sonst wird nebst der Ukraine der ganze Kontinent zur Verhandlungsmasse zwischen Moskau und Washington.
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