Inter­na­tionale Klima­po­litik – Handlungs­emp­feh­lungen für eine neue Bundesregierung

Die Aufgaben, die nun der neu zu bildenden Regierung bevor­stehen, sind auch in Sachen Klima­po­litik enorm. Klima­schutz bleibt eine der zentralen Heraus­for­de­rungen unserer Zeit, Klima­po­litik betrifft Ökonomie ebenso wie geopo­li­tische Aspekte und muss global gedacht werden, schreibt Ralf Fücks in seinem zunächst in „Inter­na­tionale Politik“ erschie­nenen Beitrag und gibt darin sehr konkrete Handlungsempfehlungen.

1.
Auch in der Energie- und Klima­po­litik steht die neue Bundes­re­gierung vor wichtigen Weichen­stel­lungen. Auch hier gibt es kein „Weiter so“, und auch hier ist es mit punktu­ellen Korrek­turen nicht getan.
Wir orien­tieren unsere Energie­po­litik an den Leitlinien Klima­schutz, Versor­gungs­si­cherheit und Wettbe­werbs­fä­higkeit. Keines dieser drei Ziele darf auf der Strecke bleiben. Klima­po­litik wird nur erfolg­reich sein, wenn sie auch wirtschaftlich erfolg­reich ist. Und wirtschaftlich werden wir nur erfolg­reich sein, wenn wir den Weg Richtung Klima­neu­tra­lität weiter gehen.

2.
Die sichere Versorgung mit kosten­güns­tiger und umwelt­freund­licher Energie ist nicht nur eine wirtschaft­liche Schlüs­sel­frage. Energie­po­litik hat eine geopo­li­tische Dimension. Energie­wirt­schaft­liche Abhän­gigkeit macht politisch erpressbar. Das konnte man bereits vor dem russi­schen Großan­griff auf die Ukraine wissen. Die neue Bundes­re­gierung wird deshalb die energie­wirt­schaft­liche Souve­rä­nität Europas forcieren, strate­gische Partner­schaften mit demokra­ti­schen Ländern ausbauen und die Diver­si­fi­zierung von Energie­im­porten voran­treiben. Eine Wieder­in­be­trieb­nahme der Nord Stream ‑Gaspipe­lines und eine Rückkehr zur Abhän­gigkeit von russi­schem Gas und Öl schließen wir auch nach dem Ende des Ukraine-Krieges aus.

3.
Am Ziel der Klima­neu­tra­lität Deutsch­lands und Europas spätestens zur Mitte des Jahrhun­derts halten wir unbeirrt fest. Das sind wir uns und den kommenden Genera­tionen schuldig.

Der Klima­wandel ist bereits im vollen Gang. Seine Auswir­kungen sind schon jetzt sichtbar: das Abschmelzen des Grönland-Eisschilds und der Gletscher der Süd-Antarktis, die Zunahme extremer Wetter­ereig­nissen, ausge­dehnte Trockenheit hier und sintflut­artige Regen­fälle dort, verhee­rende Stürme und großflä­chige Brände werden häufiger und heftiger.

Nimmt die Erder­wärmung weiter zu, drohen irrever­sible Schäden der globalen Ökosysteme: beschleu­nigter Verlust biolo­gi­scher Vielfalt und frucht­barer Böden, steigende Meeres­spiegel und zuneh­mende Methan-Emissionen infolge des Auftauens von Perma­f­rost­böden. Dazu kommen Verän­de­rungen in der Dynamik von Meeres­strö­mungen mit drasti­schen Folgen für das Klima in Europa und anderen Regionen.

Die Desta­bi­li­sierung des Ökosystems wird auch gravie­rende Folgen für die Weltwirt­schaft und die inter­na­tionale Sicherheit haben. Steigende Kosten des Klima­wandels, Ernte­rück­gänge und Ernäh­rungs­krisen, weiter zuneh­mende Migration aus dem globalen Süden sowie Konflikte um knappe Ressourcen werden die Welt insta­biler und krisen­hafter machen.

Aus all diesen Gründen bleibt Klima­schutz eine der zentralen Heraus­for­de­rungen unserer Zeit. So wenig der Klima­wandel eine Pause einlegt, so wenig dürfen wir in unseren Anstren­gungen nachlassen, ihn auf ein beherrsch­bares Maß zu begrenzen.

4.
Ambitio­nierter Klima­schutz ist nicht nur eine ethische Verpflichtung. Wir stehen weiter zum Pariser Klima­ab­kommen als Grundlage natio­naler Klima­po­litik. Es ist eines der wenigen inter­na­tio­nalen Abkommen, das nach wie vor den Rahmen für multi­la­terale Zusam­men­ar­beitet bietet. Wirkungs­volle Klima­po­litik erfordert das Zusam­men­wirken zwischen den Indus­trie­ländern des globalen Nordens und den aufstre­benden Ländern der südlichen Konti­nente. Die Stabi­li­sierung des Erdklimas hängt entscheidend davon ab, dass wirtschaft­liche Entwicklung in Asien, Afrika und Latein­amerika auf postfos­siler Grundlage statt­findet. Deutschland und Europa müssen zum Vorreiter einer Entkopplung von Wirtschafts­wachstum und Natur­ver­brauch werden. Zugleich werden wir die Entwick­lungs­länder techno­lo­gisch und finan­ziell auf diesem Weg unterstützen.

5.
Was ökolo­gisch geboten ist, macht auch ökono­misch Sinn. Auch wenn Klima­schutz gegen­wärtig global keine Priorität hat, gehen wir davon aus, dass der Handlungs­druck aufgrund der Klima­krise künftig weltweit steigen wird. Das heißt auch: Die Nachfrage nach klima­freund­lichen Energie­trägern, Techniken und Produkten wird wachsen. Dagegen werden CO2-intensive Formen der Energie­er­zeugung, Mobilität und indus­tri­ellen Produktion zunehmend unter Druck geraten. Volks­wirt­schaften und Branchen mit hohen Treib­hausgas-Emissionen werden an Wettbe­werbs­fä­higkeit verlieren.

Umgekehrt gilt: Vorreiter bei klima­freund­licher Industrie, Landwirt­schaft und Mobilität werden künftig auch ökono­misch im Vorteil ein. Trotz klima­po­li­ti­scher Rückschläge wie dem erneuten Ausstieg der Trump-Adminis­tration aus dem Pariser Klima­ab­kommen wird sich der globale Vormarsch erneu­er­barer Energien schon aufgrund ihrer rapiden Kosten­de­gression fortsetzen. Das gilt auch für grüne Schlüs­sel­tech­no­logien wie  E‑Mobilität, Batterien, klima­neu­trale Chemie- und Stahl­pro­duktion, Biotech­no­logie, Wasser­stoff und synthe­tische Kraft­stoffe. Kaum ein anderer Sektor verzeichnet so hohe Wachs­tums­raten wie umwelt­freund­liche Energien, Produk­ti­ons­pro­zesse und Produkte.

China versucht syste­ma­tisch die Dominanz in diesen Sektoren zu gewinnen und neue Abhän­gig­keiten zu erzeugen. Das dürfen wir nicht zulassen. Deutschland hat alle wissen­schaft­lichen und indus­tri­ellen Voraus­set­zungen, ein Kompe­tenz­zentrum und Exporteur klima­freund­licher Techniken und Produkte zu sein. Nicht im Alleingang, sondern im Verbund mit europäi­schen und inter­na­tio­nalen Partnern. Eine ambitio­nierte Klima­po­litik sichert nicht nur unsere natür­lichen Lebens­grund­lagen, sondern auch unseren künftigen Wohlstand.

6.
Zugleich müssen wir neue klima­po­li­tische Wege einschlagen und Korrek­turen an der bishe­rigen Politik vornehmen. Ein neuer Anlauf in der Klima- und Energie­po­litik ist vor allem deshalb nötig, weil sich die inter­na­tio­nalen und ökono­mi­schen Rahmen­be­dingen grund­legend verändert haben.

Die europäische und deutsche Klima­po­litik ging bisher davon aus, dass das Pariser Klima­ab­kommen eine globale Verbind­lichkeit stiften würde, CO2-Emissionen möglichst rasch und umfassend zu reduzieren, um die Erder­wärmung deutlich unter 2 Grad zu halten. Diese Annahme hat sich nicht bestätigt. Statt globaler Konvergenz sehen wir eine wachsende klima­po­li­tische Divergenz.

Der erneute Ausstieg der Trump-Adminis­tration aus dem Pariser Klima­ab­kommen ist dafür das krasseste Beispiel. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass viele US-Bundes­staaten und Unter­nehmen weiterhin ambitio­nierte Klima­ziele verfolgen, wirft das die inter­na­tionale Klima­po­litik zurück. Die ameri­ka­nische Öl- und Gasför­derung wird unter der neuen Regierung weiter steigen.

Russland – verant­wortlich für ca. 5% der globalen Emissionen – ist auch klima­po­li­tisch ein Total­ausfall. China forciert zwar grüne Techno­logien als indus­trie­po­li­tische Strategie, verzeichnet aber weiterhin steigende Emissionen. Trotz des rapiden Ausbaus klima­neu­traler Energien (Solar, Wind, Kernenergie) ist das chine­sische Wirtschafts­wachstum immer noch kohlenstoff-intensiv.

Auch Indien ist weiterhin auf einem fossilen Wachs­tumspfad, obgleich von einem weit gerin­geren Ausgangs­niveau an Pro-Kopf-Emissionen als China und die westlichen Indus­trie­na­tionen. Saudi-Arabien und andere Golfstaaten forcieren zwar den Ausbau erneu­er­barer Energien, machen aber keine Anstalten, ihre Ölpro­duktion zu drosseln.

7.
Die Ungleich­zei­tigkeit der klima­po­li­ti­schen Ambitionen großer Wirtschafts­na­tionen erfordert verstärkte Anstren­gungen, die Wettbe­werbs­fä­higkeit der deutschen und europäi­schen Unter­nehmen zu sichern. Steigende Anfor­de­rungen zur „Defos­si­li­sierung“ von Produktion und Verkehr dürfen nicht dazu führen, dass einhei­mische Unter­nehmen aufgrund ihres höheren Inves­ti­ti­ons­be­darfs und der höheren Betriebs­kosten gegenüber Wettbe­werbern mit gerin­geren Standards zurück­fallen. Dekar­bo­ni­sierung darf nicht zur Deindus­tria­li­sierung führen. Daraus folgt:

  • Die Klima- und Energie­po­litik der neuen Bundes­re­gierung ist Teil eines Gesamt­pakets zur Stärkung der Innova­tions- und Wettbe­werbs­fä­higkeit der deutschen Wirtschaft. Dazu gehört der Abbau von Überre­gu­lierung und hemmender Bürokratie ebenso wie die Erleich­terung der Steuer- und Abgabenlast, die Absenkung der Strom­steuer und der Netzent­gelte, die verstärkte Förderung von Forschung und Entwicklung sowie eine Inves­ti­ti­ons­of­fensive zur Moder­ni­sierung der öffent­lichen Infrastruktur.
  • Gleich­zeitig wird die Bundes­re­gierung den Ausbau europäi­scher und inter­na­tio­naler Allianzen für eine klima­neu­trale Ökonomie voran­treiben. Wir werden verstärkte Anstren­gungen unter­nehmen, einen „Klimaclub“ von Ländern zu bilden, die sich auf gemeinsame klima­po­li­tische Ziele und Mindest­stan­dards verstän­digen. Eine zentrale Rolle spielt dabei ein steigender Mindest­preis für CO2-Emissionen.
  • Auch auf europäi­scher Ebene müssen Klima­po­litik und Sicherung der wirtschaft­lichen Wettbe­werbs­fä­higkeit besser verzahnt werden. Ein zentraler Punkt ist dabei ein CO2-Grenz­aus­gleich, der faire Wettbe­werbs­be­din­gungen gewähr­leistet und Umwelt­dumping verhindert (CBAM). Dieser Ausgleichs­me­cha­nismus muss möglichst unbüro­kra­tisch konzi­piert werden und im Einklang mit den Regeln der Welthan­dels­or­ga­ni­sation stehen. Wir werden gemeinsam mit der EU-Kommission flankie­rende bi- und multi­la­terale Verein­ba­rungen mit inter­na­tio­nalen Handels­partnern anstreben, die faire Rahmen­be­din­gungen für offene Märkte sichern.
  • Parallel setzen wir uns für eine stärkere europäische Ausrichtung der Energie­wende und den Ausbau eines gesamt­eu­ro­päi­schen Verbunds erneu­er­barer Energien von der Nord- und Ostsee bis zum Mittelmeer ein. Ein solcher Verbund, der Windkraft, Solar­energie, Wasser­kraft­werke, Geothermie und nachwach­sende Energie­träger kombi­niert, wird die Kosten der Energie­wende senken sowie die Versor­gungs­si­cherheit und Energie­sou­ve­rä­nität Europas erhöhen. Dazu muss das trans­na­tionale Strom- und Wasser­stoffnetz ausgebaut und die Kompa­ti­bi­lität von Kernkraft und erneu­er­baren Energien gewähr­leistet werden.
  • Die europäische Integration der Ukraine mit ihrem enormen Potential für erneu­erbare Energien wird die Resilienz des deutschen und europäi­schen Energie­systems stärken. Die Bundes­re­gierung wird sich dafür einsetzen, die volle energie­wirt­schaft­liche Integration der Ukraine schon vor ihrem Beitritt zur EU zu verwirklichen.
  • Darüber hinaus wollen wir strate­gische Energie­part­ner­schaften mit weiteren Ländern schließen, die über ein hohes Potential erneu­er­barer Energien verfügen und kosten­günstig Wasser­stoff und synthe­tische Kraft­stoffe nach Deutschland und Europa expor­tieren können. Von beson­derem Interesse sind dabei die Länder der MENA-Region. Die Bundes­re­gierung wird staat­liche und privat­wirt­schaft­liche Projekte fördern, die den Energie­hunger dieser Länder mit klima­neu­tralen Energie­trägern decken helfen und zugleich indus­trielle und energie­wirt­schaft­liche Synergien mit Deutschland und Europa ermöglichen.

Der Artikel ist zunächst in „Inter­na­tionale Politik“ erschienen.

 

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