„Die Russen beschießen auch Rettungsboote“ –
Spendenaufruf und Bericht aus dem überfluteten Cherson
Die Sprengung des Kachowka-Dammes steht für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Menschen in den Überschwemmungsgebieten stehen buchstäblich vor dem Nichts – und wollen doch weiterkämpfen. Marieluise Beck war mit ukrainischen Hilfsorganisationen in Cherson.
Ich war am vergangenen Wochenende im überfluteten Cherson. Die Lage der Menschen in den Gebieten, die durch die Sprengung des Dnipro-Staudamms durch die russischen Besatzer überschwemmt wurden, ist dramatisch.
Begleitet wurde ich von Freiwilligen einer Hilfsorganisation aus Odesa. Bürgerinitiativen wie diese unterstützen wir seit Langem mit der „Brücke der Hoffnung“. Sie sind flinker als staatliche Behörden – und benötigen für ihre humanitäre Arbeit dringend unsere Spenden.
In den Straßen Chersons, in denen das Wasser abgeflossen ist, riecht es grauenhaft. Wir sahen kein Rotes Kreuz, keinen UNHCR, keine offiziellen Helfer, aber viele verzweifelte alte Menschen, zumeist Frauen. Wenn man sie anspricht, beginnen sie zu weinen über ihr zerstörtes Leben.
Wo sollen sie anfangen? Die Gärten sind von grauem Schlamm durchzogen. Aus den Häusern sind ganze Mauern weggebrochen. Es gibt weder Strom noch sauberes Wasser. Jede Hilfe wird gebraucht, damit die Menschen wieder Boden unter die Füße bekommen.
Für Putin zählt ein Menschenleben nichts
Man denkt, es könne schlimmer nicht sein. Aber wir sehen nur einen kleinen Teil der Zerstörungen. Fast 80 Prozent der gefluteten Fläche liegt im Osten des Dnipro. Dort hilft niemand. Dort kommt niemand hin. Wie einst für Stalin zählt für Putin ein Menschenleben nichts. Die russischen Besatzer lassen keine Hilfe zu. Wir viele Tote es dort gibt? Wir wissen es nicht. Manch einer sagt, die Ausmaße seien die einer taktischen Atombombe.
„Die Russen beschießen auch Rettungsboote”
In Cherson ist an einem Sammelplatz für die Evakuierung ein Mann unter den Wartenden, der es aus den besetzten Gebieten geschafft hat. Fünf Tage saß er mit seiner Familie auf dem Dach und wurde schließlich von ukrainischen Freiwilligen gerettet. Als die Russen merkten, dass Menschen gerettet wurden, begannen sie, die Rettungsboote zu beschießen.
Kachowka-Damm – Der Name steht nun für ein großes Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und nein, es war nicht wie im Ahrtal, wo die Wassermassen unerwartet alles mit sich rissen. Es war keine Naturkatastrophe, die so vielen Menschen alles nahm.
Mutwillige Vernichtung
Die Sprengung des Damms folgte einem Plan: der mutwilligen Vernichtung der Lebensgrundlagen von Menschen, ihren Häusern, ihrem Ackerland, ihren Tieren. Die Wasserversorgung ganzer Städte mit Hunderttausenden Einwohnern ist akut gefährdet. Kachowka wurde erdacht von einem, dem das Leben eines Menschen nichts gilt, der alles mitreißen will ins Verderben, wenn er die Ukraine nicht erobern kann.
Manche sagen, vielleicht war es gar nicht das russische Militär, das den Damm gesprengt hat? Abgesehen davon, dass alle Indizien auf die russischen Besatzer deuten, hat die Leugnung solcher Untaten eine lange Tradition. Putin annektierte 2014 die Krim – und es sollen grüne Männchen gewesen sein. Die Passagiermaschine MH 17 wurde von russischen Raketen abgeschossen – und es soll ukrainisches Militär gewesen sein. Nun also sollen die Ukrainer ihr eigenes Volk ertränken und ihren Truppen den Weg über den Dnipro versperren? Es ist Zeit, den Lügen ein Ende zu setzen.
„Wenn wir nicht kämpfen, werden die Russen uns alles nehmen”
Ich frage viele Menschen in Cherson: Muss die Ukraine jetzt endlich aufhören zu kämpfen? Und sie alle sagen: Wenn wir nicht kämpfen, werden die Russen uns alles nehmen. Was können wir tun, um sie zu unterstützen? Wir können informieren und wachrütteln – und den Menschen in Cherson und anderen Regionen durch Spenden helfen.
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