Putins Politbüro (1/3)
WM-Dossier“ Russland verstehen“: In einem Dreiteiler spannt die Politikwissenschaftlerin Margareta Mommsen den Bogen vom Ende der Sowjetunion hin zum „Putin Syndikat“. Im ersten Teil zeigt sie, wie der schillernde Mythos um den russischen Präsidenten die Machtverhältnisse im Land verschleiert. Tatsächlich wird das WM-Gastgeberland von einem klandestinen Netzwerk aus Industriebossen und Oligarchen regiert – Putins Politbüro.
Als Wladimir Putin im März zum vierten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, holte er mit 76,7 Prozent der Stimmen sein bestes Ergebnis. Doch der komfortable Wahlsieg täuscht. Obwohl Wahlausgang und Wahlbeteiligung die vom Kreml anvisierten Zielmarken erreichte, waren Putin und seine Berater in den Wochen zuvor durchaus nervös.
Russland ist ein Schattenreich aus kriminellen und halblegalen unternehmerischen Interessen
Denn ein Sieg allein reichte nicht. Die Wahl musste ein fulminantes Ergebnis hervorbringen, das dem hohen Legitimitätsanspruch des als unangefochten geltenden Präsidenten entspricht. Darum bangte der Führungszirkel um Putin bis zuletzt. Er fürchtete, dass die Opposition ihre politisierte Wählerschaft nahezu vollständig mobilisieren könnte. Der populärste Putin-Kritiker, Alexej Nawalny, hatte zum Wahlboykott aufgerufen. Ob dem Kreml eine breite Mobilisierung gelänge, war offen.
In den Tagen vor der Wahl stieg das Interesse der Wähler plötzlich sprunghaft an. Ella Pamfilowa, die Leiterin der Zentralen Wahlkommission, erklärte im Nachhinein freimütig, dass der Grund die Salven der Kritik aus westlichen Hauptstädten nach dem Giftanschlag auf Sergej Skripal gewesen seien. Der Fall Skripal und seine Auswirkung auf die Präsidentschaftswahl zeigt exemplarisch, wie Putin durch eine konfrontative Außenpolitik Wähler an die Urnen bewegt.
Der Mythos Putin
Zwar lenken auch andere Staaten auf diese Weise von Krisen im Inneren ab (Russlands Wirtschaft ist marode und global alles andere als wettbewerbsfähig), doch es gibt wohl keine Scheindemokratie, die derart wirkungsvoll – man möchte fast sagen „professionell“ – gelenkt wird, wie Putins Russland. Nur auf dem Papier sind Kandidaten für das Präsidentenamt chancengleich. In Wirklichkeit profitiert Putin von einer die Öffentlichkeit ausfüllenden Staatspropaganda, weshalb er in die Niederungen eines offenen Wahlkampfs nicht abzusteigen braucht.
Gegenwärtig wird Russland durch nichts anderes zusammengehalten als den „Mythos Putin“. Er speist sich aus der planvollen Inszenierung Putins als Weltenlenker, der angebliche Feindseligkeiten des Westens mit Bravour pariert. Bereits seine erste Wiederwahl im Jahr 2004 plant Putins Beraterstab als ein Bestätigungsreferendum, als eine Feier der Tapferkeit und Gerissenheit des russischen Präsidenten, wie sich der damalige Politikberater des Kremls, Gleb Pawlowski erinnert: Die Polittechnologen hätten eine derart ansteckende „Stimmung der Stabilität und des Triumphs“ entfacht, weshalb es ihnen überflüssig erschien, Pluralismus auch nur vorzutäuschen.
Der Mythos vom Weltenlenker wird in den Folgejahren auf die Spitze getrieben. Nach der als „Heimholung“ gefeierten Annexion der Krim stilisieren die Propagandisten Putin zum Inbegriff Russlands nationaler Identität. Der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung, Wjatscheslaw Wolodin, gibt die Devise aus: „Putin ist Russland und ohne Putin ist Russland nichts.“
Das Putin-Syndikat
Doch der Putin-Kult verschleiert die wahren Machtverhältnisse in Russland. Entgegen dem Eindruck, den die Kreml-Propaganda erzeugt, regiert hinter Putin eine klandestine Oligarchie aus Industriebossen und Geheimdienstoffizieren: Das Putin-Syndikat. Man könnte das Syndikat auch das wiederauferstandene Politbüro nennen und Putin seinen Ersten Sekretär.
Um Putins Russland zu verstehen, muss man ein Missverständnis klären: Russland ist kein monolithischer Autoritarismus. Es ist ein Schattenreich aus kriminellen und halblegalen unternehmerischen Interessen, die von Putin allenfalls moderiert werden. Über die Dynamik des Wettbewerbs von Hochbürokratie und Großindustrie, der in der Regel im Verborgenen stattfindet, dringen nur selten Informationen an die Öffentlichkeit.
Meistens wird das Hauen und Stechen in Wirtschaftskonflikten sichtbar. Jüngstes Beispiel ist das Drama um den ehemaligen Minister für Wirtschaftsentwicklung, Aleksej Uljukajew, der wegen Bestechungsvorwürfen verhaftet und zu acht Jahren Straflager verurteilt worden ist. Hintergrund soll ein Verteilungskonflikt in der Ölindustrie sein. Putins langjähriger Vertrauter Igor Setschin, der Vorstandsvorsitzende von Rosneft, scheint abermals seine Interessen gegen einen Widersacher durchgesetzt zu haben.
Russlands demokratische Transformation ist gescheitert
Putins Russland wird von der Propaganda eines Führerstaates zusammengehalten und einer nichts als dem Geld verpflichteten Oligarchie regiert. Auch wenn in Russland Wahlen abgehalten werden – demokratisch regiert wird das Land nicht. Anders als in anderen postkommunistischen Staaten – etwa Estland, Lettland und Litauen – ist die Transformation eines kommunistischen Staates in eine liberale Demokratie in Russland gescheitert.
Im nächsten Beitrag erklärt Margareta Mommsen, warum in Russland das demokratische Experiment vorerst gescheitert ist. Von ihr erschien im Verlag C.H. Beck „Das Putin Syndikat – Russland im Griff der Geheimdienstler“ (2017).
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