On the road: Edinburgh und die guten Geister von Hume und Smith

Philip N Young [CC BY-NC-ND 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/)] via Flickr

Ganz Europa in Katzen­jammer und anti-aufklä­re­ri­scher Empörung? Nicht im schot­ti­schen Edinburgh, wo man trotz drohendem Brexit an einer Jahr­hun­derte alten Tradition von Klarheit und common sense festhält, verbunden mit feinem Sinn für Ironie. Unterwegs in einer wirk­li­chen Metropole.

Sie sprechen ein Englisch, das derart klar und unver­schliffen ist, dass auch der Nicht-Mutter­sprachler mühelos folgen kann. Sie fürchten den Brexit (gegen den sie vor zwei Jahren mit einer Mehrheit von 62 Prozent gestimmt hatten), und wenn sie die Zeitungen aufschlagen, finden sich dort bereits in den vordersten Seiten Repor­tagen über jenes Chemie­waffen-Kontroll­labor im Berner Oberland, das von Putins Spitzeln ausge­kund­schaftet werden sollte: In Edinburgh weiß man inzwi­schen sehr genau, wo  sich jenes Dörfchen Spiez befindet und wie wichtig es ist zum Verständnis der Skripal-Affäre. Liegt es womöglich daran, dass Ian Fleming seine Roman­figur James Bond einst hier in Edinburgh hatte zur Schule gehen lassen? Dass der gegen­wär­tige hiesige Krimi-Star Ian Rankin im Roman „Exit Music“ bereits im Jahre 2007 seinen städ­ti­schen Inspektor Rebus den Mord an einen russi­schen Oppo­si­tio­nellen hatte aufklären lassen? Oder findet sich die Begrün­dung in jenem schot­ti­schen Wissens­durst, der das Land bereits vor zwei­hun­dert Jahren zum ersten nahezu voll­ständig alpha­be­ti­sierten Land Europas gemacht hatte?

Von wegen „wurzel­lose Globa­listen contra besorgte Traditionsbewahrer“

Es hilft ja alles nichts: Der gegen­wär­tige Besucher Edin­burghs wird nicht nur auf der von Schot­ten­rock-Shops und Dudel­sack­spie­lern gesäumten Royal Mile in die Geschichte hinein­ge­sogen. Aber wie erfreu­lich das ist, wie gelassen hier etwas gelebt wird, ohne jeden gries­grämig-ausgren­zenden Stolz auf das vermeint­lich „Eigene“. Es ist nahezu unmöglich, unterwegs zu sein auf Edin­burghs Straßen, in den Cafés, Pubs und Museen, in den abend­li­chen Bars und an den Bushal­te­stellen, ohne bereits zu Beginn der Gespräche die große, von Europas Natio­na­listen mit Trumps und Putins Schüt­zen­hilfe heraus­ge­plärrte Lüge anschau­lich zerplatzen zu sehen: Von wegen „wurzel­lose Globa­listen contra besorgte Traditionsbewahrer“.

Schade, ja beinahe tragisch, dass Immanuel Kant, der früheste promi­nente Hume-Rezipient auf dem Kontinent, sich nie mit dessen lebens­prak­ti­schen Essays ausein­an­der­ge­setzt hatte. Speku­la­tiver Gedanke: Wäre andern­falls die deutsche (Geistes-)Geschichte womöglich ein wenig prag­ma­ti­scher verlaufen? 

Wie unan­ge­strengt das Lob Edin­burghs den polni­schen und rumä­ni­schen Arbeits­im­mi­granten von den Lippen kommt, die bei den heimi­schen Wahlen zu jenen Auslands-Osteu­ro­päern zählen, die selbst­ver­ständ­lich gegen die autoritär-klerikale PIS oder die korrupten Buka­rester Pseudo-Sozi­al­de­mo­kraten stimmen. Und wie stylish-lauschig das medi­terran-türkische Restau­rant, dessen in Istanbul geborene Besit­zerin ebenfalls dieses fein-akzen­tu­ierte Adam-Smith-Englisch spricht. Sie erzählt freilich auf Nachfrage nicht etwa von staat­li­chen Inte­gra­ti­ons­pro­grammen und wohl­mei­nender Didaktik, sondern von Bank­kre­diten, die ihr schnell und prag­ma­tisch genehmigt worden waren jenseits von Pater­na­lismus und Sozi­al­neid. Ihr Geschäfts­mo­dell hatte sofort überzeugt: Mezze, Köfte und prickelnder Rosé anstatt lokalem Plum­pud­ding, und dies alles in einem Ambiente ohne Kran­ken­haus­ka­cheln, Neonlicht und Drehspieß-Ranzig­keit. Der auswär­tige Besucher fragt sich, wann wohl in der deutschen Haupstadt Ähnliches zu genießen wäre. 

Portrait von Marko Martin

Marko Martin ist Schrift­steller und Publizist.

Das vergleichbar hipp-gemüt­liche kurdische Restau­rant gleich neben der pres­by­te­ria­ni­schen St. Columba´s Kirche ist halal, doch bevor aus dem imagi­nierten Off eine rechte Stimme von „Über­frem­dung und Umvolkung“ raunen könnte oder ein linker Besser­wisser-Chor den Uralt-Song von vermeint­lich religions-über­grei­fender Rigidität anstimmt, sagt der aus dem türkisch-syrischen Grenz­ge­biet stammende Chef mit char­manter Gelas­sen­heit dies: „Alkohol servieren wir leider nicht, aber vis-á-vis gibt’s einen Weinladen und einen Whisky-Shop, von dort kann man gern die Getränke mitbringen. Wir haben die entspre­chenden Gläser, und wer Cocktails mag – wir mischen natürlich auch.“

Sympa­thi­sches, wachsames, doch entschieden nicht-hyste­ri­sches Edinburgh

Wir mischen natürlich auch - solch´ ein Wort in möglichst vieler Gottes­gläu­bigen Ohr. Oder kommt es gar von den Gläu­bigsten selbst, will heißen: von den Gelas­sensten unter ihnen? Tatsache jeden­falls ist, dass die Dauer­aus­stel­lung im weiß­ge­kalkten Gebets­raum von St.Columba durchaus refor­ma­to­ri­sche Strenge aushaucht, aber an ihren Stell­wänden nicht nur an den dogma­ti­schen Prediger John Knox erinnert, sondern auch an jene Alpha­be­ti­sie­rung und damit einher­ge­hende Denk­freude, die einst der calvi­nis­ti­schen Schrift­gläu­big­keit im doppelten Wortsinn entsprungen war. Und dann sehen wir – in  der Kirche! – das Porträt und die Kurz-Biogra­phie David Humes, der in seinen zur Mitte des 18. Jahr­hun­derts veröf­fent­lichten Essays sehr viel von mensch­li­chem Anstand, ökono­mi­scher Vernunft und poli­ti­scher Gewal­ten­tei­lung hielt, für die Idee einer unsterb­li­chen Seele aller­dings nur milden Spott übrig hatte. Was damals im Intel­lek­tu­ellen-Zirkel der Select Society für entspre­chende Diskus­sion sorgte, aber den Bonvivant Hume nicht von seinen ebenso aufklä­re­ri­schen, jedoch gläubigen Freunden trennte: Nicht vom lebens­langen sparring partner Adam Smith und auch nicht von Adam Ferguson, der mit seinem 1757 erschie­nenen Buch über Civil society zum Vater der Sozio­logie werden sollte.

Kleine, aber nicht ganz unwich­tige Fußnote: Anders als Vulgär-Liberale („Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“) oder linke Sozi­al­kun­de­lehrer und deren unfrei­wil­lige Zuhörer bis heute vermeinen, hatte Smith 1776 in seinem bahn­bre­chenden Werk „Vom  Wohlstand der Nationen“ weder ein laissez-faire gepredigt noch eine unsicht­bare Hand  zum Markt-Gott erhoben. Im Gegenteil: Der Moral­phi­lo­soph und Ökonom Adam Smith miss­traute der Tendenz, Monopole zu bilden und Konsu­menten zu über­töl­peln, schlug bei nötigen Staats­ein­griffen jedoch vor allem diese Priorität vor: beste Bildung und damit Aufstiegs­chancen für alle. Sein Freund Hume sann bis an sein Lebens­ende über das ewige Span­nungs­feld zwischen Freiheit und Autorität nach, da staat­liche Autorität die Freiheit ebenso schützen wie bedrohen kann.

Schade, ja beinahe tragisch, dass Immanuel Kant, der früheste promi­nente Hume-Rezipient auf dem Kontinent, sich nie mit dessen lebens­prak­ti­schen Essays ausein­an­der­ge­setzt hatte. Speku­la­tiver Gedanke: Wäre andern­falls die deutsche (Geistes-)Geschichte womöglich ein wenig prag­ma­ti­scher verlaufen? Wie gut jeden­falls, dass hier in Edinburgh die Statuen von Smith und Humes bis heute beliebte Innen­stadt-Treff­punkte sind, vor denen sich genauso unan­ge­strengt debat­tieren lässt wie vor Smith´ Grab auf dem Canongate-Friedhof oder dem Hume-Mausoleum am Calton Hill, das sich in unmit­tel­barer Nach­bar­schaft zu einem Abraham-Lincoln-Denkmal befindet. Berüh­rendes Beispiel der prak­ti­schen Auswir­kungen human-strin­genten Denkens – die hier vorbei schlen­dern, stehen­bleiben und mitein­ander ins Gespräch kommen, sind weder verquälte Nerds noch von ihren Profs hierher beorderte Karriere-Studenten. Sind einfach erfreu­liche junge und auch ältere Zeit­ge­nossen, die ebenso gutge­launt über common sense (jene vom schot­ti­schen Philo­so­phen Thomas Reid im 18. Jahr­hun­dert  gegrün­dete Denk­schule) sprechen wie sie dann urplötz­lich ihre Mini-Regen­schirme aus den Jacken­ta­schen ziehen und gegen die Willkür des permanent chan­gie­renden Himmels aufspannen. Better to be prepared – always. Sympa­thi­sches, wachsames, doch entschieden nicht-hyste­ri­sches Edinburgh.

Textende

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