Neues Polizeigesetz: Wie Bayern die innere Sicherheit gefährdet
Vor langer Zeit einmal galt auch in Bayern das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Heute nicht mehr. Das Polizeiaufgabengesetz deutet an, wie sehr die CSU von autoritären Nachbarn im Osten inspiriert ist. Die Freiheit degradiert sie zur Marginalie.
Das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) für Bayern ist vom Landtag verabschiedet, die politischen Argumente sind ausgetauscht, bislang folgenlos. Entscheiden werden am Ende die Verfassungsgerichte.
Auch wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das PAG die Verfassungsgerichte nicht unverändert passieren wird, beruhigt das nicht. Denn die Frage, ob polizeiliche Eingriffsbefugnisse überhaupt bis zur Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen reichen sollten, ist aus der politischen Diskussion fast verschwunden – im Zusammenhang mit der Verhinderung von Kriminalität und Terror ist sie faktisch tabuisiert. Hinterfragt werden im Gegenteil die verfassungsrechtlichen Grenzen selbst, ablesbar etwa an der Hartnäckigkeit, mit der Politiker der Union die klaren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur Unzulässigkeit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung in Frage stellen.
In der Sicherheitspolitik sollte jede Maßnahme das Ergebnis von Abwägungen sein, etwa des Sicherheitsgewinns gegen den Verlust an Freiheit. Niemand, der bei Verstand ist, würde jemals das theoretisch Mögliche zugleich als zwingend notwendig betrachten.
Wie kommt es zu diesem Tabu? Man muss nur die Begründungsstränge der CSU in der Auseinandersetzung um das PAG nachvollziehen, um den Mechanismus zu verstehen.
Sprechen über Politik der Freiheit wird unterbunden
Das neue Polizeiaufgabengesetz werde „Leben retten und Menschen helfen, nicht Opfer zu werden“, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion Thomas Kreuzer teilte mit, wer der Polizei präventive Mittel verweigern möchte, mache die Gemeinschaft „wehrlos“. In der Landtagsdebatte ergänzt er, er wolle nicht dafür in Haftung genommen werden, wenn etwas passiere.
Bums, aus, fertig. Wer will schon ein Menschenleben auf dem Gewissen haben? Wer will sich vorhalten lassen, dass er nicht alles getan hat, um Tote zu verhindern? Niemand. Widerspruch mundtot gemacht. Letzte Haltelinie sind allenfalls die Grundrechte. Doch auch auf sie kann man die volle Wucht des Arguments prallen lassen: Menschen werden sterben, hängt man Grundrechte allzu hoch.
Schon das Sprechen über eine Politik der Freiheit, der außerpolizeilichen Prävention und der Verhältnismäßigkeit von Risiko und Eingriffsintensität wird unterbunden. Vermutlich war Gerhart Baum der letzte deutsche Innenminister, der überhaupt noch wusste, dass das verfassungsrechtlich Zulässige nicht per se deckungsgleich mit dem sicherheitspolitisch Notwendigen ist.
Gerede von maximaler Sicherheitspolitik ist wohlfeil
Wo es um Leben oder Tod geht, muss der Gesetzgeber alles einsetzen, so der Tenor. Blickt man jedoch auf andere sicherheitsrelevante Themen, fällt die Schieflage dieser Sicht auf: Alles Menschenmögliche tun, um Verkehrstote zu verhindern? Im Leben nicht. Ein allgemeines Tempolimit ist in Deutschland nach wie unvorstellbar. In den ersten Monaten des Jahres 2018 sind bereits 15 Radfahrer bei Unfällen mit LKWs zu Tode gekommen, oft Kinder oder ältere Menschen. Die Verpflichtung, in die LKWs elektronische Abbiegeassistenzen einzubauen, könnte das Risiko verringern. Seit Jahren verhallt diese Forderung im Wind.
Das Gerede von maximaler Sicherheitspolitik ist wohlfeil. Alles Menschenmögliche für die Sicherheit? Warum verdreifacht die CSU dann nicht den Innenetat und vervielfacht die Polizeikräfte, bis wirklich jedes Tötungsdelikt unmöglich ist?
Kritiker werden als Mittäter diskreditiert
Augenscheinlich lahmt in dieser Argumentation etwas. In der Sicherheitspolitik ergibt sich keine Maßnahme aus sich selbst, sondern ist immer das Ergebnis von Abwägungen, etwa des Ressourcenbedarfs gegen den Nutzen und die Vollzugswahrscheinlichkeit, oder des Sicherheitsgewinns gegen den Verlust an Freiheit. Kurz gesagt: Niemand, der bei Verstand ist, wird jemals das theoretisch Mögliche als zwingend notwendig betrachten.
Tatsächlich handelt es sich beim PAG um einen Trick: Die ständige Ausweitung der Eingriffsbefugnisse wirkt maximal entschlossen, doch belastet den Haushalt um keinen Cent. Das PAG ist: billiger Populismus. Jede, die die Frage zu stellen wagt, ob das Mögliche auch das Richtige ist, wird von den Sicherheitspopulisten als Mittäterin durch Unterlassung diskreditiert.
CSU gefährdet Sicherheit
Tatsächlich ist es das PAG selbst, das Sicherheit verhindert. Grundsätzlich ist es ja richtig, die Eingriffsbefugnisse der Landespolizei bundesweit zu vereinheitlichen. Jeder Laie kann sich vorstellen, wie lähmend die Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg dadurch wird, dass überall unterschiedliche Regelungen gelten. Doch die CSU hat ein brachiales Gesetz verabschiedet, das kein anderes Land guten Gewissens als Maßstab anerkennen kann.
Absurderweise spricht sich Thomas Kreuzer deshalb auch gegen eine Vereinheitlichung der Landes-Polizeigesetze aus: „Ich will nicht, dass wir in Bayern Gesetze wie in mancher Hansestadt in Deutschland haben.“
Die CSU könnte mehr Sicherheit haben. Dafür müsste sie aber auf ihren Sonderweg verzichten. Sie müsste in einen Dialog über das Notwendige und das Sinnvolle treten, der anspruchsvoller wäre, als das Niveau ihrer bisherigen Einlassungen.
Mit einem bundesweiten Konsens könnte sich die polizeiliche Zusammenarbeit tatsächlich verbessern. Die Uneinheitlichkeit der Landesgesetze ist unstreitig eine der wesentlichen Schwachstellen der Terrorbekämpfung in Deutschland.
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