Späte Erkenntnis
Als Reaktion auf den Fachkräftemangel hat das Kabinett kurz vor Weihnachten das erste Einwanderungsgesetz in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht. Die Steuerungsmöglichkeiten des Gesetzes sollten aber nicht überschätzt werden. Migrationsentscheidungen sind deutlich komplexer.
Deutschland ist ein Einwanderungsland – und das nicht erst seit gestern. Seit Erfassung der Wanderungsbewegungen in den Fünfzigerjahren gab es nur eine Handvoll Jahre, in denen mehr Menschen aus- als einwanderten. Und trotzdem sprechen wir gerade erstmals über ein Gesetz, das den Begriff Einwanderung im Namen trägt: das von der Bundesregierung geplante „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“. Was kann dieses Gesetz steuern. Und was nicht?
2017 stammte mit 54 Prozent ein Großteil der Personen, die nach Deutschland zuwanderten, aus der EU. Sie kommen zum Studieren oder aus familiären Gründen, meistens jedoch zum Arbeiten. In der Regel sind sie gut oder sehr gut qualifiziert. Ein nationales Einwanderungsgesetz kann ihre Zuwanderung nicht reglementieren, da EU-BürgerInnen Freizügigkeit genießen. Daran etwas ändern zu wollen, hieße, an den Grundfesten der europäischen Integration zu rütteln. Zudem hat Zuwanderung aus der EU viele Vorteile, vom gemeinsamen rechtlichen Rahmen und der geografischen Nähe bis zur gemeinsamen Sprache (zumindest bei einigen Ländern). Allerdings wird sie absehbar an Bedeutung verlieren, da auch andere Mitgliedstaaten der Union vor ähnlichen demografischen Herausforderungen stehen und sich die wirtschaftliche Lage mancherorts bessert.
Zuwanderung von Fachkräften wird daher gebraucht. Schon jetzt kommen jedes Jahr Drittstaatsangehörige nach Deutschland, um hier zu studieren, bei ihren Familien zu sein, Asyl zu beantragen oder natürlich ebenfalls, um zu arbeiten. Auch für Drittstaatsangehörige gibt es mittlerweile einen dichten europarechtlichen Rahmen. Vor allem für den Bereich Flucht und Asyl sowie für hoch qualifizierte Fachkräfte ist Brüssel als Ort der Normsetzung oft wichtiger als Berlin. Der größte Spielraum für den nationalen Gesetzgeber besteht im Bereich der Erwerbsmigration – und hier setzt das geplante Gesetz auch an. Zwar gibt es nach geltendem Recht bereits Möglichkeiten für Fachkräfte aus dem nicht-europäischen Ausland, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Für Hochqualifizierte ist der rechtliche Rahmen, den Deutschland hier gesteckt hat, im OECD-Vergleich sogar sehr liberal . Auch für beruflich Qualifizierte (also solche mit einer nicht-akademischen Ausbildung) gibt es Möglichkeiten, sie sind allerdings begrenzt. Begrenzt ist auch der Umfang der Zuwanderung zum Zweck der Erwerbsmigration: 2017 kamen gut 60.000 Personen auf den bereits gebahnten Wegen aus Drittstaaten nach Deutschland. Das reicht nicht aus, um den bestehenden Bedarf der Wirtschaft zu decken. Wirtschaftsverbände betonen mit Verweis auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, dass der Fachkräftemangel in einigen Regionen Deutschlands und einigen Branchen zur Existenzbedrohung für Unternehmen geworden ist. Der größte Mangel besteht bei technischen Berufen, Bauberufen und Gesundheits- und Pflegeberufen. Hier bleiben Stellen durchschnittlich ein halbes Jahr unbesetzt. Die Ausschöpfung inländischen Potenzials kann diesen Mangel etwas abfedern, Deutschland muss zugleich aber attraktiver werden für Fachkräfte aus dem nicht-europäischen Ausland.
Die Attraktivität Deutschlands hängt nicht allein von Gesetzen ab
Das geplante „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ kann die rechtlichen Voraussetzungen hierfür verbessern. Gewährleisten, dass die umworbene Zielgruppe dann auch kommt, kann es nicht. Wie sind die geplanten Vorhaben der Regierung zu beurteilen?
Während die Zuzugsmöglichkeiten für Personen mit Hochschulabschluss in den letzten Jahren deutlich liberalisiert worden sind, besteht aus Sicht des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) Nachholbedarf bei erweiterten Möglichkeiten für beruflich Qualifizierte. Das bisherige rechtliche Optionenkorsett ist eng geschnürt: Zur Einreise benötigen beruflich qualifizierte Fachkräfte einen Arbeitsvertrag, sie müssen in einem Mangel- oder Engpassberuf tätig sein und sie brauchen den sogenannten Gleichwertigkeitsnachweis (den Nachweis, dass ihre im Herkunftsland erworbene Qualifikation der deutschen Ausbildung gleichwertig ist). Nun soll die Beschränkung auf Mangelberufe entfallen und die sogenannte Vorrangprüfung, also die Prüfung, ob nicht eine inländische Fachkraft oder eine aus der EU stammende theoretisch oder auch praktisch für die Besetzung der Stelle in Frage käme.
Positiv ist zudem, dass auch diese Fachkräfte voraussichtlich künftig zur Jobsuche nach Deutschland einreisen dürfen wie bislang schon Akademiker. Voraussetzung ist bei den beruflich Qualifizierten (anders als bei den akademischen Fachkräften), dass sie deutsche Sprachkenntnisse vorweisen können. Einschränkend wirken dürfte auch, dass das generelle Arbeitsverbot in der Suchphase nur geringfügig aufgeweicht wird. Daher wird voraussichtlich der Kreis derjenigen, die sich das leisten können, in überschaubarem Rahmen bleiben. Die größte Hürde für beruflich Qualifizierte ist der Gleichwertigkeitsnachweis der Berufsqualifikation, da es in kaum einem Land der Welt ein System gibt, das eine zertifizierte Berufsausbildung anbietet. An diesem Prinzip will die Bundesregierung im Grundsatz nicht rütteln, für bestimmte Berufe ist aber ein Einstieg in eine Flexibilisierung vorgesehen. Wie sich die geänderte Rechtslage auf den Zuzug der umworbenen Zielgruppe auswirkt, sollte genau beobachtet werden, damit nachgesteuert werden kann, wenn die Hürden zu hoch sind. Dass andererseits Missbrauch vorgebeugt werden muss, versteht sich – im Sinne des sozialen Friedens und der zu sichernden fairen Arbeitsbedingungen im Land.
Das geplante „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ wird in der Summe die Möglichkeiten vor allem für beruflich qualifizierte Fachkräfte verbessern, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Die Steuerungsmöglichkeiten des Gesetzes sollten aber nicht überschätzt werden. Ob die Attraktivität Deutschlands erhöht, hängt nicht allein von den gesetzlichen Möglichkeiten ab – sie sind eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Wanderungsentscheidungen sind deutlich komplexer. So gehen Fachkräfte vor allem dahin, wo sie sich gute Verdienstmöglichkeiten, eine gute Karriereentwicklung, eine gute Bildung für die Kinder und Sicherheit für ihre Familien versprechen – Felder, die nicht in erster Linie Sache der Migrationspolitik sind. Sprachkenntnisse oder bestehende Netzwerke sind ein wichtiger Aspekt, aber auch die erwartete Steuerbelastung, das Wetter oder das vermutete Aufnahmeklima in der Bevölkerung. Hier sind alle Bürgerinnen und Bürger gefragt. Zur Akzeptanz von Zuwanderung kann es beitragen, wenn über die Möglichkeiten und Grenzen von Einwanderungssteuerung transparent und kontrovers diskutiert wird. Die Debatte um ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ kann dieser Selbstvergewisserung dienen.
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