Wie Ungarn liberale Werte sterben lässt

© Syp [CC0], from Wikimedia Commons

Lange hat die Fidesz-Partei einen Propa­gan­da­krieg gegen George Soros und die von ihm gegründete Central European University geführt. Dass die Univer­sität nun aus Budapest vertrieben wurde und nach Wien umziehen muss, ist nicht nur ein Rückschlag für die Freiheit der Wissen­schaft. Es ist ein Fanal für das Sterben liberaler Werte in Ungarn.

1. Eine kurze Geschichte der CEU

Die Idee der Central European University (CEU) entstand in Dubrovnik bei einer der Sommer­uni­ver­si­täten, die die Open Society Foundation seit 1986 jährlich veran­staltet. Dort versam­melten sich Histo­riker, Schrift­steller, politische Denker, Wirtschafts­experten und Sozio­logen aus den Ländern des Ostblocks. Diese Menschen träumten von einer Univer­sität, die sich im Herzen Europas den liberalen Werten westlicher Demokratien verschreiben und Gesell­schafts­wis­sen­schaften für zukünftige Denker und Forscher lehren würde. George Soros war ein beharr­licher Unter­stützer dieser Idee und an den ursprüng­lichen Verhand­lungen über die Univer­sität intensiv beteiligt. Soros gefiel die Idee einer in Budapest angesie­delten Hochschule nicht. Er befür­wortete statt­dessen ein regio­nales Netzwerk über die Tsche­cho­slo­wakei, Ungarn und Polen verteilter akade­mi­scher Insti­tu­tionen. 1990 wurden Verhand­lungen mit der tsche­cho­slo­wa­ki­schen Regierung über einen Hauptsitz der Univer­sität in Bratislava und einen weiteren Campus in Prag aufge­nommen. Ironi­scher­weise wurden diese Pläne eines Sitzes in Bratislava bald aus Gründen abgelehnt, die jenen ähneln, aus denen die CEU fast 30 Jahre später gezwungen wurde, Ungarn zu verlassen. Starke natio­na­lis­tische Stimmen in einer Zeit, da die Stimmung für eine unabhängige Slowakei am Kochen war, betrach­teten die Univer­sität als dubioses Almosen eines ameri­ka­ni­schen Geschäfts­manns mit ungari­schen Wurzeln (in der Slowakei gibt es eine beträcht­liche ungarische Minderheit mit einem Bevöl­ke­rungs­anteil von 8,5 Prozent), der Einfluss in der Region gewinnen wollte. Die CEU öffnete schließlich 1991 in Budapest ihre Tore für Studenten. Auch in Prag und Warschau öffnete zunächst ein Campus, doch wurden diese 1994 ebenfalls in die ungarische Haupt­stadt verlegt. Heute ist die CEU eine der besten Univer­si­täten im Bereich der Gesell­schafts­wis­sen­schaften – und zwar nicht nur in Osteuropa, sondern in ganz Europa. Dem QS World University Ranking von 2015 zufolge, nahm die CEU unter den besten Univer­si­täten für die Bereiche Politik und Inter­na­tionale Studien den 29. Platz ein. Fünf ihrer Studi­en­gänge mit Abschluss in den Bereichen Politik, Sozial­po­litik, Sozio­logie, Geschichte und Philo­sophie werden seit vielen Jahren unter die weltweit 100 besten gewählt. Profes­soren presti­ge­reicher Univer­si­täten (etwa des Massa­chu­setts Institute of Technology (MIT), der Univer­si­täten Harvard und Berkeley) kommen zur CEU, um zu lehren und zu forschen. Wegen des Umzugs der CEU nach Wien verliert Ungarn auch die Bibliothek der Univer­sität, die die größte englisch­spra­chige Sammlung für Sozial- und Geistes­wis­sen­schaften in Mittel- und Osteuropa beinhaltet. Sie behei­matet auch die Vera and Donald Blinken Open Society Archives (OSA), die als Magazin für wichtige histo­rische Sammlungen dienen, vor allem zur Geschichte des Kalten Krieges und zu schwer­wie­genden inter­na­tio­nalen Menschenrechtsverletzungen. 

Portrait von Anna Orosz

Anna Orosz ist Analystin and Kommu­ni­ka­ti­ons­ma­na­gerin bei dem Thinktank Political Capital Institute in Budapest.

2. Der Krieg der ungari­schen Regierung gegen die CEU

Nach der Migra­ti­ons­krise von 2015 und einer breit angelegten, von der Regierung finan­zierten Propa­gan­da­kam­pagne, die die Stimmung gegen Immigranten anheizte, erklärte Minis­ter­prä­sident Viktor Orbán, dass die Regierung 2017 gegen George Soros und die mit ihm in Verbindung stehenden Organi­sa­tionen durch­greifen werde. Wie angekündigt gab die ungarische Regierung dutzende Millionen Euro für Propa­ganda gegen Soros aus. Fernseh­werbung (unter anderem bei den öffentlich-recht­lichen Anstalten), lokale Zeitungen, Online-Zeitschriften und Plakate auf den Straßen in Ungarn wurden mit einem Bild von Soros und einem riesigen roten Schild mit der Inschrift „Stoppt Soros“ übersät. Zudem wieder­holten Politiker von Fidesz immer wieder in Inter­views und Beiträgen in sozialen Medien, dass Soros und die „Soros-Armee“ die nationale Souve­rä­nität Ungarns bedrohten. Der nächste Schritt gegen die CEU bestand im April 2017 darin, dass das Parlament eine Änderung zum Hochschul­bil­dungs­gesetz verab­schiedete, durch die ein völlig künst­licher Katalog an Rechts- und Verwal­tungs­vor­schriften geschaffen wurde, die sich gegen die Univer­sität richteten (etwa, dass auslän­dische Univer­si­täten nur dann in Ungarn tätig sein können, wenn sie auch einen Hauptsitz, Profes­soren, Studenten und eine tatsäch­liche Lehrtä­tigkeit in ihren Herkunfts­ländern vorweisen können). Diese Vorschriften wurden von Regie­rungs­ver­tretern bis in den Dezember 2018 als politi­scher Knüppel gegen die CEU einge­setzt. Als die Univer­sität schließlich kapitu­lierte und die Eröffnung eines neuen Campus in Wien verkündete, hatte sie aller­dings bereits Geld und Ressourcen inves­tiert, um die willkür­lichen Forde­rungen der Regierung zu befrie­digen. Der Propa­gan­da­krieg gegen Soros ist nichts anderes als eine Demons­tration überaus verein­fachter populis­ti­scher Botschaften, die Fidesz als Instrument dienen, um sich um kaum etwas anderes als die eigene Macht­kon­zen­tration zu kümmern. Bei dieser Jagd ist die CEU zu einer der wichtigsten Trophäen geworden.

3. Die Bedeutung des Angriffs auf die CEU für die Wissen­schaft, die junge Generation und das Leistungsprinzip

Der Fall der CEU zeigt aller­dings deutlich, dass für das Orbán-Regime harte Arbeit und Anerkennung wenig bis überhaupt keinen Wert darstellen, solang die Regierung nicht unmit­telbar politisch davon profi­tiert. In allen Bereichen ist es nun vor allem Loyalität, und nicht Leistung, die zählt, und die Wissen­schaft ist da keine Ausnahme. Der Fall der CEU macht deutlich, dass keine Insti­tution nur deshalb auf die Gnade der Regie­rungs­pro­pa­ganda hoffen kann, weil sie Werte und Nutzen für die ungarische Gesell­schaft geschaffen hat. Seit dem Amtsan­tritt der Regierung Orbán im Jahr 2010 sind eine halbe Million damals zwölf- bis zwanzig­jäh­riger Ungarn erwachsen geworden. Für diese jungen Menschen gibt es in ihrer Umwelt kaum gute Beispiele, die zeigen, dass sich harte Arbeit tatsächlich lohnt. In einem Land mit einer nicht weit zurück­lie­genden kommu­nis­ti­schen Vergan­genheit kann das massive Auswir­kungen haben. Der Wert der CEU besteht darin, dass sie mehr ist als ein Gebäude, in dem kluge Köpfe und viele Bücher versammelt sind. Die Univer­sität stellte für Tausende junger Menschen ein Eingangstor in die Welt hochwer­tiger Forschung dar. Sie war eine Gemein­schaft kriti­scher Denker, die im Herzen von Budapest einer breiteren Öffent­lichkeit offen­stand. Tausende Ungarn, die eine wissen­schaft­liche Karriere im Ausland anstrebten, konnten hier in ihrer Heimat einen Platz für sich finden. Neben liberalen Werten waren es auch diese Errun­gen­schaften, die die ungarische Regierung mit ihrer plötz­lichen Entscheidung zerstörte, die CEU zu attackieren und schließlich ins Ausland zu vertreiben.

4. Die Bedeutung des Angriffs auf die CEU für die liberalen Werte in Ungarn

Die CEU aus Ungarn zu vertreiben, war eindeutig ein Fall von sinnlosem Vanda­lismus im Rahmen von Orbáns Feldzug gegen liberale Werte und Demokratie. Sowohl Washington als auch Brüssel (dort insbe­sondere die Europäische Volks­partei, EVP) haben ihre tiefe Besorgnis aus Anlass des Vorgehens gegen die CEU geäußert und erklärt, dass dies für sie eine rote Linie darstelle. So gehörte die Frage der CEU zu den ersten Anlässen, bei denen Orbán offen die Warnungen des Westens missachtete. Zudem erinnert der Fall der CEU an die Affäre um die Europäische Univer­sität in St. Petersburg, bei der diese Hochschule gegen die Entscheidung eines Wirtschafts­ge­richts kämpfte, durch die der Univer­sität die Lehrlizenz entzogen worden war. Zum einen stellte die Attacke gegen die CEU einen Angriff auf die Meinungs­freiheit dar. Plura­lität gehört nicht zu den Werten, die die Fidesz-Regierung besonders gefördert hat, seit sie 2010 an die Macht gelangte. Die CEU hat sich offiziell der Förderung einer offenen Gesell­schaft und selbst­re­flek­tie­renden, kriti­schen Denkens verschrieben. Sie wollte eine Ressource sein, mit der eine offene und demokra­tische Gesell­schaft aufgebaut wird, in der die Menschen­rechte respek­tiert und die Würde des Menschen geachtet werden. Orbán rief derweilen das „Ende der liberalen Demokratien“ aus, begann einen Krieg gegen Insti­tu­tionen und nahm intensive Bezie­hungen zu autori­tären Führern wie Wladimir Putin in Russland, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, Nikola Gruewski in Mazedonien sowie jüngst Jair Bolsonaro in Brasilien auf. Zweitens bedeutet das Vorgehen gegen die CEU einen Angriff auf die Freiheit der Wissen­schaft. Die Regierung hat seit langem eine feind­selige Haltung gegenüber wissen­schaft­lichen Einrich­tungen einge­nommen – nicht nur gegenüber der CEU, sondern auch gegenüber der Ungari­schen Akademie der Wissen­schaften. Sobald diese Einrich­tungen Forschungs­er­geb­nisse vorlegten, die als regie­rungs­kri­tisch wahrge­nommen wurden oder durch ihre Lehre Werte förderten, die der Regierung missfielen, wurden sie kriti­siert. Drittens stellt die Vertreibung der CEU aus Ungarn eine klare Verletzung rechts­staat­licher Prinzipien dar. Die Regierung hat über Nacht eine politisch motivierte Änderung des Hochschul­ge­setzes durch­ge­bracht, die auf die CEU zugeschnitten war. Die Änderung beinhaltete einen willkür­lichen Katalog an Rechts- und Verwal­tungs­vor­schriften, die die CEU befolgen soll.

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