Wie Ungarn liberale Werte sterben lässt
Lange hat die Fidesz-Partei einen Propagandakrieg gegen George Soros und die von ihm gegründete Central European University geführt. Dass die Universität nun aus Budapest vertrieben wurde und nach Wien umziehen muss, ist nicht nur ein Rückschlag für die Freiheit der Wissenschaft. Es ist ein Fanal für das Sterben liberaler Werte in Ungarn.
1. Eine kurze Geschichte der CEU
Die Idee der Central European University (CEU) entstand in Dubrovnik bei einer der Sommeruniversitäten, die die Open Society Foundation seit 1986 jährlich veranstaltet. Dort versammelten sich Historiker, Schriftsteller, politische Denker, Wirtschaftsexperten und Soziologen aus den Ländern des Ostblocks. Diese Menschen träumten von einer Universität, die sich im Herzen Europas den liberalen Werten westlicher Demokratien verschreiben und Gesellschaftswissenschaften für zukünftige Denker und Forscher lehren würde. George Soros war ein beharrlicher Unterstützer dieser Idee und an den ursprünglichen Verhandlungen über die Universität intensiv beteiligt. Soros gefiel die Idee einer in Budapest angesiedelten Hochschule nicht. Er befürwortete stattdessen ein regionales Netzwerk über die Tschechoslowakei, Ungarn und Polen verteilter akademischer Institutionen. 1990 wurden Verhandlungen mit der tschechoslowakischen Regierung über einen Hauptsitz der Universität in Bratislava und einen weiteren Campus in Prag aufgenommen. Ironischerweise wurden diese Pläne eines Sitzes in Bratislava bald aus Gründen abgelehnt, die jenen ähneln, aus denen die CEU fast 30 Jahre später gezwungen wurde, Ungarn zu verlassen. Starke nationalistische Stimmen in einer Zeit, da die Stimmung für eine unabhängige Slowakei am Kochen war, betrachteten die Universität als dubioses Almosen eines amerikanischen Geschäftsmanns mit ungarischen Wurzeln (in der Slowakei gibt es eine beträchtliche ungarische Minderheit mit einem Bevölkerungsanteil von 8,5 Prozent), der Einfluss in der Region gewinnen wollte. Die CEU öffnete schließlich 1991 in Budapest ihre Tore für Studenten. Auch in Prag und Warschau öffnete zunächst ein Campus, doch wurden diese 1994 ebenfalls in die ungarische Hauptstadt verlegt. Heute ist die CEU eine der besten Universitäten im Bereich der Gesellschaftswissenschaften – und zwar nicht nur in Osteuropa, sondern in ganz Europa. Dem QS World University Ranking von 2015 zufolge, nahm die CEU unter den besten Universitäten für die Bereiche Politik und Internationale Studien den 29. Platz ein. Fünf ihrer Studiengänge mit Abschluss in den Bereichen Politik, Sozialpolitik, Soziologie, Geschichte und Philosophie werden seit vielen Jahren unter die weltweit 100 besten gewählt. Professoren prestigereicher Universitäten (etwa des Massachusetts Institute of Technology (MIT), der Universitäten Harvard und Berkeley) kommen zur CEU, um zu lehren und zu forschen. Wegen des Umzugs der CEU nach Wien verliert Ungarn auch die Bibliothek der Universität, die die größte englischsprachige Sammlung für Sozial- und Geisteswissenschaften in Mittel- und Osteuropa beinhaltet. Sie beheimatet auch die Vera and Donald Blinken Open Society Archives (OSA), die als Magazin für wichtige historische Sammlungen dienen, vor allem zur Geschichte des Kalten Krieges und zu schwerwiegenden internationalen Menschenrechtsverletzungen.
2. Der Krieg der ungarischen Regierung gegen die CEU
Nach der Migrationskrise von 2015 und einer breit angelegten, von der Regierung finanzierten Propagandakampagne, die die Stimmung gegen Immigranten anheizte, erklärte Ministerpräsident Viktor Orbán, dass die Regierung 2017 gegen George Soros und die mit ihm in Verbindung stehenden Organisationen durchgreifen werde. Wie angekündigt gab die ungarische Regierung dutzende Millionen Euro für Propaganda gegen Soros aus. Fernsehwerbung (unter anderem bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten), lokale Zeitungen, Online-Zeitschriften und Plakate auf den Straßen in Ungarn wurden mit einem Bild von Soros und einem riesigen roten Schild mit der Inschrift „Stoppt Soros“ übersät. Zudem wiederholten Politiker von Fidesz immer wieder in Interviews und Beiträgen in sozialen Medien, dass Soros und die „Soros-Armee“ die nationale Souveränität Ungarns bedrohten. Der nächste Schritt gegen die CEU bestand im April 2017 darin, dass das Parlament eine Änderung zum Hochschulbildungsgesetz verabschiedete, durch die ein völlig künstlicher Katalog an Rechts- und Verwaltungsvorschriften geschaffen wurde, die sich gegen die Universität richteten (etwa, dass ausländische Universitäten nur dann in Ungarn tätig sein können, wenn sie auch einen Hauptsitz, Professoren, Studenten und eine tatsächliche Lehrtätigkeit in ihren Herkunftsländern vorweisen können). Diese Vorschriften wurden von Regierungsvertretern bis in den Dezember 2018 als politischer Knüppel gegen die CEU eingesetzt. Als die Universität schließlich kapitulierte und die Eröffnung eines neuen Campus in Wien verkündete, hatte sie allerdings bereits Geld und Ressourcen investiert, um die willkürlichen Forderungen der Regierung zu befriedigen. Der Propagandakrieg gegen Soros ist nichts anderes als eine Demonstration überaus vereinfachter populistischer Botschaften, die Fidesz als Instrument dienen, um sich um kaum etwas anderes als die eigene Machtkonzentration zu kümmern. Bei dieser Jagd ist die CEU zu einer der wichtigsten Trophäen geworden.
3. Die Bedeutung des Angriffs auf die CEU für die Wissenschaft, die junge Generation und das Leistungsprinzip
Der Fall der CEU zeigt allerdings deutlich, dass für das Orbán-Regime harte Arbeit und Anerkennung wenig bis überhaupt keinen Wert darstellen, solang die Regierung nicht unmittelbar politisch davon profitiert. In allen Bereichen ist es nun vor allem Loyalität, und nicht Leistung, die zählt, und die Wissenschaft ist da keine Ausnahme. Der Fall der CEU macht deutlich, dass keine Institution nur deshalb auf die Gnade der Regierungspropaganda hoffen kann, weil sie Werte und Nutzen für die ungarische Gesellschaft geschaffen hat. Seit dem Amtsantritt der Regierung Orbán im Jahr 2010 sind eine halbe Million damals zwölf- bis zwanzigjähriger Ungarn erwachsen geworden. Für diese jungen Menschen gibt es in ihrer Umwelt kaum gute Beispiele, die zeigen, dass sich harte Arbeit tatsächlich lohnt. In einem Land mit einer nicht weit zurückliegenden kommunistischen Vergangenheit kann das massive Auswirkungen haben. Der Wert der CEU besteht darin, dass sie mehr ist als ein Gebäude, in dem kluge Köpfe und viele Bücher versammelt sind. Die Universität stellte für Tausende junger Menschen ein Eingangstor in die Welt hochwertiger Forschung dar. Sie war eine Gemeinschaft kritischer Denker, die im Herzen von Budapest einer breiteren Öffentlichkeit offenstand. Tausende Ungarn, die eine wissenschaftliche Karriere im Ausland anstrebten, konnten hier in ihrer Heimat einen Platz für sich finden. Neben liberalen Werten waren es auch diese Errungenschaften, die die ungarische Regierung mit ihrer plötzlichen Entscheidung zerstörte, die CEU zu attackieren und schließlich ins Ausland zu vertreiben.
4. Die Bedeutung des Angriffs auf die CEU für die liberalen Werte in Ungarn
Die CEU aus Ungarn zu vertreiben, war eindeutig ein Fall von sinnlosem Vandalismus im Rahmen von Orbáns Feldzug gegen liberale Werte und Demokratie. Sowohl Washington als auch Brüssel (dort insbesondere die Europäische Volkspartei, EVP) haben ihre tiefe Besorgnis aus Anlass des Vorgehens gegen die CEU geäußert und erklärt, dass dies für sie eine rote Linie darstelle. So gehörte die Frage der CEU zu den ersten Anlässen, bei denen Orbán offen die Warnungen des Westens missachtete. Zudem erinnert der Fall der CEU an die Affäre um die Europäische Universität in St. Petersburg, bei der diese Hochschule gegen die Entscheidung eines Wirtschaftsgerichts kämpfte, durch die der Universität die Lehrlizenz entzogen worden war. Zum einen stellte die Attacke gegen die CEU einen Angriff auf die Meinungsfreiheit dar. Pluralität gehört nicht zu den Werten, die die Fidesz-Regierung besonders gefördert hat, seit sie 2010 an die Macht gelangte. Die CEU hat sich offiziell der Förderung einer offenen Gesellschaft und selbstreflektierenden, kritischen Denkens verschrieben. Sie wollte eine Ressource sein, mit der eine offene und demokratische Gesellschaft aufgebaut wird, in der die Menschenrechte respektiert und die Würde des Menschen geachtet werden. Orbán rief derweilen das „Ende der liberalen Demokratien“ aus, begann einen Krieg gegen Institutionen und nahm intensive Beziehungen zu autoritären Führern wie Wladimir Putin in Russland, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, Nikola Gruewski in Mazedonien sowie jüngst Jair Bolsonaro in Brasilien auf. Zweitens bedeutet das Vorgehen gegen die CEU einen Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft. Die Regierung hat seit langem eine feindselige Haltung gegenüber wissenschaftlichen Einrichtungen eingenommen – nicht nur gegenüber der CEU, sondern auch gegenüber der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Sobald diese Einrichtungen Forschungsergebnisse vorlegten, die als regierungskritisch wahrgenommen wurden oder durch ihre Lehre Werte förderten, die der Regierung missfielen, wurden sie kritisiert. Drittens stellt die Vertreibung der CEU aus Ungarn eine klare Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien dar. Die Regierung hat über Nacht eine politisch motivierte Änderung des Hochschulgesetzes durchgebracht, die auf die CEU zugeschnitten war. Die Änderung beinhaltete einen willkürlichen Katalog an Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die die CEU befolgen soll.
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