Israel – man könnte Hoffnung haben

Foto: Shut­ter­stock, Pioneerka888

Richard C. Schneider blickt zurück auf Israel im Jahr 2021 und auf die kommenden Heraus­for­de­rungen: Irans atomare Aufrüs­tung, Omikron und die fest­ge­fah­rene Situation der Zweistaatenlösung. 

Was für ein Jahr! Vier Ereig­nisse prägten Israel 2021 ganz entscheidend.

Eine bunte und erfolg­reiche Koalition

Das wich­tigste zuerst: Die Ära Netanyahu ist Geschichte. Acht Parteien, die unter­schied­li­cher nicht sein können, inklusive einer arabi­schen Partei, die den Muslim­brü­dern nahesteht, bilden nun eine Koalition, die inzwi­schen bereits ein halbes Jahr an der Macht ist. Netanyahu ist nur noch Oppo­si­ti­ons­führer und viele hoffen, dass er sich ganz bald aus der Politik zurück­ziehen wird, doch all jene, die eine Rückkehr des rechten Popu­listen fürchten, wünschen eher, er möge noch möglichst lange in der Politik verbleiben und die Regierung vor sich hertreiben. Warum? Weil er der Kitt ist, der die aktuelle Regierung unter Premier Naftali Bennett zusam­men­hält. Sollte „Bibi“ Netanyahu die poli­ti­sche Arena tatsäch­lich verlassen, würde – so die Befürch­tung – die aktuelle Regierung sofort ausein­ander brechen, die rechten Parteien würden sich mit der oppo­si­tio­nellen Likud-Partei (dann ohne Netanyahu) zusam­mentun und womöglich auch noch die ortho­doxen Parteien mit einbe­ziehen: fertig wäre die wohl rechteste israe­li­sche Regierung aller Zeiten. Doch bis es so weit ist, wird es wohl noch eine Weile dauern. In der Zwischen­zeit gewöhnt sich Israel daran, dass das Land auch ohne Netanyahu weiter funk­tio­niert, viel­leicht sogar besser denn je, denn die Minis­te­rien können wieder unab­hängig arbeiten, der neue Premier reisst nicht die gesamte Macht an sich und regiert nicht wie ein Beinahe-Diktator. Israelis lernen zudem, dass man auch mit Arabern auskommen kann, dass Linke und Rechte mitein­ander an einem Tisch sitzen und reden und Kompro­misse mitein­ander schließen können. Der poli­ti­sche Gegner ist kein „Feind“ mehr, wie das Netanyahu propa­giert hatte, sondern einfach ein Konkur­rent, mit dem man dennoch gemein­same Schnitt­mengen hat.

Ein Gaza-Krieg ohne Konsequenzen

Die zweite Entwick­lung 2021: der Gaza-Krieg und seine Impli­ka­tionen. Israel musste zwei Dinge in dieser vierten mili­tä­ri­schen Ausein­an­der­set­zung mit der isla­mis­ti­schen Hamas lernen. Die Herrscher in Gaza sind mitt­ler­weile in der Lage, selbst Tel Aviv tage- und wochen­lang mit Raketen zu über­ziehen und zu terro­ri­sieren. Und: Israels Armee ist nicht in der Lage, die Infra­struktur der Hamas ohne hohe Zivil­ver­luste so entschei­dend zu treffen, dass für längere Zeit Ruhe herrschen könnte. Der fünfte Krieg lauert somit quasi schon um die Ecke. Die Reak­tionen weltweit auf diesen Krieg waren zwei­ge­teilt: auf der Straße nahmen die anti­se­mi­ti­schen Reak­tionen, die sich zum Teil in Gewalt gegen Juden des jewei­ligen Landes richteten, um das Dreifache des „Üblichen“ zu. In den Hallen der Politik aller­dings: nichts. Der Krieg blieb für Israel ohne Konse­quenzen, im Gegenteil, die Bezie­hungen mit den neuen arabi­schen Frie­dens­part­nern wie die Emirate und Bahrain setzen sich fort, vertiefen sich. Das ist…

Die neuen Freund­schaften bleiben belastbar

…. das dritte, wichtige Ereignis. Die Erkenntnis, dass die arabi­schen Staaten, die das „Abraham Abkommen“ unter­zeichnet haben, keinen Frieden mit Netanyahu, sondern mit Israel geschlossen haben. Ja, die Bezie­hungen sind sogar noch besser geworden, seitdem Bennett als Premier und Yair Lapid als Außen­mi­nister die Ansprech­partner auf israe­li­scher Seite sind. Sie sind persön­lich und sehr herzlich geworden, die „Paläs­ti­nen­ser­frage“ dümpelt irgendwo im Hinter­grund vor sich hin, niemand inter­es­siert sich wirklich dafür, schon gar nicht die US-ameri­ka­ni­sche Regierung, die als links­li­beral einge­stuft wird, aller­dings ganz andere Sorgen hat als den lästigen paläs­ti­nen­sisch-israe­li­schen Konflikt.

Israel als Versuchs­ka­nin­chen und Vorreiter im Kampf gegen Covid

Last but not least: wieder einmal war Israel in der Corona-Bekämp­fung der ganzen Welt voraus. Premier Bennett entschied während der Vierten Welle im Früh­sommer die Bevöl­ke­rung mit einer dritten Impfung, dem soge­nannten „Booster“, gegen das Virus stark zu machen. Und das, noch ehe die FDA in den USA ihr OK für eine dritte Impfung gegeben hatte. Bennett behielt recht, rasch klang die Vierte Welle ab. Tragisch nur, dass die meisten euro­päi­schen Staaten, allen voran die Deutschen, die Zeichen nicht lesen wollten oder konnten und viel zu spät und zögerlich den „Booster“ anboten. Das Ergebnis ist bekannt.

All diese Gescheh­nisse deuten daraufhin, was Israel 2022 erwarten könnte:

Quo vadis, Iran?

Die Bezie­hungen mit den Vereinten Arabi­schen Emiraten, mit Bahrain und – inof­fi­ziell – mit den Saudis sind nicht zuletzt deshalb so gut, weil man einen gemein­samen Feind hat: Iran. Es sieht nicht so aus, dass das Regime in Teheran wieder in das Nuklear-Abkommen JCPOA eintreten wird, sehr zur Über­ra­schung der Biden-Admi­nis­tra­tion, die sich sicher war, die Iraner würden sofort Ja sagen, wenn die USA ihre einsei­tige Aufkün­di­gung des Abkommens unter US-Präsident Donald Trump zurück­nehmen würden. Das aber heißt, Israel bereitet sich auf einen möglichen Mili­tär­schlag gegen Irans Atom­an­lagen vor. Voll­mundig erklären Militärs und Politiker, Israel würde notfalls alleine zuschlagen, wenn die USA und die inter­na­tio­nale Staa­ten­ge­mein­schaft den Schwanz einziehen würden. Eine Nukle­ar­macht Iran sei für Israel nicht akzep­tabel. Da Jerusalem meint, sich nicht mehr auf die Ameri­kaner allein verlassen zu können, arbeitet man mit den Golf-Staaten immer enger zusammen. Das ist für die Region sicher ein Vorteil, aber durchaus auch eine Gefahr. Ein Krieg zwischen Israel (mit direkter oder indi­rekter Unter­stüt­zung arabi­scher Staaten), dem Iran und dessen Stell­ver­treter im Libanon und in Gaza birgt die Gefahr eines Flächen­brandes, von dem man nicht weiß, wie man ihn wieder löschen kann. Laut Aussagen israe­li­scher Experten haben Israel und die Welt noch ein Jahr, ehe man gegen den Iran tatsäch­lich vorgehen muss. 2022 könnte also für die Zukunft der Region und der Welt ein ganz entschei­dendes Jahr werden. Auf den Ameri­ka­nern lastet viel Verant­wor­tung, doch im Augen­blick sieht es nicht danach aus, dass sie wirklich wissen, was sie tun sollen. Und können. Außen­mi­nister Antony Blinken nutzt nicht die ganze Macht, die die USA als auch heute noch stärkste und mäch­tigste Nation der Welt hat. Zumindest als Droh­ku­lisse. Da ist nichts, was das iranische Regime in irgend­einer Form beein­dru­cken könnte.

Das pande­mi­sche Wirt­schafts­wunder – trotz Total­aus­fall im Tourismus

Die Pandemie, die soeben mit der Omicron-Variante die ganze Welt im Griff hat, betrifft natürlich auch Israel. Der Tourismus ist im Heiligen Land praktisch zum Erliegen gekommen, Ausländer werden nicht ins Land gelassen. Dennoch ist im vergan­genen Jahr das BIP Israels um fast 7% gestiegen, die „Güter“, die Israel anzu­bieten hat, sind im Hightech-Bereich, weniger in Form von „Hardware“. Das digi­ta­li­sierte Land hat gegenüber Ländern wie Deutsch­land in vielen Bereichen einen Wett­be­werbs­vor­teil, den es zu nutzen weiß. Auch wenn sozial schwächer gestellte Israelis im kommenden Jahr wohl noch weiter in Bedrängnis geraten dürfte, wird der Staat selbst wirt­schaft­lich wohl kaum in Nöte geraten. Der israe­li­sche Schekel ist derzeit eine der stärksten Währungen der Welt, was sich an den Wech­sel­kursen zum Euro oder US-Dollar ablesen lässt – und der Tatsache, dass Tel Aviv von der renom­mierten Zeit­schrift The Economist erstmalig als die Stadt mit den weltweit höchsten Lebens­hal­tungs­kosten iden­ti­fi­ziert worden ist.

Zweit­saa­ten­lö­sung: Auf Eis oder tot?

Bleibt, last but not least, der Konflikt mit den Paläs­ti­nen­sern. Die aktuelle Regierung, in der Befür­worter der Zwei-Staaten-Lösung ebenso sitzen wie Befür­worter einer Annexion der besetzten Gebiete, haben es sich zur Auflage gemacht, in der „Paläs­ti­nen­ser­po­litik“ die Füße still zu halten. Das bedeutet zwar einer­seits, dass dras­ti­sche Schritte der israe­li­schen Rechten nicht vollzogen werden, gleich­zeitig könnte dieser Still­stand mögli­cher­weise auf paläs­ti­nen­si­scher Seite Reak­tionen hervor­rufen. Israe­li­sche Experten sorgen sich, die Paläs­ti­nen­si­sche Auto­no­mie­be­hörde könnte bald „die Schlüssel abgeben“. Entweder nach dem Tod des greisen und kranken Paläs­ti­nen­ser­prä­si­denten Mahmud Abbas oder sogar schon vorher. Mit anderen Worten, die PA könnte sich selbst auflösen und dem israe­li­schen Militär die gesamte Verant­wor­tung für das West­jor­dan­land über­lassen. Ein logis­ti­scher und sicher­heits­tech­ni­scher Albtraum. Zwar profi­tieren die „alten Männer“ der Paläs­ti­nen­si­schen Auto­no­mie­be­hörde vom Status quo. Millionen fließen in ihre Kassen, davon wird eine ganze Menge für nicht ganz so offi­zi­elle Zwecke abge­zweigt. Warum sollten sie also alles hinschmeißen wollen? Der Grund ist simpel: weder haben Präsident Mahmud Abbas und die Seinen irgend­eine Form von Unter­stüt­zung in der eigenen Gesell­schaft, noch kommen sie politisch voran, was selbst bei den größten Profi­teuren der Lage zur Frus­tra­tion führt und mehr noch: zur Bedrohung durch Aufstände oder gar Agita­tionen seitens der Isla­misten. Die aktuelle Situation könnte also mehr und mehr Paläs­ti­nenser zu der Über­zeu­gung kommen lassen, die Zwei-Staaten-Lösung sei endgültig Makulatur. Was wäre also eine Alter­na­tive? Die Ein-Staaten-Lösung. Das würde bedeuten, Israel müsste rund 3 Millionen Paläs­ti­nenser im West­jor­dan­land einbür­gern – was eine massive Verschie­bung der demo­gra­phi­schen Verhält­nisse zu Ungunsten der jüdischen Bevöl­ke­rung zur Folge hätte und das Ende des jüdischen Staates Israel bedeuten könnte. Wenn Israel die Paläs­ti­nenser des West­jor­dan­landes nicht einbür­gern würde – und damit ist zu rechnen – würde der jüdische Staat tatsäch­lich das werden, was ihm viele schon heute vorwerfen, obwohl es aktuell nicht stimmt. Israel könnte zum Apart­heid­staat mutieren.

Die Regierung Bennett wird sich 2022 wichtigen Problemen stellen müssen. Ob sie jeweils die richtigen Antworten zu geben weiß, ist eher unwahr­schein­lich. Doch viele Israelis trösten sich mit der Über­zeu­gung, alles sei besser als eine neue Regierung unter Benjamin Netanyahu. Insofern könnte man in Sachen Zukunfts­pro­gnose in Israel opti­mis­tisch sein. Könnte man…

 

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