Klimapolitik: Blockdenken war gestern
Die Zeichen stehen auf Kompromiss und Verständigung: Zum sich wandelnden Verhältnis zwischen Klimabewegung und Wirtschaft. Eine Analyse von Lukas Daubner.
Einer der größten Erfolge der Klima- und Umweltbewegung ist die Überwindung alter Konfliktlinien. Sie haben die Themen Klima- und Umweltschutz so weit in das Gesichtsfeld der politischen Öffentlichkeit gerückt, sodass noch vor einigen Jahren kaum denkbare Allianzen möglich erscheinen.
Fridays for Future verbündet sich etwa mit Gewerkschaften, die lange als klimapolitische Bremser galten. Zuletzt hat die Stiftung 2° mit einem Positionspapier gezeigt, dass viele, auch energieintensive Unternehmen, sich selbst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten für ein stärkeres Engagement im Klimaschutz einsetzen. Ökologische Modernisierung und der Schutz von Ökosystemen ist längst nicht mehr nur Sache von Poncho tragenden Eskapisten. Das lange übliche Freund-Feind-Schema zwischen sozialen Bewegungen und Wirtschaft gilt in der Klimafrage nicht mehr ohne Weiteres.
Akteurskonstellationen haben sich gewandelt
Auf der einen Seite hat sich die Strategie (zumindest von Teilen) der Klimabewegung geändert. Sich, wie sozialökologische Protestbewegungen der Vergangenheit, einfach gegen die Wirtschaft zu stellen, funktioniert nicht mehr: Die Wirtschaft umfasst auch das vegane Café, den Unverpackt-Laden, die Produzenten der erneuerbaren Energie oder solche, die klimaneutrale Kraftstoffe entwickeln. Außerdem sind selbst die üblichen Verdächtigen nicht mehr eindeutig verdächtig: Autokonzerne investieren Milliarden in klimafreundlichere E‑Mobilität. Stahlproduzenten experimentieren mit grünem Wasserstoff, Energiekonzerne bauen ihr Erneuerbarenportfolio stetig aus. Ein Grund für den Erfolg von Fridays for Future ist, dass die Aktivistinnen erkannt haben, dass es nicht mehr ausreicht, eine fundamentaloppositionelle Haltung einzunehmen. Sie protestieren nur gegen ausgewählte Unternehmen (z. B. Siemens), reden aber gleichzeitig mit ihnen, etwa auf der Hauptversammlung.
Auf der anderen Seite verschließt sich „die“ Wirtschaft Klimafragen nicht länger. Zwar fällt es der klassischen Wirtschaftslobby, etwa dem CDU-Wirtschaftsrat, zuweilen noch schwer, diesen Wandel mitzugehen. Aber nicht nur einmal wurden deren Vorstöße gegen klimapolitische Maßnahmen von Unternehmen zurückgewiesen. Die alten Reflexe, in Blöcken zu denken, bestehen noch. Die Uneinigkeit hinsichtlich klimapolitischer Maßnahmen innerhalb und zwischen Branchenverbänden macht aber einen Riss deutlich, der sich innerhalb der Wirtschaft aufgetan hat: Hier das Lager, welches die braunen Geschäftsmodelle des 20. Jahrhunderts verteidigt; dort diejenigen, die sich für eine ökologisch moderne Wirtschaft des 21. Jahrhunderts einsetzen.
Immer mehr Unternehmen machen ernst mit Klimaschutz
Immer mehr Unternehmen meinen es ernst mit Klimaschutz. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer wollen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden oder haben erkannt, dass es für ihre Kinder und Enkel ungemütlich werden könnte auf einem runtergewirtschafteten Planeten, der zum Treibhaus geworden ist. Wichtiger noch als diese persönlichen Motivationen aber ist etwas anderes. In mehr und mehr Branchen lohnt es sich, ökologischer oder klimagerechter zu wirtschaften: Kundinnen und Kunden honorieren es, Effizienz rechnet sich, Banken und Versicherungen haben ihr Risk Assessment an Klimawandelmodelle angepasst und finanzieren beziehungsweise versichern längst nicht mehr alle Unternehmungen. Kohleminen beispielsweise erhalten am Markt zunehmend kein frisches Kapital mehr, sondern sind auf politische Hilfe angewiesen. Anders gesagt: In mehr und mehr Fällen wird es einfach zu teuer, weiter an alten Technologien und Geschäftsmodellen festzuhalten.
Vielfach ist es sicherlich auch opportun, sich dem grünen Zeitgeist hinzugeben. Angefangen von (vermeintlich) regenwaldrettenden Biermarken bis hin zu den Versprechungen von „sauberer Kohle“ gibt es schon lange Unternehmen, die sich einen grünen Anstrich geben. Vieles, was Unternehmen vorschlagen und tun, kann sicherlich als green washing bezeichnet werden: Organisationen geben sich ökologisch, produzieren aber weiterhin umweltschädigende Produkte. Ebenso sind nicht wenige Corporate Social Responsibility-Abteilungen und ‑Beauftragte eher Teil der unternehmerischen Fassade und haben wenig Einfluss auf wichtige Entscheidungen.
Aber es ist eben nicht alles nur grüne Show. CSR-Abteilungen entwickeln Eigenleben und können einen langsamen Bewusstseinswandel bewirken. Diejenigen Unternehmen, die sich von einem „braunen“, sprich klimaschädlichen Wirtschaften abwenden, werden langsam mehr. Damit verschieben sich die Interessenslagen innerhalb von Verbänden und die Positionen gegenüber der Regierung oder Ministerien. Noch lobbyieren Wirtschaftsverbände wie der VDA meistens gegen strengere Klimaauflagen – auch wenn sie sich öffentlich natürlich für mehr Klima- und Umweltschutz bekennen. Die Frage ist aber, wann der Kipppunkt erreicht ist und eine Mehrheit der Verbandsmitglieder nicht mehr gegen, sondern für strengere Auflagen ist. Die, die bereits in neue Verfahren investiert haben oder kurz davorstehen, eine solche Investition zu tätigen, haben demnach andere Interessen als die Akteure, die einen Abwehrkampf gegen strengere Umweltauflagen oder höhere CO₂-Preise führen. Produziert etwa Tesla demnächst in Deutschland, könnte es im VDA zu hitzigen Diskussionen über bisherige Positionen bei Klimafragen kommen.
Freund-Feind-Unterscheidungen werden in der Klimafrage schwieriger
Die sich veränderte Akteurskonstellation wird sowohl für die Klimabewegung als auch für Unternehmens- und Branchenverbände zu einer strategischen Herausforderung. Längst gibt es Überschneidungen zwischen der Agenda von Fridays for Future und Unternehmen wie Vaude, der GLS Bank oder Goldeimer. Bereits 1992 hat sich der grüne Unternehmensverband UnternehmensGrün gegründet. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) tritt offen für eine Co₂-neutrale Energieversorgung ein. Aber auch BASF, HeidelbergCement oder Wacker Chemie treten mittlerweile mit klimapolitischen Forderungen in Erscheinung. Die Freund-Feind-Unterscheidung ist nicht mehr so eindeutig, wie sie es immer war. Diese Auflösung der Fronten wird für beide Seite zur Herausforderung. Was bedeutet das für die Akteure? Beide Lager müssten ihr politisches Koordinatensystem nachjustieren, wenn ihre Forderungen weiterhin anschlussfähig sein sollen. Vertreterinnen und Vertreter sowohl der Bewegungen als auch von Verbänden lassen in letzter Zeit häufiger versöhnliche Töne anklingen. Zu groß ist die Gefahr für die Bewegung, den Rückhalt breiter Teile der Gesellschaft zu verlieren, sowie für Verbände, dass progressive Unternehmen zu anderen Verbänden abwandern.
Auch wenn vielen die ökologische Transformation der Gesellschaft zu langsam vorangeht, ist die Annäherung zwischen Teilen der Wirtschaft und deren Interessensverbänden sowie den protestierenden sozialen Bewegungen bemerkenswert. Diese Annäherung zeigt, dass unsere Gesellschaft in der Lage ist, neue Ideen aufzugreifen und zu verarbeiten. Die einstmals wenigen grünen Vorreiter finden mehr und mehr Nachahmung. Je mehr Unternehmen sich Zielen wie einer klimaneutralen Produktion bis 2050 anschließen, desto mehr werden sich auch die Positionen ihrer Verbände ändern. Bewegt sich hier die Politik nicht schnell genug, wird sie sich in einer zweiseitigen Belagerung wiederfinden: Von einer unbefriedigten Klimabewegung sowie von Unternehmen, denen es an Planungssicherheit mangelt.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.