Aufbruch statt Abbruch: Mit grünem Wachstum aus der Klimakrise

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Angesichts des Klima­wandels gerät auch der expansive Lebensstil der Moderne unter Kritik. Doch wer Freiheit und Ökologie in Einklang bringen will, muss vor allem auf Innovation setzen und den Wettbewerb um die besten Lösungen fördern, denn für ein fortschritts­müdes Schrump­f­europa inter­es­siert sich kein Mensch.

Der Klima­wandel ist die Schat­ten­seite einer unerhörten Erfolgs­ge­schichte. Lebte zu Beginn der indus­tri­ellen Revolution noch die große Mehrheit der Menschen in bitterer Armut, sind es heute noch zehn Prozent. Gleich­zeitig stieg die Zahl der Menschen­kinder von einer Milliarde auf knapp 8 Milli­arden. Ihre Lebens­er­wartung hat sich glatt verdoppelt.

Ermög­licht wurde dieses Wunder vor allem durch den wissen­schaftlich-techni­schen Fortschritt. Wissen­schaft­liche Entde­ckungen und technische Erfin­dungen führten zu einer immensen Steigerung der Arbeits­pro­duk­ti­vität und der landwirt­schaft­lichen Erträge. Sie  erwei­terten den Radius mensch­licher Aktivität und die Triumphe der modernen Medizin. Die Kehrseite dieses staunens­werten Fortschritts ist der Raubbau an den ökolo­gi­schen Lebens­grund­lagen der Menschheit. Die drei apoka­lyp­ti­schen Reiter der globalen Umwelt­krise heißen Klima­wandel, Arten­sterben und Verlust frucht­barer Böden. Die exponen­tielle Steigerung von Produktion und Konsum ging Hand in Hand mit der Verarmung der Natur.

Die Globa­li­sierung hat den Druck auf die ökolo­gi­schen Belas­tungs­grenzen des Planeten noch einmal gesteigert. Rund die Hälfte aller fossilen Energien, die seit Beginn der Indus­tria­li­sierung verfeuert wurden, gehen auf das Konto der letzten 30 Jahre.

 

Histo­risch betrachtet sind die Vorreiter der indus­tri­ellen Moderne – Europa und die USA – für den Löwen­anteil der CO2-Konzen­tration in der Atmosphäre verant­wortlich. Inzwi­schen sinken die Emissionen der westlichen Welt, während sie in den neuen Indus­trie­ländern Asiens rapide steigen. China steht heute für knapp 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, Indien folgt nach den USA bereits auf Rang drei. Der jährliche Zuwachs neuer Kohle­kraft­werke in China entspricht in etwa der Kapazität aller deutscher Kohle­meiler; mehr als die Hälfte des weltweiten Kohle­ver­brauchs fällt auf die neue indus­trielle Supermacht.

Nüchtern betrachtet spielt es für den globalen Klima­haushalt keine Rolle, ob Deutschland das letzte Kohle­kraftwerk ein paar Jahre früher oder später stilllegt. Entscheidend ist etwas anderes: Wir müssen zeigen, wie der Übergang zu einer ebenso umwelt­freund­lichen wie prospe­rie­renden Indus­trie­ge­sell­schaft gelingt. Nur dann ist unsere Klima­po­litik anschluss­fähig für den großen Rest der Welt. Europa wird zum Erfolgs­modell der ökolo­gi­schen Moderne oder zum Auslaufmodell.

Angesichts des Klima­wandels gerät auch der expansive Lebensstil der Moderne unter Kritik. Für die Anhänger eines neuen Öko-Purita­nismus ruiniert das rastlose „schneller, weiter, höher“ den Planeten. „Tuet Buße und kehrt um!“ ist deshalb der neue katego­rische Imperativ. „Degrowth“ steht in der ökobe­wegten jungen Generation hoch im Kurs. Traktate, die den Übergang zu einem frugalen Öko-Sozia­lismus mit strikter staat­licher Lenkung propa­gieren, schaffen es auf die SPIEGEL-Bestsel­ler­liste. Für die modernen Malthu­sianer ist „Green Growth“ ein Wider­spruch in sich, sie fordern die katego­rische Unter­ordnung der mensch­lichen Zivili­sation unter die ehernen „Grenzen des Wachstums“.

Die bisherige Wirkung ökolo­gi­scher Bußpre­digten ist aller­dings sehr überschaubar. Zwar geht der Fleisch­konsum unter den Jungen und Gebil­deten zurück, die akade­mische Mittel­schicht kauft Bio und Fair Trade, Mobilität ohne eigenes Auto ist Trend unter städti­schen Jungaka­de­mikern. Gleich­zeitig steigen aber die Zulas­sungs­zahlen für SUV’s, die Wohnfläche pro Kopf wächst weiter, ebenso das Daten­vo­lumen digitaler Kommu­ni­kation. Auch der Flugverkehr zieht wieder an. Der neue grüne Lifestyle gibt ein gutes Gefühl und ist zugleich ein soziales Distink­ti­ons­merkmal, vom teuren Lasten­fahrrad bis zum Tesla. Die Kehre zu einem bescheiden-kontem­pla­tiven Leben vollziehen die wenigsten, auf die Errun­gen­schaften der modernen Medizin und Kommu­ni­ka­ti­ons­technik will niemand verzichten.

Der Ruf nach einer Zeiten­wende zum Weniger zielt auf die Umkehr der Entwick­lungs­richtung der modernen Zivili­sation: Selbst­be­schränkung statt Selbst­ent­faltung, Einrichten im Bestehenden statt Aufbruch zu neuen Ufern, eine stationäre Ökonomie statt rastloser Dynamik, Still­legung der Bedürf­nisse statt ihrer ständigen Steigerung. Sie fordert nicht nur den Abschied vom Kapita­lismus, sondern den neuen Menschen. Wie bei allen Bekeh­rungs­phan­tasien steckt darin die Tendenz zum Zwang, zur Umerziehung und Kontrolle. Wer die drastische Einschränkung von Produktion und Konsum als Antwort auf die Öko-Krise fordert, gerät fast zwangs­läufig auf eine autoritäre Rutschbahn. An ihrem Ende lauert der ökolo­gische Tugend­staat, der jedem sein beschei­denes Ressourcen- und Emissi­ons­kon­tingent zuordnet und seine Überschreitung sanktio­niert. Freiheit schnurrt auf die Einsicht in die ökolo­gische Notwen­digkeit zusammen.

Am Ende würde eine Politik des verord­neten Schrumpfens die liberale Demokratie ruinieren, aber den Klima­wandel nicht stoppen. Selbst drastische Eingriffe in den Lebensstil der Mittel- und Oberschicht – etwa eine strikte Limitierung von Flugreisen und Wohnflächen – könnten ihn allen­falls abbremsen, nicht aber aufhalten. Sie wären nur der buchstäb­liche Tropfen auf den heißen Stein angesichts einer wachsenden Weltbe­völ­kerung und der Aufstiegs­am­bi­tionen von Milli­arden Menschen. Wir können uns aus der Klima­krise nicht heraus­schrumpfen. Das ist kein Freibrief für ökolo­gische Gewis­sen­lo­sigkeit. Jeder ist aufge­rufen, seine Lebens­führung im Licht der globalen Umwelt­krise zu überdenken. Wer aber die Antwort auf den Klima­wandel in einer Kontraktion der Volks­wirt­schaft sucht, springt nicht nur zu kurz – er schlägt die falsche Richtung ein.

Grüne indus­trielle Revolution

Bei Licht besehen ist die Frage, ob die Weltwirt­schaft weiterhin wächst, längst entschieden. Angesichts einer auf 10 Milli­arden zusteu­ernden Weltbe­völ­kerung, dem Wohlstands­hunger der Länder des Südens und des anhal­tenden Wachstums der Städte wird sich die globale Wirtschafts­leistung bis zur Mitte des Jahrhun­derts voraus­sichtlich verdoppeln. Die alles entschei­dende Frage lautet deshalb, ob es gelingt, Wohlstands­pro­duktion und Natur­ver­brauch zu entkoppeln. Das erfordert nichts weniger als eine grüne indus­trielle Revolution. Ihr Kern ist eine dreifache Trans­for­mation: Erstens der Übergang von fossilen Energie­quellen zu erneu­er­baren Energien, zweitens eine konti­nu­ier­liche Steigerung der Ressour­cen­ef­fi­zienz – aus weniger Rohstoffen mehr Wohlstand erzeugen -, und drittens eine moderne Kreis­lauf­wirt­schaft, in der jeder Reststoff wieder in die biolo­gische oder indus­trielle Produktion zurück­ge­führt wird.

In einer schrump­fenden Ökonomie sinken auch Inves­ti­tionen und Innova­ti­ons­tempo. Der Wettlauf gegen den Klima­wandel erfordert ganz im Gegenteil ein höheres Innova­ti­ons­tempo und steigende Inves­ti­tionen in den Umbau des Energie­systems, des Produk­ti­ons­ap­parats und der öffent­lichen Infra­struktur. Daraus kann eine neue ökono­mische Dynamik entstehen, eine lange Welle umwelt­freund­lichen Wachstums. Ihre Treiber sind Künst­liche Intel­ligenz und die kyber­ne­tische Steuerung von Produktion und Logistik, Wasser­stoff und synthe­tische Kraft­stoffe, E‑Mobilität und Batte­rie­technik, nachwach­sende Werkstoffe, Bionik und das weite Feld der Biotech­no­logie mit ertrag­rei­cheren, robus­teren Nutzpflanzen und Lebens­mitteln aus Zellkulturen.

Die gute Nachricht lautet, dass die Entkopplung von Wertschöpfung und Natur­ver­brauch in den fortge­schrit­tenen Indus­trie­ge­sell­schaften bereits begonnen hat. In Europa und selbst in den USA sinken die CO2-Emissionen aufgrund steigender Energie­ef­fi­zienz und der Substi­tution von Kohle durch Erdgas und erneu­erbare Energien. Zielführend war vor allem das europäische Emissi­ons­han­dels­system mit seinen degres­siven Obergrenzen und anstei­genden Preisen für CO2-Emissionen des Energie­sektors und der Industrie.

Wer Freiheit und Ökologie in Einklang bringen will, muss vor allem auf Innovation setzen und den Wettbewerb um die besten Lösungen fördern. Dafür braucht es einen ökolo­gi­schen Ordnungs­rahmen, der die Dynamik der Markt­wirt­schaft  in eine ökolo­gische Richtung lenkt. Auch eine markt­wirt­schaft­liche Klima­po­litik kommt nicht ohne Gebote und Verbote aus. Sie sind aber nicht der Königsweg für die Bewäl­tigung der ökologischen Krise. Eine Top-Down-Steuerung durch engma­schige staat­liche Vorgaben kann niemals die Innova­ti­ons­kraft der Markt­wirt­schaft ersetzen, die das Wissen und die Eigen­in­i­tative von Abermil­lionen Produ­zenten und Konsu­menten bündelt.

Es gibt kein Zurück hinter die indus­trielle Moderne, sondern nur den Weg nach vorn zu einer neuen Synthese zwischen Natur und Technik. Für ein fortschritts­müdes, zukunfts­ängst­liches Schrump­f­europa inter­es­siert sich kein Mensch. Wenn wir relevant bleiben wollen, müssen wir den Aufbruch in die ökolo­gische Moderne wagen.

 

Dieser Essay ist zuerst in der Wirtschafts­woche erschienen.

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