Für eine nachhaltige Demokratieförderung in der Östlichen Nachbarschaft und der Russischen Föderation
Empfehlungen zivilgesellschaftlicher Organisationen an den 20. Bundestag und die Bundesregierung für eine nachhaltige Demokratieförderung in der Östlichen Nachbarschaft und der Russischen Föderation.
Hintergrund
Die Östliche Nachbarschaft der EU ist gezeichnet von einer zunehmenden Polarisierung zwischen den Staaten, die auf der Basis von EU-Assoziierungsabkommen demokratische Reformen durchführen, und den Diktaturen in Belarus und Aserbaidschan, die immer repressiver gegen ihre Zivilgesellschaften vorgehen. Die Führung der Russischen Föderation (RF) hat sich unter der Präsidentschaft von Wladimir Putin zu einem strategischen Gegner der EU entwickelt, der Völkerrecht und internationale Vereinbarungen bricht und zugleich im Inneren jegliche unabhängigen Kräfte der Politik, Medien, Zivilgesellschaft und Bildung verfolgt. Wie Russlands anhaltende militärische Aggression im Osten der Ukraine und der Schulterschluss mit dem Lukaschenka-Regime zeigen, bedroht die russische Regierung systematisch die Unabhängigkeit und Souveränität der Länder der Östlichen Nachbarschaft und versucht, eine 1991 verlorene Dominanz wiederherzustellen. Immer offensichtlicher werden auch die Versuche der russischen Regierung, die offenen Gesellschaften in der EU und anderer europäischer Länder zu destabilisieren, das Vertrauen in demokratische Institutionen und Wahlen zu schwächen und Antagonisten der demokratischen Gesellschaftsordnung in EU-Mitgliedsstaaten zu stärken.
Für die Zukunft Europas wird es daher von entscheidender Bedeutung sein, ob es gelingen wird, die 1991 begonnene Systemtransformation in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion mit neuen Impulsen zu stärken und die offene Gesellschaftsordnung der EU gegen externe und interne Bedrohungen zu verteidigen. Ob die direkte Nachbarschaft der EU von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit oder von illiberalen und korrupten Autokratien geprägt sein wird, wird entscheidend von der Stärke und den Handlungsmöglichkeiten der demokratischen Zivilgesellschaft in den Staaten der Östlichen Nachbarschaft und der Russischen Föderation abhängen. Gerade in autoritären Staaten, wo Regime den eigenen Machterhalt über die Entwicklung des Landes stellen, sind zivile Akteure die wichtigste Hoffnung für gesellschaftlichen Wandel und Reformen. Demokratieförderung muss daher als ein strategischer und unabdingbarer Teil der deutschen Außenpolitik verstanden werden. Gefördert werden sollten jene Kräfte und Personen, die bereit sind, sich trotz hoher Risiken für die international verbrieften Grundrechte und eine Annäherung an das Wertemodell des gemeinsamen, demokratischen Hauses Europa einzusetzen.
Die Bundesrepublik hat ein elementares Eigeninteresse daran, dass zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort ebenso wie im erzwungenen Exil die Möglichkeiten und Instrumente erhalten, um langfristig eine demokratische politische Kultur aufzubauen, staatsbürgerliche Grundrechte und rechtsstaatliche Verfahren – auch und gerade unter den verschärften Bedingungen wachsender Repression – einzufordern. Für ihren Einsatz brauchen sie und ihre zahlreichen Kooperationspartner in der deutschen Zivilgesellschaft einen verlässlichen programmatischen und finanziellen Rahmen, der die nötige Flexibilität auch für die Arbeit im „shrinking space“ bietet. Deutschland verfügt über ein dichtes Netz an bürgerschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontakten in der ÖP-Region und in Russland. Bei der dortigen demokratischen Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit bestehen hohe Erwartungen an die normative Glaubwürdigkeit deutscher und europäischer Politik. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden ist es dringend erforderlich, die bestehenden Förderprogramme und ihre haushälterischen Rahmenbedingungen zu aktualisieren und bestmögliche Lösungen für die neuen Herausforderungen im „shrinking space“ zu finden.
I Allgemeine Empfehlungen
- Die zunehmenden politischen und gesetzlichen Einschränkungen der unabhängigen Zivilgesellschaft in einigen Staaten der Östlichen Partnerschaft und der Russischen Föderation erfordern eine Anpassung der deutschen Demokratieförderung für die Region. Förderinstrumente, Haushaltsrichtlinien und bestehende Programme müssen entbürokratisiert und auf ihre Effizienz und Umsetzbarkeit unter den erschwerten politischen Rahmenbedingungen geprüft werden.
- Wir empfehlen die Entwicklung einer interministeriell koordinierten und mit hinreichenden Ressourcen ausgestatteten Demokratie-Förderpolitik für die Staaten der Östlichen Partnerschaft und die Russische Föderation. Expertise aus der Zivilgesellschaft in Deutschland und der Zielregion sowie aus zur Emigration gezwungenen Initiativen sollte in die Weiterentwicklung der Demokratieförderungs-Programme der Bundesregierung einfließen und bei ihrer Ausgestaltung berücksichtigt werden (etwa in Form von Konsultationen über Schwerpunkte und Methodenauswahl).
- Die Demokratieförderung der Bundesregierung sollte in engem Austausch mit vergleichbaren Strukturen in anderen EU-Mitgliedsländern sowie auf EU- und US-Ebene erfolgen, um bestmögliche Synergien zu erzielen und unkoordiniertes Nebeneinander zu vermeiden. Best practice-Erfahrungen können übernommen werden.
- Zielgerichtete Demokratieförderung ist auf einen guten Abstimmungsprozess zwischen Zivilgesellschaft und Politik/Diplomatie angewiesen. Das erfordert einen kontinuierlichen Austausch zwischen Ministerien und zivilgesellschaftlichen Akteuren im eigenen Land wie mit den entsprechenden Partner/innen in den Zielländern. Die Botschaften der Bundesrepublik spielen eine wichtige Rolle, um solche Abstimmungsprozesse zu befördern.
- Wo sich zentrale Themen, Anliegen und Formate der Demokratieförderung nicht oder nicht hinreichend mit dem weiterentwickelten Förderprogramm ÖPR realisieren lassen, sollten zusätzliche, spezifische Förderprogramme entwickelt werden.
- Die Position des/der Beauftragten für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft der ÖP und RF kann eine Schlüsselrolle in der konfliktbeladenen politischen Auseinandersetzung mit der russischen Regierung spielen. Die Personalie sollte vom neuen Bundestag mit einer außen- und russlandpolitisch erfahrenen Politiker/in besetzt werden, der oder die eine klare Haltung in menschenrechtlichen Fragen vertritt.
- Der Petersburger Dialog kann nur fortgeführt werden, solange von der russischen Seite keine Mitglieder und deren Organisationen als „unerwünscht“ gebrandmarkt oder anderweitig in der freien Ausübung ihrer zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und Rechte eingeschränkt werden. Es muss kritisch geprüft werden, inwieweit der Petersburger Dialog noch den Interessen der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit dient oder nur noch eine Alibifunktion wahrnimmt. Die Geschäftsstelle des PD sollte von der Geschäftsstelle des Deutsch-Russischen Forums gelöst werden, um Interessenkonflikte zu vermeiden.
II Konkrete Empfehlungen an bestehende und zukünftig einzurichtende Demokratieförderprogramme
- Institutionelle Förderung von Trägern vor Ort ist ein zentrales Instrument, um nachhaltige und wirksame Akteursstrukturen in den Zielregionen zu entwickeln. Da in der Zielregion in der Regel weder staatliche Förderung noch ausreichend lokale Philanthropie bereitstehen, sollte die nachhaltige Förderung von strategischen Partnern Teil der deutschen Demokratieförderung werden. Sie erspart den geförderten Akteuren aufwändiges Fundraising, stärkt die institutionelle und strukturelle Entwicklung vor Ort und trägt damit zu effizientem Mitteleinsatz und stabilen internationalen Partnerschaften bei.
- Die Antragstellung bei Demokratieförderprogrammen sollte laufend oder zumindest mehrmals im Jahr möglich sein, um dynamischen gesellschaftlichen Entwicklungen folgen zu können. Jährliche Ausschreibungszyklen wie sie derzeit im Förderprogramm ÖPR praktiziert werden sind zu unflexibel, um angemessen auf gesellschaftliche Chancen oder auch Gefahren zu reagieren.
- Um staatlichem Druck zu entgehen, verzichten mehr und mehr Initiativen in der Region auf eine formale Registrierung und agieren als strukturierte Netzwerke. Gleichzeitig werden z.B. durch die repressive aktuelle russische NGO Gesetzgebung zunehmend auch bereits registrierte Organisationen gezwungen, ihre Tätigkeit in diesem Format einzustellen und ohne formale juristische Registrierung weiterzuarbeiten. Daher sollten auch nicht registrierte Organisationen und Einzelpersonen von Förderprogrammen berücksichtigt werden können.
- Die Mehrjährigkeit sollte bei vom AA geförderten Projekten die Norm sein, um Nachhaltigkeit und Effizienz zu schaffen. Demokratieförderung braucht einen langen Atem und Vertrauen, das in langsam sich entwickelnden Partnerschaften entsteht. Langfristige Förderung sollte nicht ein zu vermeidendes, sondern ein angestrebtes Kooperationsmodell sein. Sie sollte in regelmäßigen Abständen auf ihre Wirkung hin überprüft werden.
- Eine bestehende Partnerschaft mit Trägern in Deutschland darf keine zwingende Voraussetzung für Förderung mit Bundesmitteln sein. Gerade junge Initiativen in den Zielländern, die auf aktuelle Entwicklungen reagieren, haben in der Regel noch keine internationalen Partnerschaften. Auch für sie müssen Angebote bereitgestellt werden.
- Intermediäre Strukturen mit Fördererfahrung in der Zielregion können mit der Programmdurchführung beauftragt werden, um Zielgruppen vor Ort besser zu erreichen – sie kennen die Bedingungen vor Ort am besten und können die Vernetzung vor Ort und das begleitende Management flexibler und vertrauensvoller abwickeln als Ministerien oder Bundesverwaltungen. Über intermediäre Strukturen können auch Kleinförderungen verwaltet werden, die mit geringen finanziellen Mitteln oft eine erhebliche Wirkung entfalten. Die EU hat unlängst mit den „Framework Partnership Agreements“ ein vergleichbares Instrument eingeführt, um kleinteilige und regionale Förderung zu ermöglichen.
- Ergänzend zur Förderung in der Zielregion müssen auch cross-border-Aktivitäten und Diaspora Initiativen, die in die Zielregionen zurückwirken, gefördert werden, insbesondere von demokratischen Akteuren, die aufgrund ihrer Tätigkeit ins Exil gezwungen wurden. Derzeit arbeiten die maßgeblichen belarusischen Menschenrechtsorganisationen und unabhängigen Medien weitgehend aus dem Ausland – eine ähnliche Entwicklung zeigt sich bereits für die Russische Föderation infolge der massenweisen Verdrängung kritischer NGOs und investigativer Redaktionen durch die Führung des Landes seit August 2021. Zentrale Herausforderungen sind eine liberale und unbürokratische Visavergabe ebenso wie die niedrigschwellige Bereitstellung von Stipendien für verfolgte Akteure.
- Die haushälterischen Richtlinien sollten weit größere Flexibilität ermöglichen, um auch in repressiven Systemen effektive Arbeit zu ermöglichen – hierzu verweisen wir auf die jüngste Initiative „Positionspapier Zuwendungsrecht“ https://openletter.earth/positionspapier-zuwendungsrecht-d3b61a6f/de. Förderrichtlinien und Abrechnungsverfahren müssen stärker an die veränderten Bedingungen der Arbeit in autoritären Regimes angepasst werden.
Berlin, Oktober 2021
- Dr. Gabriele Freitag, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V.
- Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne gGmbH
- Hanno Gundert, n‑ost
- Stefan Melle, Deutsch-Russischer Austausch e.V.
- Cornelius Ochmann, Stiftung Deutsch-Polnische Zusammenarbeit e.V.
- Stefanie Schiffer, Europäischer Austausch gGmbH