Das Haus in Habana
Unser Autor verbringt einen fröhlichen Nachmittag in Havanna. Dann stolpert er, der als Kriegsdienstverweigerer aus der DDR ausgereist ist, in ein Comité de Defensa de la Revolución, ein Komitee zur Verteidigung der Revolution, kurz: ein Museum der kubanischen Stasi. Ein Auszug aus dem Buch „Das Haus in Habana. Ein Rapport“, das in der Sparte Sachbuch/Essayistik für den Preis der Leipziger Buchmesse 2019 nominiert ist.
„Ihnen gefallen also besonders die Zimmer?“
„Und natürlich die Häuser! Sind ja auch nicht ohne...“
„Alles selbst entworfen und danach mit meinen Mitarbeitern zusammengebastelt. Presskarton, Styropor, Pappmaché, Plastilin, Stoff, Papier und Farben. Alles maßstabsgetreu!“
Die Kuratorrin des Museums führte dich durch die Straße ihrer Träume, nein: allgemeiner Wirklichkeit. (Hattest du’s bislang übersehen, sahst du’s jetzt.) Säulen mit Kapitellen, wie draußen am Eingang in der Calle Obispo, doch kleiner und eben nicht aus Stein. Dazwischen Plastik- und Stoffpuppen beiderlei Geschlechts, nuanciert in Hautfarbe und Kleidung, alle Generationen umfassend. Waren in diesen Zwischenräumen am Werkeln oder Studieren, am Reden, Lehren oder Heilen. (Dachtest: Hatte Lazaros Nachmittagsschicht in der Poliklinik schon begonnen?) Oder hoben einen Schlagstock, denn Wachsamkeit und auch Strafe mussten sein.
Auf einem Originalplakast last du: In meiner Nachbarschaft – gemeinsam wachsam und kampfbereit! Das Logo erinnerte diesmal nicht an den Schnabel eines Kolibris, sondern an einen Lautsprecher im Profil, aus dessen zurückgebogenem Trichter eine Machete ragte mit der Aufschrift Mit der Wacht in der Höhe. Warst nämlich jetzt im Stasimuseum, dem offiziellen Darstellungstempel des CDR, des Comité de Defensa de la Revolución, des Komitees zur Verteidigung der Revolution. Sieh an: Auf dem Rückweg vom Schäferstündchen bei den Wölfen gelandet. (Ha!)
Mit postkoitaler Fröhlichkeit ins Stasi-Museum
Warst zuvor so dahingestromert, wolltest die Touristen-Calle Obispo mit ihren schon jetzt am frühen Nachmittag Rum feilbietenden CUC-Bars und Kunst vorgebenden Bildergalerien (CheChicasOldtimerRumtrinkerSalsamusikanten) so schnell wie möglich überqueren, bis du eben dieses von vorrevolutionär-korinthischen Kapitellen flankierte Portal sahst und daneben das Schild: Museo Nacional – Comités de Defensa de la Revolución. Der Stasi-Vogel nun jener Lautsprechertrichter mit Machete, und rechterhand des Eingangs ein großformatiges Fidel-Bild, dem du wahrscheinlich den Titel gegeben hättest Autist vor Tropenlandschaft, denn wie entrückt stand der riesenhaftige Khakimann da vor dem Rotbraungrün der hügeligen Felder- und Palmenlandschaft, wie krank-straff hingen beide Arme an den Seiten herunter, die zusammengedrückten Finger nicht seitwärts, sondern nach vor gedreht, in Höhe des Koppelschlosses. (Subtile Subversion des Malers, der seinen Helden post mortem als potentiellen Patienten zeigen wollte?)
„Ich hab‘ gesehen, wie Sie ohne zu zögern zu uns hereingekommen sind...“
„Nicht nur Ihre Puppen sehen alles, sondern auch Sie!“
„Ja, nun...“ Die Museo-Chefin verstand’s als Kompliment und schaute dich hinter Brillengläsern mit einer Aufmerksamkeit an, die dir eher freundlich als misstrauisch schien. (Kunststück, noch war die Schließungsstunde fern und schon warst du der einzige Besucher hier. Sahst aus dem Inneren des Museo draußen im Sonnenlicht das vorbei trampelnde Touristen-Defilé und spürtest doch glatt einen Anflug von Spitzel-Stolz: Ich seh‘ und weiß etwas, was ihr nicht seht und wisst.
„Genossin Kuratorin, hätten Sie vielleicht eine paar freie Minuten, um die Intention Ihrer Exposition zu charakterisieren?“ (Pass auf, Nicht-Genosse Freak, dass dich deine postkoitale Fröhlichkeit nicht in Untiefen treibt.)
„Sie scheinen sich tatsächlich dafür zu interessieren...“ Da war die Endfünfzigjährige mit dem hochgesteckten Haar schon hinter ihrem Kassentisch hervorgetreten und hatte mit Fingerschnipsen eine jüngere Mitarbeiterin Platz nehmen lassen. War alsdann an deiner Seite – dezentere Koketterie der Älteren, die nicht ganz deine Mutter hätte sein können, gemessen jedenfalls an mitteleuropäischen Zeugungstraditionen – zum Modell der idealen Stasi-Straße geschritten. Irgendetwas signalisierte dir, dennoch acht zu geben, und so beendetest du ihren in drei (Stütz-)Punkten auslaufenden Satz mit einem „Na, ich find’s spannend, was Sie hier zeigen“, der dir ausreichend euphorisch-touristisch-dämlich schien, damit dein Interesse nicht ihre Wachsamnkeit aktivierte.
So macht Faschismus Spaß!
„Und die angedeuteten Fenster der Zimmer, die Figürchen darin mit den Notizbüchern und – oh da, hier, wie schön! – der Mann mit dem Fernglas, die Frau mit dem Telefonhörer...“
„Zeigen, wo wir überall sind! In jeder Provinz, jedem Dorf und jeder Stadt...“
„In jeder Straße?“
„In jedem Zimmer! Im Übrigen nehmen wir auch Blut ab!“
„Glaub ich gern!“
„Bitte?“
„Ich...ich seh’s ja hier auf dem Foto: Die CDR-Büros für’s Blutspenden. Alle Achtung.“
„Sind leider nicht von mir, die Fotos...“
„Genossin Kuratorin, gar nicht nötig! Wo Sie doch das meiste selbst entworfen und das andere dann so perfekt arangiert haben!“ (Hey, pass auf, ja? Musst jetzt nicht auf burleske, verzweifelt-fröhliche Weise deinen Vater rächen oder deinen Kollegenfreund Jürgen Fuchs, den diese Schweine da vermutlich radioaktiv verseucht hatten im Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen, so dass er 1999 an Blutkrebs verreckt war, während du – im wahrscheinlichen Fall – schon nächste Woche Papá und Mamá würdest anrufen können, ihr Gelächter am Telefon über deine Schnurren der beste Beweis, dass sie, und du erst recht, es geschafft hatten, im Unterschied zu Abertausenden anderen darüber hinweg waren, nicht das ganze Leben lang nach Stasi-Handbuch psychisch und physisch zersetzt blieben.)
Dabei waren nicht nur die Fotografien effektvoll an die Pappmáché-Presskarton-Styropor-Wände geklebt, um daraus Wohnzimmer/Blutabnahmestationen/Befragungszimmer zu machen oder Obsessionen zu thematisieren (ein kreisförmig angeordneter Bilderstrauß unter der Überschrift Wachsamkeit). Auch die Bilder selbst verrieten die ordnende Hand, vorstellbar als eiserne Faust. Eine puppenhaft aufgereihte CDR-Delegation in Hanoi, im Hintergrund eine goldene Buddha-Statue, die sich als Denkmal für den Genossen Ho-Tschi-Minh entpuppte. Raúl in ordensgeschmücktem Drillich, vor einer naturalistisch gemalten Tropenlandschaft einen Brief lesend/einen Einsatzbefehl studierend, jedenfalls unter einer Palme sitzend, ein Stück Papier in den Händen. Fidel nahe des Malécon zu seinem Volk sprechend auf der angeblich „größten öffentlichen Versammlung der Welt“ – wobei die zu Zehntausenden Versammelten vor der Kamera des Fotografen/im Labor von dessen Auftraggebern zu grauen Pünktchen geworden waren, mit weißen Hemd-Einsprengseln, während der Maximo Lider von hinten abgelichtet war, mit breitem Khaki-Rücken und die rechte Faust in die Höhe reckend (dorthin, wo laut beigefügtem CDR-Macheten-Slogan die Wacht thront). So macht Faschismus Spaß!
„Perdon? Ja, das sind Werke verdienter Volkskünstler!“
„Perdon?“
„Ich sagte: Sie haben hier ja sogar Kunst!“
Genossin Kuratorin, ein beinahe verlegener Griff an die Silberspange im hochgesteckten Haar, lächelte geschmeichelt. „Sie bemerken aber auch alles! Ja, das sind Werke verdienter Volkskünstler!“
Du sahst, in Ölfarben und gerahmt: Die Insel wie auf einer Infrarot-Wetterkarte, stromlinig dahinziehende Farben und in der Mitte eines Wirbels – Fidels bärtiger Kopf. Dazu jede Himmelsrichtung mit einem CDR-Spruch markiert: Mit der Wacht in der Höhe – Verteidigen wir die Einheit – In jedem Viertel die Revolution – Verteidigen wir den Sozialismus.
An der Nachbarwand dann eine veritable Installation namens „Einheit und Kraft“: Keilartig schmale, im Inneren hohle Papierschächtelchen fügen sich zu einem Kreis/einem Schneckenhaus: Einheit und Kraft.
„Mögen diese großartigen Exponate gut bewahrt werden!“ Für den Fall, dass es doch einmal anders kommt und die verdienten Volkskünstler dann Firmenlogos entwerfen. Für ein Museo, das der Geschichte dieser Höhle gewidmet wäre.
„Dürfte ich Sie denn auch um ein Foto bitten?“
„Geben Sie Acht!“
„Wie bitte?“
Da knietest du bereits unter der großformatigen Insel-Karte, auf der in unterschiedlicher Färbung alle kubanischen Provinzen aufgezeichnet waren, mit der jeweiligen Anzahl ihrer CDR-Zonen. Anstatt auf den Auslöser zu drücken, aber hatte die Kuratorin/Direktorin gewarnt, deine Kamera in ihren Händen. „Wenn Sie so in die Hocke gehen, verdecken Sie mit Ihrem Scheitel das Logo. Rücken Sie bitte nach rechts und dann den Zeigefinger schräg nach oben.“ Worauf es so geschah wie gewünscht.
„Das Haus in Habana. Ein Rapport“, Wehrhahn Verlag, 256 Seiten, 20 Euro.
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