Tierrechte als Subversion
60 Jahre nach der kubanischen Revolution gibt es nicht viel zu feiern, oder? Unser Autor hat die Insel in diesen Tagen besucht – und dabei Schönes, Skurriles und Subversives notiert.
Alle reden übers Wetter – sie auch, die Kubaner und Kubanerinnen, die den auswärtigen Gast gleich dringlichst um Vorsicht bitten: Fotografiere uns nicht, mache unsere Identitäten unkenntlich, aber vermittle „denen da draußen“ das, was wir sagen. Weder Paranoia noch Wichtigtuerei ist das, sondern das verblüffende Wissen um ideologische Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen außerhalb der Insel. Denn sowohl kubanische Botschaftsmitarbeiter wie auch manch regime-nahe Kuba-Initiative westlicher Altlinker durchforschen das Internet nach Spuren renitenter „Informanten“. Deshalb, quasi fürs Protokoll der Leser: Die Orte des Geschehens sind nicht unbedingt jene der Kommentierung, und nur im temporären Schutz des halb-anonymen abendlichen Ausgeh-Gedrängels wird ausgiebig erzählt. Vom Wetter, von Umwelt- und Tierschutz, von Gender-Gerechtigkeit und sprachlicher Achtsamkeit. Es ist ein gänzlich anderer Diskurs als bei „denen da draußen“, über deren Ignoranz und Erfahrungsmangel gern wortreich gespottet wird.
„Lass uns hoffen und die Finger kreuzen, dass der Tornado vom Januar die gleiche Nachwirkung hat wie Tschernobyl vor 33 Jahren.“ Habe 1986 die kriminelle Schlamperei einer maroden Staatswirtschaft das ruhmlose Ende des sowjetischen Effizienz-Mythos eingeläutet, so sei nun auch der Wirbelsturm von Anfang 2019 nicht zu unterschätzen. Während nämlich die offizielle Propaganda-Maschinerie der staatlichen Medien weiterhin stur an Fidel Castros siegreichen Einzug ins Januar-Havanna von 1959 erinnerte und die Toten und Verletzten des aktuellen Sturms zu heroischen Opfern eines vermeintlich ewigen Kampfes („la lucha“) umdeutete, konnte die langsam entstehende Zivilgesellschaft jetzt erstmals zeigen, was bereits in ihr steckt. Ohne auch nur eine Minute auf den schwerfälligen Regierungsapparat zu warten, hatten sich städtische Facebook-Gruppen gegründet, um für die obdachlos Gewordenen in den Vororten und im Landesinneren unbürokratische Hilfe zu organisieren. Und nicht etwa die Armee oder das berühmt-berüchtigte „Komitee zur Verteidigung der Revolution“, jene überall auf der Insel präsente Blockwarts-Stasi, hatte schnell für provisorische Unterkünfte und schwierig zu beschaffende Baumaterialien gesorgt, sondern die digitale Vernetzung ganz normaler Bürger. Obwohl die Mehrheit auf der Insel noch immer ohne Internet-Anschluß ist, konnte durch Mobiltelefone – fast immer gekauft dank der Geldüberweisungen der Auslands-Kubaner – eine Art Hilfs-Community der Gegenöffentlichkeit entstehen. Und es waren zahlreiche Betreiber der inzwischen erlaubten, oft nur wohnzimmergroßen Privat-Restaurants, die spontan Lebensmittel einpackten und in ihren Autos – klapprige Dodges aus vor- und knatternde sowjetische Ladas aus nachrevolutionärer Zeit – an Orte brachten, wo der Tornado am schlimmsten gewütet hatte.
„Mit so etwas war die Staatsmacht vollkommen überfordert. Aber was sollte sie dagegen tun? Das nun aufgekommene Reden über Klimawandel und nachhaltigeres Bauen läßt sich ja auch bei schlechtestem Willen nicht einfach als ‚konterrevolutionär‘ denunzieren. Das alles hat sie genauso kalt erwischt wie kurz danach diese Anmeldung zur ersten nicht-offiziellen Straßendemonstration seit 1959, die sie schließlich ebenfalls genehmigen musste.“
Offener Spott über Allmachtsfantasien ist zu riskant – noch
Bei der Kundgebung in Havannas Stadtviertel Vedado (das in ausländischen Medien ob seiner vermeintlichen Harmlosigkeit freilich nahezu inexistent bleiben würde) ging es um Tierrechte. „Solange uns die da oben keine politischen Menschenrechte zugestehen, gehen wir eben für Tiere auf die Straße, für Sensibilität gegenüber Straßenhunden, für Sterilisationsmöglichkeiten für Hauskatzen.“ Der Fortschritt ist – ein weiteres Tier – eine Schnecke. Doch hat Ähnliches vor drei Jahrzehnten bereits eine andere Diktatur erfolgreich zermürbt: Taiwans Emanzipation aus dem Schatten der Tschiang-Familiendiktatur hat mit scheinbar unpolitischen Protesten gegen falsche Angaben auf Lebensmittelverpackungen begonnen. Der historische Vergleich, inzwischen zumindest für jene Avancierten im teuren Internet zu googeln, deren Monatseinkommen mehr als die üblichen 25 Euro beträgt, stößt jedoch an die Grenzen planwirtschaftlicher Realität: „So viele Verpackungen gibts auf Kuba leider nicht. Da halten wir uns vorerst an unsere Tiere.“
Oder an die Sprache. Denn welch immense Anzahl von Fragezeichen, von Scherz- und Rätselsätzen ist da an einer der Wände des Kulturzentrums „El Mejunje“ auszumachen! Und das ausgerechnet in Santa Clara, inselweit bekannt für einer der revolutionsentscheidenden Militäraktionen Che Guevaras, dem deshalb in der Stadt mit gleich zwei Statuen gedacht wird. Die eine überlebensgroß auf einem gigantischen Steinblock thronend und bewacht von Sonnenbrillen-Machos im Kampfdrillich, die andere in nicht minder einschüchternder Bronze: „Der Che“ mit einem Kind auf dem Arm, beide heroisch in Richtung Zukunft starrend, während aus dem geöffneten Koppelschloss des Revolutionärs Uniformierte en miniature herausmarschieren. Im Hintergrund: Plakate und Hauswand-Slogans mit den herrischen Durchhalte-Slogans der Brüder Castro, selbstverständlich auf Ausrufezeichen endend.
Noch wäre offener Spott über derlei Machtmanifestation zu riskant. Die geweißte Clubwand von „El Mejunje“ jedoch, vor der Frauen und Männer, Heteros, Schwule, Lesben, Späthippies, Punks, kubanische Hipster und Transsexuelle zu einheimischen Reggaeton-Rhythmen und internationalen Charts-Hits tanzen, wird vom Regime inzwischen hingenommen (oder in machistischer Arroganz schlichtweg übersehen). Dabei sind die Fragen von Luisa, Teresa, Patricia und all den anderen ein gewitzter Seitenhieb auf das humorlose Gewalt-Pathos der Herrschenden. Gutgelaunt wird etwa nach dem Verhältnis zwischen männlichem Bierkonsum und Monogamie gefragt. Oder welche Hautfarben-Kombination und Körper-Konstellation bei einer Orgie wohl einen Regenbogen oder ein Schachbrett hervorbringen könnten.
Apropos! Missbilligende Blicke auf solche Wandaufschriften kamen nicht etwa von kubanischen Polizisten, sondern von den touristischen Geistesverwandten aus kanadischen, westeuropäischen und sogar australischen Universitäten. „Da monierten barsche Frauen in schrecklichem Spanisch, dass wir nicht feministisch genug seien. Pikierte Großstadt-Schwule störten sich an den fröhlich raumgreifenden Bewegungen der Ragga-Reggae-Tänzer, und den ganz Gesundheitsbewussten missfiel unser Zigarettenrauchen – obwohl wir doch nach oben paffen, gegen den freien Samthimmel. Dazu bizarre Öko-Familien, die ausgerechnet in Schlagloch-Kuba Fahrradurlaub machen und uns tatsächlich dazu beglückwünschen, dank der staatlichen Lebensmittelkarten bislang vom ‚westlichen Fleisch-Terror‘ verschont geblieben zu sein. Oder jene, die uns vorschreiben, zu unseren Lovern ‚Afro-Kubaner‘ zu sagen anstatt ‚Mulato lindo‘ und Sexismus wittern, nur weil wir dauernd diese Anspielungen machen auf die schöne Anatomie von culos und pingas.“
Geschlechterübergreifendes Lachen über die neuesten westlichen Katechismus-Regeln; laut, geradezu dröhnend und dennoch gelassen, voll souveräner Verachtung. Feinstes Gespür der noch immer auf der Insel Eingesperrten für Zurichtungsphantasien – auch dann, wenn sie von „draußen“ kommen, aus der vermeintlich „freien Welt“. Womöglich ist es ja gerade nicht (wie von den beiden toten weißen Männern Che und Fidel bis zum Erbrechen dekretiert) la revolución, die eine lección darstellt, sondern im Gegenteil die Würde und die zunehmend angstfreie Alltagssubversion derer, die solches bis heute überstehen müssen – indessen selbstbewusster denn je.
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