Menschen­würde, kosmo­po­li­tische Bildung und Flüchtlingspolitik

Bild: By Emil Doerstling (1859–1940) (Emil Doerstling) [Public domain], via Wikimedia Commons

Immanuel Kant legte mit der Idee eines Weltbür­ger­rechts den Grund­stein für eine Ethik, die auch im Zeitalter der Globa­li­sierung Orien­tierung bietet. Die europäische Debatte um die Flücht­lings­po­litik lässt befürchten, dass diese Grund­lagen der Humanität nun wieder aufge­geben werden.

In einem hoch umstrit­tenen Buch – „The Ethics of Immigration“, 2013 – streitet der kanadische Philosoph Joseph Carens für die These, dass alle Menschen das Recht haben, sich überall nieder­zu­lassen – Sozial­systeme hin oder her. Tatsächlich erfahren derzeit sowohl in politi­scher Theorie als auch Philo­sophie Überle­gungen eine Renais­sance, die den antiken Begriff des „Kosmo­po­li­tismus“ aufnehmen und weiter­zu­ent­wi­ckeln suchen. So die an der Yale University lehrende Seyla Benhabib, die sich in dem von ihr 2008 heraus­ge­ge­benen Sammelband „Kosmo­po­li­tismus und Demokratie“ mit den philo­so­phi­schen Grund­lagen kosmo­po­li­ti­scher Normen ausein­an­der­setzt und dabei wesentlich auf Immanuel Kant Bezug nimmt; aber auch der ebenfalls früher in Yale lehrende Thomas McCarthy, der sich in seiner Monographie „Race, Empire and the Idea of Human Develo­pment“ im Jahr 2009 mit dem Paradox ausein­an­der­setzt, dass ein univer­sa­lis­tisch geson­nener Philosoph wie Kant gleichwohl Rassen­theorien akzep­tierte; und schließlich ist die in Utrecht lehrende Pauline Kleingeld zu nennen, die in ihrem 2012 publi­zierten Buch „Kant and Cosmo­po­li­tanism. The Philo­so­phical Ideal of World Citizenship“ nachweist, dass genau diese Philo­sophie der Aufklärung, Kants Philo­sophie die Basis für ein reales Weltbür­gertum darstellen könnte.

Tatsächlich hat Kant in seiner Schrift zur „Metaphysik der Sitten“ aus dem Jahr 1798 im §62 die Idee eines „Weltbür­ger­rechts“ konzi­piert, eines Rechts, in dem das „Recht des Erden­bürgers“ postu­liert wird,„die Gemein­schaft mit allen zu versuchen, und zu diesem Zweck alle Gegenden der Erde zu besuchen, wenn es gleich nicht ein Recht der Ansie­delung auf dem Boden eines anderen Volks (ius incolatus) ist, als zu welchem ein beson­derer Vertrag erfordert wird.“

Drei Jahre zuvor schon, 1795, hat Kant in seiner Schrift zum „Ewigen Frieden“ zur Idee eines Weltbür­ger­rechts geäußert:„Alle recht­liche Verfassung aber ist, was die Personen betrifft[...] die nach dem Weltbür­ger­recht, so fern Menschen und Staaten in äußerem auf einander einflie­ßenden Verhältnis stehend, als Bürger eines allge­meinen Menschen­staats anzusehen sind (ius cosmopoliticum).“

Aller­dings: Kant gab nämlich seinem Weltbür­ger­recht – um jedem kolonia­lis­ti­schem Missbrauch vorzu­beugen – folgenden Wortlaut: „Das Weltbür­ger­recht soll auf Bedin­gungen der allge­meinen Hospi­ta­lität einge­schränkt sein.“ Hospi­ta­lität aber umfasst das Recht eines Fremd­lings, “seiner Ankunft auf dem Boden eines anderen wegen, von diesem nicht feind­selig behandelt zu werden.“ Kant postu­liert aber vor allem, dass „der andere“ den Fremdling nur abweisen kann, „wenn es ohne seinen Untergang geschehen kann.“

Das aber ist der entschei­dende Punkt: Das Weltbür­ger­recht, das „Hospi­ta­li­täts­recht“, verbietet das Abweisen von Fremden, sofern es den abseh­baren Untergang des Fremd­lings zur Folge hat. Aus diesem Verbot folgt eine positive Konse­quenz: Die Pflicht zur Aufnahme aller an die Grenzen eines Landes Kommenden, sofern ihre Zurück­weisung nicht mit möglichen schweren Beein­träch­ti­gungen ihrer Würde, ihrer Gesundheit oder ihres Lebens verbunden ist. Präzi­siert man dieses Prinzip um die in der globa­li­sierten Welt unabweisbar gewordene Einsicht, dass „politische“ Verfolgung keineswegs notwendig an die gezielte Verfolgung durch staat­liche Akteure gebunden ist, sondern um letztlich politisch verur­sachte Flucht­gründe, so kann daraus nichts anderes folgen, als dass Bürger­kriegs­flücht­linge allemal asylan­trags­be­rechtigt sind.

Das sieht eine für die Globa­li­sierung sensi­bi­li­sierte politische Philo­sophie und die ihr entspre­chende Ethik nicht anders. Seyla Benhabib drückte das so aus, dass sie einen wesent­lichen Fortschritt gegenüber Kants Postu­laten der Gastfreund­schaft feststellte: „Der Status des Fremden ist durch staat­liche wie durch inter­na­tionale Gesetze geschützt; der Gast ist nicht länger Gast, sondern ein ‚resident alien‘, wie es in den USA heißt, oder ein ‚foreign citizen‘, ein ‚auslän­di­scher Mitbürger‘, wie Europäer sagen.“

Man wird indes fragen müssen, ob sich gegen­wärtig in den Ländern des Westens nicht eine Gegen­be­wegung abzeichnet, jene Anfänge weltbür­ger­licher Verge­mein­schaftung wieder zurück­zu­nehmen, wovon die Flücht­lings­po­litik der EU und nicht zuletzt die gegen­wär­tigen deutschen Koali­ti­ons­ver­hand­lungen zeugen.

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