Regionalwahl in Polen: Die Städte bleiben liberal
Regionale und kommunale Selbstverwaltung bewahren Polen vor der Übernahme durch die illiberale PiS. Die Regierungspartei blieb bei den Regionalwahlen hinter ihrem Ziel zurück. Die umstrittenen Justizreformen mobilisierten vor allem die Wähler der Opposition. Noch ist die Frage der künftigen politischen Richtung Polens offen.
Am 21. Oktober 2018 fand in Polen die erste Runde der Kommunal- und Regionalwahlen statt. Anders als in Deutschland werden in Polen alle Ebenen der lokalen und regionalen Selbstverwaltung (Stadtbezirks‑, Stadt- und Gemeinderäte, Kreisräte und Woiwodschaftstage sowie Gemeindevorsteher, Bürgermeister bzw. Stadtpräsidenten) zum gleichen Termin auf (nunmehr) 5 Jahre gewählt. Berichten einer Reihe von Wahlbeobachtungsinitiativen zur Folge sind die Wahlen weitestgehend ohne größere Zwischenfälle abgelaufen (anderes wurde erwartet). Da es sich dabei um die ersten allgemeinen Wahlen seit der Machtübernahme 2015 durch die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Führung von Jarosław Kaczyński handelt, wurden diese als landesweiter Stimmungstest mit Spannung erwartet.
Dank des allgemeinen landesweiten Trends hat die PiS in den am ehesten mit nationalen Urnengängen vergleichbaren Wahlen zu den 16 Regionalparlamenten (sog. Woiwodschaftstage) mit 34,3% das beste Ergebnis erzielt und wird in 6 der 16 Regionen direkt regieren können. Über der 5%-Hürde platzierten sich ebenfalls die Wahlkomitees der Bürgerkoalition KO (27,1%), der Bauernpartei PSL (12,1 %), der postkommunistischen SLD (6,6%), der rechtspopulistischen Bewegung Kukiz‘(5,6%) sowie einer Vereinigung von parteiunabhängigen Lokalpolitikern (5,3%).
Allerdings hat die PiS damit keine eindeutige Prämie für ihre dreijährige Regierungszeit einzufahren vermocht und den Nimbus der Unschlagbarkeit eingebüßt. Die Oppositionsparteien haben zusammen den Popularitätsvorsprung der Regierung deutlich verkürzt. Möglich, dass der PiS auf den letzten Metern wieder aufgewärmte Skandale (Tonbandmitschnitte mit kompromittierenden Aussagen von Premierminister Mateusz Morawiecki) und die Fortsetzung des polnischen Rechtsstaatskrimis (die einstweilige Anordnung des EuGH wegen der Zwangspensionierung von Richtern) dann doch geschadet haben. Die geplante Übernahme einer Mehrheit der Regionen ist aber auch wegen der geringen Koalitionsfähigkeit der PiS gescheitert. Dies schmerzt sie besonders, weil in den Regionalparlamenten in großem Maße über die Ausgabe von EU-Strukturfördermitteln entschieden wird
In dieser Hinsicht war vor allem das relativ starke Abschneiden der von der PiS erbittert bekämpften, energiepolitisch für grüne Lösungen aufgeschlossenen PSL interessant. In Umfragen wurde sie mit weit unter 10% taxiert. Nicht ausgeschlossen, dass der PiS trotz ihrer breiten Unterstützung in der Provinz ihre verfehlte Agrarpolitik geschadet hat. Der zentrale Grund für den Achtungserfolg der eine traditionell konservative Wählerschaft ansprechenden, aber eine liberalere Ausrichtung des Landes vertretenden PSL ist aber die starke Politisierung des öffentlichen Lebens. Dies gilt auch für den jüngsten Wiederaufstieg der zwischenzeitlich totgesagten postkommunistischen SLD.
Zwar sind die Ergebnisse beider Parteien nicht berauschend: die SLD hat mehr als die Hälfte ihrer Sitze in den Regionalparlamenten eingebüßt und die Bauernpartei musste mit den Woiwodschaften Heiligkreuz und Lublin zwei ihrer bisherigen Hochburgen an die PiS abgeben. Ihr Ergebnis gibt ihr weiterhin die Möglichkeit, in einer ganzen Reihe von Regionen das Zünglein an der Waage zu sein. Eine Zusammenarbeit zwischen PSL und PiS gilt aber zunächst als ausgeschlossen.
Spaltung zwischen Stadt und Land
Noch wichtiger ist aber, dass konservative wie progressive Kommentatoren übereinstimmend eine sich immer weiter vertiefende weltanschauliche und soziale Spaltung des Landes konstatieren, mit weitreichenden Konsequenzen für die Politik. Das gilt für die die an Heftigkeit zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen antiliberaler PiS und liberaler sog. Anti-PiS, zwischen Unterstützern von Frauenrechten und Abtreibungsgegnern oder Nationalkatholiken und Antiklerikalen. Am deutlichsten driften Stadt und Land auseinander. Anschaulich zeigen lässt sich das am Beispiel der größten Woiwodschaft – Masowien – mit ihren gut 5 Mio. Einwohnern. Bei den Wahlen zum Regionalparlament hat die PiS 47% der Mandate gewonnen, wird aber ausschließlich wegen des liberalen Warschau, dessen 2 Mio. Einwohner in überragendem Maße die Bürgerkoalition unterstützten, aufgrund eines einzigen Mandats nicht die Regionalregierung bilden können. Ähnliches gilt für das von der PiS vollständig dominierte Regionalparlament der südlichen Woiwodschaft Kleinpolen, deren gesellschaftspolitisch durchaus konservative Hauptstadt Krakau die PiS nicht einmal annähernd für sich gewinnen kann.
Ohnehin konnten die Kandidaten der Nationalkonservativen in den Großstädten trotz massiver Unterstützung durch Regierungsvertreter und Staatsmedien kaum sichtbare Erfolge erzielen. Die Ergebnisse in Städten wie Warschau (Rafał Trzaskowski: 56,7%), Wrocław (Jacek Sutryk: 50,2%), Posen (Jacek Jaśkowiak: 56,0%), Białystok (Tadeusz Truskolaski: 56,2%), Lublin (Krzysztof Żuk: 62,3%) und Lodz (Hanna Zdanowska: 70,2%), die unerwartet deutlich gleich im ersten Wahlgang an Vertreter der KO oder Unabhängige gingen, sind – besonders im Lichte der historisch hohen Wahlbeteiligung von 55% (2014: 47,4%) – als klares Plebiszit der städtischen Wähler gegen die PiS aufzufassen. Trotz ihrer teils opulenten Wahlversprechen konnte sie das eher liberale Stadtbürgertum, dass den aggressiven Stil und die Politisierung der Justiz durch die PiS ablehnt, nicht von sich überzeugen. Der PiS ist es nicht gelungen ihre Wähler voll zu mobilisieren. Sie hat ihre Gegner mobilisiert.
Auch in kleineren (Kreis-)Städten spielen sich interessante Prozesse ab. So zeigt ein Blick in die nordöstliche Woiwodschaft Podlachien, dessen Regionalparlament ebenfalls mit absoluter Mehrheit an die PiS ging, dass Bürgerinitiativen bei der Besetzung von Rathäusern und Stadträten durchaus erfolgreich mit den großen Parteien konkurrieren. Natürlich ist damit keineswegs gesagt, dass KandidatInnen unabhängiger lokaler Wahlkomitees samt und sonders progressiv und liberal eingestellt sind. Aber nicht die Weltanschauung ist hier der entscheidende Punkt, sondern die Tatsache, dass die Vielfalt der Listen sowie der (überwiegend männlichen) Stadtpräsidenten und Bürgermeister den zentralistischen Zugriff der PiS auf die demokratische Selbstverwaltung wirksam einschränken können. Im Unterschied zur durch den fortgeschrittenen Umbau der Justiz gestörten horizontalen Gewaltenteilung bleibt damit die vertikale (regionale und kommunale) Gewaltenteilung vorerst intakt.
Die künftige politische Richtung Polens bleibt offen
Diese Wahlen galten überdies als Stimmungstest für die 2019 anstehenden Europa- und Parlamentswahlen. Wegen des komplizierten Wahlsystems, das die relativ stärkste Liste überproportional bevorteilt – wurden Möglichkeiten zur Bildung neuer, schlagkräftiger und glaubwürdiger Koalitionen auf Seiten der Opposition gesucht. Der liberalkonservativen Bürgerplattform PO ist es gelungen, ihren bisherigen liberalen Konkurrenten Moderne (Katarzyna Lubnauer) sowie die außerparlamentarische, linksorientierte Initiative Polen (Barbara Nowacka) für eine Zusammenarbeit im Rahmen der sogenannten Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO) zu gewinnen, wodurch die PO zumindest optisch weiter in die politische Mitte rückt. Wenn es ihr gelingt, im Laufe der nächsten 12 Monate die Mobilisierung gegen die PiS in den Großstädten aufrechtzuerhalten, kann sie zumindest eine erneute absolute Mehrheit der PiS verhindern, was die Nationalkonservativen durchaus empfindlich treffen würde – die nach jetzigem Stand für eine Koalition zur Verfügung stehende Bewegung Kukiz’15 wäre für sie vermutlich ein sehr unbequemer Partner. Für eine tatsächliche Ablösung der Regierung müsste die Opposition aber ein überzeugenderes Angebot für die deutlich konservativere und sozialstaatlich orientierte Provinz machen.
Zudem wurden neue Ansätze für eine Vereinigung des linken Spektrums sichtbar, dass angesichts der Wahlergebnisse in Groß- und Mittelstädten auf 15–20% der WählerInnen spekuliert, die auf eine progressive Alternative zur Bürgerplattform warten. In Warschau kam es zur Bildung eines progressiven Wahlbündnisses unter Führung des bekannten Aktivisten Jan Śpiewak („Warschau gewinnt“) aus der Partei Gemeinsam, den Grünen, Teilen der Initiative Polen und einer lokalen Bewegung, das allerdings wegen der in der Hauptstadt besonders stark zugespitzten Auseinandersetzung zwischen KO und PiS trotz stadtbekannter Persönlichkeiten keinen Sitz im Stadtrat erreichen konnte. Zudem hat der bisherige linksliberale Stadtpräsident von Słupsk Robert Biedroń (dessen bisherige Stellvertreterin Krystyna Danilecka-Wojewódzka die Wahl gleich im ersten Wahlgang für sich entscheiden konnte) mit der Bildung einer eigenen proeuropäischen Bewegung begonnen, die dem Vernehmen nach erstmals zu den Europawahlen antreten soll.
Insgesamt gesehen haben die aktuellen Wahlen gezeigt, dass das Rennen um die zukünftige politische Hoheit in Polen noch nicht entschieden ist. Progressive versus konservative Gruppierungen, liberale versus illiberale Werte, europäische Zusammenarbeit versus nationalistische Alleingänge – im Moment scheint sich das alles noch die Waage zu halten. Die Frage, in welche Richtung sich die polnische Gesellschaft weiterentwickelt, ob die Polarisierung sich weiter verschärft oder eine neue politische Kraft es schaffen könnte, Gräben zu verbinden, ist noch offen.
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