Das Haus in Habana

© Shutter­stock

Unser Autor verbringt einen fröhlichen Nachmittag in Havanna. Dann stolpert er, der als Kriegs­dienst­ver­wei­gerer aus der DDR ausge­reist ist, in ein Comité de Defensa de la Revolución, ein Komitee zur Vertei­digung der Revolution, kurz: ein Museum der kubani­schen Stasi. Ein Auszug aus dem Buch „Das Haus in Habana. Ein Rapport“, das in der Sparte Sachbuch/​Essayistik für den Preis der Leipziger Buchmesse 2019 nominiert ist.

„Ihnen gefallen also besonders die Zimmer?“

„Und natürlich die Häuser! Sind ja auch nicht ohne...“ 

Portrait von Marko Martin

Marko Martin ist Schrift­steller und Publizist.

„Alles selbst entworfen und danach mit meinen Mitar­beitern zusam­men­ge­bastelt. Press­karton, Styropor, Pappmaché, Plastilin, Stoff, Papier und Farben. Alles maßstabsgetreu!“

Die Kuratorrin des Museums führte dich durch die Straße ihrer Träume, nein: allge­meiner Wirklichkeit. (Hattest du’s bislang übersehen, sahst du’s jetzt.) Säulen mit Kapitellen, wie draußen am Eingang in der Calle Obispo, doch kleiner und eben nicht aus Stein. Dazwi­schen Plastik- und Stoff­puppen beiderlei Geschlechts, nuanciert in Hautfarbe und Kleidung, alle Genera­tionen umfassend. Waren in diesen Zwischen­räumen am Werkeln oder Studieren, am Reden, Lehren oder Heilen. (Dachtest: Hatte Lazaros Nachmit­tags­schicht in der Poliklinik schon begonnen?) Oder hoben einen Schlag­stock, denn Wachsamkeit und auch Strafe mussten sein.

Auf einem Origi­nal­plakast last du: In meiner Nachbar­schaft – gemeinsam wachsam und kampf­bereit! Das Logo erinnerte diesmal nicht an den Schnabel eines Kolibris, sondern an einen Lautsprecher im Profil, aus dessen zurück­ge­bo­genem Trichter eine Machete ragte mit der Aufschrift Mit der Wacht in der Höhe. Warst nämlich jetzt im Stasi­museum, dem offizi­ellen Darstel­lungs­tempel des CDR, des Comité de Defensa de la Revolución, des Komitees zur Vertei­digung der Revolution. Sieh an: Auf dem Rückweg vom Schäfer­stündchen bei den Wölfen gelandet. (Ha!)

Mit postko­italer Fröhlichkeit ins Stasi-Museum

Warst zuvor so dahin­ge­stromert, wolltest die Touristen-Calle Obispo mit ihren schon jetzt am frühen Nachmittag Rum feilbie­tenden CUC-Bars und Kunst vorge­benden Bilder­ga­lerien (CheChi­ca­sOld­ti­mer­R­um­trin­ker­Sal­sa­mu­si­kanten) so schnell wie möglich überqueren, bis du eben dieses von vorre­vo­lu­tionär-korin­thi­schen Kapitellen flankierte Portal sahst und daneben das Schild: Museo Nacional – Comités de Defensa de la Revolución. Der Stasi-Vogel nun jener Lautspre­cher­trichter mit Machete, und recht­erhand des Eingangs ein großfor­ma­tiges Fidel-Bild, dem du wahrscheinlich den Titel gegeben hättest Autist vor Tropen­land­schaft, denn wie entrückt stand der riesen­haftige Khakimann da vor dem Rotbraungrün der hügeligen Felder- und Palmen­land­schaft, wie krank-straff hingen beide Arme an den Seiten herunter, die zusam­men­ge­drückten Finger nicht seitwärts, sondern nach vor gedreht, in Höhe des Koppel­schlosses. (Subtile Subversion des Malers, der seinen Helden post mortem als poten­ti­ellen Patienten zeigen wollte?)

„Ich hab‘ gesehen, wie Sie ohne zu zögern zu uns herein­ge­kommen sind...“

„Nicht nur Ihre Puppen sehen alles, sondern auch Sie!“

„Ja, nun...“ Die Museo-Chefin verstand’s als Kompliment und schaute dich hinter Brillen­gläsern mit einer Aufmerk­samkeit an, die dir eher freundlich als misstrauisch schien. (Kunst­stück, noch war die Schlie­ßungs­stunde fern und schon warst du der einzige Besucher hier. Sahst aus dem Inneren des Museo draußen im Sonnen­licht das vorbei trampelnde Touristen-Defilé und spürtest doch glatt einen Anflug von Spitzel-Stolz:  Ich seh‘ und weiß etwas, was ihr nicht seht und wisst.

„Genossin Kuratorin, hätten Sie vielleicht eine paar freie Minuten, um die Intention Ihrer Exposition zu charak­te­ri­sieren?“ (Pass auf, Nicht-Genosse Freak, dass dich deine postko­itale Fröhlichkeit nicht in Untiefen treibt.)

„Sie scheinen sich tatsächlich dafür zu inter­es­sieren...“ Da war die Endfünf­zig­jährige mit dem hochge­steckten Haar schon hinter ihrem Kassen­tisch hervor­ge­treten und hatte mit Finger­schnipsen eine jüngere Mitar­bei­terin Platz nehmen lassen. War alsdann an deiner Seite – dezentere Koket­terie der Älteren, die nicht ganz deine Mutter hätte sein können, gemessen jeden­falls an mittel­eu­ro­päi­schen Zeugungs­tra­di­tionen – zum Modell der idealen Stasi-Straße geschritten. Irgend­etwas signa­li­sierte dir, dennoch acht zu geben, und so beendetest du ihren in drei (Stütz-)Punkten auslau­fenden Satz mit einem „Na, ich find’s spannend, was Sie hier zeigen“, der dir ausrei­chend eupho­risch-touris­tisch-dämlich schien, damit dein Interesse nicht ihre Wachs­amnkeit aktivierte.

So macht Faschismus Spaß!

„Und die angedeu­teten Fenster der Zimmer, die Figürchen darin mit den Notiz­bü­chern und  oh da, hier, wie schön!  der Mann mit dem Fernglas, die Frau mit dem Telefonhörer...“

„Zeigen, wo wir überall sind! In jeder Provinz, jedem Dorf und jeder Stadt...“

„In jeder Straße?“

„In jedem Zimmer! Im Übrigen nehmen wir auch Blut ab!“

„Glaub ich gern!“

„Bitte?“

„Ich...ich seh’s ja hier auf dem Foto: Die CDR-Büros für’s Blutspenden. Alle Achtung.“

„Sind leider nicht von mir, die Fotos...“

„Genossin Kuratorin, gar nicht nötig! Wo Sie doch das meiste selbst entworfen und das andere dann so perfekt arangiert haben!“ (Hey, pass auf, ja? Musst jetzt nicht auf burleske, verzweifelt-fröhliche Weise deinen Vater rächen oder deinen Kolle­gen­freund Jürgen Fuchs, den diese Schweine da vermutlich radio­aktiv verseucht hatten im Stasi­ge­fängnis Berlin-Hohen­schön­hausen, so dass er 1999 an Blutkrebs verreckt war, während du – im wahrschein­lichen Fall – schon nächste Woche Papá und Mamá würdest anrufen können, ihr Gelächter am Telefon über deine Schnurren der beste Beweis, dass sie, und du erst recht, es geschafft hatten, im Unter­schied zu Abertau­senden anderen darüber hinweg waren, nicht das ganze Leben lang nach Stasi-Handbuch psychisch und physisch zersetzt blieben.)

Dabei waren nicht nur die Fotografien effektvoll an die Pappmáché-Press­karton-Styropor-Wände geklebt, um daraus Wohnzimmer/​Blutabnahmestationen/​Befragungszimmer zu machen oder Obses­sionen zu thema­ti­sieren (ein kreis­förmig angeord­neter Bilder­strauß unter der Überschrift Wachsamkeit). Auch die Bilder selbst verrieten die ordnende Hand, vorstellbar als eiserne Faust. Eine puppenhaft aufge­reihte CDR-Delegation in Hanoi, im Hinter­grund eine goldene Buddha-Statue, die sich als Denkmal für den Genossen Ho-Tschi-Minh entpuppte. Raúl in ordens­ge­schmücktem Drillich, vor einer natura­lis­tisch gemalten Tropen­land­schaft einen Brief lesend/​einen Einsatz­befehl studierend, jeden­falls unter einer Palme sitzend, ein Stück Papier in den Händen. Fidel nahe des Malécon zu seinem Volk sprechend auf der angeblich „größten öffent­lichen Versammlung der Welt“ – wobei die zu Zehntau­senden Versam­melten vor der Kamera des Fotografen/​im Labor von dessen Auftrag­gebern zu grauen Pünktchen geworden waren, mit weißen Hemd-Einsprengseln, während der Maximo Lider von hinten abgelichtet war, mit breitem Khaki-Rücken und die rechte Faust in die Höhe reckend (dorthin, wo laut beigefügtem CDR-Macheten-Slogan die Wacht thront). So macht Faschismus Spaß!

„Perdon? Ja, das sind Werke verdienter Volkskünstler!“

Perdon?“

„Ich sagte: Sie haben hier ja sogar Kunst!“

Genossin Kuratorin, ein beinahe verle­gener Griff an die Silber­spange im hochge­steckten Haar, lächelte geschmei­chelt. „Sie bemerken aber auch alles! Ja, das sind Werke verdienter Volkskünstler!“

Du sahst, in Ölfarben und gerahmt: Die Insel wie auf einer Infrarot-Wetter­karte, strom­linig dahin­zie­hende Farben und in der Mitte eines Wirbels  Fidels bärtiger Kopf. Dazu jede Himmels­richtung mit einem CDR-Spruch markiert: Mit der Wacht in der Höhe – Vertei­digen wir die Einheit – In jedem Viertel die Revolution – Vertei­digen wir den Sozialismus.

An der Nachbarwand dann eine veritable Instal­lation namens „Einheit und Kraft“: Keilartig schmale, im Inneren hohle Papier­schäch­telchen fügen sich zu einem Kreis/​einem Schne­ckenhaus: Einheit und Kraft.

„Mögen diese großar­tigen Exponate gut bewahrt werden!“  Für den Fall, dass es doch einmal anders kommt und die verdienten Volks­künstler dann Firmen­logos entwerfen. Für ein Museo, das der Geschichte dieser Höhle gewidmet wäre.

„Dürfte ich Sie denn auch um ein Foto bitten?“

„Geben Sie Acht!“

„Wie bitte?“

Da knietest du bereits unter der großfor­ma­tigen Insel-Karte, auf der in unter­schied­licher Färbung alle kubani­schen Provinzen aufge­zeichnet waren, mit der jewei­ligen Anzahl ihrer CDR-Zonen. Anstatt auf den Auslöser zu drücken, aber hatte die Kuratorin/​Direktorin gewarnt, deine Kamera in ihren Händen. „Wenn Sie so in die Hocke gehen, verdecken Sie mit Ihrem Scheitel das Logo. Rücken Sie bitte nach rechts und dann den Zeige­finger schräg nach oben.“ Worauf es so geschah wie gewünscht.

„Das Haus in Habana. Ein Rapport“, Wehrhahn Verlag, 256 Seiten, 20 Euro. 

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