Salvini: Der Wolf frisst Kreide
Italiens Innenminister Matteo Salvini ist das Idol der europäischen Rechtspopulisten. Jetzt drängt er in die rechte Mitte – zumindest im Wahlkampf.
Am Ende zog Matteo Salvini einen Rosenkranz aus seiner Jacketttasche. Der Katholizismus ist immer noch tief verwurzelt in der italienischen Gesellschaft, rechts wie links. 75 Prozent der Italiener sind katholisch. Oft schimpft der italienische Innenminister zornig und geht mit seinen Behauptungen bis an die Schmerzgrenze. Am vergangenen Samstag zeigte sich Salvini hingegen von seiner lammfrommen Seite, mit kalkulierter Milde sozusagen.
20.000 Menschen auf dem Mailänder Domplatz sahen wie der 42-jährige Chef der rechten Lega dann auch noch der Madonnenstatue auf dem Dom, dem Wahrzeichen der Stadt, eine Kusshand zuwarf. Zusammen mit den sechs europäischen Schutzheiligen möge auch die goldene „Madonnina“ den hier Versammelten, aber vor allem seiner Lega bei der Europawahl am kommenden Sonntag zum Triumph verhelfen.
Für die von weither gekommenen Besucher mag das ein bizarrer Höhepunkt eines Wahlkampfauftritts gewesen sein. Für Gert Wilders etwa von der niederländischen Freiheitspartei (PVV), den Atheisten aus Holland. Möglicherweise rümpfte auch die revolutionslustige Marine Le Pen aus Frankreich innerlich die Nase oder Jörg Meuthen, der AfD-Spitzenkandidat bei der Europawahl. Alle waren sie an diesem Tag in Mailand, eine rechtspopulistische Allianz aus elf europäischen Ländern.
Das gemeinsame Ziel: der Rückbau Europas
Sie wollen gemeinsame Sache machen bei der Europawahl am Sonntag. Ihre Galionsfigur ist Matteo Salvini, Innenminister, Parteichef und derzeitige Lichtgestalt der europäischen Rechtspopulisten. Das gemeinsame Ziel ist nicht nur die Bildung einer gemeinsamen Fraktion im EU-Parlament, sondern vor allem der Rückbau Europas: mehr Macht für die Nationalstaaten, weniger Einfluss für die Brüsseler „Technokraten“, und vor allem der Ausbau der EU zu einer uneinnehmbaren Festung, unerreichbar für jeden Flüchtling.
Als Radikale, Extremisten, Rechtspopulisten bezeichnet der Mainstream die in Mailand Versammelten. Salvini hat zudem enge Drähte ins ultrarechte Milieu: Der Innenminister trägt zuweilen Jacken, wie sie auch bei Neonazis beliebt sind. Ultrarechten Medien gibt er – ohne mit der Wimper zu zucken – Interviews in Buchlänge. Doch inzwischen scheint es, als suchte Salvini einen Ausweg aus der rechten Schmuddelecke. Die Etikette beginnen ihn langsam zu stören.
Um weiterhin bei den italienischen Wählern Erfolg zu haben, sucht er die rechte Mitte. Deshalb der Rosenkranz, deshalb die Kusshand für die Madonna. „Auf diesem Platz gibt es keine Faschisten“, sagte Salvini in Mailand. „Ich bin auch kein Rechtsextremer. Die Extremisten sitzen in Brüssel“, behauptete er. Diese hätten Europa 20 Jahre lang im Namen der Armut regiert. Die Menge johlte. Europas Rechte, so kurios das klingen mag, drängt in die Mitte.
„Capitano“ nennen seine Anhänger Salvini
Salvini ist mit 46 Jahren noch verhältnismäßig jung, wirkt zupackend, manchmal derb, was nicht wenigen im Volk gefällt. Und vor allem ist er seit einem Jahr im Amt. „Capitano“ nennen seine Anhänger ihn, „Kapitän“. Seine Wähler goutieren vor allem, dass Salvini die italienischen Häfen für die mit Flüchtlingen beladenen Schiffe der Nichtregierungsorganisationen geschlossen hat. „Europa braucht mehr Salvinis“, sagte zum Beispiel auch Wilders in seiner Rede. Mit dieser Ansicht ist er nicht alleine in Mailand.
Vor allem zwei Elemente kommen Salvini zu Gute. Sein plakatives, radikales Vorgehen in der Flüchtlingsfrage und das von Silvio Berlusconi hinterlassene politische Vakuum im konservativen Spektrum, das seit dem Zusammenbruch der italienischen Christdemokraten keine politische Heimat mehr darstellt. Salvinis Lega, die bei den Parlamentswahlen vor gut einem Jahr noch 17 Prozent der Stimmen erreichte, hat ihre Zustimmungswerte innerhalb eines Jahres knapp verdoppelt. Salvini lebt den Traum der anderen europäischen Rechtspopulisten. Doch die Wirklichkeit ist komplizierter als sie aussieht.
Denn Salvini weht der innenpolitische Wind nun schärfer ins Gesicht. Monatelang galt der italienische Innenminister als unangefochtene Lichtgestalt der Rechtspopulisten. In Italien regt sich inzwischen sichtbarer Widerstand. Salvini war in den vergangenen Tagen auf Wahlkampfveranstaltungen in Süditalien unterwegs, in Neapel, Foggia und Campobasso. Dabei empfingen den 46-Jährigen nicht nur Anhänger, sondern Dutzende aus den Fenstern gehängte Protest-Spruchbänder. Es gibt offenbar immer mehr Menschen, die mit dem Kurs des Rechts-Politikers nicht einverstanden sind.
Jahrelang hat Salvinis Lega gegen den Süden polemisiert
„Neapel will dich nicht“, war da zu lesen. „Salvini, hau ab!“ oder „Wir vergessen nicht!“. Jahrelang hatte Salvinis rechte Lega, damals noch mit dem Beinamen Nord, gegen die angeblichen Schmarotzer in Süditalien polemisiert. Das war eine zeitlang in Vergessenheit geraten. Inzwischen tritt die Lega auch im einst verhassten Süden an – und bekommt landesweit immer mehr Unzufriedenheit zu spüren.
Gekippt ist die Stimmung in Italien allerdings noch nicht. Umfragen zufolge wollen immer noch rund 30 Prozent der Wähler bei der EU-Wahl der Lega ihre Stimme geben, das sind allerdings wesentlich weniger als noch vor Wochen. Die Lega dürfte stärkste Partei in Italien werden, die Kräfteverhältnisse mit dem Koalitionspartner von der Fünf-Sterne-Bewegung haben sich umgekehrt.
Doch politisch hat die Lega als Juniorpartner in der Regierung zunehmend Probleme. Der eigentlich nominell stärkere, aber durch Salvinis bisherigen Erfolg an den Rand gedrängte Koalitionspartner von der Fünf-Sterne-Bewegung versucht mehrere Korruptionsaffären, in die Lega-Politiker verwickelt sind, für sich auszunutzen. Gerade wurde der Bürgermeister einer Lega-Hochburg in der Lombardei unter Hausarrest gestellt. Am Rande scheint auch der Regionspräsident der Lombardei, Attilio Fontana (Lega), in sinistre Machenschaften von Politik und Wirtschaft verwickelt zu sein.
EU-Themen spielen so gut wie keine Rolle im italienischen Wahlkampf
Schließlich entließ Ministerpräsident Giuseppe Conte vor Tagen den Lega-Staatssekretär und Salvini-Vertrauten Armando Siri gegen den Protest des Innenministers. Die Staatsanwaltschaften Palermo und Rom ermitteln wegen Korruption gegen Siri. Die Konfrontation zwischen den Koalitionspartnern kurz vor der EU-Wahl könnte deutlicher kaum ausfallen. „Die Italiener müssen an den Urnen wählen zwischen denjenigen, die wegen Korruption Beschuldigte in den Institutionen halten wollen und denjenigen, die das nicht wollen“, sagte Arbeitsminister und Fünf-Sterne-Chef Luigi di Maio im Hinblick auf Siri und den Koalitionspartner.
Angesichts des negativen Trends der Lega hat auch die Fünf-Sterne-Bewegung eine Kehrtwende hingelegt. Während sie bislang die harte Ausländerpolitik Salvinis unterstützte, bremst sie nun bei diesem Thema. Ein neues Gesetzesprojekt der Lega zur Sicherheit, in dem unter anderem Geldstrafen von bis zu 50.000 Euro für Flüchtlingshelfer im Mittelmeer vorgesehen sind, wollen die Fünf Sterne nicht unterstützen. Sie geben sich derzeit als Verteidiger von Recht, Moral und Freiheit und provozieren die Lega, wo sie nur können.
EU-Themen spielen so gut wie keine Rolle im italienischen Wahlkampf. Von ihren früheren Forderungen nach einem EU-Referendum oder einem Euro-Austritt ist bei den Koalitionspartnern derzeit keine Rede mehr. Über die extremen Spannungen in der Koalition sagte Salvini: „Es gibt keine Alternative zu dieser Mehrheit.“
In Rom fragen sich dennoch immer mehr Beobachter, wann es zum Bruch der Regierungskoalition kommt. Ob dann Neuwahlen mit neuen Mehrheiten, etwa einer Mitte-Rechts-Koalition zwischen Salvini und Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, zustande kommen, steht in den Sternen. Staatspräsident Sergio Mattarella könnte in Sorge um die angespannte Situation der Staatsfinanzen auch eine Übergangsregierung beauftragen, die wahrscheinlich eine ungeliebte Erhöhung der Mehrwertsteuer beschließen müsste.
Die angespannten Staatsfinanzen sind die eigentliche Unbekannte für den Fortgang der italienischen Politik. Salvini kündigte an, keine Rücksicht auf die EU-Defizit-Regeln nehmen zu wollen. Die Wirtschaftslage ist angespannt, prognostiziert wird ein Wachstum von nur noch 0,1 Prozent. Der Spread, der Risikoaufschlag auf italienische Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen Papieren, näherte sich auch angesichts des Koalitionsstreits zuletzt wieder der kritischen 300-Punkte-Grenze. Politische Stabilität und sicheres Haushalten wären notwendig, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Danach sieht es in Italien derzeit aber nicht aus.
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