„Ein Einfrieren des Krieges wäre ideal für Lukaschenka“

Foto: Imago Images

Lukaschenka präsen­tiert sich seinem Volk als Garant des Friedens, sein Regime scheint gefestigt – solange Russland den Krieg in der Ukraine nicht verliert. 

In diesen Tagen hat – nach dem Litera­tur­no­bel­preis im Jahr 2013 – zum zweiten Mal seit der Unabhän­gigkeit von Belarus ein Bürger des Landes einen Nobel­preis erhalten: Ales Bjaljazki ist in diesem Jahr einer der Träger des Friedens­no­bel­preises. Er ist eine Legende der belaru­si­schen Menschen­rechts­be­wegung, und sitzt – wie bei einem Menschen­rechtler im heutigen Belarus zu erwarten – im Gefängnis.

Friedens­no­bel­preis für Ales Bjaljazki

Der Friedens­no­bel­preis wurde in diesem Jahr auch russi­schen und ukrai­ni­schen Menschen­recht­le­rinnen und Menschen­rechtlern verliehen. Nicht jeder in der Ukraine war glücklich über die Entscheidung des Nobel­preis­ko­mitees. In einer Zeit, da auch aus Belarus abgefeuerte russische Bomben und Raketen Ukrai­ne­rinnen und Ukrainer töten, sind die Vorbe­halte, auf einer Liste mit Bürgern der Aggressor-Staaten zu stehen, emotional nachvoll­ziehbar. Selbst dann, wenn es sich bei den Preis­trä­ge­rinnen und Preis­trägern um Menschen handelt, die ihr ganzes Leben gegen jene Regime angekämpft haben, die für diesen Krieg verant­wortlich sind.

Russlands Krieg gegen die Ukraine entscheidet auch das Schicksal von Belarus

Für Belarus birgt dieser Nobel­preis sehr viel weniger Wider­sprüche: Die Schicksale der drei ostsla­wi­schen Völker sind unstrittig mitein­ander verwoben. Und es ist hier nicht nur die Ironie gemeint, dass die erste belaru­sische Nobel­preis­trä­gerin, die Schrift­stel­lerin Swjatlana Alexi­je­witsch, in der Ukraine geboren wurde, und der zweite, Ales Bjaljazki, in Russland. Wichtiger ist, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine nicht nur die Zukunft der Ukraine und Russlands bestimmen wird, sondern auch das Schicksal von Belarus entscheidet.

„Eine Außen­po­litik Richtung Westen gibt es praktisch nicht mehr“

Nachdem der belaru­sische Autokrat Aljaxandr Lukaschenka nach den Protesten von 2020 die Zivil­ge­sell­schaft zerschlagen hat, ist er in eine noch größere Abhän­gigkeit vom Kreml geraten. Eine Außen­po­litik Richtung Westen gibt es praktisch nicht mehr. Die Sanktionen wegen der Menschen­rechts­ver­let­zungen, der erzwun­genen Landung der Ryanair-Maschine (um den Aktivisten Raman Pratas­se­witsch an Bord festnehmen zu können), der künst­lichen Schaffung eine Migra­ti­ons­krise an den Außen­grenzen der EU und schließlich der Mitwirkung am Krieg haben das Handels­vo­lumen zwischen Belarus und dem Westen auf einen Bruchteil schrumpfen lassen. Russland wurde nicht nur zum wichtigsten Absatz­markt, sondern für einen Großteil der belaru­si­schen Exporte in andere Länder auch zum einzigen Transitkorridor.

Gefes­tigtes Vasal­len­ver­hältnis zwischen Russland und Belarus

Die Präsenz russi­scher Streit­kräfte in Belarus hat das bestehende Vasal­len­ver­hältnis von Belarus zu Russland weiter gefestigt. Einige opposi­tio­nelle Stimmen fordern gar, Belarus als besetztes Terri­torium einzu­stufen. Das mag zwar aus völker­recht­licher Sicht noch nicht der Fall sein, doch ist die Handlungs­fä­higkeit der Regierung in Minsk als eigen­stän­diges Subjekt sehr viel geringer als vor dem Krieg oder vor 2020.

Lukaschenka kann nicht den Abzug der russi­schen Streit­kräfte von seinem Terri­torium fordern, und er kann allem Anschein nach auch nicht kontrol­lieren, was diese dort tun. Selbst wenn er zukünftig die westlichen Bedin­gungen wieder erfüllen wollte, um sich aus der Isolation zu befreien, müsste er das russische Truppen­kon­tingent im eigenen Land im Auge haben. Insgesamt sind seine Signale Richtung Westen aber auch wenig ernst zu nehmen, da nicht klar ist, welche er selbst sendet, und welche im Auftrag des Kreml.

Es ist nur schwer vorstellbar, dass es unter Lukaschenka, der sich auf eine Militär­ma­schi­nerie und Wirtschafts­sub­ven­tionen des Kreml stützt, zu einem Wieder­auf­leben der belaru­si­schen Innen­po­litik kommt. Solange Russland weiter willens und in der Lage ist, Lukaschenka zu unter­stützen, scheint das Regime in Belarus vor Erschüt­te­rungen relativ gefeit. Es besteht zwar immer das Risiko eines spontanen Regime­kol­lapses, wenn der Anführer stirbt oder schwer erkrankt, doch lassen sich derlei Szenarien nur schwer prognostizieren.

„Ein Einfrieren des Kriegs wäre ideal für Lukaschenka“

Die Fähigkeit und die Bereit­schaft Russlands, Lukaschenka unter seiner Vormund­schaft zu halten, hängen unmit­telbar vom Verlauf des Krieges in der Ukraine ab. Ein vollstän­diger Sieg Moskaus erscheint heute nicht wahrscheinlich. Jedes langfristige Einfrieren des Konflikts aber, ohne dass es in Russland zu politi­schen Verwer­fungen kommt, wäre ein ideales Ergebnis für Lukaschenka. Denn es bedeutete, dass Moskau Belarus weiterhin als militä­ri­sches Aufmarsch­gebiet brauchen würde, um die Drohku­lisse gegen die Ukraine und die gesamte Region aufrecht­zu­er­halten. Und es wäre dann notwendig, in die Stabi­lität dieses Aufmarsch­ge­bietes zu inves­tieren. Die Kosten wären relativ gering, und selbst die stagnie­rende russische Wirtschaft wäre in der Lage, diese zu stemmen.

Wachsender Rückhalt und vorgeb­licher Pazifismus des Lukaschenka-Regimes

Lukaschenka könnte sich dabei, falls es ihm gelingt, seine Armee aus dem Krieg in der Ukraine heraus­zu­halten, der Bevöl­kerung weiterhin als Garant des Friedens in Belarus präsen­tieren. Dieser vorgeb­liche Pazifismus Lukaschenkas in der Kommu­ni­kation mit seinem Volk (der im Kontrast zu der Rhetorik steht, die die Welt von ihm kennt) zeigt eine gewisse Wirkung. Meinungs­um­fragen seit Februar 2022 machen deutlich, dass 85–95% der Belaru­sinnen und Belarusen gegen eine Betei­ligung der eigenen Armee am Krieg sind. Ohne einfachen Zugang zu unabhän­gigen Medien – die das Regime aus dem Land vertrieben oder gesperrt hat – sind sich viele Meschen in Belarus nicht bewusst, dass ihr Land jetzt schon an dem Krieg gegen die Ukraine beteiligt ist. Infol­ge­dessen ist ein Teil der Bevöl­kerung bereit, ihren früheren Groll gegen das Regime beiseite zu schieben, wenn ihr Land im Gegenzug beim Krieg – scheinbar – außen vor bleibt. Aus einigen Umfragen geht sogar hervor, dass die Unter­stützung für das Lukaschenka-Regime beim zuvor neutralen Teil der Gesell­schaft nach Kriegs­beginn zugenommen hat.

Die Ansichten des anderen Teils der Gesell­schaft – der überzeugten Anhänger der Proteste (die im Land geblieben oder aber ausge­wandert sind) – entwi­ckelten sich hingegen in die entge­gen­ge­setzte Richtung: Sie sind gerade angesichts des Krieges nicht bereit, sich mit dem Regime abzufinden und werden in ihrer Ablehnung immer radikaler. Aus Studien geht hervor, dass unter den Regime­gegnern, anders als 2020, als fried­liche Proteste im Vorder­grund standen, der Wunsch nach einer gewalt­samen Lösung der Krise in Belarus stark zugenommen hat.  Belaru­sische Freiwillige, die in der Ukraine kämpfen, sprechen davon, dass man das Lukaschenka-Regime mit Gewalt loswerden müsse.

Der Krieg in der Ukraine als “Window of Opportunity“?

Aller­dings wird sogar in der Opposition einge­räumt, dass roman­tische Pläne für einen Befrei­ungs­feldzug gegen Minsk nichts als Phantas­terei sind, solange Lukaschenkas Regime stark ist und die Unter­stützung Russlands genießt. Die Opposition wird innerhalb des Landes erst dann handlungs­fähig werden, wenn das Regime bereits aus anderen Gründen geschwächt ist, die Eliten ohne Orien­tierung sind und die Maschi­nerie der Sicher­heits­kräfte nicht mehr funktio­niert. Der Krieg in der Ukraine könnte ein solches “Window of Oppor­tunity“ schaffen, entweder durch eine direkte Betei­ligung der belaru­si­schen Armee, was in allen Teilen der Gesell­schaft äußerst unpopulär wäre, oder durch eine Niederlage Moskaus, an dessen Geldhahn Lukaschenko hängt.

Grund­sätz­liche Änderung der Lage, falls Russland den Krieg verliert

Falls Russland verliert oder durch den Krieg erheblich geschwächt würde, könnte sich die Lage für Lukaschenka grund­legend ändern. Dann könnte er sich nicht mehr auf die großzügige Unter­stützung von außen verlassen und sein Volk mit der vermeint­lichen Nicht-Teilnahme am Krieg besänf­tigen. Das Regime müsste dann entweder nach neuen Möglich­keiten suchen, um die Bezie­hungen zum Westen wieder aufzu­tauen, oder aber darauf hoffen, dass sein Repres­si­ons­ap­parat in der Lage sein wird, jegliche Proteste, auch wirtschaftlich motivierte, zu unter­drücken. So oder so, eine Desta­bi­li­sierung des Regimes dürfte nach dem gleichen Modell erfolgen, das auch zum Zusam­men­bruch der kommu­nis­ti­schen Regime in Osteuropa Ende der 1980er Jahre führte, nachdem die UdSSR als geopo­li­ti­scher Schutzherr ausfiel.

Bis derlei Szenarien Realität werden, könnten noch Jahre vergehen und aktuell hat die belarus­sische Zivil­ge­sell­schaft nicht viel Spielraum, um im Land aktiv zu werden.  Politische Gefangene wie Ales Bjaljazki sind Geiseln des belaru­si­schen Regimes –  das übrige Land eine Geisel der Frage, wie der Krieg zwischen den beiden Nachbar­ländern ausgeht.

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