Was ich in der Natio­nal­mann­schaft sehen will

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Zum Fall Mesut Özil.

Weshalb sich die Kinder der multi­eth­ni­schen Republik mit der deutschen Natio­nal­mann­schaft identi­fi­zieren und der Umgang mit Mesut Özil ein Rückschlag auf dem Weg zu einem bunten Deutschland ist, in dem alle Platz haben, die seine demokra­ti­schen Grund­werte bejahen.

Das DFB-Team spiegelt eine offene und integrative Gesell­schaft wieder. Ob mit oder ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund, die Herkunft spielt in der deutschen Natio­nal­mann­schaft keine Rolle. So haben wir 2006, 2008, 2010, 2012 und 2016 das Halbfinale erreicht und sind 2014 in Rio zum vierten Mal Weltmeister geworden. Allein das Leistungs­prinzip zählt. Anders hätten die Erfolge in den letzten 12 Jahre nicht errungen werden können.

Ein solch selbst­ver­ständ­liches Dazuge­hören, eine so unbeschränkte Teilhabe wünschen sich auch viele Menschen in Deutschland, die – oder deren Vorfahren – aus anderen Regionen der Erde stammen. Für viele von ihnen stellt sich die Frage gar nicht, ob Deutschland oder ein anderes Land ihre Heimat ist: Sie gehören dazu, ohne ihre Wurzel zu kappen. Das Wort „Migra­ti­ons­hin­ter­grund“ nutzen sie nicht, es hat für sie keine Bedeutung. Immer häufiger sieht man während inter­na­tio­nalen Turnieren Autos, Wohnungen und Fans, die mit zwei verschie­denen Flaggen geschmückt sind. Und auf den Fanmeilen wird seit Jahren mitein­ander gefeiert. Beim Jubel über ein Tor der deutschen Mannschaft spielt für die Aller­meisten die Herkunft des Schützen und des Fans keine Rolle.

Auch außerhalb des Sports wollen die Kinder dieser bunten Republik dazu gehören. Viele entscheiden sich ganz bewusst für den einen, den deutschen Pass. Für sie ist Deutschland längst Teil ihrer Identität geworden. Als Teil dieser Gesell­schaft wollen sie ihre vollen staats­bür­ger­lichen Rechte und Pflichten in Anspruch nehmen.

Wie die Spieler tragen sie das DFB-Trikot, malen sich die Wangen schwarz-rot-gold. Die Farben, die an die Tradition des Pauls­kir­chen­par­la­ments anknüpfen. Sie stehen für den demokra­ti­schen Rechts­staat, der Einigkeit, Recht und Freiheit für alle schützt. Es sind Grund­werte – Meinungs- und Religi­ons­freiheit, Gleich­stellung von Mann und Frau, Recht auf frei gewählte sexuelle Identität -, die in unserem Grund­gesetz nieder­ge­schrieben sind, für die aber Menschen in vielen anderen Ländern unter Einsatz ihrer persön­lichen Existenz streiten müssen. Wir haben eine Verfassung, die Gewal­ten­teilung und demokra­tische Prozesse regelt, und wir haben Grund­rechte. Unser Grund­gesetz garan­tiert die Freiheit zur gesell­schaft­lichen Teilhabe, zur Selbst­ver­wirk­li­chung für alle. Das ist das Deutschland, dem wir beim Fußball zujubeln und mit dem wir uns identifizieren.

Fußball kann eine wichtige gesell­schaft­liche Dimension haben – wenn er ein Spielfeld für Integration und Parti­zi­pation ist, ein Gegen­modell zu Rassismus und Ausgrenzung. Die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts darf nicht toleriert werden. Nicht auf dem Platz, nicht in Fankurven, nicht vor Public-Viewing-Leinwänden und auch nicht in den Verbänden.

Was der Sport geschafft hat, muss die Gesell­schaft aller­dings noch erreichen: In puncto Teamgeist und Teilhabe können wir uns bei der Natio­nal­mann­schaft noch einiges abschauen. Gerade deshalb kann von den Spielern erwartet werden, dass sie ihre gesell­schaft­liche Vorbild­funktion verstehen und sich nicht für Zwecke instru­men­ta­li­sieren lassen, die für das genaue Gegenteil stehen.

Die Mannschaft rund um Manuel Neuer, Jerome Boateng, Sami Khedira, Thomas Müller, Marco Reus ist Abbild einer modernen und weltof­fenen Gesell­schaft. Bisher gehörte auch Mesut Özil dazu. Das ist jetzt infrage gestellt – auch wegen des schäbigen Verhaltens des DFB. Deshalb muss man den Verband und seinen Präsi­denten, der sein Interesse am Fußball erst vor wenigen Jahren entdeckte und für den Multi­kulti „in Wahrheit Kuddel­muddel“ ist, in diesen Tagen deutlich an ihre gesell­schaft­liche Verant­wortung erinnern. Ich will nicht, dass hinter diesem Text irgendwann ein Frage­zeichen steht und ich ihn in der Vergan­gen­heitsform schreiben muss.

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