Wie Olympia den digitalen Yuan inter­na­tio­na­li­sieren soll

Welt­pre­miere einer Währung: Bei den Olym­pi­schen Spielen in Peking führt die Volks­re­pu­blik den digitalen Yuan erstmals einem inter­na­tio­nalen Publikum vor. Experten warnen: Die digitale Version der Landes­wäh­rung könnte Über­wa­chung im großen Stil ermög­li­chen – und sich nahtlos in den bereits bestehenden Kontroll­ap­parat Chinas einfügen.

Die Olym­pi­schen Spiele wären die perfekte Bühne gewesen.

Schon heute ist China eine so gut wie bargeld­lose Gesell­schaft, Zahlungen werden fast ausnahmslos per Smart­phone getätigt. Aber die größten Zahl­dienst­leister des Landes sind private Unter­nehmen. Für die Volks­re­pu­blik, ein techno-auto­ri­täres Regime, ist das ein Dorn im Auge. Am liebsten wäre es ihr, wenn ihre Bürger ihre Finanz­trans­ak­tionen in einer staat­li­chen App tätigten – also einer, in der der Staat mitlesen kann. Schon seit einiger Zeit arbeitet sie deswegen mit Nachdruck am digitalen Yuan, einer digitalen Version der Landeswährung.

In den letzten zwei Jahren hat China den digitalen Yuan, kurz e‑CNY, erstmals in einigen Städten getestet. Doch inzwi­schen steht das Land kurz davor, ihn in der Fläche auszu­rollen – um im globalen Wettlauf um die Entwick­lung einer staat­li­chen Digi­tal­wäh­rung vor den USA und Europa zu landen. Die Olym­pi­schen Winter­spiele, gewöhn­lich ein Völker­fest, wären die perfekte Bühne für den Start­schuss des e‑CNY gewesen. Die Volks­re­pu­blik hätte der Welt ihre digitale Inno­va­ti­ons­kraft präsen­tieren können.

Doch die Bühne der Winter­spiele fällt dieses Jahr klein aus. Grund dafür ist die chine­si­sche Null-Covid-Politik. Wegen ihr sind keine auslän­di­schen Zuschauer zu den Wett­be­werben zuge­lassen. Nicht einmal Chinesen kommen an Eintritts­karten. Nur einge­la­dene Zuschauer sitzen während der Wett­kämpfe in den Zuschau­er­rängen. Der Start­schuss für den digitale Yuan ist trotzdem gefallen. Im Olym­pi­schen Dorf ist er – neben Bargeld und Visa-Karten­zah­lung – die einzig mögliche Zahlungsart. Athleten und Trainer können dort mit auflad­baren Armbän­dern bezahlen.

Der digitale Yuan lässt erahnen, was die Volks­re­pu­blik mit ihren Bürgern vorhat. Auch die USA und Europa arbeiten an digitalen Formen ihrer Währungen. Aber der Schutz der Bürger vor staat­li­cher Über­wa­chung wird eine der Prämissen dieser Inno­va­tionen sein. Sollten Brüssel und Washington diese Prämisse nicht ausrei­chend erfüllen, ist mit massivem gesell­schaft­li­chem Wider­stand zu rechnen. Anders in China. Hier fügt sich der digitale Yuan in ein System ein, das im Westen für Schrecken sorgt.

Denn der digitale Yuan könnte mit dem chine­si­schen Sozi­al­kre­dit­system verschmelzen, einem Über­wa­chungs­system, das mit Strafen und Beloh­nungen arbeitet und im Westen meist als Orwell­scher Albtraum gesehen wird. „Es ist durchaus denkbar, dass man auf einer schwarzen Liste landet, wenn man als chine­si­scher Bürger eine Trans­ak­tion mit dem digitalen Yuan tätigt, die politisch nicht erwünscht ist“, sagt Vincent Brussee, Experte am Berliner Thinktanks Merics.

Im Gespräch mit WELT AM SONNTAG will Brussee aber erst einmal mit ein paar Miss­ver­ständ­nissen aufräumen. Im September hat der Experte in dem renom­mierten US-Magazin „Foreign Policy“ einen Artikel veröf­fent­licht. (https://foreignpolicy.com/2021/09/15/china-social-credit-system-authoritarian/) Er trägt die Schlag­zeile: „Chinas Sozi­al­kre­dit­system ist eigent­lich ziemlich lang­weilig“. Das System habe als Symbol für Chinas rück­sichts­lose Über­wa­chungs­fan­ta­sien weltweit für Schlag­zeilen gesorgt, schreibt der Holländer dort. Aber diese Schlag­zeilen seien ziemlich überzogen.

Entgegen der land­läu­figen Meinung, richtet sich das Sozi­al­kre­dit­system haupt­säch­lich an Unter­nehmen und nicht an Einzel­per­sonen“, sagt Brussee im Tele­fon­in­ter­view. Es sei geschaffen worden, um den Daten­aus­tausch zwischen chine­si­schen Provinzen zu fördern und um die Einhal­tung von Gesetzen zu verbes­sern. Die Durch­set­zung von Recht sei zuvor ein Problem gewesen. Ein Unter­nehmer, der eine Straftat begangen habe, habe sich in eine andere Provinz absetzen können. Auch sei das Sozi­al­kre­dit­system kein Punk­te­system. Zwar gebe es neben schwarzen Listen auch „rote Listen“, also Listen, die mit Beloh­nungen locken. „Aber es werden in der Regel keine Noten für indi­vi­du­elles Verhalten erstellt“, sagt Brussee.

Soweit die Theorie. In der Praxis, auch darauf macht Brussee aufmerksam, sieht das zuweilen anders aus. Denn das Sozi­al­kre­dit­system ist kein einheit­li­ches System, es ist eher ein Über­be­griff für ein frag­men­tiertes System aus vielen verschie­denen, meist staatlich betrie­benen Systemen. Und diese Frag­men­tie­rung ermög­licht es lokalen Behörden, das System für die eigene Agenda zu missbrauchen.

Brussee hat einen solchen Fall recher­chiert: So setzte die südwest­chi­ne­si­sche Stadt Anqing während der ersten Corona-Welle ein Indi­vi­duum auf eine schwarze Liste, nachdem dieses nach Angaben der Stadt eine Stra­ßen­blo­ckade ignoriert hatte. Beim Passieren der Blockade sei ein Fahnen­mast der Kommu­nis­ti­schen Partei verbogen worden. Mate­ri­al­kosten: 20 Yuan, knappe drei Euro. Ein Eintrag in einer schwarzen Liste ist mit erheb­li­chen Einschrän­kungen verbunden. Er führt etwa dazu, dass man keine Flugzeug- und Zugti­ckets mehr kaufen darf.

Nach Brussees Recher­chen machen Indi­vi­duen ein bis zwei Prozent der Einträge in schwarzen Listen aus. Das mag sich wenig anhören. Aber ange­sichts der chine­si­schen Gesamt­be­völ­ke­rung von 1,4 Milli­arden Menschen sind damit immer noch bis zu 28 Millionen Menschen von den Strafen des Sozi­al­kre­dit­system betroffen – also eines Systems, das sich auf die Fahne schreibt, nur Unter­nehmen ins Visier zu nehmen.

Dieser Punkt versetzt Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tionen in Panik. In einem Bericht aus dem Jahr 2019 schreibt die Orga­ni­sa­tion Human Rights Watch (HRW) über das Sozi­al­kre­dit­system: „Die chine­si­sche Regierung baut im ganzen Land Systeme zur Über­wa­chung und Verhal­tens­kon­trolle auf.“ (https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/global) Zwar seien poli­ti­sche Kriterien vorerst nicht in diesem System enthalten, aber es sei ein Leichtes, sie später hinzuzufügen.

Die Menschen­rechts­ak­ti­visten von HRW finden, dass die Volks­re­pu­blik damit den Über­wa­chungs­staat expor­tierbar macht: Ihr Regie­rungs­stil sowie ihre erschwing­li­chen Soft- und Hardware-Pakete seien für Regie­rungen attraktiv, die das chine­si­sche Unter­drü­ckungs­mo­dell nachahmen wollten. Vor diesem Hinter­grund erscheint das Sozi­al­kre­dit­system nur als ein kleines Rädchen einer großen Über­wa­chungs­ma­schine, die aus schwarzen Listen, einer digitalen Währung sowie Über­wa­chungs­ka­meras und Gesichts­er­ken­nung im öffent­li­chen Raum besteht.

Unter Umständen führt die Unter­schei­dung, ob das Sozi­al­kre­dit­system Indi­vi­duen oder Unter­nehmen ins Visier nimmt, auch einfach nur in die Irre. Denn welch repres­siven Ansatz der chine­si­sche Staat verfolgt, wird klar, wenn man sich Inter­views mit Lin Junyue anschaut, dem Sozio­logen, der als Erfinder des Sozi­al­kre­dit­sys­tems gilt.

Gegenüber dem Fern­seh­sender arte sagte Lin, dass das Sozi­al­kre­dit­system das beste Mittel sei, um eine Gesell­schaft effizient zu führen. (https://www.youtube.com/watch?v=UCdUTljFri0) Er hoffe sehr, dass ein kapi­ta­lis­ti­sches Land das System übernehme. An ein Land dachte der Soziologe im Spezi­ellen: Frank­reich. Sein Argument: Mit dem Sozi­al­kre­dit­system hätte es die Gelb­westen-Bewegung nie gegeben.

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