Israel als Täter, Palästinenser als Opfer? Ein Debattenbeitrag zum 7. Oktober und dem Gaza-Krieg.
In der Öffentlichkeit wird Israel zunehmend als Aggressor dargestellt. Aber der Hamas-Terror hat das Elend im Gazastreifen selbst produziert. Gasbeitrag von Ralf Fücks in der FAZ
Die Bilder aus dem Gaza-Streifen sprechen eine vermeintlich eindeutige Sprache: die palästinensische Zivilbevölkerung als Opfer einer rücksichtslosen israelischen Kriegführung. Verstärkt wird diese Botschaft durch die Schreckensmeldungen internationaler Agenturen über die verzweifelte Lage der palästinensischen Zivilbevölkerung, drohenden Hunger, Zusammenbruch der medizinischen Versorgung, Tod und Zerstörung. Im Internet kursieren Tausende von Fotos und Videos über das Leid der Palästinenser, die Bilder und Berichte vom 7. Oktober sind fast verschwunden.
Die UN-Generalversammlung forderte Israel mit 2/3‑Mehrheit zur Einstellung der Kampfhandlungen auf, ohne die Hamas und den Terrorangriff vom 7. Oktober auch nur zu erwähnen. Deutschland enthielt sich. Israel hat den Kampf um die internationale öffentliche Meinung weitgehend verloren. Allzu gut passen die bruchstückhaften Informationen aus dem Gaza in das tief verwurzelte Bild von Israel als Täter, den Palästinensern als Opfer. Kaum jemand thematisiert noch die Politik und Ideologie der Hamas, kaum jemand wirft ein Licht auf die Rolle des Iran, kaum jemand fragt nach der (Mit-)Verantwortung der Palästinenser für ihre miserable Lage, kaum jemand stellt den routinierten Rollenwechsel zwischen ständigen Terrorattacken auf Israel und dem Status des unschuldigen Opfers infrage. Für die „postkoloniale“ Szene ist ohnehin klar, dass Israel schon durch seine bloße Existenz ein „rassistischer Kolonialstaat“ ist, der die Palästinenser unterjocht.
Die Opferrolle der Palästinenser wird von den UN-Institutionen noch bestärkt. Die UNWRA ist die einzige UN-Organisation, die ausschließlich für eine spezielle nationale Gruppe zuständig ist und den Flüchtlingsstatus von ursprünglich etwa einer halben Million Palästinenser über Generationen hinweg fortschreibt.
1948 als Kernkonflikt
Die militärische Niederlage und die daraus resultierende Flucht und Vertreibung von 1948 gilt als nationale Urkatastrophe der Palästinenser. Der „Nakba-Mythos“ wird bis heute gepflegt. Dabei wird verdrängt, wer den Angriff auf den frisch ausgerufenen, von den Vereinten Nationen legitimierten jüdischen Staat begonnen hat. Die Besatzung des Westjordanlands war wiederum Folge des 6‑Tage-Krieges von 1967, mit dem die Juden ins Meer getrieben werden sollten. Der Yom-Kippur-Krieg von 1973, bei dem Israel am Rande einer Niederlage stand, führte immerhin zum Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten. Israel gab den Sinai auf, weil von Kairo kein Angriff mehr drohte. Das hätte ein Muster für eine umfassende Lösung des Nahost-Konflikts werden können, wurde es aber nicht, weil sich weite Teile der „arabischen Welt“ wie auch des „palästinensischen Widerstands“ nie mit der Existenz des jüdischen Staates abfinden wollten.
Am Scheitern des Oslo-Prozesses, der das Prinzip „Land gegen Frieden“ auch zwischen Israel und den Palästinensern umsetzen sollte, war der Maximalismus der Fatah zumindest mitverantwortlich. PLO-Chef Arafat bestand auf dem „Right of Return“ für die Flüchtlinge von 1948 und ihre Nachkommen – eine verkappte Formel für die Nicht-Anerkennung Israels als jüdischer Nationalstaat.
Was folgte, war die „2. Intifada“ mit Hunderten von Raketenangriffen und Tausenden Terroranschlägen, denen mehr als 1000 israelische Zivilisten zum Opfer fielen. Die Folgen waren verheerend, vom weitgehenden Zusammenbruch des Vertrauens in eine friedliche Koexistenz mit den Palästinensern (bei denen die Selbstmordattentäter als „Märtyrer“ gefeiert wurden) in Israel bis zum Bau der „Schutzmauer“, der empfindlichen Schwächung der PA, der Sprengung von Wohnhäusern von Attentätern, einer massiven Einschränkung der Arbeitserlaubnisse für Palästinenser und des ökonomischen Verkehrs mit der Westbank.
Politisch führten das Scheitern von Oslo und die ständigen Terroranschläge auf den Straßen von Jerusalem, Tel Aviv und zahlreichen anderen Städten zu einer Verschiebung der israelischen Politik nach rechts, während sich der palästinensische nationale Widerstand religiös auflud und die radikalen Islamisten der Hamas stärkte. Die 2‑Staaten-Lösung scheiterte (auch) daran, dass es mental und politisch immer stärker zurück zu „1948“ als dem israelisch-palästinensischen Urkonflikt ging. Wenn es aber um die „Befreiung ganz Palästinas“ geht, gibt es keinen Kompromiss. Dann zählt nur die Frage, wer wen besiegt, vertreibt oder vernichtet. Das gilt spiegelbildlich auch für den radikalen Flügel der israelischen Siedlerbewegung, der Anspruch auf ganz „Erez Israel“ erhebt.
Gaza und die Verantwortung der Hamas
Das Beispiel des Gaza-Streifens zeigt wie in einer Nussschale, wie die ideologische und militärische Radikalisierung des „palästinensischen Widerstands“ nach dem Scheitern von Oslo in eine verheerende Sackgasse führte. Der damalige israelische Premier Scharon entschloss sich im Zuge der zweiten Intifada zu einem einseitigen Rückzug aus dem Gaza-Streifen, der aus seiner Sicht auch im Rahmen eines Verhandlungsfriedens niemals israelisches Staatsgebiet sein würde. Mehrere Tausend israelische Siedler wurden gegen erbitterten Widerstand 2005 von der Armee evakuiert. Man kann mit guten Gründen dieses Manöver Scharons kritisieren, das – ob intendiert oder nicht – letztlich der Hamas in die Hände spielte. Aber es eröffnete zumindest die Chance auf den Aufbau einer palästinensischen Selbstverwaltung im Gaza, der keineswegs immer ein Armenhaus war und es auch nicht bleiben musste.
Als aber die Hamas nach einem blutigen Bruderkrieg mit der Fatah die alleinige Macht an sich riss, hatte sie nichts anderes im Sinn, als den Gaza-Streifen zu einer Raketenabschussrampe und einen Militärstützpunkt gegen Israel zu verwandeln. Statt in Landwirtschaft, Tourismus, Bildung und Gesundheit zu investieren, baute sie mit militärischer und finanzieller Hilfe des Iran und Katars eine massive Infrastruktur für wiederkehrende Raketenangriffe und Terrorattacken gegen Israel auf. Dem 7. Oktober gingen bereits fünf (!) Gaza-Kriege zwischen 2008 und 2022 voraus, die von der Hamas vom Zaun gebrochen wurden. Jeder Waffenstillstand wurde von ihr gebrochen, sobald sie sich wieder stark genug fühlte, Israel herauszufordern. Weshalb sollte es diesmal anders sein?
Die weitgehende Blockade des Gaza-Streifens, die Schließung von Grenzübergängen, des Hafens und des Flughafens durch Israel wurden faktisch von der Hamas erzwungen, die aus ihrem Vernichtungswillen gegenüber dem jüdischen Staat nie einen Hehl machte. Die Abriegelung des Gaza-Streifens konnte allerdings nicht den groß angelegten Schmuggel von Waffen, Ausrüstung und Baumaterial für das Tunnelsystem über Ägypten verhindern. Gleichzeitig ermöglichte Israel die humanitäre Grundversorgung der Bevölkerung, die Behandlung Tausender Patienten in israelischen Kliniken und die Erteilung von Arbeitserlaubnissen für Palästinenser aus dem Gaza. (Allein) Israel für die trostlose Lage im Gaza verantwortlich zu machen, verdreht Ursache und Wirkung.
Die Hamas und andere militante Palästinenserorganisationen haben das Leid ihrer Bevölkerung mit ihren immer massiveren Angriffen gegen Israel bewusst heraufbeschworen. Es ging ihnen darum, Israel ins Unrecht zu setzen und mit hungernden und toten Zivilisten Politik zu machen. Sie hatten nie Interesse am Frieden, sondern suchten die Eskalation. Wer die Bilder von jubelnden Männerhorden vor Augen hat, als halbnackte israelischen Geiseln im Gaza zur Schau gestellt wurden, von denen man nicht wusste, ob sie noch lebendig oder schon tot waren, ahnt den Grad der Brutalisierung in Teilen der palästinensischen Gesellschaft.
Gleichzeitig zeigen Umfragen des „Arab Barometer“, dass eine Mehrheit der Bevölkerung im Gaza kein Vertrauen in die Hamas setzt. Deren Kriegspolitik nach außen geht einher mit einer brutalen Gewaltherrschaft nach innen. Auch deshalb ist wichtig, dass Israel seinen Gegenangriff auf die politisch-militärischen Strukturen der Hamas konzentriert. Zivile Opfer sind unvermeidlich, weil sich die Hamas systematisch in Kliniken, Schulen und Wohngebäuden verschanzt, müssen aber so gering wie möglich gehalten werden.
Der 7. Oktober als Zäsur
Was am 7. Oktober stattfand, war ein alle Grenzen sprengender Gewaltexzess mit dem Ziel, Furcht und Schrecken zu verbreiten und möglichst viele Juden zu ermorden, weil sie Juden sind. Die Täter filmten ihre Grausamkeiten, um sich in den sozialen Medien feiern zu lassen. Richtig: Es gibt keine Kollektivschuld und es darf keine Kollektivstrafe für ein ganzes Volk geben. Aber es gibt eben doch die Mithaftung einer Nation für brutale Gewaltverbrechen, die von ihrer politischen Führung und Tausenden „bewaffneten Kämpfern“ begangen werden. Wer die Ereignisse vom 7. Oktober herunterspielen möchte, um Israel in die Rolle des Aggressors zu rücken, betreibt Täter-Opfer-Umkehr. Jeder Staat dieser Welt würde nach einem solchen Massaker alles daransetzen, um eine Wiederholung zu verhindern. Israel kann mit der Bedrohung durch die Hamas nicht länger leben.
Das auszusprechen bedeutet in keiner Weise, den israelischen Teil der Verantwortung zu negieren: die immer tiefer in das palästinensische Kernland vordringenden jüdischen Siedlungen, die schleichende Verdrängung der eingesessenen Palästinenser aus Jerusalem, die Gewalt militanter Siedler gegenüber Palästinensern, die alltägliche Schikane und Demütigung an den Checkpoints, die systematische Demontage der PA durch Netanyahu uns seiner extremistischen politischen Partner. Es bedeutet auch nicht, jede israelische Militäraktion im Gaza blind zu rechtfertigen. Auch in einem gerechtfertigten Krieg ist nicht alles erlaubt. Ob Israel hier oder dort gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen hat, müssen Fachleute klären, nicht Propagandisten.
Es ist aber ein reines Zerrbild, Israel als ewigen Täter und die Palästinenser als ewige Opfer dazustellen. Solange ein großer Teil nicht bereit ist, sich der eigenen Verantwortung zu stellen und anzuerkennen, dass sie die Politik der Gewalt beenden und den Traum einer Revision von 1948 beerdigen müssen, wird es keinen Frieden zwischen beiden Nationen geben.
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