„Man braucht auf der demokra­ti­schen Seite mehr Leidenschaft“

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Ralf Fücks im Gespräch mit Marcus Pindur vom Deutsch­landfunk Kultur über die Vertei­digung der offenen Gesellschaft.

Der Direktor des Zentrums Liberale Moderne, Ralf Fücks, disku­tiert mit uns unter anderem die Frage: Wie lässt sich die neue Verachtung der Demokratie und des Rechts­staates erklären?

Karl Popper veröf­fent­lichte 1945 sein Werk „Die offene Gesell­schaft und ihre Feinde“: Eine Abrechnung mit Natio­nal­so­zia­lismus und Sowjet­kom­mu­nismus. Poppers Werk, der Demokratie und Rechts­staat­lichkeit verpflichtet, ragt immer noch als politi­sches Mahnmal und als philo­so­phi­scher Werkzeug­kasten aus der westlichen Ideen­ge­schichte heraus.

Das Ende der Geschichte?

Viele dachten, der Libera­lismus im histo­risch-philo­so­phi­schen Sinne habe mit dem Ende der Sowjet­union unwider­ruflich gesiegt. Der ameri­ka­nische Intel­lek­tuelle Francis Fukuyma rief gar das „Ende der Geschichte“ aus. Doch es kam anders. Demokratie, Freiheit und Rechts­staat­lichkeit sind wieder gefährdet, im Herzen Europas und in der Mitte der ameri­ka­ni­schen Demokratie.

Deutsch­landfunk Kultur: Als Karl Popper 1945 sein Werk „Die offene Gesell­schaft und ihre Feinde“ veröf­fent­lichte, war jedem klar, mit wem der britische Philosoph öster­rei­chi­scher Herkunft abrechnete – mit den totali­tären Regimen des Natio­nal­so­zia­lismus und des Sowjet­kom­mu­nismus. Poppers liberales, der Demokratie und Rechts­staat­lichkeit verpflich­tetes Werk ragt immer noch als politi­sches Mahnmal und gleich­zeitig als philo­so­phi­scher Werkzeug­kasten aus der westlichen Ideen­ge­schichte heraus. Viele dachten, der Libera­lismus im histo­risch-philo­so­phi­schen Sinne habe mit dem Ende der Sowjet­union unwider­ruflich gesiegt. Der ameri­ka­nische Intel­lek­tuelle Francis Fukuyama rief gar das Ende der Geschichte aus. Doch es kam anders.

Erstmals seit den 1920er Jahren sind Demokratie, Rechts­staat­lichkeit und Menschen­rechte wieder gefährdet – sogar im Herzen Europas und sogar in der Mitte der ameri­ka­ni­schen Demokratie. Bei uns zu Gast zum Tacheles-Gespräch ist der Direktor des Instituts liberale Moderne Ralf Fücks, den viele von Ihnen als Direktor der Heinrich-Böll-Stiftung und davor als aktiven Politiker der Grünen in Erinnerung haben. – Guten Tag, Herr Fücks.

Ralf Fücks: Guten Tag, Herr Pindur.

Deutsch­landfunk Kultur: Sie haben einen eigenen Think Tank aus der Taufe gehoben, das Zentrum liberale Moderne. Sie haben dieses Jahr ein Buch mit dem Titel „Freiheit vertei­digen“ veröf­fent­licht. Hätten Sie 1989/​90 gedacht, dass Freiheit, Demokratie und Recht­staat­lichkeit jemals wieder so in die Defensive geraten könnten?

Ralf Fücks: Ich glaube nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, war ich damals auch erfasst von dieser Euphorie des großen demokra­ti­schen Aufbruchs, den wir damals im Herzen Europas gesehen haben und auch darüber hinaus, wenn ich daran erinnere, dass auch in China zur gleichen Zeit eine große Freiheits- und Demokra­tie­be­wegung los ging, die dann blutig erstickt worden auf dem Tian’anmen mit Panzern und zehntau­senden von Toten. Also, das war schon eine Zeit, in der es so einen globalen Aufbruch gegeben hat zu Demokratie und Menschen­rechten und Selbstbestimmung.

Natürlich ging es auch um materielle Inter­essen, um Anschluss an die westliche Wohlfahrts­ge­sell­schaft, aber es ging eben nie nur um Bananen, wie damals Otto Schily im Fernsehen den DDR-Bürgern die Banane entge­gen­ge­halten hat. Das fand ich sehr verächtlich. Sondern es ging tatsächlich um den Geist der Freiheit.

Aber es gab schon sehr früh erste Einschläge, die wir vielleicht nicht ernst genug genommen haben, zum Beispiel ab 1992 den Krieg im ehema­ligen Jugoslawien, der ein ethno-natio­na­lis­ti­scher Krieg war mit ethni­schen Säube­rungen und Massakern und wo schon aufblitzte, dass das nicht so weit her war mit dem Ende der Geschichte, dass also keineswegs jetzt die liberale Demokratie weltweit gesiegt hat und alle sind auf dem Weg zum fried­lichen Zusam­men­leben, sondern dass wir nach wie vor in einer sehr konflikt­haften Welt leben. Und seither gibt es ja eine immer stärkere Gegen­be­wegung, sowohl auf inter­na­tio­naler Ebene, das zunehmend selbst­be­wusste Auftreten autori­tärer Mächte wie China und Russland und Iran, inzwi­schen auch die Türkei unter Erdogan.

Und das Beunru­hi­gende ist, dass eben diese Gegen­be­wegung auch im Inneren der westlichen Demokratien inzwi­schen Platz gegriffen hat. Brexit und Trump waren da sozusagen die letzten Warnsignale.

Welche Auswirkung hat die Globalisierung?

Deutsch­landfunk Kultur: Kommen wir mal zu dem Zentrum liberale Moderne, was Sie aus der Taufe gehoben haben. Was soll dessen Aufgabe sein?

Ralf Fücks: Der Name legt ja schon nahe, dass aus unserer Sicht die Ausein­an­der­setzung, die liberale Demokratie, die Haupt­linie der Ausein­an­der­setzung gegen­wärtig inter­na­tional und gesell­schafts­po­li­tisch ist und vermutlich auch in den nächsten Jahren.

Uns treibt die Frage um, wie man die Zustimmung, vielleicht sogar die Begeis­terung für die liberale Demokratie wieder stärken kann. Und meine Vermutung ist, dass das weniger eine Frage der politi­schen Insti­tu­tionen ist. Man kann natürlich darüber disku­tieren, ob wir noch mehr an direkter Demokratie brauchen, vielleicht auch Volks­ent­scheide auf Bundes­ebene. Aber ist, glaube ich, nicht der sprin­gende Punkt, sondern es geht eher um gesell­schafts­po­li­tische Fragen, die gegen­wärtig eine wachsende Unruhe bei uns produzieren.

Welche Auswirkung hat die Globa­li­sierung auf die Sicherheit von Arbeits­plätzen und auf die Einkommen – bis in die Mittel­schichten? Was passiert eigentlich mit der digitalen Revolution? Wird Automa­ti­sierung und der Vormarsch der Roboter in der Indus­trie­pro­duktion und künst­liche Intel­ligenz dazu führen, dass zunehmend auch quali­fi­zierte Arbeit durch Maschi­nen­arbeit oder durch digitale Techno­logien verdrängt wird.

Gleich­zeitig treibt eben doch viele Leute die Frage um: Wie viel an inter­kon­ti­nen­taler Migration können wir bewäl­tigen? Was passiert, wenn sich noch mehr Menschen aufmachen aus Afrika oder aus Vorder­asien in Richtung Europa und Bundes­re­publik? Das sind auch kultu­relle Verän­de­rungen zwischen Mann und Frau, die Ehe für alle, der Niedergang des Patriarchats.

Alles das sind Umbrüche, die meines Erachtens auch neue politische Antworten erfordern. Und wir haben und vielleicht zu sehr in den letzten Jahren auf diesem liberalen Grund­konsens ausgeruht. Globa­li­sierung ist eine fortschritt­liche Geschichte, europäische Integration, multi­kul­tu­relle Gesell­schaft, das sind Fragen, die meines Erachtens einen neuen Gesell­schafts­vertrag erfordern.

Deutsch­landfunk Kultur: Sie haben jetzt einige Problem­felder skizziert, auf denen Sie aktiv werden wollen. Lassen Sie uns jetzt nochmal einen kurzen Schritt zurück­treten und diesen Angriff auf die Moderne, der da gerade statt­findet, diese autoritäre Bewegung, die es bei uns in Deutschland gibt, die aber auch eine inter­na­tionale Bewegung ist, muss man ja mittler­weile sagen.

Aus welchen Richtungen wird dieser Angriff auf die liberale Demokratie geführt?

Ralf Fücks: Aus ganz unter­schied­lichen. Wir haben eine autoritäre Moder­ni­sierung, wie sie etwa in China statt­findet und bisher ökono­misch relativ erfolg­reich war. Die Frage ist, ob das auch noch in Zukunft der Fall sein kann, also, ob ein autori­täres Regime tatsächlich in der Lage ist, den Übergang zu einer modernen Wissens­ge­sell­schaft zu schaffen, die auf Innovation, auf Wissen­schaft, auf einem hohen Maß an Eigen­ak­ti­vität der Gesell­schaft beruht.

Wir haben gleich­zeitig explizit antimo­derne Bewegungen wie den Islamismus, der sich ja nicht nur gegen die Demokratie richtet, sondern gegen die ganze Idee der Moderne, ob das die Gleich­be­rech­tigung der Frau ist oder ob das die Freiheit der Wissen­schaft ist oder die Religi­ons­freiheit, alles das infrage stellt, was im Grunde seit der Aufklärung an demokra­ti­schen Werten gedacht und zunehmend auch prakti­ziert worden ist.

Und wir haben in unseren eigenen Gesell­schaften eben diese fremden­feind­lichen natio­na­lis­ti­schen autori­tären Bewegungen. Die versprechen Sicherheit durch Abschottung und durch Rückzug in die homogene Volks­ge­mein­schaft. Auch das ist ja keine neue Bewegung, sondern die hat sehr tiefe Wurzeln in der europäi­schen politi­schen und Geistes­ge­schichte. In den 20er Jahren war das die große Ausein­an­der­setzung. Die kehrt heute in gewisser Weise wieder. Und wir haben zum ersten Mal jetzt auch so was wie rechte Intel­lek­tuelle in der Bundes­re­publik, also Leute, die man nicht jetzt einfach in die Ecke von Dumpf­backen schieben kann. Sondern das sind gebildete, eloquente Leute, die versuchen, so was wie auch ein theore­ti­sches Gerüst zu liefern.

Deutsch­landfunk Kultur: Die sich auf Carl Schmitt berufen, den Philo­sophen der 20er Jahre.

Ralf Fücks: Die sich auf Carl Schmitt und seine Idee der homogenen Gesell­schaft… Und sein Politik­be­griff, der sagt: Politik ist ein Freund-Feind-Verhältnis. Da geht es nur um die Frage, wer wen besiegt. Kompromiss ist etwas Verächt­liches. Und Parla­men­ta­rismus ist eigentlich eine dekadente Verirrung gegenüber einem starken Staat, der die Einheit von Volk und Führung repräsentiert.

Deutsch­landfunk Kultur: Sie haben angesprochen, dass diese Verachtung der Populisten für die Demokratie und auch der Erfolg, den sie dabei haben, sich nicht nur mit materi­ellen und sozialen Problemen erklären lässt. Sie greifen in Ihrem Buch auch zu psycho­lo­gi­schen Erklä­rungen und zitieren dabei Karl Popper. Ich will das mal kurz vorlesen: „Das Stammes­ideal des heroi­schen Menschen ist ein Angriff auf die Idee des zivilen Lebens selbst. Dieses wird wegen der von ihm gepflegten Idee der Sicherheit als schal und materia­lis­tisch angeprangert.“ „Lebt gefährlich!“ ist sein Gebot.

Könnten Sie das jetzt mal ins Hier und Jetzt übersetzen? Wie lässt sich das auf die heutige Wirklichkeit anwenden?

Ralf Fücks: Ich denke tatsächlich, dass man vor allem in den Feuil­letons, die ja ein bisschen wie so eine Art Seismo­graph sind für neue geistige Strömungen und Stimmungen, so etwas beobachten kann wie einen Überdruss an der Lange­weile der bürger­lichen Demokratie und eine zuneh­mende Sehnsucht wieder nach dem Radikalen, nach dem Existen­zi­ellen, nach dem Heroi­schen. Da gibt es salon­bol­sche­wis­tische Philo­sophen wie Žižek, die ja doch ein Lieblingskind in vielen deutschen Feuil­letons sind, die den Leninismus jetzt wieder entdecken und die tatsächlich diesen Grundzug der Verachtung gegenüber der bürger­lichen Demokratie pflegen, der doch ein sehr elitärer gleich­zeitig ist. Das erinnert eben doch an Strömungen in den 20er, 30er Jahren – wie Jünger oder Spengler oder Heidegger, die dem Ideal des kriege­ri­schen Menschen huldigen und die diesen kommer­zia­li­sierten und profanen bürger­lichen Alltag verachten.

Ich denke schon, dass man auch auf der demokra­ti­schen Seite wieder ein Stück mehr Leiden­schaft braucht, Passion für die Sache der Freiheit und der Demokratie und die Bereit­schaft, auch in den Konflikt zu gehen, statt alles sozusagen zu überdecken.

Aber gleich­zeitig müssen wir sehr aufpassen, dass wir die zivilen Grund­lagen der politi­schen Ausein­an­der­setzung vertei­digen, zum Beispiel die Gewalt­freiheit und den Respekt vor dem politi­schen Plura­lismus, also auch vor der Meinung des anderen. Demokra­tische Politik argumen­tiert eben nicht mit absoluten Wahrheiten.

Deutsch­landfunk Kultur: Da wird vieles ja, Sie sprechen das schon an, auch in den sozialen Medien, wie man so schön sagt, mittler­weile ausge­fochten. Sie begeben sich ja auch explizit in die sozialen Medien mit dem Zentrum liberale Moderne. Sie wollen auch dort wirken.

Denken Sie, dass das den Gesamt­diskurs verändert? Oder hebt es ihn einfach nur auf eine andere technische Ebene?

Ralf Fücks: Das ist die große Frage natürlich auch für uns selbst. Ich meine, wir sind ein kleines Projekt mit knappen Ressourcen, mit einer Handvoll Leuten. Wir sind jetzt nicht größen­wahn­sinnig, dass wir den ganzen öffent­lichen Diskurs, wie man so schön neudeutsch sagt, also die öffent­liche Debatte auf den Kopf stellen können.

Trotzdem ist für uns die Frage: Kommen wir über diese liberale Filter­blase hinaus mit dem, was wir so produ­zieren an Ideen, an Argumenten, an Diskus­si­ons­bei­trägen? Also, schaffen wir es wirklich, eine gesell­schaft­liche Debatte mit zu führen, die über das Milieu derer hinaus­reicht, die eigentlich schon überzeugt sind? Das ist ja ein Struk­tur­problem dieser digitalen Medien.

Wir dachten ursprünglich, das führt zu einer enormen Ausweitung demokra­ti­scher Öffent­lichkeit. Tatsächlich hat es zu einer immer stärkeren Parzel­lierung geführt. Im Internet gibt es Stämme, die eigentlich nur mit sich selbst kommu­ni­zieren, die die anderen entweder ausblenden oder sie von vornherein als Feinde wahrnehmen.

Und die große Frage ist, wie es gelingt, wieder eine milieu­über­grei­fende politische Ausein­an­der­setzung zu führen. Das heißt nicht Friede, Freude, Eierkuchen, aber zumindest wieder die Ausein­an­der­setzung mitein­ander zu führen. Das ist auch eine zuneh­mende Heraus­for­derung an die politi­schen Parteien. Wie kommen die eigentlich noch aus ihren eigenen Milieus heraus?

Was die Pegida-Demons­tranten umtreibt

Deutsch­landfunk Kultur: Wie man aus den Milieus heraus­kommt, ist natürlich eine Frage, aber anderer­seits ist auch die Frage: Man kann nur die erreichen, die noch erreichbar sind. Und man kann mit Fug und Recht ein Frage­zeichen daran machen, wie viele von denje­nigen, die den Links- wie Rechts­po­pu­listen auf den Leim gehen, tatsächlich noch erreichbar sind. – Was denken Sie?

Ralf Fücks: Ich glaube, dass man darauf keine generelle Antwort finden kann. Es gibt sicher so einen festen Kern von Überzeu­gungs­tätern, die sich abgeschirmt haben gegen jeden Zweifel und gegen jedes Argument, also, Verschwö­rungs­theo­re­tiker zum Beispiel, Leute, die fest davon überzeugt sind, dass die Welt gelenkt wird von finsteren Mächten – ob das jetzt das ameri­ka­nisch oder das jüdische Finanz­ka­pital ist oder dass Parteien in Wirklichkeit eben nur selbst­süchtige Verei­ni­gungen sind, die die Bevöl­kerung veräppeln. Das ist ganz schwer, solche Leute noch zu erreichen.

Aber ich denke, es gibt ein großes Zwischenfeld von Leuten, und zwar bis hin in diese Pegida-Demons­tranten im Osten, die schon noch erreichbar sind für eine Ausein­an­der­setzung, die einer­seits ernst nimmt, was diese Leute da umtreibt, und sie nicht einfach von vornherein in die rechts­ra­dikale oder faschis­tische Ecke stellt, ohne ihnen nach dem Mund zu reden. Das ist ja die große Kunst. Wie kommt man wieder ins Gespräch mit Leuten, die sagen, ich bin eigentlich mit der ganzen Richtung nicht einver­standen, ich bin gegen die Globa­li­sierung, ich bin gegen eine weltoffene Einwan­de­rungs- und Flücht­lings­po­litik. Ich bin auch gegen die Homo-Ehe?

Das sind Positionen, die uns erstmal fremd sind. Aber wir dürfen darauf nicht so reagieren, dass wir sagen: Ihr habt eigentlich gar keinen legitimen Ort mehr in einer demokra­ti­schen Auseinandersetzung.

Deutsch­landfunk Kultur: Ist das tatsächlich so? Ich meine, muss man nicht auch mal einfach diesen Leuten sagen: Wer die AfD wählt, wählt eine Partei, die es nicht schafft, einen Holocaust-Leugner aus ihren Reihen auszuschließen.

Ralf Fücks: Ja, natürlich. Die Ausein­an­der­setzung mit der AfD als Partei und mit Figuren wie Höcke und zunehmend auch – ich würde sagen – Herrn Gauland, der in eine extrem unglück­selige Rolle da spielt und der wider besseres Wissen an diesem Geschichts­re­vi­sio­nismus sich beteiligt.

Mir geht es ja nicht darum, dass man die Ausein­an­der­setzung irgendwie verschwiemelt und die Diffe­renzen zukle­istert, sondern dass man die Motive, die hinter solchen Protest­stimmen stecken, dass man sich die nochmal anguckt. Dass Leute sich vor Deklas­sierung fürchten, vor sozialem Abstieg fürchten, dass sie wissen wollen, wie kann Politik auch in Zeiten von stürmi­schen Verän­de­rungen Sicherheit für den Großteil der Bevöl­kerung gewähr­leisten, wie können wir gleich­zeitig eine humanitäre Einwan­de­rungs­po­litik betreiben und die demokra­ti­schen Normen unseres Grund­ge­setzes durch­setzen, das sind ja Fragen, die treiben eben nicht nur eine Handvoll Rechts­ra­di­kaler um, sondern die haben offen­sichtlich eine Resonanz auch in größeren Teilen der Gesellschaft.

Ich glaube, dass man diese Ausein­an­der­setzung vor allem gewinnt, wenn die demokra­ti­schen Parteien ihre Hausauf­gaben machen. Und die Hausaufgabe von Politik ist zu steuern, Verän­derung zu steuern und Antworten auf die Umbrüche zu geben, denen wir uns gegen­wärtig ausge­setzt sehen.

Wenn die Leute das Gefühl von Kontroll­verlust haben und dass die Politik sich eigentlich schon verab­schiedet hat, dass sie solche Dinge wie Steuer­flucht nicht mehr angeht oder dass sie Zuwan­derung einfach nur als eine Art Natur­phä­nomen hinnimmt, dann wird es kritisch.

Deutsch­landfunk Kultur: Was sind denn die Felder, die die Partei der liberalen Mitte, das fasse ich jetzt nicht partei­po­li­tisch, sondern ganz weit von der CSU bis zu den…

Ralf Fücks: CSU und liberale Mitte ist kühn.

Deutsch­landfunk Kultur: Ich sage es, wie gesagt, nicht partei­po­li­tisch, sondern histo­risch-philo­so­phisch gefasst. Also, dieje­nigen, die sich mit dem Rechts­staat und der Demokratie identi­fi­zieren, wenn ich die mal von rechts bis links – sagen wir es einfach so – nehme, was kann man denen den zurufen, was sie auf der Uhr haben, was sie einfach bewäl­tigen müssen?

Was die sozialen und materi­ellen Probleme anbelangt, müssen wir einfach mal einge­stehen, dass wir im inter­na­tio­nalen Vergleich in einer unglaublich abgesi­cherten Gesell­schaft leben. Was kann man denn da noch tun?

Müssen wir uns Richtung Grund­ein­kommen bewegen?

Ralf Fücks: Ja, das stimmt für die Gegenwart. Aber es ist eben nicht ausge­macht, dass das auch noch für die Zukunft stimmt. Auf uns rollen enorme Verän­de­rungen zu – zum Beispiel in der Autoindustrie.

Wie bewäl­tigen wir den Übergang vom konven­tio­nellen Verbren­nungs­motor zur Elektro­mo­bi­lität? Das ist ein riesiger Umbau. Die alte techno­lo­gische Kompetenz der deutschen Autoin­dustrie, mit der sie ihre inter­na­tionale Markt­macht aufgebaut hat, die wird radikal entwertet. Und die Frage ist: Wie schnell schaffen wir diesen Übergang zu einer komplett neuen Antriebs­tech­no­logie, zu neuen Treib­stoffen – ob das jetzt nun Wasser­stoff, Brenn­stoff­zel­len­technik oder Elektro­motor mit Batterie ist, kann man nochmal offen lassen. Auf die Autoin­dustrie rollt eine enorme Verän­derung zu. Ihre alte techno­lo­gische Kompetenz, auf der die BMWs und Mercedes ihre inter­na­tionale Markt­macht aufgebaut haben, wird radikal entwertet. Das hat auch Konse­quenzen für die Arbeits­plätze. Die Produktion des Elektro­motors erfordert viel weniger mensch­liche Arbeit als die eines komplexen Verbrennungsmotors.

Und das gilt auch für andere Branchen, vor allem vor dem Hinter­grund der digitalen Revolution. Es ist ja noch überhaupt nicht ausge­macht, wie viel an quali­fi­zierter mensch­licher Arbeit künftig ersetzt werden wird durch intel­li­gente Maschinen – und zwar bis in Berufs­zweige, bei denen man sich das bis vor Kurzem noch gar nicht vorstellen konnte. Ob das nun Ärzte sind oder Buchhalter oder Steuer­be­rater, das lässt sich alles weitgehend digitalisieren.

Wie geht die Gesell­schaft um mit einem Umbruch, der mögli­cher­weise dazu führt, dass die Besteuerung von Arbeits­ein­kommen nicht mehr die Grundlage für die sozialen Siche­rungs­systeme sein kann?

Müssen wir uns Richtung Grund­ein­kommen bewegen? Brauchen wir andere Formen der Betei­ligung breiter Gesell­schafts­schichten am Produk­tiv­ka­pital? Was müssen wir tun, um in mehr Bildung und Quali­fi­zierung zu inves­tieren, um Menschen zu befähigen, mit diesen Verän­de­rungen aktiv umzugehen?

Das sind alles Fragen, die gegen­wärtig in der Politik noch unter­be­lichtet sind, die aber einen zuneh­menden Teil der Leute in der Gesell­schaft umtreiben. Also: Wie schaffen wir das, die Offenheit für Verän­de­rungen zu verbinden mit dem Grund­be­dürfnis an Zugehö­rigkeit und Stabi­lität, was für viele Menschen doch offenbar elementar ist, damit sie sich nicht ausge­liefert fühlen.

Ich glaube nicht, dass man einfach sagen kann, uns geht es so gut, dass man diesen Status quo einfach in die Zukunft fortschreiben kann. Das gilt schon gar nicht im Hinblick auf Klima­wandel und die ökolo­gische Heraus­for­derung. Wir stehen vor einem Zeitalter von Verän­de­rungen. Und Politik muss in der Lage sein, diese zu gestalten und einen Ordnungs­rahmen zu schaffen, in dem dann Unter­nehmen und Zivil­ge­sell­schaft sich frei bewegen können.

Deutsch­landfunk Kultur: Alle reden in diesem Zusam­menhang von der beson­deren Rolle, die Bildung dabei spielt, bei der Selbst­er­mäch­tigung der Bürger und bei der Emanzi­pation des Individuums.

Wenn ich mich jetzt umschaue in Deutschland und mir dann verge­gen­wärtige, wie viel bzw. wie wenig vergleichs­weise in Bildung inves­tiert wird, und wenn ich mir den Zustand der Schulen zum Beispiel im Bundesland Berlin anschaue oder aber auch in Nordrhein-Westfalen, und wenn ich dann auch auf solche Experi­mente schaue, die nicht ausfi­nan­ziert sind, die vielleicht klug gedacht sind, wie Inklu­si­vität, die müssen einfach personell unter­füttert werden. Das kommt einfach zu billig weg in der Politik.

Wo sehen Sie denn da einen Ansatz­punkt, dass man auch die Priori­täten einfach mal ändert?

Ralf Fücks: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Der Zustand vieler Schulen ist ja tatsächlich ein Trauer­spiel. Und das ist eine Zumutung nicht nur für die Schüle­rinnen und Schüler, in solche runter­ge­kom­menen Gebäude zu gehen und verdreckte Toiletten… Das ist ja auch immer eine Form, dass Bildung nicht wirklich wertge­schätzt wird. Das ist sozusagen die Botschaft und dass diese Kinder selbst auch nicht wertge­schätzt werden.

Ich bin tatsächlich überzeugt, ich war ja auch mal Senator in Bremen, habe ein bisschen Erfahrung mit Stadt­staats­po­litik, dass es ein Fehler war, dass wir die Konso­li­dierung der öffent­lichen Haushalte vor allem betrieben haben, indem die Inves­ti­tionen in die öffent­liche Infra­struktur runter­ge­fahren worden sind. Es ist ja nicht der Sozial­staat in Wirklichkeit abgebaut worden, sondern die Sozial­quote ist sogar noch gestiegen an den öffent­lichen Haushalten. Die Inves­ti­tionen sind drama­tisch gesenkt worden. – Und das hat Konse­quenzen irgendwann für den Zustand unseres Bildungs­systems oder unsere Verkehrs­systems oder auch kultu­reller Einrichtungen.

Das heißt, wir brauchen wieder mehr Inves­ti­tionen in die öffent­lichen Güter, in diese Infra­struktur einer demokra­ti­schen Republik, Bildung und Erziehung, Kultur – bis hin zum öffent­lichen Verkehr, einem attrak­tiven Nah- und Fernver­kehrs­system, was wirklich auch eine Alter­native zum Auto bietet.

Wenn man etwa in die Schweiz geht, dann sind die Leute dort stolz auf ihre Eisenbahn, die auch wirklich ein techni­sches Meisterwerk ist in den Alpen. Und die betrachten das als eine republi­ka­nische Errun­gen­schaft. Und viele unserer öffent­lichen Einrich­tungen, zum Beispiel die Theater und Museen, die sind gebaut worden in der Gründerzeit oder am Anfang des 20. Jahrhun­derts von einer selbst­be­wussten Bürger­ge­sell­schaft, die sich darin wieder­ge­funden hat.

Also, man braucht öffent­liche Einrich­tungen und öffent­liche Insti­tu­tionen, in denen die Demokratie sich auch wieder­finden kann, in denen sich die Bürge­rInnen wieder­finden und auf die sie stolz sein können. Das heißt, wir müssen andere Priori­täten setzen in den öffent­lichen Haushalten. Es ist viel weniger spiel­ent­scheidend, ob Hartz IV zehn oder fünfzehn Euro höher oder niedriger ist oder das Kindergeld fünf Euro, sondern wie viel wir inves­tieren in die Kinder­gärten. Das ist für das Schicksal der Kinder, gerade aus den unter­pri­vi­le­gierten Familien viel wichtiger.

Deutsch­landfunk Kultur: Wir bewegen uns bei all diesen Fragen immer gleich­zeitig ja auf einer begrenzten natio­nalen Ebene, die aber untrennbar verbunden ist mit der inter­na­tio­nalen Ebene – ob das die wirtschaft­liche Konkurrenz ist oder die Wissenschaftskonkurrenz.

Und mich verwundert es persönlich immer wieder, dass Bedro­hungen von außen in Deutschland mit sehr unter­schied­lichem Maß gemessen werden. Russland wird oft mit Milde und Zurück­haltung kommen­tiert. Sobald die USA im Spiel sind, sei es NSA oder TTIP, da kennt dann oft die Hysterie keine Grenzen. – Sehen Sie das auch so? Bewerten Sie das auch so?

Ralf Fücks: Na ja, ich komme ja aus einer Phase der Studen­ten­be­wegung, wo wir durch die Straßen gezogen sind mit der Parole: USA, SA, SS. Das war offen­sichtlich das Bedürfnis, die Verei­nigten Staaten in die Tradition des Natio­nal­so­zia­lismus zu rücken und sich damit gleich­zeitig von der eigenen Geschichte zu entlasten.

Es gibt tatsächlich einen in der Wolle sitzenden Antiame­ri­ka­nismus in Deutschland, der eine sehr lange Tradition hat, bis hinein in das 19. Jahrhundert gegen Amerika als multi­eth­ni­schen Schmelz­tiegel, gegen die Kommerz­ge­sell­schaft, gegen die angeb­liche Oberfläch­lichkeit der ameri­ka­ni­schen Zivili­sation. – Und dagegen die deutsche Tiefe, die Romantik, die uns dann wiederum mit Russland verbindet und die in Wahrheit immer eine Mischung war aus Senti­men­ta­lität und Brutalität.

Das spielt bis heute in die politische Ausein­an­der­setzung hinein, vor allem bei denen, die gerne eine Achse Berlin-Moskau als Alter­native zum Trans­at­lan­ti­schen Bündnis sehen wollen.

Deutsch­landfunk Kultur: Sie haben auch da ein Manifest mit unter­zeichnet, in dem es heißt: Trotz allem, Amerika! – Das fällt ja nicht gerade leicht beim derzei­tigen ameri­ka­ni­schen Präsidenten.

US-Präsident verachtet liberal­de­mo­kra­tische Werte

Ralf Fücks: Darum heißt es ja „Trotz allem“, also, notfalls auch gegen Trump. Das Desaster ist ja – und das ist wirklich ein Drama mit Auswir­kungen, die wir noch gar nicht absehen können, dass in Amerika selbst jetzt ein Präsident an der Macht ist, der die ameri­ka­ni­schen Werte zutiefst verachtet, nämlich diese liberal­de­mo­kra­ti­schen Werte, der auch die inter­na­tionale Ordnung verachtet oder sie zumindest gar nicht versteht, die maßgeblich von Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden und garan­tiert worden ist – mit den Vereinten Nationen, mit dem Völker­recht, mit diesen ganzen multi­la­te­ralen Organisationen.

Welche Auswir­kungen das hat, hängt vor allem natürlich davon ab, ob Trump nur ein vorüber­ge­hendes Inter­mezzo ist oder ob das tatsächlich eine dauer­hafte Schieflage ameri­ka­ni­scher Politik und dann auch der gesell­schaft­lichen Entwicklung in den USA bedeutet.

Ich glaube das immer noch nicht, weil der Wider­stand gegen Donald Trump doch enorm ist – bis in den Senat hinein, auf der kommu­nalen Ebene, in der Wirtschaft, in der ameri­ka­ni­schen Kultur­in­dustrie. Und ich hoffe sehr auf die Selbst­kor­rek­tur­fä­higkeit Amerikas, das das immer wieder bewiesen hat.

Mir geht es um einen politi­schen Begriff des Westens, genau um dieses Projekt der liberalen Moderne. Das hat immer wieder der Politik des Westens wider­sprochen. Das ist natürlich keine gerade Linie. Aber das ist doch eine sehr starke ideelle Kraft, diese Idee von Freiheit und Demokratie und offenen Gesell­schaften. Und das ist heute umso wichtiger als Rückhalt für die Demokra­tie­be­we­gungen weltweit. Die brauchen einen Verbün­deten in Europa und Amerika.

Wenn das wegfällt, dann wird es ziemlich finster.

Deutsch­landfunk Kultur: Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie gibt uns Maßstäbe. Wir haben die Wirtschafts­krise 2008 unter anderem deswegen überwunden, weil wir die Lehren aus der Weltwirt­schafts­krise ab 1929 gezogen haben. – Welche Lehren müssen wir denn in der Ausein­an­der­setzung mit den Feinden von Demokratie, Freiheit und Rechts­staat­lichkeit beher­zigen aus dieser Zeit?

Ralf Fücks: Ich denke zum einen, eine gewisse Entschlos­senheit, die man auch als wehrhafte Demokratie bezeichnen kann. Also: keine falsche Toleranz gegenüber antide­mo­kra­ti­schen Ideologien und Bewegungen, ob das radikal islamis­tische oder rechts- oder links­extreme Bewegungen sind, und vor allem keine Toleranz, wenn es um die Frage der Gewalt­freiheit geht.

Die Gewalt­freiheit der politi­schen Ausein­an­der­setzung muss notfalls auch mit Mitteln des Straf­rechts verteidigt werden. Da geht es richtig um den Kern einer zivilen politi­schen Kultur. Und gleich­zeitig müssen wir verhindern, dass unsere Gesell­schaft immer stärker ausein­ander treibt. Der Natio­nal­so­zia­lismus hätte damals natürlich nicht gewonnen ohne die massen­hafte Verelendung im Gefolge er Weltwirt­schafts­krise, die ja bis weit in die Mittel­schichten hinein wirkte, und die Panik, die das ausgelöst hat.

Das heißt, die Frage von gesell­schaft­lichem Zusam­menhalt, von mehr Chancen­ge­rech­tigkeit, von mehr sozialer Teilhabe, auch in Zeiten von großen wirtschaft­lichen und techni­schen Umbrüchen ist schon elementar, wenn man eine freiheit­liche Demokratie vertei­digen will. Wir dürfen Freiheit und Sicherheit nicht gegen­ein­ander ausspielen.

Deutsch­landfunk Kultur: Herr Fücks, vielen Dank für das Gespräch.

Ralf Fücks: Ich bedanke mich.


Das Interview wurde am 18. November 2017 auf Deutsch­landfunk Kultur gesendet.

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