Marie­luise Beck und Ralf Fücks im Interview mit t‑online: „Putin kennt die größte Schwäche der Deutschen.“

Foto: IMAGO /​ Bildgehege

Putin kennt die Schwach­stellen der deutschen Psycho­logie, insbe­sondere die Mischung aus Furcht und dem Wunsch nach Aussöhnung mit Russland. Doch wenn wir uns von Angst beherr­schen lassen, diktiert der Kreml die Spielregeln.

Ein Interview von Marc von Lüpke.

t‑online: Unter­stützt Deutschland die Ukraine eigentlich ausrei­chend im Krieg gegen die russi­schen Invasoren? Bundes­kanzler Olaf Scholz scheint den russi­schen Präsi­denten eher auf keinen Fall reizen zu wollen.

Ralf Fücks: Deutschland kann und muss der Ukraine mehr helfen, insbe­sondere mit schweren Waffen, um die russische Offensive zu brechen. Es ist paradox, dass bei uns in Deutschland die Furcht vor einer Eskalation des Konflikts größer ist als in den Ländern, die davon direkt betroffen wären, etwa Polen und die balti­schen Staaten. Es fehlt uns an Entschlos­senheit, Putin aufzuhalten.

Die deutsche Achil­les­ferse besteht zweifelsohne in der Angst vor einer Ausweitung des Krieges durch Russland.

Marie­luise Beck: Putin kennt die Schwach­stellen der deutschen Psycho­logie genau, insbe­sondere die Mischung aus Furcht und dem Wunsch nach Aussöhnung mit Russland. Dazu kommt noch die Abhän­gigkeit von russi­schem Gas und Öl. Das nutzt er gezielt aus, zumal es in Deutschland ja Netzwerke von ganz rechts bis ganz links gibt, die das Geschäft des Kremls besorgen.

Nun hat der russische Präsident immer wieder gezeigt, dass er ausschließlich Stärke respek­tiert. Warum sendet die Bundes­re­gierung mit der Lieferung schwerer Waffen an die ukrai­nische Armee nicht ein solches Signal an den Kreml?

Fücks: Es mangelt an Klarheit, was auf dem Spiel steht. Am 24. Februar 2022, dem Tag des russi­schen Überfalls auf die Ukraine, hat Putin unmiss­ver­ständlich erklärt, dass die USA und die Nato seine eigent­lichen Gegner sind. Europa betrachtet er ohnehin lediglich als Vasall der Verei­nigten Staaten. Uns sollte bewusst sein, dass es in diesem Krieg auch um unsere Sicherheit geht. Ein Sieg Russlands wäre nicht nur eine Katastrophe für die Ukraine. Die gesamte europäische Sicher­heits­struktur läge in Trümmern.

Vor allem wäre ein russi­scher Erfolg eine Ermutigung für jedes aggressive Regime auf dem Erdball.

Beck: China beobachtet unsere Reaktionen auf den russi­schen Angriff sehr genau. Wenn der Westen Schwäche zeigt, wird das die autori­tären Macht­haber rund um den Globus ermutigen. Es gibt genug Konflikte auf diesem Planeten, die schnell noch brenz­liger werden können. Furcht hat gegenüber Despoten noch nie geholfen.

Aber Furcht zu verbreiten, ist wiederum Putins beste Waffe.

Fücks: Die er hervor­ragend einzu­setzen weiß. Solange wir uns von Angst beherr­schen lassen, diktiert der Kreml die Spiel­regeln. Dann bleibt es Putin überlassen, wie weit er noch gehen will. Wir sollten den Spieß umkehren und klare Forde­rungen an seine Adresse stellen. Russland braucht ein deutliches Signal: Bis hierher und nicht weiter!

Nun hat Olaf Scholz immerhin ein deutsches Interesse festgelegt: und zwar, dass Russland die Ukraine nicht zu einem Diktat­frieden zwingen dürfe.

Beck: Das ist nur die halbe Wahrheit. Wir Europäer haben doch einen entschei­denden Einfluss darauf, welche Art der Verhand­lungen die Ukraine mit Russland eingehen muss. Damit Selenskyj aus einer Position der Stärke verhandeln kann, müssen wir die Ukraine konse­quenter unter­stützen. Sonst wird der Kreml am Ende die Bedin­gungen für einen Waffen­still­stand diktieren.

Nun bekommt die Ukraine allerhand Ratschläge aus dem Westen. Nato-General­se­kretär Jens Stoltenberg merkte bereits an, dass die Ukraine mögli­cher­weise Gebiets­ab­tre­tungen akzep­tieren müsse, um einen Frieden zu erreichen.

Fücks: Wenn von westlicher Seite Druck auf die Ukraine ausgeübt werden sollte, „terri­to­riale Kompro­misse“ einzu­gehen, wäre das eine politische und moralische Bankrott­erklärung. Wir würden den Ukrainern damit in den Rücken fallen. Gleich­zeitig wäre es der Sargnagel für die europäische Friedens­ordnung und für das Völker­recht gleich mit. Ein Angriffs­krieg, wie ihn Russland führt, darf nicht mit terri­to­rialen Gewinnen belohnt werden. Sonst ist die Büchse der Pandora weit offen.

Sie haben die Ukraine in der letzten Woche besucht. Wie ist die Stimmung bei den Menschen dort?

Beck: Die Moral der Ukrai­ne­rinnen und Ukrainer ist ungebrochen, trotz oder wegen der Bruta­lität der russi­schen Kriegs­führung: Wohnquar­tiere werden bombar­diert, mehr als eine Million Menschen wurde bereits nach Russland depor­tiert, darunter rund 200.000 Kinder. In Butscha und anderen von Russland besetzten Gebieten gab es Massen­exe­ku­tionen an Zivilisten, Verge­wal­ti­gungen und Folter. Das alles hat die Qualität eines Völker­mords. Den Ukrainern ist bitter bewusst, dass es um die Existenz ihrer Nation geht.

Sie sind auch in die vor kurzer Zeit noch schwer umkämpfte Stadt Charkiw im Osten des Landes gefahren. Wie sah es dort aus?

Beck: Charkiw hat durch wochen­lange Bombar­die­rungen schwere Zerstö­rungen erlitten – vor allem in Wohnquar­tieren und bei der Infra­struktur. Was uns besonders beein­druckt hat, ist das gesell­schaft­liche Engagement vieler Menschen. Es gibt mehr als 100 Freiwil­li­gen­in­itia­tiven, die humanitäre Hilfe für Zivilisten leisten und Lebens­mittel, Medika­mente und Ausrüstung für die Soldaten an der Front beschaffen.

Wie sieht die ukrai­nische Öffent­lichkeit die Rolle Deutschlands?

Fücks: Es gibt Dankbarkeit, aber auch zuneh­mende Irrita­tionen. Die russische Armee hat sich auf eine klassische Materi­al­schlacht verlegt, sie setzt Distanz­waffen wie Artil­lerie und Raketen ein und greift mit Kampf­flug­zeugen und Panzern an. Waffen­tech­nisch ist die ukrai­nische Armee klar unter­legen. Wie viele schwere Waffen hat die Ukraine aber bislang aus Deutschland erhalten? Nach 115 Tagen Krieg sind jetzt die ersten Panzer­hau­bitzen einge­troffen. Die Bundeswehr hat 109 Exemplare dieses Waffen­systems, wir senden sieben. Und nach wie vor keine Panzer, obwohl sie die Ukraine dringend angefordert hat.

Bundes­ver­tei­di­gungs­mi­nis­terin Christine Lambrecht hat mittler­weile ausgesagt, der Ukraine statt ursprünglich vier nur drei Mars-2-Raketen­werfer liefern zu wollen.

Beck: Das alles ist kaum nachvoll­ziehbar. Das deutsche Zögern kostet Menschen­leben. Jeden Tag fallen zwischen 100 und 200 ukrai­nische Soldaten im Kampf, die Zahl der Verwun­deten ist entspre­chend höher. Der Ukraine gehen Waffen und Munition aus. Diese Dring­lichkeit scheint im Kanzleramt nicht anzukommen. Dort scheint man sich mehr um das künftige Verhältnis zu Russland zu sorgen.

Kehren wir noch einmal zur Ursprungs­frage zurück: Warum agiert Kanzler Scholz gegenüber Russland weiterhin derart vorsichtig? Immerhin hat er bei seinem Ukraine-Besuch mit eigenen Augen die Auswir­kungen des Krieges gesehen.

Fücks: Scholz fürchtet offenbar einen russi­schen Präsi­denten, der mit dem Rücken zur Wand steht. Für den Bundes­kanzler kommt die Ukraine erst an zweiter Stelle, sein oberstes Ziel besteht darin, dass Deutschland auf keinen Fall Kriegs­partei werden darf. Damit unter­wirft sich Scholz aber Putins Spiel. Wir verzichten in einer Art voraus­ei­lendem Gehorsam darauf, die Ukraine so auszu­rüsten, dass sie den Krieg gewinnen kann, weil Putin dies als feind­se­ligen Akt inter­pre­tieren könnte.

Putin droht immer wieder mit der russi­schen Atommacht. Wird es seitens der Bundes­re­gierung tatsächlich für möglich gehalten, dass Russland zu diesem Schritt greifen könnte?

Beck: Der Bundes­kanzler hat die Furcht vor einem Atomkrieg ohne Not hochge­spielt. Putin würde die Existenz Russlands gefährden, wenn er sich mit der gesamten militä­ri­schen Macht der Nato anlegt. Putin hat bereits große Schwie­rig­keiten mit der Ukraine, er wird zurzeit kaum einen weiteren Konflikt mit dem Westen riskieren. Schon gar keinen nuklearen.

Nun hat Scholz seine Unter­stützung für das Vorhaben erklärt, der Ukraine den Status einer Beitritts­kan­di­datin zur Europäi­schen Union zu verleihen. Was halten Sie davon?

Fücks: Das ist ein wichtiges Signal. Aber wenn wir die Ukraine nicht konse­quent bewaffnen, bleibt der Kandi­da­ten­status ein Placebo. Aus Deutschland kommen doppel­bödige Signale. Wir verkünden, dass Russland nicht siegen darf und die Ukraine bestehen bleiben muss. Dann verweigern wir aber kriegs­ent­schei­dende Waffen im nötigen Tempo und Umfang. Wir haben in Kiew mit Regie­rungs­mit­gliedern und Parla­men­ta­riern gesprochen. Dort herrscht fast Verzweiflung über die Zweideu­tigkeit der deutschen Politik. Zum Glück hängt die Vertei­digung der Ukraine nicht allein von uns und Frank­reich ab.

Nun bleibt die deutsche Untätigkeit auch unseren Partner­staaten nicht verborgen, vor allem im Osten Europas. Wie wirkt sich dies aus?

Beck: Deutsch­lands Glaub­wür­digkeit ist schwer beschädigt. Was das Kanzleramt bislang nicht sieht oder sehen will, ist die Tatsache, dass sich die politi­schen Gewichte innerhalb von Nato und der EU verschieben: Es bildet sich eine neue Achse heraus, bestehend aus Polen, den balti­schen Staaten, Skandi­navien, Großbri­tannien und den USA. Das sind die Staaten, die Russlands expan­siver Politik wirklich Einhalt bieten wollen.

Wie ließe sich die von Russland ausge­hende Gefahr denn endgültig eindämmen?

Fücks: Russland braucht eine militä­rische Niederlage in der Ukraine, damit sich das Land endlich von seinem imperialen Wahn lösen kann. Putin führt einen klassi­schen Koloni­al­krieg gegen die Ukraine, das Land soll wieder in das Russische Reich gezwungen werden. Er will wieder ins 19. Jahrhundert zurück: Eine Handvoll Großmächte beherrscht die Weltpo­litik, die an keinerlei Regeln gebunden sind. In einer solchen Welt zu leben, wäre der reine Horror.

Das Interview erschien bereits am 22.06.2022 bei t‑online. Hier geht es zum Original.

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