„Die Frage ist nicht, ob die Weltwirtschaft wächst, sondern wie“
Es gibt Schnittmengen zwischen „Green Growth“ und „Suffizienz“. Dennoch muss die Politik sich für eine Grundrichtung entscheiden. Ralf Fücks und Reinhard Loske im Gespräch mit der FAZ über divergierende Denkschulen in der Umweltdebatte.
Ihre Sorge um die Umwelt führte beide zu den Grünen. Lange schon fragen sich Ralf Fücks und Reinhard Loske, ob Wachstum und Umweltschutz vereinbar sind. Wieso weichen ihre Antworten so stark ab?
Dafür dass Ralf Fücks lange aus der aktiven Politik heraus ist, ist er derzeit überraschend gefragt. Fernsehen, Podiumsdiskussionen, Unterschriftenlisten, CDU-Parteitag. Überall ist der frühere Sprecher des Grünen-Bundesvorstands, inzwischen einundsiebzig, und geschäftsführende Gesellschafter einer Berliner Denkfabrik dabei. Ob zum Ukrainekrieg oder zur Klimadebatte, der scharf argumentierende Leiter des Zentrum Liberale Moderne in Berlin hat Substanzielles beizutragen und wird im Diskurs gehört.
„Osteuropa und Ökologie sind unsere Leidenschaften“, sagt Fücks und meint sich und seine Ehefrau Marieluise Beck, die im Jahr 2017 als bis dahin am längsten amtierende grüne Abgeordnete den Bundestag verließ. Im Anschluss suchten sie nach einem Ort zum Denken und Schreiben. Ihre politische Omnipräsenz war nicht geplant.
Nachdenken wollten sie vor allem über die Bedrohungen der liberalen Demokratie durch politische Gegenmodelle, wie sie in Russland, China und Ungarn erprobt werden. Über rechtspopulistische Angriffe im Inneren. Und über illiberale Wege der ökologischen Transformation. Wie nie zuvor haben sich diese Themen durch den russischen Angriff auf die Ukraine im vergangenen Februar miteinander verschränkt. Die Antwort auf die Energieabhängigkeit von Russland ist dieselbe wie die auf den sich verschärfenden Klimawandel: die Dekarbonisierung von Industrie und Lebensstilen. Die aber alles andere als ein Spaziergang ist.
Reinhard Loske hat sich vom politischen Betrieb in Berlin schon eine Weile losgesagt. Wie Fücks bestimmt er die deutsche Umweltdebatte seit mehr als drei Jahrzehnten. Als Wissenschaftler arbeitete er ein erstes Modell der ökologischen Steuerreform aus (das er später im Bundestag umsetzte), als Teil einer Gruppe einfallsreicher Forscher am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie schrieb er wesentliche Kapitel des vielbeachteten Ökobuchs „Zukunftsfähiges Deutschland“, bevor er als Abgeordneter in den rot-grünen Regierungsjahren ein Gesetz nach dem anderen mitgestaltete: das EEG, den Atomausstieg, den Emissionshandel. Zentrale Bausteine der grünen Programmatik in dieser Zeit.
Eine zufällige Gemeinsamkeit enthalten ihre Lebensläufe. Ihre einzige Erfahrung in der Exekutive haben Fücks und Loske etwa vier Jahre lang – mit einem Abstand von eineinhalb Jahrzehnten – als Bremer Umweltsenatoren gesammelt. Zwischen Rückkehr zum Wasser und Piepmatzaffäre der eine, zwischen Tempolimit und Umweltzone der andere. Der ältere blieb danach in der Politik und führte zwei Jahrzehnte lang die grüne Heinrich-Böll-Stiftung. Der jüngere wurde Professor. Seit dem Ende seines Engagements an der Cusanus-Hochschule ist er mit vierundsechzig Jahren nach Mittlerer Reife, Ausbildung, jeweils nebenberuflicher Studienzeit, Promotion und Habilitation derzeit ungebunden. „Ich erlebe gerade das höchste Maß an Freiheit der Tätigkeit, seit ich 1975 mit sechzehn Jahren meine Banklehre angetreten habe“, sagt er.
Beide zählen zu den kompetentesten Teilnehmern des deutschen Wachstumsdiskurses. Fücks hat schon in den späten Achtzigerjahren nach Wegen in eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft gesucht und Anknüpfungspunkte an SPD und Union gesucht. Sein Buch „Intelligent wachsen. Die Grüne Revolution“ von 2013 hat innerhalb und außerhalb seiner Partei viele Leser gefunden. Loskes publizistische Arbeit kreist weiter um den Kern von „Zukunftsfähiges Deutschland“. In diesen Tagen hat er mit „Ökonomie(n) mit Zukunft. Jenseits der Wachstumsillusion“ seine Trilogie wachstumskritischer Essays abgeschlossen, die er als Bremer Umweltsenator im Jahr 2010 mit „Abschied vom Wachstumszwang. Konturen einer Politik der Mäßigung“ begann. Zwei Jahre später setzte er sich mit den Reaktionen in „Wie weiter mit der Wachstumsfrage?“ auseinander.
Den technischen Fortschritt unterschätzt
Der Ökonom Loske ist einer der prominentesten Wachstumskritiker des Landes, knüpft an die Wurzeln der Grünen in der Ökobewegung in den Siebzigerjahren an und hat nichts dagegen, wenn man ihn einen „Öko-Fundi“ nennt. Denn das komme von Fundament und daran fehle es der Umwelt- und Klimadebatte. Think-Tank-Leiter Fücks dagegen hat dicke Bretter gebohrt, um die Grünen mit der Wirtschaft zu versöhnen und die Wirtschaft in öffentlichen Veranstaltungen mit der Umwelt. Angesichts der Aufholgeschwindigkeit im globalen Süden, die er auf Reisen mit der Böll-Stiftung erlebte, sagt er: „Die Frage stellt sich nicht, ob die Wirtschaft wächst, sondern wie.“
Die Wachstumsdebatte ist seit den Siebzigerjahren diffus: Linke Kapitalismuskritik mischte sich mit kirchlichen Warnungen vor einer Götzenanbetung. Der Bericht „Grenzen des Wachstums“ machte wie keine andere Publikation auf die Verletzlichkeit der Erde und Gefahren etwa durch den Klimawandel aufmerksam. Gleichzeitig suggerierte er mit einem damals ambitionierten, heute unzureichenden mathematischen Modell, alle ökologischen Wechselwirkungen des Wirtschaftens skizzieren zu können und unterschätzte einen wesentlichen Faktor: den technischen Fortschritt.
In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurde es ruhiger. Lauter „-Wenden“ wurden ausgerufen. „Brav“ nennt Loske diese Impulse. Erst danach ging es wieder rund: De-Growth, Post-Wachstum, A‑Growth, Donut-Ökonomie. Ökologische Ökonomen wie Tim Jackson oder Herman Daly wurden international bekannt und stellten einfache Fragen: Wenn eine Dematerialisierung der Wirtschaft das Ziel ist, wie realistisch ist ein Abschied vom gigantischen Durchsatz an physischem Material und Energie, der für den Wohlstand bislang nötig ist?
Klar ist für beide Seiten, den Wachstumskritiker Loske wie den Vordenker eines grünen Wachstums Fücks, dass Wohlstandserzeugung vom Naturverbrauch radikal entkoppelt werden muss – durch erneuerbare statt fossiler Energien, durch schonendere landwirtschaftliche Verfahren und ja, auch durch Verhaltensänderungen. Doch für Fücks steht ein Umbau der Industriegesellschaft im Vordergrund. „Wir müssen die Produktionsweise grundlegend ändern und mithelfen, dass der Süden die fossile Produktionsweise überspringt.“ Loske dagegen ist ein Freund der Suffizienz. „Schon zu Zeiten des Zukunftsfähigen Deutschlands haben wir immer gesagt: Besser, anders, weniger“.
Ralf Fücks hatte bis zu seiner Erkenntnis den sprichwörtlich langen Marsch durch die Institutionen hinter sich. Nach Mitgliedschaft im Kommunistischen Bund Westdeutschlands und Rektoratsbesetzung in Heidelberg trat er 1982 den Grünen bei – aus systemoppositioneller Haltung, wie er heute sagt. Der Einzug in die Bremer Bürgerschaft Mitte der Achtziger führte ihn mit politischen Persönlichkeiten zusammen, durch die er den Wettbewerbsgeist der liberalen Demokratie entdeckte. Darin sei sie artverwandt mit der Marktwirtschaft.
Dann folgte die Zeit als Senator: ständiger Austausch mit Unternehmen, deren Geschäftsmodelle nicht immer zu Vorstellungen der Politik passten. „Aber immer mehr Unternehmen setzen sich ernsthaft mit ihrer Umweltbilanz auseinander und investieren Milliarden“, sagt er. In Dialogen mit Autoherstellern, Luftfahrt und Chemie merkte er, dass die Politik sehr wohl Leitplanken setzen muss, die Industrie aber bereit ist mitzugehen, wenn ihre Belange berücksichtigt sind.
Streiten um dasselbe Ziel?
Für seine Haltung in der Wachstumsfrage entscheidend sei aber der Wechsel an die Spitze der Böll-Stiftung gewesen. Als Kind aus der Provinz habe er nun die Welt entdeckt, den Aufstiegswillen, den Wohlstandshunger, den Wachstumsschub durch die Urbanisierung. Neue Gebäude, neue Energienetze, neue Straßen. „Daraus entwickelte sich für mich ein klarer Gedanke: Degrowth ist Weltflucht“, sagt er.
Gern provoziert er die wachstumskritische Seite. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schrieb er vor Kurzem mit seinem Ko-Autor Danyal Bayaz, dem Finanzminister von Baden-Württemberg: „Für ein fortschrittsmüdes, zukunftsängstliches und selbstgenügsames Schrumpfgermanien interessiert sich im Rest der Welt kein Mensch“. Der Emissionshandel müsse zum ökonomischen Leitinstrument werden, weil durch ihn Ausstoßmengen mit hartem Ordnungsrecht reduziert werden können, daraus ein Preis folgt, der auch die Umweltkosten berücksichtigt, aber Haushalte und Unternehmen nach kostensparenden Wegen suchen lässt. Der Artikel hat Reinhard Loske so geärgert, dass er sofort eine Replik schrieb, die demnächst veröffentlicht werden soll. Als Provokation und unzutreffende Charakterisierung empfindet er ihn.
Aber streitet hier nicht, wie in der legendären Komödie „Life of Brian“ die Volksfront von Judäa gegen die judäische Volksfront? Wenn doch das große Ziel Entkopplung von allen geteilt wird und sogar Fücks sagt, dass es ohne Verkehrswende, weniger Fleisch und seltenere Wochenendflüge nach Mallorca oder London nur schwer gehen wird?
Die Positionen sind bekannt
Loske stört sich an der Gleichsetzung von neuen Wohlstandskonzepten mit Attributen wie „zukunftsängstlich“. Als Abgeordneter habe er den Emissionshandel, mit dem die Politik Leitplanken für den Ausstoß setzen kann, mit voller Überzeugung zum Gesetz gemacht. Doch er sehe, welche kreativen Impulse aus neuen ökonomischen Denkrichtungen wie Care, Share oder Commons (Hegen, Teilen und Gemeinschaftsgüter) kämen. Zum Teil gingen kulturelle mit technischen Änderungen einher. „Liberalismus ist nicht nur die Freiheit, sich nach Preissignalen richten zu dürfen“, sagt er. Ein Satz, mit dem sich der liberal argumentierende Fücks falsch verstanden fühlen dürfte.
Loske geht es mit seinen Suffizienz-Argumenten darum, eine Suche nach dem rechten Maß zu gestalten, harte Einschnitte für die Wirtschaft über Emissionsdeckel hinaus sind seine Sache nicht. Lebensdienlich aber solle sie sein. „Die Frage, wie wir in, von und mit der Natur leben wollen, kann uns keine Wärmepumpe lösen“, sagt er. In seinem gerade fertiggestellten Essay schreibt er: „Die zahllosen Gratisleistungen der Natur werden als selbstverständlich genommen, als freie Güter, die einfach immer kostenlos da sind, vom bekömmlichen Klima bis zur biologischen Vielfalt, von produktiven Böden bis zur reinen Luft, vom sauberen Wasser bis zu den Bestäubungsleistungen der Insekten – und vielem mehr.“ Eine lebensdienliche Natur sei durch das Tun wirtschaftender Menschen gefährdet.
Zu einem gemeinsamen Gedankenaustausch für diesen Artikel kommt es nicht, die Zeit ist knapp, obwohl die Fahrt vom Zentrum Liberale Moderne in Mitte zum Treffpunkt mit Loske am südlichen Rand des Prenzlauer Bergs in einer Viertelstunde auf dem Lastenrad der Fotografin zu machen ist. Aber die beiden kennen ihre Positionen ohnehin seit Langem.
So wie Fücks auch die der Journalistin Ulrike Herrmann gut kennt, die in ihrem Bestseller „Das Ende des Kapitalismus“ die These vertritt, die Wirtschaftsordnung sei durch ihren inneren Zwang zu wachsen nicht in der Lage, das Klimaproblem zu lösen. Anfang Mai trafen sie in der Körber-Stiftung in Hamburg aufeinander für eine hochgradig spannende und emotionale Debatte.
Fücks spricht eindringlich und leise. Manchmal wird er an überraschenden Stellen lauter – so wie in unserem Gespräch. „Die Sache kommt in Bewegung“ ist so ein Satz. Das Wachstum werde grüner. Eine Trennung zwischen wohlstandssattem Norden und hungrigem Süden führe nicht weiter. Die technische Entwicklung beschleunige sich rasant und unterstütze die Entkopplung.
Zwei Faktoren seien unendlich: die Einstrahlung von Sonnenenergie und die menschliche Erfindungskraft. „Sie ist die Triebkraft, die uns in der Evolution vorangebracht hat.“ In den Unionsparteien und in der FDP ist Fücks heute beliebter als zu Umweltsenator-Zeiten. Einzelne Sektoren müssten schrumpfen, sagt er in der Diskussion, weniger Autoverkehr in Städten sei wünschenswert, aber nicht die Ökonomie im Ganzen. Im Vergleich zu Prozessänderungen bringe ein Wandel im Lebensstil nur wenig.
Wahre Preise für Emissionen bestimmen
In vielen Punkten sind sich Fücks und Loske einig. Loske sieht die Debatte inzwischen aber weiter fortgeschritten. „Im akademischen Bereich ist es heute kein Stigma mehr, wachstumskritische Ansätze zu verfolgen“, sagt er. Polarisierende Schlagworte wie „Verzichtsapostel“, die Bundeskanzler Helmut Schmidt jüngeren Kritikern entgegenhielt, oder eben das „Schrumpfgermanien“ von Fücks und Bayaz passten nicht zur konstruktiv geführten Debatte. Dichotomien wie Staat vs. Markt seien überkommen. Positive Zukunftsbilder der Nachhaltigkeit dürften nicht nur beim technischen Fortschritt ansetzen. Der Wandel gelinge, wenn er auch von Werten gestützt sei, die sich in Lebensstilen äußerten.
Vielleicht lassen sich die abweichenden Positionen der beiden als Yin und Yang eines grünen wirtschaftlichen Wertefundaments lesen. Auch Fücks glaubt angesichts des Wohlstandsniveaus nicht, dass Wachstumsraten wie in den Fünfzigerjahren erreichbar sind, findet es aber hilfreich, dass Bundeskanzler Scholz eine grüne Gründerzeit ausruft. Und Loske betont, wie wichtig es ist, die wahren Preise für Emissionen zu bestimmen und den Markt zu stärken. Einig sind sich die beiden auch darin, wie schnell es gehen muss, damit Haushalte und Industrie ohne fossile Brennstoffe wirtschaften können und damit Konzepte helfen, dass die aufholenden Staaten im Süden nicht den ressourcenintensiven und senkenbelastenden Weg des Nordens kopieren.
Der Artikel von Philipp Krohn und Julia Zimmermann ist zuerst bei der FAZ erschienen.
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