Offener Brief an den Europarat: Bleiben Sie standhaft!
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats steht vor einer wichtigen Entscheidung: Soll sie dem russischen Druck nachgeben und damit ihre Rolle als Wächterin der europäischen Grundwerte aufgeben? Selbstverleugnung ist die falsche Antwort auf den Versuch autoritärer Regierungen, den Europarat zu entkernen. Die vom Ministerkomitee des Europarats vorgeschlagene Regelung würde der Parlamentarischen Versammlung die Möglichkeit entziehen, in eigener Entscheidung Sanktionen gegen Mitgliedsstaaten zu verhängen. Dieser Selbstentmachtung sollte sie nicht zustimmen.
An die
Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE)
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 24. Juni 2019 wird in Strassburg die Resolution „Strengthening the decision-making process of the Parliamentary Assembly concerning credentials and voting“ des Geschäftsordnungsausschusses (3.6.2019) zur Abstimmung kommen. Mit dieser Resolution soll der Versuch des Ministerkomitees, Russland zum Verbleib im Europarat zu bewegen (A shared responsibility for democratic security in Europe, Helsinki 17.5.2019), auch durch die Parlamentarische Versammlung (PACE) bestätigt werden.
Wir unterstützen die Bemühungen, Russlands Verbleib im Europarat zu ermöglichen. Die Mitgliedschaft im Europarat bietet russischen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einzureichen, und hat zahlreiche wichtige und positive Auswirkungen in vielen rechtlichen und gesellschaftlichen Bereichen.
Die Mitgliedschaft Russlands im Europarat wird allerdings nur dann sinnvoll und nutzbringend sein, wenn die Nichteinhaltung der Grundregeln durch den Europarat auch sanktioniert werden kann. Diese Möglichkeit sehen wir durch die Draft Resolution gefährdet.
Die Draft Resolution sieht eine Änderung der Geschäftsordnung (§ 10) vor, nach der die PACE weitgehend die Möglichkeit verlieren würde, Mitglieder, die die Grundsätze des Europarats verletzen, zu sanktionieren. Die PACE würde damit ihrer Verpflichtung, die Einhaltung der Grundlagen des Europarats zu kontrollieren, nicht mehr nachkommen können. Die Funktionsfähigkeit und die Glaubwürdigkeit des Europarats würden dadurch nachhaltig beschädigt. Im Europarat würde eine Entmächtigung der PACE zu Gunsten des Ministerrats geschehen, die weit über den derzeitigen Konflikt um die Russische Föderation hinaus Bestand haben würde.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat 2014 mit großer Mehrheit die Resolution Nr. 1990 verabschiedet und damit die russische Delegation aus dem Europarat zwar nicht ausgeschlossen, ihr aber das Stimmrecht und das Recht auf Wahl des Generalsekretärs und der Richter des EGMR bis zum Abzug der russischen Truppen aus der Ostukraine entzogen. Seither gab es keine positiven Ergebnisse im Minsk-Prozess. Im Gegenteil – durch die weitere militärische Aggression im Asowschen Meer, laufende Menschenrechtsverletzungen auf der Krim, die widerrechtliche Festnahme von inzwischen über 100 ukrainischen Gefangenen und die Verteilung von russischen Pässen in der Ostukraine eskaliert die Führung der Russische Föderation den Konflikt weiter und hat bisher keine ernsthaften Versuche unternommen, die Forderungen der PACE Resolution 1990 zu erfüllen. Russland droht nun damit, den Europarat zu verlassen, um einem Ausschluss zuvorzukommen, und setzt als Druckmittel auch die Nichtzahlung seiner Mitgliedsbeiträge ein.
Wir sind davon überzeugt, dass eine so weitgehende Einschränkung künftiger Sanktionsmöglichkeiten der PACE, wie in der Draft Resolution vorgesehen, in dieser Situation die Glaubwürdigkeit des Europarats unterminieren und das Ansehen und die Kompetenzen der PACE dauerhaft beschädigen würde.
Wir fordern Sie auf
- der geplanten Änderung von § 10 der Rules of Procedure nicht zuzustimmen und damit die Funktionsfähigkeit und die Unabhängigkeit der PACE von der Exekutive (Ministerkomittee) zu erhalten
- den Verbleib der Russischen Föderation im Europarat dadurch zu ermöglichen, dass auf die strikte Anwendung von § 9 der Statuten des Europarats (Ausschluss eines Mitgliedsstaats wegen ausbleibender Beitragszahlungen) in seiner 1994 verschärften Form („Declaration of compliance“) in diesem Fall verzichtet wird
- sich dafür einzusetzen, dass die durch die ausbleibenden Zahlungen der Russischen Föderation entstandene Budgetengpässe durch Beiträge von Dritter Seite ausgeglichen werden und die Arbeitsfähigkeit des Europarats auch ohne die russischen Zahlungen voll erhalten bleibt.
Mit freundlichen Grüßen,
Stefanie Schiffer, Europäischer Austausch
Marieluise Beck, Zentrum Liberale Moderne
Stefan Melle, DRA – Deutsch-Russischer Austausch /Berlin
Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne
Marie Mendras, Sciences Po University, Paris
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