Georgien: Warum Europa jetzt handeln muss

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Dass Georgien in den Autori­ta­rismus abgleitet, ist weit mehr als ein innen­po­li­ti­scher Prozess. Russland testet dort, wie weit sich repressive Politik und antiwest­liche Narrative verbreiten lassen, ohne dass die EU gegen­steuert. Der zivil­ge­sell­schaft­liche Wider­stand ist stark, doch Europas Handeln ist unerlässlich, schreibt Khatia Kikalishvili.

Gut ein Jahr ist es her, dass der umstrittene georgische Premier­mi­nister Irakli Kobachidse angekündigt hat, die EU-Beitritts­ver­hand­lungen einseitig auf Eis zu legen. Seither protes­tiert ein großer Teil der georgi­schen Bevöl­kerung, der die Zukunft des Landes eindeutig in der EU verortet und nicht als Vasall eines neoim­pe­ria­lis­ti­schen Russlands, täglich gegen diese Entscheidung.

Was sich in Georgien vollzieht, ist daher weit mehr als eine innen­po­li­tische Ausein­an­der­setzung eines EU-Beitritts­kan­di­daten. Vielmehr wird ein strate­gisch orches­triertes Experiment durch­ge­führt, dessen politische Logiken der Kreml still befördert und das sich mittler­weile unver­kennbar in der Rhetorik der Regie­rungs­partei Georgi­scher Traum (GT) wider­spiegelt. Zwar existiert auf zivil­ge­sell­schaft­licher Ebene weiterhin eine wider­stands­fähige, klar westlich orien­tierte demokra­tische Haltung, doch droht sie ohne substan­zielle Unter­stützung der europäi­schen Partner unter der sich verfes­ti­genden Autokratie zu ersticken. Europa muss Georgien deshalb als Prototyp begreifen – als Versuchs­objekt, an dem Moskau testet, wie weit sich autoritäre Praktiken und antiwest­liche Narrative in einem EU-Beitritts­kan­di­daten verankern lassen, ohne dass ernst­hafte europäische Gegen­maß­nahmen folgen.

Partei­verbote und Repressionen

Vor diesem Hinter­grund ist die Ankün­digung des GT vom 4. November zu bewerten, die wichtigsten prowest­lichen Opposi­ti­ons­par­teien – darunter Ahali, Lelo und die Verei­nigte Nationale Bewegung – verbieten zu wollen. Parallel dazu haben der Sicher­heits­dienst und die Staats­an­walt­schaft neue Straf­ver­fahren gegen bereits inhaf­tierte Opposi­ti­ons­führer eröffnet. Offiziell ist von Sabotage, Unter­stützung feind­licher Staaten oder der Unter­grabung der natio­nalen Sicherheit die Rede. Tatsächlich jedoch handelt es sich um eine syste­ma­tische Krimi­na­li­sierung jener Kräfte, die inter­na­tionale Partner zur Vertei­digung demokra­ti­scher Insti­tu­tionen und zu Sanktionen gegen die mit Russland verflochtene politische Elite aufge­rufen haben. Mit der fortge­setzten Entmachtung unabhän­giger Insti­tu­tionen und der gezielten Ausschaltung politi­scher Konkurrenz nähert sich das Land in alarmie­rendem Tempo dem autori­tären Modell seines nördlichen Nachbarn an.

Wider­stand unter Druck – und dennoch geeint

Gleich­zeitig zeigt sich, dass der demokra­tische Wider­stand trotz massiver Repres­sionen bemer­kenswert standhaft bleibt. Die Zivil­ge­sell­schaft, die bereits seit Juni 2023 durch das sogenannte „Gesetz über auslän­dische Agenten“ nach russi­schem Vorbild erheblich unter Druck steht, ist Verhören, Konto­sper­rungen, adminis­tra­tiven Schikanen und alltäg­licher Einschüch­terung ausge­setzt. Medien­schaf­fende werden festge­nommen, mit Geldstrafen belegt und an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert. NGOs, die Rechts­bei­stand leisten oder Menschen­rechts­ver­let­zungen dokumen­tieren, werden zunehmend als „Staats­feinde“ stigma­ti­siert. Und dennoch fungieren sie weiterhin als eine der letzten demokra­ti­schen Säulen eines Landes, das an der Schwelle zu einem autori­tären System steht.

Jüngst kündigte der GT zudem eine Geset­zes­än­derung an, nach der georgische Staatsbürger*innen im Ausland nicht mehr wählen dürfen, sondern zur Stimm­abgabe nach Georgien reisen müssen. Parla­ments­prä­sident Shalva Papuashvili begründete dies mit der Behauptung, im Ausland lebende Georgier*innen stünden „unter dem Einfluss deutscher Politiker“ und würden daher gegen die Regie­rungs­partei stimmen. Dieser Schritt stellt einen gravie­renden Eingriff in die politi­schen Grund­rechte georgi­scher Bürger*innen dar und schwächt ihre demokra­tische Teilhabe bewusst.

Angriff auf Europa: Desin­for­mation als Regierungsstrategie

Während sich der Wider­stand festigt, inten­si­viert der GT eine umfas­sende antiwest­liche Kampagne. In regie­rungs­nahen Fernseh­sendern wird die EU zunehmend mit sowje­ti­scher Rhetorik diskre­di­tiert. Besonders Deutschland gerät ins Visier: Wegen seiner klaren Haltung zu Sanktionen und Menschen­rechten wird die Bundes­re­publik regel­mäßig als „einmi­schende Macht“ dargestellt.

Der deutsche Botschafter in Georgien Peter Fischer wird dabei zum Ziel syste­ma­ti­scher persön­licher Angriffe. Ihm wird in regie­rungs­nahen Medien vorge­worfen, „die krimi­nelle Opposition“ zu unter­stützen – ein Narrativ, das eindeutig die politi­schen Muster des Kremls repro­du­ziert. Moskau versucht seit Jahren, europäische Demokratien als manipu­lative Akteure und jede prowest­liche Opposition als fremd­ge­steuert darzustellen.

Was Europa jetzt tun muss

Georgien befindet sich damit an seinem gefähr­lichsten politi­schen Wende­punkt seit der Unabhän­gigkeit. Partei­verbote, Massen­straf­ver­fahren, ein drastisch schrump­fender zivil­ge­sell­schaft­licher Raum und offene antieu­ro­päische Botschaften bergen die reale Gefahr, dass das Land sich endgültig von demokra­ti­schen Standards verab­schiedet und in den Einfluss­be­reich des Kremls gerät. Das Fenster für politi­sches Gegen­steuern ist noch offen – doch es schließt sich rapide.

Europa verfügt über mehrere Handlungs­op­tionen, um den aktuellen Entwick­lungen entge­gen­zu­steuern. Dazu zählen:

  • Gezielte Sanktionen gegen die oligar­chische Elite, insbe­sondere gegen jene, die aktiv an der Aushöhlung demokra­ti­scher Struk­turen beteiligt sind.
  • Massive und sichtbare Unter­stützung für NGOs und unabhängige Medien, einschließlich finan­zi­eller Sofort­hilfen und Schutzmechanismen.
  • Eine klare politische Kommu­ni­kation, die Bedin­gungen und Konse­quenzen benennt, wenn demokra­tische Insti­tu­tionen weiter unter­graben werden. Deutschland könnte über die Weimar-Plus-Formate eine zentrale Rolle spielen, um inter­na­tional Aufmerk­samkeit zu mobili­sieren und die Priori­sierung Georgiens in der EU-Außen­po­litik sicherzustellen.
  • Eine aktive Präsenz in Tbilissi, etwa durch verstärkte EU-Beobach­tungs­mis­sionen und hochrangige diplo­ma­tische Besuche, um der georgi­schen Bevöl­kerung sichtbar den europäi­schen Rückhalt zu signalisieren.

Die Zukunft Georgiens – und damit eines Teiles der europäi­schen Sicher­heits­ar­chi­tektur – entscheidet sich jetzt. Wenn Europa nicht entschlossen handelt, riskiert es den Verlust eines Landes, dessen Gesell­schaft trotz aller Repres­sionen klar auf den europäi­schen Weg setzt. Georgien ist heute nicht nur ein Konfliktfeld zwischen Demokratie und Autori­ta­rismus, sondern ein Testfall dafür, wie Europa auf hybride und politisch orches­trierte Einfluss­nahme seitens Russlands reagiert. Ein Wegsehen wäre ein Signal der Schwäche, das weit über den Südkau­kasus hinaus­wirken würde.

Der Artikel wurde zunächst bei www.zois-berlin.de veröffentlicht.

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