Das fossile Imperium: Wie Russland den Klima­wandel befeuert

Shutter­stock /​ Karolis Kavolelis

Eine russische Version dieses Artikels ist bei „European Dialogue“ erschienen:

In Russland sind Macht­ap­parat und Energie­wirt­schaft eng verflochten. Die Energie­po­litik ist ein Instrument russi­scher Großmacht­po­litik; sie wird gezielt einge­setzt, um Einfluss zu gewinnen und Staaten unter Druck zu setzen. Öl, Gas und Kohle bilden das ökono­mische Rückgrat des Systems Putin – es gerät zunehmend in Konflikt mit den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens.

1 Russland als Kohlenstoff-Imperium

Der Anteil der Energie­wirt­schaft an der Wirtschafts­leistung Russlands liegt zwischen 20 und 25 Prozent. Bei den Exporten ist der Anteil fossiler Energie­träger noch deutlich höher. Er beträgt rund zwei Drittel der gesamten Exporterlöse.

Dabei liegen die Erlöse aus dem Ölgeschäft (je nach Schwan­kungen des Ölpreises) drei bis vier Mal höher als die Gasex­porte. 2017 expor­tierte Russland für 151 Mrd. Dollar Öl und Mineral­öl­pro­dukte, die Einnahmen aus dem Export von Erdgas (inklusive LNG) beliefen sich auf 41 Milli­arden Dollar.

Der Beitrag des Energie­sektors zum russi­schen Staats­haushalt (Steuern, Abgaben) beträgt rund 50 Prozent. 

Portrait von Ralf Fücks

Ralf Fücks ist geschäfts­füh­render Gesell­schafter des Zentrums Liberale Moderne.

In der Kombi­nation von Öl, Gas und Kohle ist Russland der weitaus größte Exporteur fossiler Energieträger.

Bei der Strom­erzeugung dominiert Erdgas mit rund 50 Prozent, gefolgt von Kernenergie (18,6 Prozent), Wasser­kraft (16,8 Prozent) und Kohle (14 Prozent). Öl spielt im Strom­sektor nur eine marginale Rolle, deckt aber etwa 22 Prozent des Primär­ener­gie­be­darfs (Zahlen für 2017).

1.1 Erdöl

Mit einer Förder­menge von 563 Millionen Tonnen lag Russland im Jahr 2018 auf Platz drei in der globalen Rangliste – deutlich hinter den USA und knapp hinter Saudi-Arabien.

Beim Ölexport lag das Land im Jahr 2017 mit 256 Millionen Tonnen auf Rang 2 hinter Saudi-Arabien.

Da die bishe­rigen Haupt-Förder­ge­biete für Öl und Gas in Westsi­birien den Höhepunkt ihrer Kapazität überschritten haben, werden neue Vorkommen in klima­tisch und geolo­gisch proble­ma­ti­schen Regionen erschlossen (Halbinsel Yamal, Ostsi­birien, Barents-See, Sachalin).

1.2 Erdgas

Bei der Förderung von Erdgas lag Russland im Jahr 2017 mit 635 Milli­arden Kubik­metern hinter den USA (734 Milli­arden) auf Platz zwei; bei den Gasex­porten ist Russland die unange­fochtene Nr. eins mit rund 20 Prozent am Weltmarkt. Europa ist mit rund 200 Milli­arden Kubik­metern mit Abstand der wichtigste Export­markt. Der russische Anteil an den Gasim­porten der EU lag im 1. Halbjahr 2018 bei 40,6 Prozent (Norwegen 38,8 Prozent). Mit China wurden jährliche Liefe­rungen von 38 Milli­arden Kubik­metern vereinbart, eine neu gebaute Pipeline sollte 2019 in Betrieb gehen.

Inzwi­schen ist Russland auch in das Flüssiggas-Geschäft (LNG) einge­stiegen. Die größte Anlage befindet sich auf der Jamal-Halbinsel in Nordsi­birien. Sie ist v.a. für den Export nach Asien vorge­sehen, beliefert aber auch den europäi­schen Markt.

1.3 Kohle

Russland gehört mit einer Förderung von rd. 440 Millionen Tonnen (Braun­kohle und Stein­kohle) zu den weltgrößten Kohle­pro­du­zenten. Davon geht etwa die Hälfte in den Export (vornehmlich Asien und Europa). Bei den Kohle-Export­ländern liegt Russland auf Rang drei. Deutschland ist bisher der wichtigste Absatz­markt in Europa. Die Inves­ti­tionen in den Kohle­sektor stiegen in den letzten 10 Jahren um 150 Prozent. Die offizi­ellen Pläne der Regierung sehen eine nochmalige Steigerung der Förderung auf 670 Millinen Tonnen (!) bis zum Jahr 2035 vor, Klima­wandel hin oder her. Der Anteil am Kohle-Weltmarkt soll von heute neun auf zwanzig Prozent steigen.

Der größte Teil der russi­schen Kohle wird mittler­weile im Tagebau unter unzurei­chenden Vorkeh­rungen für den Umwelt- und Gesund­heits­schutz gefördert. Zum Teil beträgt der Abstand zu Wohnsied­lungen weniger als 1000 Meter. Es kommt zu großflä­chigen Verwe­hungen von Kohle­staub. Erkran­kungen der Atemwege und des Immun­systems sind weit verbreitet.

1.4 Erneu­erbare Energien

Im Jahr 2015 lag der Anteil erneu­er­barer Energien (ohne große Wasser­kraft­werke) am russi­schen Strommix bei einem Prozent – trotz der großen Poten­tiale für Solar­energie in den südlichen Regionen, Windenergie an den Küsten und für den Einsatz von Biomasse aus nachhal­tiger Land- und Forst­wirt­schaft. Gemäß einer Verordnung der Regierung der russi­schen Föderation sollte der Anteil bis 2020 auf 4,5 Prozent steigen – immer noch ein äußerst beschei­denes Ziel. 

1.5 Mangelnde Energieeffizienz

Die Energie­in­ten­sität des BIP (= die Energie­menge, die zur Erzeugung einer bestimmten Wertgröße benötigt wird) ist in Russland etwa dreimal so hoch wie im Durch­schnitt der EU. Dementspre­chend bestehen noch enorme Reserven bei der Verbes­serung der Energie­ef­fi­zienz, insbe­sondere im Gebäu­de­be­stand, aber auch in Energie­wirt­schaft und Industrie. Kurzfristig liegt hier das größte Potential zur Reduzierung von CO2-Emissionen zu den günstigsten Kosten.

Das setzt aller­dings voraus, dass die Inlands­preise für fossile Energien, insbe­sondere für Gas und Kohle, nicht weiter subven­tio­niert werden. Es fehlt sonst jeder wirtschaft­liche Anreiz, in mehr Energie­ef­fi­zienz zu inves­tieren. Von höheren Energie­steuern oder der Besteuerung von CO2-Emissionen scheint Russland noch weit entfernt.

1.6 Primat der Politik

Unter der Regie Putins wurde die Rückver­staat­li­chung des Energie­sektors voran­ge­trieben. Eine Schlüs­sel­rolle spielte dabei die Zerschlagung des privaten Yukos-Konzerns, dem bis dahin führenden russi­schen Ölunter­nehmen, in den Jahren 2003–2006. Inzwi­schen dominieren die Staats­kon­zerne Gazprom und Rosneft das Gas- und Ölgeschäft. Es bestehen enge perso­nelle und finan­zielle Verflech­tungen zwischen Macht­ap­parat und Energie­wirt­schaft. Energie­po­litik ist Instrument russi­scher Großmacht­po­litik; sie wird gezielt einge­setzt, um Einfluss zu gewinnen, inter­na­tionale Netzwerke auszu­bauen und unbot­mäßige Staaten unter Druck zu setzen, siehe NordStream 2.

2. Folgen des Klima­wandels für Russland

Der Tempe­ra­tur­an­stieg läuft in Russland etwa doppelt so schnell ab wie im globalen Durch­schnitt. Im Zuge der Erwärmung ist mit dem Auftauen der Perma­frost-Böden zu rechnen, die fast 2/​3 der Landfläche ausmachen. Das hat drama­tische Folgen für die Infra­struktur (Straßen, Schienen, Pipelines), für Indus­trie­an­lagen sowie für Städte und Siedlungen. Der Boden verwandelt sich in Morast und sackt ab.

Wetter­ex­treme (Dürre­pe­rioden im Wechsel mit heftigen Regen­fällen und Überschwem­mungen) werden zunehmen. Insbe­sondere in den südlichen Regionen Russlands muss mit sinkenden landwirt­schaft­lichen Erträgen gerechnet werden.

Steigende Tempe­ra­turen und Trockenheit vergrößern die Waldbrand­gefahr. Ohnehin brennen jedes Jahr riesige Waldflächen und setzen enorme Mengen an CO2 frei.

3. Klima­po­litik der russi­schen Regierung

Rheto­risch hat Präsident Putin nach Jahren der demons­tra­tiven Ignoranz inzwi­schen eine Wendung vollzogen. Er spricht jetzt davon, dass Russland die Pariser Klima­ziele ernst nimmt.

Die Regierung (nicht die Duma) hat das Abkommen ratifi­ziert. Das ist weniger klima­po­li­tisch als außen­po­li­tisch und export­wirt­schaftlich motiviert: der Kreml setzt sich damit vom Obstruk­ti­onskurs der Trump-Adminis­tration ab und hängt seinen fossilen Energie­ex­porten ein klima­freund­liches Mäntelchen um.

Kurzfristig besteht kein Handlungs­druck: Die CO2-Emissionen Russlands liegen heute etwa 26 Prozent unter dem Stand von 1990 und damit bereits in dem Zielkor­ridor, zu dem sich die Regierung für das Jahr 2030 verpflichtet hat.

Wieweit die russi­schen Treib­hausgas-Emissionen tatsächlich erfasst werden, kann aller­dings bezweifelt werden. Das gilt etwa für die Methan-Leckagen bei Förderung und Transport von Erdgas wie für die enormen Mengen an CO2, die bei der Abfackelung von Erdgas und bei den jährlichen Waldbränden freige­setzt werden.

Eine drastische Reduzierung der russi­schen Treib­hausgas-Emissionen erfordert eine Abkehr von Öl, Gas und Kohle als Rückgrat der russi­schen Ökonomie. Sie steht im Konflikt mit dem fossilen Geschäfts­modell, das die Basis des „System Putin“ bildet.

Ernst­ge­meinter Klima­schutz läuft auf einen wirtschaft­lichen und politi­schen System­wandel hinaus. Es wäre naiv zu glauben, dass die herrschende Macht­elite freiwillig das Fundament ihrer Herrschaft und ihres Reichtums demon­tiert, zumal Öl und Gas neben dem Militär auch inter­na­tional das wichtigste Macht­in­strument des Regimes bildet.

Tatsächlich ist die offizielle russische Politik weiterhin auf eine Steigerung von Produktion und Export fossiler Energie­träger ausge­richtet, das gilt für Öl ebenso wie für Erdgas und Kohle. Sollte die Nachfrage nach fossiler Energie in Europa als Folge klima­po­li­ti­scher Maßnahmen sinken, sollen v.a. die Exporte nach Asien ausge­weitet werden.

4. Welche Rolle spielt der Klima­wandel in der russi­schen Öffentlichkeit?

In der Bevöl­kerung ist das Wissen über den Klima­wandel, seine Ursachen und Auswir­kungen eher gering. In den Medien wird er zumeist herun­ter­ge­spielt, als wissen­schaftlich umstritten darge­stellt und vor „Klima­hys­terie“ gewarnt.

5. Ausblick

Die russische Führung setzt weiterhin auf Öl, Gas und Kohle als Rückgrat des spezi­fi­schen Herrschafts­systems, das sich seit der Macht­über­nahme Putins heraus­ge­bildet hat. Dieses Modell gerät zunehmend in Konflikt mit den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens.

Zugleich blockiert es die überfällige Moder­ni­sierung und Diver­si­fi­zierung der russi­schen Wirtschaft. Schon die letzten 10 Jahre waren im Hinblick auf Reformen und Wachstum ein verlo­renes Jahrzehnt. Mit einer Fortschreibung der fossilen Renten­öko­nomie droht Russland den Anschluss an die digitale und postfossile Ökonomie des 21. Jahrhun­derts zu verlieren.

Umgekehrt könnte eine schritt­weise Reduzierung der Abhän­gigkeit von fossilen Energie­trägern einen Moder­ni­sie­rungs­schub auslösen. Das wäre aller­dings mehr als ein bloßer Wechsel von fossilen zu erneu­er­baren Energien. Ein klima­po­li­ti­scher Kurswechsel Russlands erfordert tiefgrei­fende struk­tu­relle Reformen in Staat und Wirtschaft: Rechts­si­cherheit für kleine und mittlere Unter­nehmen, mehr Selbst­ver­ant­wortung für Kommunen und Regionen, das Aufbrechen monopo­lis­ti­scher Struk­turen sowie unabhängige Medien und eine starke Zivil­ge­sell­schaft als Gegen­ge­wicht zur Kohlenstoff-Fraktion.

Ein solcher Wechsel wird vermutlich erst dann eintreten, wenn es zu neuen Allianzen zwischen Reformern innerhalb des Systems und der demokra­ti­schen Opposition kommt. Eine moderne Klima- und Umwelt­po­litik könnte ein gemein­samer Nenner für eine solche Allianz werden.

Textende

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