Putins und Xi Jinpings unheil­volle Allianz

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Peking und Moskau verbindet eine strate­gische Partner­schaft und der gemeinsame Feind, „der Westen“. Der Diplomat Johannes Regen­brecht analy­siert für uns, worin diese Allianz besteht, welche Inter­essen Xi Jinping im Ukraine-Krieg verfolgt und vor welchen Heraus­for­de­rungen die russisch-chine­sische Allianz durch einen errati­schen Präsi­denten im Weißen Haus steht. Die USA und die Europäische Union müssen sich darüber im Klaren sein, dass Einschrän­kungen der Souve­rä­nität der Ukraine von erheb­licher Präze­den­z­wirkung auch für den indo-pazifi­schen Raum sein werden.

1. Xi Jinping und Putin – Ein ungleiches Paar

Chinas Politik gegenüber Russland und Putins Großan­griff gegen die Ukraine wird gemeinhin als geschicktes Lavieren zwischen Unter­stützung des „strate­gi­schen Partners“ in Moskau und Vermeidung von Schäden in den Bezie­hungen zum „Westen“ beschrieben, kurz als „pro-russische Neutra­lität“[1]. Ein Scheitern Putins, gar ein Zusam­men­bruch des Regimes in Moskau wären aus chine­si­scher Sicht ein geopo­li­ti­sches Desaster. Es würde Chinas terri­to­riales Bollwerk in der Landmasse Nordasiens aufreißen und dem strate­gi­schen Rivalen USA ein Einfallstor öffnen. Deswegen gewährt China seinem Nachbarn umfang­reiche politische und wirtschaft­liche Unter­stützung. Ohne China als „decisive enabler“ könnte Putin seinen Angriffs­krieg in dieser Form nicht führen.[2] Partei‑, Militär- und Staatschef Xi Jinping hat dem aus seiner Sicht schwer berechen­baren Junior­partner Putin aller­dings auch „rote Linien“ aufge­zeigt, um eine globale Eskalation des Konflikts zu verhüten.[3]

Gleich­zeitig bleibt Beijing darauf bedacht, seine lebens­wich­tigen Export­märkte in Europa und Nordamerika weiter dynamisch auszu­bauen, gefürchtete Dritt­land­sank­tionen zu vermeiden und weltweit, besonders auch vom Globalen Süden als ausge­wo­gener, um eine fried­liche Konflikt­lösung bedachter Partner wahrge­nommen zu werden. Im Kern geht es um Minimierung der politi­schen und wirtschaft­lichen Kosten, die mit der Unter­stützung Russlands verbunden sind. „Im Rahmen der Vereinten Nationen hat sich China zu Resolu­tionen mit Verur­teilung Russlands in der Regel konse­quent enthalten, zuletzt bei den beiden unter­schied­lichen von der Ukraine bzw. den USA in die General­ver­sammlung einge­brachten Beschluss­ent­würfen zum dritten Jahrestag des russi­schen Großan­griffs am 24. Februar 2025.[4] Im Sicher­heitsrat hingegen stimmt Beijing am gleichen Tag (gemeinsam mit den USA und Russland!) ausnahms­weise dem von Washington einge­brachten minima­lis­ti­schen, durch seine Nicht­be­nennung des Aggressors pro-russi­schen, Text zu.[5] In seinen politi­schen Erklä­rungen vermeidet China jegliche Verur­teilung Russlands, weist gleich­zeitig aber immer wieder abstrakt auf das Prinzip der Unantast­barkeit von Souve­rä­nität und terri­to­rialer Integrität von Staaten hin.

Die Bilanz des chine­si­schen Kurses kann sich sehen lassen: Der Anschein chine­si­scher Äquidi­stanz verfängt bei vielen Ländern des Globalen Südens. Die Unter­stützung der Ukraine bindet weiter, Trump zum Trotz, militä­rische US-Ressourcen und schränkt damit Washingtons Spielraum mit Blick auf den poten­zi­ellen Großkon­flikt der Zukunft um Taiwan ein. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Nahen Osten hat die Kluft zwischen dem „Westen“ und Globalen Süden vertieft und kommt somit indirekt China zugute. Das Regime in Moskau sitzt fest im Sattel, wird dabei aber immer stärker von Beijing abhängig. Gleich­zeitig bleibt China nach den USA zweit­größter Handels­partner der Europäi­schen Union mit einem stabilen Anteil am EU-Außen­handel von 15 Prozent.[6] Darüber hinaus spielen das aktuelle Chaos in Washington, die Kehrt­wende der US-Ukraine-Politik unter Trump und der Zerfall des politi­schen Westens China in die Hände.

Es ist wie verkehrte Welt: Der Vorsit­zende der ZK-Kommission für Außen­po­litik und chine­sische Außen­mi­nister Wang Yi pries bei seiner Presse­kon­ferenz am 7. März 2025 anlässlich des diesjäh­rigen Plenums des Natio­nalen Volks­kon­gress sein Land als unersetz­lichen Stütz­pfeiler von UNO-Charta und inter­na­tio­naler Ordnung. „Wir werden eine gerechte Macht sein, um den Frieden und die Stabi­lität in der Welt zu erhalten.“ Der globalen Unsicherheit werde Beijing „chine­sische Verläss­lichkeit“ entge­gen­setzen.[7]

Dennoch kann Beijing sich nicht zurück­lehnen und abwarten, sondern muss Vorsorge treffen, um von der Dynamik des Zeitge­schehens nicht überrollt zu werden. Zum unbere­chen­baren Führer von Chinas „strate­gi­schem Partner“ Russland hat sich ein mindestens ebenso unbere­chen­barer Präsident an der Spitze seines strate­gi­schen Rivalen USA gesellt. Schon dieses irrlich­ternde Zweige­stirn läuft dem Bedürfnis der Führung des „Reichs der Mitte“ nach strate­gi­scher Planbarkeit zutiefst zuwider. Die Trump’schen Waffen­still­stands­in­itiative und intensive Gespräche zwischen Washington und Moskau können China nicht unberührt lassen. Eine Einstellung der militä­ri­schen Unter­stützung der Ukraine und möglicher Rückzug aus Europa durch die USA würden zwar die NATO schwächen, den Graben zwischen Amerika und Europa vertiefen und damit Xis Agenda einer noch stärkeren wirtschaft­lichen, vor allem aber auch politi­schen Anbindung Europas an China fördern. Die damit freiwer­denden Ressourcen könnten aber eine Bündelung des politisch-militä­ri­schen Fokus Washingtons auf Nordost­asien und Taiwan, einen militä­ri­schen pivot to Asia, fördern und damit die Aussichten auf Reali­sierung des „chine­si­schen Traums“, zu dem eine möglichst unblutige „Wieder­ver­ei­nigung“ Taiwans mit dem chine­si­schen „Mutterland“ gehört, zu Xis Lebzeiten eintrüben.[8]

Damit trifft das Schicksal der Ukraine trotz der geogra­phi­schen Entfernung tief ins geopo­li­tische Herz Chinas: Es geht, egal wie sich Trump in einem „Peace Deal“ letztlich positio­nieren wird, um die geopo­li­tische Vermessung von Einfluss­räumen und die Heraus­for­derung durch den einzigen strate­gi­schen Gegner auf Augenhöhe Chinas, die USA. Dabei macht die Unbere­chen­barkeit Trumps einen rational kalku­lierten Umgang mit dem Spannungs­ver­hältnis zwischen den Großmächten noch deutlich schwie­riger. Dass die strate­gische Partner­schaft mit Moskau trotz der immer wieder vorge­tra­genen Behauptung, sie richte sich nicht gegen ein drittes Land, auf die USA abzielt[9], räumte China in einer gemein­samen Erklärung mit Russland im Mai 2024 öffentlich ein. In der wortreichen, in engli­scher Übersetzung rund 8000 Wörter umfas­senden Grund­satz­er­klärung anlässlich des 75. Jahrestags der Aufnahme diplo­ma­ti­scher Bezie­hungen vom 16.5. 2024 erklären beide Länder ihre Absicht, gegen die „nicht konstruktive und feind­liche US-Politik“ der „doppelten Eindämmung“ („dual containment“) Chinas und Russlands vorzu­gehen.[10] Damit wird unmiss­ver­ständlich klar gemacht: Ziel ihrer „umfas­senden strate­gi­schen Partner­schaft der Zusam­men­arbeit für das Neue Zeitalter“ (China-Russia Compre­hensive Strategic Partnership of Coordi­nation for the New Era) ist es, den gemein­samen syste­mi­schen Rivalen USA in die Schranken zu weisen.

2. Die Ursachen der „Ukraine-Krise“ und die „Sieben Übel“

Auch in der Analyse der Ursachen der euphe­mis­tisch von Beijing so genannten „Ukraine-Krise“[11] stimmen Moskau und Beijing überein: Die eigent­lichen Kriegs­treiber sind in der internen Analyse Beijings die USA und ihre westlichen Alliierten. Ihre Waffe sei die Ausdehnung der NATO und Instru­men­ta­li­sierung der Ukraine als Speer­spitze, womit sie Russlands und mittelbar auch Chinas Sicherheit bedrohten.[12] Im Fall der Ukraine geht es für Xi Jinping noch weiter, nämlich um die Notwen­digkeit der Abwehr einer angeb­lichen Einmi­schung des Westens in innere Angele­gen­heiten des Landes durch Anzet­telung einer „Farben­re­vo­lution“.[13] Damit stili­siert Xi die Aggression Putins gegen den souve­ränen Nachbar­staat Ukraine zum Abwehr­kampf gegen einen übergrif­figen Westen hoch, der dem Land seine Vorstel­lungen von Demokratie und Rechts­staat­lichkeit überstülpen und es anschließend als Vehikel für den Export dieser Ideen in weitere Länder missbrauchen wolle.

Damit knüpft Xi an eine zentrale Weisung aus den ersten Monaten seiner Amtszeit an, das „Kommu­niqué zur aktuellen Situation im Bereich der Ideologie“ oder kurz Dokument Nr. 9/​2013. Es ist ein program­ma­ti­scher Grund­satztext, den Xi wenige Monate nach seiner erstma­ligen Wahl zum General­se­kretär des ZK der KPCh[14] am 22. April 2013 regie­rungs­intern zu Weisungs- und Schulungs­zwecken heraus­ge­geben ließ. Er wurde nach einem Leak im August 2013 veröf­fent­licht.[15] Das Dokument, an dessen Redaktion Xi selbst und sein Chefideologe Wang Huning[16] feder­führend beteiligt gewesen sein sollen, ist eine Kampf­ansage an den Westen und seine Werte. Im Kern werden „sieben Übel“ angeprangert, deren Ausbreitung in China verhindert werden müsse. Die KPCh sieht sich durch „westliche antichi­ne­sische Kräfte“ angegriffen, welche die Partei durch „Verwest­li­chung“ zu vernichten suchten. Existen­ziell bedrohlich für die Partei seien insbesondere

  • das Propa­gieren von westlicher liberaler Demokratie, vor allem deren Konzepte von Gewal­ten­teilung, Mehrpar­tei­en­system, allge­meinem Wahlrecht und Unabhän­gigkeit der Justiz;
  • das Werben für „westliche Werte“ mit dem Anspruch, diese als univer­selle Normen auszu­geben und die Definition von Begriffen wie Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Gerech­tigkeit und Rechts­staat­lichkeit im Sinne „sozia­lis­ti­scher Werte“ durch die KPCh zu diskreditieren;
  • Propa­gieren des Neoli­be­ra­lismus mit der Absicht, das Wirtschafts­system Chinas zu ändern;
  • Das Propa­gieren einer „westlichen Auffassung“ von Presse­freiheit und Hinter­fragen des Prinzips der Kontrolle der Medien durch die Partei.

Schluss­fol­gerung:

„Solange wir an der Führung durch die Kommu­nis­tische Partei Chinas und am Sozia­lismus chine­si­scher Prägung festhalten, werden die antichi­ne­si­schen Kräfte im Westen nicht von ihrer Position abweichen, uns zu einem Wandel zu drängen. Sie werden immer darauf abzielen, China zu verwest­lichen, zu spalten und eine „Farbre­vo­lution“ zu starten. Diesbe­züglich dürfen wir niemals unauf­merksam werden und wir dürfen diese Aufgabe nicht auf die leichte Schulter nehmen.“ 

Als Therapie zur Bekämpfung dieser Übel werden zum Schluss des Dokuments vier Maßnahmen angeordnet, unter anderem die Anleitung von Partei­mit­gliedern und Kadern zur Unter­scheidung zwischen „richtigen“ und „falschen“ Theorien, das Verbot der Verbreitung von der politi­schen Linie der Partei zuwider­lau­fenden Ansichten und die Stärkung der Kontrolle der Massen­medien durch die Partei.

Von dem Dokument Nr. 9 (2013) wenige Monate nach erstma­liger Wahl von Xi zum Parteichef führt eine gerade Linie zur „Krönungsrede“ Xis beim XIX. Parteitag im Oktober 2017. Auf dem Parteitag kommt der de facto schon auf Lebenszeit wieder­ge­wählte „Chairman of Every­thing“ nach Ausschaltung zahlreicher inner­par­tei­licher Rivalen[17] sowie der ganz China erfas­senden Unter­drü­ckung von Kritikern und Resten unabhän­giger Zivil­ge­sell­schaft auf dem Zenit seiner Macht an.[18] In seinem Bericht an den Parteitag erhebt er das „Xi Jinping-Denken zum Sozia­lismus chine­si­scher Prägung im neuen Zeitalter“ und die „sozia­lis­tische Rechts­staat­lichkeit“ zu verbind­lichen Partei­linien von Verfas­sungsrang. Außerdem prägt er die Phrase von der „Schick­sals­ge­mein­schaft der Menschheit“[19] als Ausdruck globalen Gestal­tungs­willens oder Chiffre für die geoöko­no­mische Expansion Chinas.

Vor dem Hinter­grund der Trans­for­mation Chinas in einen totali­tären Überwa­chungs­staat unter Besei­tigung des von Deng Xiaoping einge­führten Prinzips kollek­tiver Führung, die sich im Wesent­lichen während Xis erster Amtszeit als Parteichef von 2012 bis 2017 vollzieht, wird der enge Schul­ter­schluss mit dem Diktator Putin aus der inneren Entwicklung Chinas heraus nachvoll­ziehbar. Es geht bei dem ungleichen Paar des risiko­be­wussten und von strate­gi­scher Geduld geprägten Xi und des politi­schen Hasar­deurs Putin nicht nur um Zusam­men­wirken bei der geopo­li­ti­schen Konfron­tation mit den USA, sondern um gemein­samen ideolo­gi­schen Abwehr­kampf gegen Libera­lismus, konsti­tu­tionell verfasste Demokratie, Menschen­rechte und Rechts­staat­lichkeit. Dabei bilden auch die Vorgänge in der Ukraine den Hinter­grund für politi­sches Handeln in China. Nicht nur Putin, sondern auch Xi nimmt die orangene Revolution in der Ukraine im Herbst 2004 und den „Euromaidan“ 2013/​2014 in Kyjiw als Risiko für sein eigenes Herrschafts­system wahr.

  • Der Aufstieg Xis mit Wahl zum General­se­kretär der KPCh sowie Vorsit­zenden der mächtigen Zentralen Militär­kom­mission und Staats­prä­si­denten im November 2012 bzw. März 2013,
  • die darauf­fol­gende Konso­li­dierung des Macht­mo­nopols der Partei und Elimi­nierung zahlreicher inner­par­tei­licher Rivalen,
  • die Erringung der Allein­herr­schaft durch Xi qua Wiederwahl im Oktober 2017 als General­se­kretär und im März 2018 als Vorsit­zender  der Zentralen Militär­kom­mission und Staats­prä­sident (poten­ziell) auf Lebenszeit,[20]
  • und die geoöko­no­mische Expansion Chinas entlang der „Seiden­straße“

vollziehen sich zeitlich parallel zu

  • Euromaidan,
  • der völker­rechts­wid­rigen Besetzung der Krim und Inter­vention in der Ostukraine durch Moskau im Frühjahr 2014,
  • der fortge­setzten Annäherung der Ukraine an die EU (Inkraft­treten des Assozia­ti­ons­ab­kommens am 1. Juli, visafreier Reise­verkehr mit dem Schen­genraum seit Juni 2017)
  • dem Großan­griff Russlands auf die Ukraine seit dem 24. Februar 2022.

Es lohnt sich daher, einen Blick auf die innen­po­li­tische Entwicklung Chinas in den Jahren seit Übernahme der Macht durch Xi Jinping 2012 zu werfen. Eine Zeit, in der die Steuerung von Staats­or­ganen und Übernahme der Allein­herr­schaft durch die Partei über alle Lebens­be­reiche unter Ausschaltung von Kontrolle durch die Justiz dynamisch voran­kommt. Bei gewich­tigen Partei­ideo­logen und Theore­tikern ist dabei auch der Einfluss des antili­be­ralen und antide­mo­kra­ti­schen deutschen Verfas­sungs­rechtlers und NS-Apolo­geten Carl Schmitt nachweisbar, der in Russland noch wesentlich tiefere Spuren hinter­lässt.[21]

Ausgangs­punkt und Auslöser für die zeitge­nös­sische chine­sische Diskussion über das Verhältnis von „Recht“ und „Macht“ ist meist eine perzi­pierte Bedrohung von „außen“, ein externer „Feind“, oft in Gestalt von „westlichen Werten“. Diesen werden dann Normen „chine­si­scher Prägung“ entge­gen­ge­setzt. Die Schmitt’sche Dicho­tomie von „Freund/​Feind“ als Wesenskern des Politi­schen und das Verhältnis von Legalität und Legiti­mität als poten­ziell system­ge­fähr­dende Spannung gelten im intel­lek­tu­ellen Diskurs in China als wichtige erkennt­nis­lei­tende Parameter.[22]

Unter dieser Perspektive erscheinen auch die „Friedens­in­itia­tiven“ Chinas zur Konflikt­re­gelung zwischen der Ukraine und Russland in einem neuen Licht. Sie werden in der Literatur meist als unver­bind­liche, in ihrer Allge­meinheit wenig zielfüh­rende Vorschläge beschrieben, deren Haupt­ziele nicht konkrete Beiträge zur Konflikt­lösung seien, sondern im Wesent­lichen der Selbst­in­sze­nierung Beijings als „neutraler“ Konflikt­ver­mittler (unter Verschweigen seiner Vorein­ge­nom­menheit zugunsten Russlands) und als Appell zum Stopp weiterer Eskalation dienten.[23] Betrachtet man die chine­si­schen Papiere aber durch die Brille des „Xi Jinping-Denkens“, werden sie auch zum Ausdruck grund­sätz­licher ideolo­gi­scher Überzeu­gungen des chine­si­schen Partei- und Staats­chefs. Und des enormen globalen Gestal­tungs­willens Chinas.

3. Xis Trauma vom Zusam­men­bruch der Sowjet­union und der KPdSU

Das zentrale „Trauma“, welches das Denken und Handeln des aufstre­benden Partei­funk­tionärs Xi Jinping[24] seit Ende der achtziger Jahre leitet, ist der Kollaps der UdSSR und vor allem das sang- und klanglose Eingehen der ausge­laugten und delegi­ti­mierten Kommu­nis­ti­schen Partei der Sowjet­union Ende 1991.Das Narrativ von der schmachvoll-kampf­losen Kapitu­lation des sowje­ti­schen Sozia­lismus und des Ostblocks im System­wett­streit mit einem „überheb­lichen“ Westen zieht sich wie ein roter Faden durch das Denken Xis. Die Lehre: Wir müssen alles tun, damit sich so etwas nicht in China wiederholt – das wäre Selbst­aufgabe und das Ende der politi­schen Existenz des durch die Partei verfassten chine­si­schen Volkes. Es wäre ein Rückfall ins 19. Jahrhundert, als das Reich der Mitte unter der Qing-Dynastie schutzlos den westlichen Koloni­al­mächten ausge­liefert war und durch die „ungleichen Verträge“ am Boden gehalten wurde.[25] Xis Befund deckt sich dabei nur teilweise mit dem bekannten Diktum Putins, für den der Zerfall der Sowjet­union die „größte geopo­li­tische Katastrophe des 20. Jahrhun­derts“ ist.[26] Anders als bei Putin steht bei Xi das Versagen der Kommu­nis­ti­schen Partei an erster Stelle der Ursachen für den Zusam­men­bruch des Sowjet­im­pe­riums. Ihre Unfähigkeit, ihre innere Erosion und vor allem ihr mangelnder Glaube an sich selbst sind aus seiner Sicht schuld daran, dass der Westen den Kalten Krieg gewinnen konnte.[27]

Ausführlich auf den Punkt bringt Xi seine Analyse der „Urkata­strophe“ in einer Eröff­nungsrede eines Kurses für junge Kader der Zentralen Partei­schule (Nationale Akademie für Verwaltung) in Beijing zum Beginn des Frühjahrs­se­mesters 2022. Sie wurde am 30.6. 2023 als Namens­ar­tikel Xis in der Partei­zeitung Qiúshì  求是[28] veröf­fent­licht. Hier lohnt sich ein längeres Zitat:

„Zahlreiche Fakten zeigen, dass eine politische Partei, wenn sie ihre Ideale und Überzeu­gungen verliert, ihre spiri­tu­ellen Bindungen verliert, zu einem bloßen Mob wird und sich bei Sturm zerstreut. Partei­mit­glieder und Kader, die ihre Ideale und Überzeu­gungen verlieren, verlieren ihre politische Seele und werden in Prüfungen besiegt. Das Wichtigste für den Erfolg junger Kader ist, wie Genosse Deng Xiaoping einmal sagte, den ‚heroi­schen Geist zu bewahren, der der Richtung des revolu­tio­nären Kampfes folgt‘. Das bedeutet, erfolg­reich am Glauben an den Marxismus festzu­halten und für die Ideale des Kommu­nismus und Sozia­lismus chine­si­scher Prägung zu kämpfen. Wir brauchen eine Generation, die nach gemein­samen Idealen strebt.

Wenn die Menschen, die wir erzogen haben, nicht mehr an den Marxismus und Kommu­nismus glauben und nicht das Banner des Sozia­lismus chine­si­scher Prägung hochhalten, wird es eine Tragödie geben wie die drasti­schen Verän­de­rungen in Osteuropa, den Zusam­men­bruch der Kommu­nis­ti­schen Partei der Sowjet­union und den Zerfall der Sowjet­union.“[29]

In seiner Schluss­fol­gerung mahnt Xi die Nachwuchs­funk­tionäre, ihren Glauben an den Marxismus-Leninismus zu stärken und abwei­chende Meinungs­äu­ße­rungen unerbittlich zu ahnden. Es fällt auf, dass er in seinem Appell an die Jungkader bewusst religiös konno­tiertes Vokabular wie „spiri­tuelle Bindungen“, „politische Seele“, „Ideale“ oder „Glaube“ einsetzt, die gestärkt werden müssten, um nicht in einem dunklen Morast von Selbst­aufgabe und Zerfall zu versinken und darin zugrunde zu gehen.

Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Der mutige und gewaltlose Aufstand der Menschen für Freiheit und Demokratie in Mittel- und Osteuropa, bahnbre­chend für die Verei­nigung Deutsch­lands, ist für Xi nichts als ein tragi­sches Desaster, das ihn fast physisch zu schmerzen scheint. Dem Gift westlicher Werte (und Religionen!) setzt er den tiefen Glauben an den Marxismus und vor allem an die Kommu­nis­tische Partei entgegen, der in Xis Rede wie eine Säkular­re­ligion aufleuchtet.[30] Ins Geopo­li­tische gewendet heißt das: Es war das Versagen der KPdSU, welches das Ende der Sowjet­union und den Fall der Mauer herauf­be­schworen und die Bresche für die räumliche Expansion des Westens geschlagen hat. Der Sieg des politi­schen Westens im Kalten Krieg führte zu Expansion der NATO gen Osten und dem – horribile dictu - „unipo­laren Moment“ Anfang der neunziger Jahre mit den USA als einziger übrig­ge­blie­bener Großmacht, die ihre Werte von Demokratie und Menschen­rechten der ganzen Welt als Standard aufer­legen konnte.

Mehr als drei Jahrzehnte nach dem fried­lichen Umbruch in Mittel- und Osteuropa einer­seits und der gewalt­samen Nieder­schlagung der Demons­tra­tionen beim Tiananmen-Massaker am 3./4. Juni 1989 in Beijing anderer­seits setzt Xi, gestärkt durch das syste­ma­tische und skrupellose Vorgehen der Partei gegen ihre Kritiker und den fulmi­nanten Aufstieg Chinas zur zweiten globalen Super­macht nach Amerika, sein Konzept einer multi­po­laren Welt mit China im Zentrum und dem chine­si­schen Modell als leuch­tendes Vorbild für die Welt entgegen.

4. „Recht“ und „Macht“ und der Primat der Kommu­nis­ti­schen Partei Chinas

Auch in der chine­si­schen Innen­po­litik geht es um ideolo­gi­schen Abwehr­kampf gegen den Westen. Dabei stehen die Abwehr und Umdeutung westlich geprägter Begriffe und Normen wie Freiheit, Demokratie und Rechts­staat­lichkeit im Mittel­punkt des Diskurses von chine­si­schen Partei­ideo­logen und Verfas­sungs­rechtlern. Die konzep­tio­nelle Weiter­ent­wicklung des „chine­si­schen Rechts­staats“ mit Veran­kerung des Primats der Partei und einge­schränkter Rolle der Verfas­sungs­ge­richts­barkeit, zusam­men­ge­fasst in der Xi-Formel vom „starken sozia­lis­ti­schen Rechts­staat“, nimmt nach der Wahl von Xi zum Partei­vor­sit­zenden auf dem XVIII. Parteitag im November 2012 kräftig an Fahrt auf. Einer der führenden Rechts­theo­re­tiker Chinas mit starkem Einfluss auf die Diskus­sionen innerhalb der KPCh, der Rechts­wis­sen­schaftler und Exponent des „Xi Jinping-Denkens“ Jiang Shigong (geb. 1967),[31] entwickelte

„ausgehend von einer Kritik am westlichen Überle­gen­heits­an­spruch eines vermeintlich univer­salen Verständ­nisses von Konsti­tu­tio­na­lismus seinen eigenen Ansatz eines ‚Partei­staats-Konsti­tu­tio­na­lismus chine­si­scher Prägung‘.“[32]

Bei Jian Shigong stehen das Verhältnis von Recht und Politik und der Begriff des „chine­si­schen Rechts­staats“ im Mittel­punkt seiner Veröf­fent­li­chungen. Der von ihm mitge­prägte Begriff des „‘sozia­lis­ti­schen Rechts­staats chine­si­scher Prägung‘ ist entstanden in Kontrast und der entschie­denen Abgrenzung zu einem Rechts­staats­ver­ständnis, in dem die Gültigkeit und Umsetzung der in der Verfassung garan­tierten Normen durch eine unabhängige Justiz garan­tiert wird.“[33]

Den Gedanken der Abgrenzung vom „westlichen“ Begriff der Rechts­staat­lichkeit führt Jiang Shigong in seiner 2018 erschie­nenen Exegese einer der wichtigsten Reden des Partei­vor­sit­zenden, Xis Bericht an den XIX. Parteitag der KPCh vom 18.10. 2017, aus.[34] Er beklagt zunächst, dass der Aufbau des chine­si­schen Rechts­staats „im Zuge des Studiums der westlichen Rechts­staat­lichkeit allmählich auf einen Irrweg“ geriet, weil die Begriffe „Rechts­herr­schaft“ und „Perso­nen­herr­schaft“ fälschlich als antago­nis­tisch angesehen worden seien. Diese seien aber keine Gegen­sätze, sondern ergänzten sich gegen­seitig. Eine rechts­staatlich verfasste Gesell­schaft dürfe insbe­sondere die „Schlüs­sel­rolle von Führern und großen Persön­lich­keiten, von politi­schen Parteien und den Volks­massen in der Geschichte“ nicht ignorieren. Daher habe das ZK der KPCh die Richt­linien zum Aufbau des Rechts­staats seit dem 18. Parteitag (2012) dahin gehend korri­giert, dass es „die Führung durch die Partei als entschei­dende Kompo­nente“ begriffen habe. Darüber hinaus habe das ZK auch die Partei­normen und die Partei­dis­zi­pli­nar­vor­gaben, die sich vom Partei­statut ablei­teten, in das Rechts­system Chinas einge­bracht. In diesem Zusam­menhang kriti­siert Jian Shigong die in westlichen Demokratien „von Geld und Massen­medien manipu­lierten kompe­ti­tiven Wahlen“, welche die „‘Demokratie‘ auf ‚Elektro­kratie‘“ reduziert hätten.[35]

Im Ergebnis habe Xi schon früh deutlich gemacht, dass „‘die Führung durch die Partei das grund­le­gende Merkmal des Sozia­lismus chine­si­scher Prägung und die grund­le­gende Garantie der sozia­lis­ti­schen Rechts­staat­lichkeit ist‘“.[36] Auf dieser Grundlage habe Xi einige Jahre später, auf dem XIX. Parteitag 2017, betont, dass „‘auf allen Arbeits­ge­bieten einschließlich der Partei, der Regierung, der Armee, der Bevöl­kerung, der Massen­or­ga­ni­sa­tionen und der Bildung sowie in allen Landes­teilen die Partei alles führt‘“ und die Partei „‘die höchste politische Führungs­kraft bildet‘“.[37] Der „sinisierte“ und an die Führungs­rolle der Partei gekop­pelte Rechts­staats­be­griff wird vom Natio­nalen Volks­kon­gress im März 2018 schließlich mit der Formu­lierung „starker sozia­lis­ti­scher Rechts­staat“ in die Präambel der Verfassung (Abs. 7) aufge­nommen.[38]

Zusam­men­ge­fasst haben Xi Jinping, die Führungs­gremien der KPCh und einfluss­reiche Verfas­sungs­rechtler wie Jiang Shigong den Begriff der Rechts­staat­lichkeit kopiert und in das System der chine­si­schen Partei­dik­tatur integriert, ihn dabei zunächst als Vehikel westlicher Einfluss­nahme und Versuch der „Verwest­li­chung“ des chine­si­schen Systems diskre­di­tiert, dann entkernt und schließlich komplett umgewertet – von der Beschreibung einer Ordnung, in dem eine unabhängige Justiz politische Entschei­dungen der Exekutive kontrol­liert und ggfs. korri­giert, hin zu einem System, in dem sich Justiz und Exekutive in totaler Abhän­gigkeit von einer den Staat wie die Gesell­schaft vollständig beherr­schenden und durch­drin­genden Partei befinden. Dabei wird die Überle­genheit der „Rechts­staat­lichkeit chine­si­scher Prägung“ gegenüber ihrem „westlichen“ Pendant postu­liert, da nur die chine­sische Variante den „wirklichen“ Volks­willen verkörpere und damit den Rechts­staats­be­griff zur Vollendung führe.

Schon in einer früheren Schrift von 2010 hatte Jiang Shigong seinen „histo­risch-empiri­schen“ Ansatz als Mittel zur Abwehr einer „Ameri­ka­ni­sierung des chine­si­schen verfas­sungs­recht­lichen Denkens“ begründet.[39] Die Aufspaltung der Trinität von Partei, Militär und Staat unter Deng Xiaoping im Sinn von „Gewal­ten­teilung“ habe 1989 zur „politi­schen Tragödie von Tiananmen“ geführt und sei damit endgültig gescheitert. China habe daraus gelernt und sein einzig­ar­tiges Staats­par­tei­system entwi­ckelt „combining the system of multi­party coope­ration and the people’s congress system, a combi­nation embodied in the trinity system of rule“.[40]

Aus der Negation und Umwertung von Begriffen der „westlichen“ Rechts­wis­sen­schaft wird nunmehr eine verbale Waffe geschmiedet, die auf den Westen zurück­ge­richtet wird: Der neu entwi­ckelte Begriff der Rechts­staat­lichkeit chine­si­scher Prägung soll in die Welt als strah­lendes Vorbild zum Zwecke der Nachahmung zurück expor­tiert werden. Es geht um nichts Gerin­geres, als „eine neue Ordnung für die mensch­liche Zivili­sation zu schaffen, die die westliche Zivili­sation sowohl übersteigt als auch in sich aufnimmt“.[41]
Jiang Shigong führt dazu aus:

„Dies bedeutet nicht nur das Ende der globalen politi­schen Ordnung, die seit dem Zeitalter der großen geogra­phi­schen Entde­ckungen von der westlichen Zivili­sation beherrscht wird, sondern auch das Ende der 500-jährigen globalen Dominanz der westlichen Zivili­sation im kultu­rellen und zivili­sa­to­ri­schen Sinne und damit den Beginn einer neuen Ära der Entwicklung der mensch­lichen Zivili­sation … Klar vom Stand­punkt der chine­si­schen Zivili­sation ausgehend, negiert diese Ära die beiden westlichen zivili­sa­to­ri­schen Entwick­lungs­pfade aus der Zeit nach dem Kalten Krieg – das ‚Ende der Geschichte‘ und den ‚Kampf der Kulturen‘ – und zeichnet ein neues Bild von der Entwicklung der mensch­lichen Zivili­sation.“[42]

Zwar ist diese so ehrgeizige wie klare Ansage einer globalen „Zeiten­wende“ weg vom „westlichen“ und hin zum chine­si­schen Entwick­lungs­modell die „semi-offizielle“ akade­mische Inter­pre­tation einer Xi-Rede. Sie liegt indessen zahlreichen offizi­ellen Verlaut­ba­rungen oder Xi-Reden zugrunde. Aus dem Bewusstsein der Überle­genheit des „chine­si­schen Modells“ leitet Xi das in seinem Bericht an den XIX. Parteitag 2017 dekla­rierte zentrale außen­po­li­tische Politikziel, den Aufbau einer „Schick­sals­ge­mein­schaft der Menschheit“, ab. Der Begriff dient der Legiti­mierung einer inter­na­tio­nalen Ordnung unter chine­si­scher Führung. Beijing setzt die Floskel von der Schick­sals­ge­mein­schaft seit 2017 zur Werbung für seinen globalen Propa­gan­da­feldzug für Chinas Strategie der geoöko­no­mi­schen Expansion entlang der „Seiden­straße“ ein (One Belt One Road 一 带 一 路 yi dai yi lu, kurz Belt and Road Initiative/​BRI)[43].

5. Chinas 12-Punkte-Plan zur Ukraine – Anspruch und Wirklichkeit

Das im Februar 2023 veröf­fent­lichte chine­sische Positi­ons­papier zur Beilegung der „Ukraine-Krise“[44] ist die bisher umfas­sendste und wichtigste „Friedens­in­itiative“ Beijings.[45] Wird dieser „12-Punkte-Plan“ dem selbst gesetzten hohen Anspruch, einen genuinen chine­si­schen Beitrag zur Beilegung des militä­ri­schen Konflikts im Sinn der Förderung der „Schick­sals­ge­mein­schaft der Menschheit“ und des Weltfriedens zu leisten, gerecht?

Die Antwort ist prima facie ein klares Nein. Zwischen der konzep­tio­nellen Flughöhe der „Schick­sals­ge­mein­schaft der Menschheit“, aber auch dem ehrgei­zigen Anspruch der politi­schen Ankün­di­gungs­rhe­torik Beijings um den euphe­mis­tisch so genannten „Friedensplan“ und der opera­tiven Eignung des Papiers als Roadmap zur Konflikt­lösung liegen Welten. Aller­dings griffe es zu kurz, den Text lediglich als „Nebelwand“ zur Verde­ckung der pro-russi­schen Vorein­ge­nom­menheit Beijings, als Sammlung banaler Allge­mein­plätze zur Streit­schlichtung oder nur „weitge­hende Übernahme“ der russi­schen Positionen zu bezeichnen[46]. Diese Wertungen sind richtig, werden in der Gesamt­schau dem Papier aber nicht gerecht. Beijing lässt in ihm grund­sätz­liche geostra­te­gische Positionen erkennen. Es macht klar, dass es ein genuines und nicht nur aus seinem Bündnis mit Moskau abgelei­tetes Interesse an einer zeitnahen Konflikt­lösung hat.

Die in dem Papier zusam­men­ge­führten Vorschläge sind auf fünf unter­schied­lichen Abstrak­ti­ons­ebenen angesiedelt, die allgemein und unver­bindlich sind, solange sie operative Einzel­heiten von Verhand­lungen oder Waffen­still­stand betreffen. Sie werden aber konkret fassbar, sobald sie globale oder sektorale chine­sische Inter­essen wider­spiegeln. Das Papier weist damit insgesamt einen stark selbst­re­fe­ren­ti­ellen Charakter auf.

  • Vage-unver­bindlich und China zu nichts verpflichtend sind die Vorschläge in der Sache zu

(1) Waffen­still­stand (Pkt. 3): Aufruf an die Parteien zu „Zurück­haltung“ und Ermun­terung zur Aufnahme direkter Gespräche
(2) Aufnahme von Friedens­ver­hand­lungen (4): Beide Seiten sollen sich zusam­men­setzen und mitein­ander sprechen
(3) humani­tärer Hilfe (5), die unter Koordi­nierung der UN geleistet werden soll
(4) Schutz von Zivilisten und Kriegs­ge­fan­genen (6): Modali­täten bleiben offen;
(5) Förderung des Wieder­aufbaus nach dem Krieg (12).

  • In vier der genannten Teilbe­reiche signa­li­siert China immerhin seine Bereit­schaft, logis­tische (nicht politische!) Beiträge zu leisten:

(1) China ist bereit, eine „konstruktive Rolle“ bei Schaffung von Voraus­set­zungen und „Platt­formen“ für Verhand­lungen zu leisten (Pkt. 4)
(2) Leistung von Hilfe beim Gefan­ge­nen­aus­tausch (6).
(3) Unter­stützung beim ukrai­ni­schen Getrei­de­export im Rahmen einer von China vorge­schla­genen „Coope­ration initiative on global food security“ (9).[47]
(4) Bereit­schaft zur Leistung von Hilfe und Übernahme „konstruk­tiver Rolle“ beim Wieder­aufbau (12).

  • Ablenkung von der chine­si­schen Partei­nahme zugunsten Russlands und Behauptung angeb­licher Äquidi­stanz Beijings gegenüber Kyjiw wie Moskau, um den „Globalen Süden“ von der Rolle Chinas als „Friedens­stifter“ einzu­nehmen und die inter­na­tionale „soft power“ Chinas zu stärken. Die Ursache des Konflikts, die Aggression Putins gegen die Ukraine, wird zugunsten der Wiedergabe des russi­schen Narrativs verschwiegen (vgl. insbe­sondere Pkt.2, „abandoning the cold war mentality“). Damit bedient Beijing auch tradi­tio­nelle, im Globalen Süden verbreitete antiame­ri­ka­nische Klischees.
  • Seine unmit­tel­baren Wirtschafts­in­ter­essen sieht China durch „einseitige (nicht vom UN-Sicher­heitsrat gebil­ligte) Sanktionen“, vor allem Dritt­land­sank­tionen („long-arm juris­diction“), beein­rächtigt, vgl. Pkt. 10. Außerdem durch Zusam­men­bruch oder Beschä­digung von indus­tri­ellen u.a. Liefer­ketten, Pkt. 11.
  • Geltend­ma­chung chine­si­scher strate­gi­scher Kernin­ter­essen:

(1) Hinter der Rhetorik gegen den „kalten Krieg“ in Pkt. 2 verbirgt sich die chine­sische Sorge und Xis oben geschil­dertes Trauma vom Sieg des „Westens“ oder westlicher Werte wie Demokratie und Freiheit, was aus Beijings Sicht nicht nur das angestrebte US-chine­sische „Duopol“ gefährden, sondern letztlich auch das Macht­mo­nopol der Kommu­nis­ti­schen Partei in China unter­graben würde (vgl. Kap. 3,4). In Beijing dominiert daher wie in Moskau die Perzeption des Kriegs gegen die Ukraine als Funktion des System­kon­flikts mit der Großmacht USA.

(2) Warnung vor Einsatz oder Drohung mit Einsatz von ABC-Waffen (Pkt. 8). Dies ist das das zweite strate­gische Kernan­liegen Chinas. Beijing ist alles daran gelegen, eine unkon­trol­lierbare und zu einer globalen Katastrophe führende Eskalation zu verhüten und hat dies Moskau durch Aufzeigen „roter Linien“ mehrfach klarge­macht.[48] Ebenfalls von sicher­heits­re­le­vanter Bedeutung ist für China die Sicherheit von Kernkraft­werken in der Ukraine, vor deren Beschä­digung deutlich gewarnt wird (Pkt. 7).

Die letzt­ge­nannten Kernan­liegen tauchen wieder in einem 6‑Punkte-Papier mit Chinas BRICS-Partner Brasilien vom Mai 2024 auf[49], einer verkürzten Version des 12-Punkte-Plans. Absicht ist, den Globalen Süden von Chinas Friedens­willen und angeb­licher Unpar­tei­lichkeit einzu­nehmen.[50] Ganz im Vorder­grund stehen die strate­gi­schen Sorgen Chinas, nämlich Stopp der Eskalation (Punkt 1), kein Einsatz von Massen­ver­nich­tungs­waffen und Verhin­derung nuklearer Proli­fe­ration (4), keine Angriffe auf Kernkraft­werke (5) und Wieder­her­stellung der Stabi­lität globaler Liefer­ketten und Handelswege (6). Neu ist die explizite Unter­stützung für die Abhaltung einer inter­na­tio­nalen Friedens­kon­ferenz unter inklu­siver Betei­ligung „aller Parteien“, also auch der Ukraine.[51] Relati­viert wird dies aller­dings durch Chinas Boykott der von der Schweiz im Juni 2024 ausge­rich­teten Ukraine-Konferenz auf dem Bürgen­stock und Begrüßung von US-Gesprächen mit Russland unter Ausschluss Kyjiws.

Vor diesem Hinter­grund können wir folgende Schluss­fol­ge­rungen zur Rolle Chinas im Rahmen eines politi­schen Konflikt­be­ar­bei­tungs­pro­zesses ziehen:

  • Angesichts der auf dem Spiel stehenden strate­gi­schen und wirtschafts­po­li­ti­schen Inter­essen Chinas dürfte Beijing Interesse an einem baldigen Kriegsende haben, selbst wenn Washington dadurch Ressourcen für eine stärkere militä­rische Fokus­sierung auf Nordost­asien freimachen könnte.
  • Trump wird es nicht schaffen, durch sein Umwerben Putins Russland von China „abzuwerben“ („reverse Nixon“). Dafür sind die gemein­samen geostra­te­gi­schen Inter­esses Russlands und Chinas an einer Zurück­drängung der NATO aus der russi­schen „Einfluss­sphäre“ und die wirtschaft­liche Abhän­gigkeit Moskaus von Beijing zu groß. Beijing wird im Rahmen eines Verhand­lungs­pro­zesses darauf bedacht sein, immer in enger Abstimmung und gemeinsam mit Moskau zu agieren. Es wird sich von Trump, der in Zhongnanhai wegen seiner Unbere­chen­barkeit eher als Risiko denn als Chance gesehen wird, nicht in die Parade seiner Bündnis­po­litik fahren lassen.
  • Ob und wie aktiv sich China in einen politisch-diplo­ma­ti­schen Prozess einbringen und damit politische Risiken und gegebe­nen­falls Sicher­heits­ri­siken eingehen wird, hängt von einem kühlen Kosten-Nutzen-Kalkül ab.

    Wichtigster Parameter ist die Frage, welche geopo­li­tische Präze­den­z­wirkung eine Waffen­still­stands- und Friedens­re­gelung zur Ukraine aus Sicht Beijings für Chinas Peripherie in Nordost­asien entfalten könnte, vor allem mit Blick auf Chinas seevöl­ker­rechts­wid­riges Vorgehen im Südchi­ne­si­schen Meer und die im Zuge der Verwirk­li­chung des „chine­si­schen Traums“ angestrebte „Wieder­ver­ei­nigung“ mit Taiwan, für die Xi Jinping die Anwendung militä­ri­scher Gewalt explizit nicht ausschließt.[52] Genauso wie China „Beinfreiheit“ und Hoheit der Regel­setzung in „seiner“ Peripherie respek­tiert sehen will, wird Beijing darauf achten, dass Moskau die Entschei­dungs­hoheit im „russi­schen“ Einfluss­be­reich (zu dem China die Ukraine zählt) verbrieft bekommt.

  • Beijing unter­stützt Moskaus Kriegsziel einer „Neutra­li­sierung“ und Verwei­gerung einer NATO-Mitglied­schaft für die Ukraine. Ebenso stimmt China mit Russland darin überein, dass keine Truppen aus NATO-Ländern („Koalition der Willigen“) in der Ukraine als inter­na­tionale Garantie zur Absicherung eines Waffen­still­stands statio­niert werden sollten. Beijing teilt hier die Sicht Moskaus, dass eine Dislo­zierung europäi­scher Truppen in der Ukraine als „direkte Verlän­gerung des NATO-Einflusses“ aufzu­fassen und daher für Russland inakzep­tabel seien.[53] Ob China so weit geht, in Abstimmung mit Moskau eine eigene Garan­ten­rolle zur Absicherung eines Waffen­still­stands anzubieten, wird Beijing zu gegebener Zeit entscheiden. Auf der diesjäh­rigen Münchener Sicher­heits­kon­ferenz brachte ein chine­si­scher Sicher­heits­experte ein gemein­sames chine­sisch-indisches Kontingent als „kollektive Sicher­heits­ga­rantie“ ins Spiel mit der Begründung, Truppen aus „neutralen“ Ländern seien für Moskau akzep­tabel.[54]

  • Im Vergleich zu dem überra­genden Interesse Xi Jingpings an der globalen Präze­den­z­wirkung einer Abgrenzung von Inter­es­sens­sphären in Mittel- und Osteuropa im Interesse Russlands (und damit der Verhin­derung einer NATO-Mitglied­schaft der Ukraine) erscheinen die anderen Ziele Chinas als nachge­ordnet, bleiben aber wichtig. Dazu zählen vor allem das Offen­halten von Export­märkten und Rückkehr zu wirtschaft­licher Globa­li­sierung durch Beendigung der Sankti­ons­regime oder Wieder­her­stellung unter­bro­chener Lieferketten.

Die USA und die Europäische Union müssen sich vor diesem Hinter­grund im Klaren darüber sein, dass eine Einschränkung der Souve­rä­nität und außen­po­li­ti­schen Entschei­dungs­freiheit der Ukraine eine weit über Mittel- und Osteuropa hinaus­rei­chende Strahl­kraft haben wird. China wird daraus das Recht ableiten, im selbst definierten eigenen „Großraum“[55] chine­sische Regeln setzen und das Völker­recht ignorieren zu dürfen. Es dürfte damit sein Vorgehen bei der Milita­ri­sierung des Südchi­ne­si­schen Meers oder Wider­stand gegen die Durch­fahrt von fremden Militär­schiffen durch die Straße von Taiwan legiti­mieren. Der Univer­sa­lität von Völker­recht und regel­ba­sierter Ordnung, aber auch dem unmit­tel­baren US-Interesse am militä­ri­schen Schutz seines Verbün­deten Taiwan und der Freiheit der Schiff­fahrt im maritimen Raum Nordost­asiens, wären damit schwerer Schaden zugefügt.

Fußnoten

[1] Vgl. Sören Urbansky/​Martin Wagner, China und Russland. Kurze Geschichte einer langen Beziehung. Berlin 2025, 244.

[2] Nicht nur durch Lieferung von zivil und militä­risch einsetz­baren „dual use“-Gütern, sondern auch durch in China produ­zierten Drohnen. 70% der russi­schen Importe von Werkzeug­ma­schinen und 90 % militä­risch relevanter elektro­ni­scher Produkte stammen aus China, das damit „key enabler of Moscow’s war machine“ ist. So Grzegorz Stec/​Eva Seiwert, China on Peace in Ukraine: What to Expect Based on the Track Record of Beijing’s Narra­tives, 5.3. 2025, https://www.stopfake.org/en/china-on-peace-in-ukraine-what-to-expect-based-on-the-track-record-of-beijing-s-narratives/. Das reflek­tiert die Einschätzung der NATO im Gipfel­kom­mu­niqué zum 75. Jahrestag der Allianz vom 10.7. 2024, Pkt. 26: „The PRC has become a decisive enabler of Russia’s war against Ukraine through its so-called ‘no limits’ partnership and its large-scale support for Russia’s defence indus­trial base.”

[3] So hat Xi bei dem Gipfel der Shanghai Coope­ration Organization (SCO) am 15./16.9. 2022 in Samarkand klar die Unabhän­gigkeit, Souve­rä­nität und terri­to­riale Integrität Kasach­stans betont und sich mit Blick auf Moskau und den Krieg in der Ukraine wiederholt gegen Einsatz und Proli­fe­ration von Atomwaffen ausge­sprochen, nicht zuletzt anlässlich des Besuchs von Bundes­kanzler Scholz in Beijing am 4.11. 2022 oder auch gegenüber Putin persönlich im März 2023. Vgl. Michał Bogusz und Witold Rodkiewicz, Three Years of War in Ukraine: The Chinese-Russian Alliance passes the Test. In: Centre for Eastern Studies (OSW) Commentary 639,  20.02. 2025), 3. Außerdem FT vom 5.7. 2023, China warns Putin from using nuclear weapons. https://www.ft.com/content/61262024–4260-4beb-ac7e-0fabda52c145 

[4] Während die von der UKR einge­brachte GV-Resolution A/RES/ES-11/7 den russi­schen Angriffs­krieg explizit verur­teilt und den sofor­tigen Abzug Russlands fordert, enthält der von Washington vorge­legte Entwurf nur einen allge­meinen Aufruf zu schneller Beendigung des Konflikts und dauer­haftem Frieden, der aller­dings auf Betreiben der Europäer um eine Verur­teilung Russlands und Forderung der Wieder­her­stellung terri­to­rialer Integrität der Ukraine erweitert wurde. https://press.un.org/en/2025/ga12675.doc.htm

[5] “The Security Council … 1. Implores a swift end to the conflict and further urges a lasting peace between Ukraine and the Russian Federation.” Bei dieser Resolution 2774 (2025) vom 24.2. 2025 dürfte es sich um einen der kürzesten Resolu­ti­ons­texte in der Geschichte des Sicher­heitsrats handeln. https://docs.un.org/en/S/RES/2774(2025)

[6] Vgl. Bogus/​Rodkiewicz, a.a.O., 5. Laut EU-Kommission belief sich das Handels­vo­lumen im Jahr 2024 auf 731,2 Mrd. Euro. China war der dritt­größte EU-Export­markt (8.3%) und größter Lieferant von Gütern mit 21.3% aller Importe in die EU. https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?oldid=667358

[7] https://scheerpost.com/2025/03/07/chinese-foreign-minister-wang-yi-press-conference/ 

[8] Die fried­liche “Wieder­ver­ei­nigung” mit Taiwan ist integraler Bestandteil des von Xi Jinping erstmals im November 2012 dekla­rierten “chine­si­schen Traums” (中国梦 Zhōngguó Mèng). In seiner letzten Neujahrs­an­sprache am 31.12. 2024 drohte Xi, niemand könne Chinas “Wieder­ver­ei­nigung” mit Taiwan aufhalten. Die Menschen diesseits und jenseits der Straße von Taiwan bildeten „eine Familie“.  https://www.reuters.com/world/china/xi-says-no-one-can-stop-chinas-reunification-with-taiwan-2024–12-31/  Der am 15. Juni 1953 geborene Xi Jinping ist jetzt 71 Jahre alt. China-Experten vermuten, er habe die Begrenzung der Amtszeit als Partei­vor­sit­zender und Präsident auf zweimal fünf Jahre qua Änderung der Partei­sta­tuten und Verfassung auch deswegen aufheben lassen, um diesen wichtigen Teil des „chine­si­schen Traums“ noch zu seinen Lebzeiten reali­sieren zu können.

[9] So zuletzt Außen­mi­nister Wang Yi bei seiner Presse­kon­ferenz am Rande des Natio­nalen Volks­kon­gresses am 7. März 2025 in Beijing. China und Russland hätten einen Weg gefunden, mitein­ander auszu­kommen, der „bündnisfrei, nicht konfron­tativ und nicht gegen eine dritte Partei gerichtet“ sei, wobei sie an der Spitze einer neuen Art von Großmacht­be­zie­hungen stünden und ein Beispiel für die Bezie­hungen zwischen Nachbar­ländern darstellten. Reife, wider­stands­fähige und stabile chine­sisch-russische Bezie­hungen änderten sich nicht aufgrund eines einzigen Ereig­nisses, geschweige denn würden sie von einer dritten Partei gestört werden. Sie seien eine konstante Kraft in einer turbu­lenten Welt. http://german.china.org.cn/txt/2025–03/07/content_117753119.htm

[10] Schon ganz am Anfang der umfas­senden Grund­satz­er­klärung wird die Stoßrichtung der sino-russi­schen Achse klarge­stellt: Es gehe darum, Ländern mit hegemo­nialen Absichten, welche die bestehende inter­na­tionale Archi­tektur unter dem Deckmantel einer „regel­ba­sierten Ordnung“ aus egois­ti­schen Motiven umkrempeln wollten, entge­gen­zu­treten. Das beste Rezept dagegen sei Chinas Vision einer „Gemein­schaft mit einer gemein­samen Zukunft für die Menschheit“ („community with a shared future for mankind“). Engli­scher Text der Erklärung in: https://geopoliticaleconomy.com/2024/05/24/china-russia-joint-statement-new-era-75th-anniversary/Origi­nal­fas­sungen in chin. und russ. Sprach­version jeweils auf den Websites beider Regie­rungen: https://www.chinanews.com.cn/gn/2024/05–16/10217948.shtml und http://kremlin.ru/supplement/6132

[11] In der chine­si­schen Diktion 乌克兰危机 Wukelan weiji.

[12] Grzegorz Stec/​Eva Seiwert, a.a.O., 2. Diese Analyse scheint in zahlreichen amtlichen Äußerungen mit Kritik an der Haltung des Westens auf, vgl. z.B. die Äußerung des Sprechers des Außen­mi­nis­te­riums Lin Jian vom 11.7. 2024: „Wir fordern die NATO nachdrücklich auf, über die Ursachen der Krise und ihr eigenes Handeln nachzu­denken, aufmerksam auf die aufrichtige Stimme der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft zu hören und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Deeska­lation der Situation zu fördern, anstatt die Schuld abzuwälzen und anderen die Schuld zu geben.“ Unver­blümt bringt es das Propa­gan­da­blatt der KPCh Global Times vom 29.9. 2024 auf den Punkt: “The root cause of the Ukraine crisis is clear. So is the reason why it is dragging on for so long. The US and the West, with their inherent arrogance and self-righteousness, have been pushing forward NATO’s eastward expansion without taking into account the special histo­rical and geogra­phical sensi­ti­vities of Russia and Ukraine, which ultim­ately led to the situation being out of control.” https://www.globaltimes.cn/page/202409/1320539.shtml

[13] Auf dem SCO-Gipfel in Samarkand (vgl. Anm. 2) sagte Xi in einer Rede am 16.9. 2022: „Wir sollten uns vor Versuchen externer Kräfte hüten, eine ‚Farben­re­vo­lution‘ anzuzetteln, uns gemeinsam der Einmi­schung in die inneren Angele­gen­heiten anderer Länder unter einem Vorwand wider­setzen und unsere Zukunft fest in den eigenen Händen halten.“ https://uncutnews.ch/die-vollstandige-rede-von-xi-und-putin-auf-dem-sco-gipfel-in-samarkand/

[14] Auf dem XVIII. Parteitag der KPCh am 15. November 2012.

[15] Deutsche Fassung unter: https://www.neican.org/dokument-nr-9-der-kommunistischen-partei-chinas-kommunique-zur-aktuellen-situation-im-bereich-der-ideologie/

[16] Wang Huning, geb. am 6.10. 1955 in Shanghai, Romanist und Jurist, seit Nov. 2012 Mitglied des Polit­büros der KPCh, seit Oktober 2017 auch Mitglied des 7köpfigen Ständigen Ausschusses des Politbüros.

[17] Im Rahmen der von Xi im Jahr 2012 lancierten Anti-Korrup­ti­ons­kam­pagne, die sich sowohl gegen „Tiger“ (hochrangige Partei­funk­tionäre) als auch „Fliegen“ (kleine Beamte) richtete, sollen von 2012–2017 insgesamt 1,34 Millionen (!) Partei- und Staats­be­dienstete einem Diszi­pli­nar­ver­fahren unter Ägide der Zentralen Diszi­pli­nar­kom­mission der KPCh (Central Commission for Disci­pline Inspection, CCDI) unter­worfen worden sein. Darunter 134 Funktionäre im Minister- oder Vizemi­nis­terrang. Vgl. BBC-Meldung „Charting China’s ‚Great Purge‘ under Xi” vom 23.10.2017, https://www.bbc.com/news/world-asia-china-41670162

[18] Vgl. z.B. die Darstellung bei Klaus Mühlhahn, Geschichte des modernen China von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart, München 2021, 609 ff.

[19] In offizi­eller engli­scher Übersetzung „Community with a Shared future for Mankind”.

[20] Durch Änderung der Verfassung (Präsident), aus deren Artikel 79 die Bestimmung entfernt wird, dass der Präsident sein Amt „nicht länger als zwei aufein­an­der­fol­gende Amtspe­rioden“ ausüben soll. Vgl. Verfas­sungstext in engl. Sprache, https://www.chinajusticeobserver.com/law/x/constitution-of-china-20180318. Die Amtszeit­be­grenzung des General­se­kretärs der KPCh und Staats­rats­vor­sit­zenden (Präsident) von zweimal fünf Jahren hatte Deng Xiaoping im Jahr 1982 als Bollwerk gegen Exzesse während der 27jährigen Regie­rungszeit Mao Zedongs einge­führt, Partei­vor­sit­zender von Gründung der VR China 1949 bis zu seinem Tod 1976.

[21] Vgl. Johannes Regen­brecht, Im Schatten von Carl Schmitt: Putins und Trumps Ideen zur Aufteilung Europas. Zentrum Liberale Moderne, 27.02. 2025, https://libmod.de/im-schatten-von-carl-schmitt-putins-und-trumps-ideen-zur-aufteilung-europas/.

[22] Vgl. Ryan Martínez Mitchell, Chinese Recep­tions of Carl Schmitt since 1929. In: Penn State Journal of Law & Inter­na­tional Affairs, 8/​1 (2020), 181–263, hier 263: “In general, Schmitt’s status as a source of critical perspec­tives on liberal consti­tu­tional democracy is by now quite firmly estab­lished in Chinese intellectual discourse. It is less certain, however, whether his thought will help to build any new special path for Chinese political modernity, or any lasting domestic or inter­na­tional legal structures.”

[23] Grzegorz Steck/​Eva Seiwert, a.a.O., 3.

[24] Xi erlebte den Zerfall der Sowjet­union und das Tiananmen-Massaker im Mai 1989 von der südlichen Sadt Ningde aus, wo er als Stadt­par­tei­se­kretär amtierte. 1990 wurde er Sekretär des Stadt­par­tei­ko­mitees von Fuzhou, einer wichtigen Hafen­stadt mit Zugang zum Pazifik und Haupt­stadt der Provinz Fujian, nur 255 km über die Straße von Taiwan hinweg von der taiwa­ne­si­schen Haupt­stadt Taipeh entfernt.

[25] Dazu Klaus Mühlhahn, a.a.O., 100ff.

[26] In seiner Rede zur Lage der Nation am 25.4. 2005. https://laender-analysen.de/russland-analysen/63/putins-botschaft-zur-lage-der-nation-am-25-april-2005/

[27] Auf der gleichen Linie argumen­tiert der chine­sische Verfas­sungs­rechtler und Philosoph Jiang Shigong in einer Exegese des Berichts Xi Jinpings an den XIX. Parteitag der KPCh vom 18.10. 2017. Die Erosion der KPdSU habe nicht erst mit Gorbat­schows „neuem Denken“, sondern schon unter Chruscht­schow begonnen, unter dem erstmals die „philo­so­phische Waffe des Marxismus-Leninismus“ stumpf geworden sei. China habe deswegen nicht das sowje­tische Schicksal erlitten, weil Mao Zedong die „revisio­nis­tische Linie“ Chruscht­schows von Anfang an kriti­siert und auf vollständige Lösung Chinas vom sowje­ti­schen Modell gedrängt habe. Vgl. Jiang Shigong, Philo­sophie und Geschichte. Eine Inter­pre­tation der „Ära Xi Jinping“ auf Basis des Berichts auf dem 19. Parteitag der Kommu­nis­ti­schen Partei Chinas. In: Daniel Leese/​Shi Ming (Hgg.), Chine­si­sches Denken der Gegenwart, München 2023, 272–328, hier 318f.

[28] 14tätig erschei­nendes Organ des Zentral­ko­mitees der KPCh, wörtlich übersetzt „Wahrheit suchen“. Titel des Artikels: „Streben Sie danach, zu einer Säule von Talenten heran­zu­wachsen, die der Partei und dem Volk gegenüber loyal und zuver­lässig und der wichtigen Verant­wortung der Zeit würdig sind.“ In: Qiúshì 2023/​13, 30.6. 2023, http://www.qstheory.cn/dukan/qs/2023–06/30/c_1129723161.htm

[29] A.a.O. Hervor­hebung des letzten Absatzes durch Verf.

[30] So Massimo Intro­vigne, Xi Jinping: The Ende of the Soviet Union is “Too Painful to Look Back Upon”. In: Bitter Winter. A Magazine on Religious Liberty and Human Rights, 13.07. 2023. https://bitterwinter.org/xi-jinping-the-end-of-the-soviet-union-is-too-painful-to-look-back-upon/

[31] Vgl. Daniel Leese/​Shi Ming, a.a.O., 616 und Wikipedia-Artikel, Jiang Shigong, https://en.wikipedia.org/wiki/Jiang_Shigong. Shigong, derzeit Präsident der der Einheits­front der KPCh angeglie­derten Minzu-Univer­sität in Beijing (vorher Professor für Rechts­wis­sen­schaften an der renom­mierten Elite­hoch­schule Beijing Univer­sität), ist ein antili­be­raler „konser­va­tiver Sozialist“. Regie­rungs­er­fahrung sammelte er von 2004–2008 als Mitar­beiter des Verbin­dungs­büros des chine­si­schen Staatsrats (Regierung) in Hongkong. Er gilt als strikter Verfechter der unanfecht­baren Führungs­rolle der Kommu­nis­ti­schen Partei, die in einer „ungeschrie­benen Verfassung Chinas“ verankert sei, und ist einer der wichtigsten Übersetzer der Werke des antili­be­ralen deutschen Verfas­sungs­rechtlers Carl Schmitt (1888–1985) und Vertreter von dessen Ideen in China.

[32] Charlotte Kroll, Carl Schmitt in China. Libera­lismus und Rechts­staats­dis­kurse, 1989–2018, Diss. phil. Heidelberg 2020, 174. https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/31452/1/Kroll_2022_Carl_Schmitt_in_China.pdf

[33] A.a.O., 196.

[34] In deutscher Sprache abgedruckt in Daniel Leese/​Shi Ming (Hgg.), a.a.O. Technisch handelt es sich bei dieser Rede um einen sorgfältig redigierten, über Jahre im Vorfeld abgestimmten und vom ZK-Plenum gebil­ligten Bericht des vorher­ge­henden 18. Zentral­ko­mitees an den eine neue Fünfjah­res­pe­riode eröff­nenden XIX. Parteitag, der das politische Programm für den Fünfjah­res­zeitraum 2017–2022 verkündet.

[35] Jiang Shigong, a.a.O., 286f. Hier klingt deutlich erkennbar die Kritik von Carl Schmitt an Wahlen und plura­lis­tisch angelegtem Parla­men­ta­rismus in dessen Verfas­sungs­lehre (1928) und Die geistes­ge­schicht­liche Lage des heutigen Parla­men­ta­rismus (1923) durch.

[36] Jiang Shigong, a.a.O., 325, mit Bezug­nahme auf den Bericht Xis an das 4. Plenum des 18. ZK vom 29.10. 2014.

[37] Ebd.

[38] Charlotte Kroll, a.a.O., 186.

[39] Jiang Shigong, Written and Unwritten Consti­tu­tions: A New Approach to the Study of Consti­tu­tional Government in China. In: Modern China 36 (1), 12–46, hier 41.

[40] A.a.O., 36.

[41] Jiang Shigong, Philo­sophie und Geschichte. Eine Inter­pre­tation der „Ära Xi Jinping“ auf Basis des Berichts auf dem 19. Parteitag der Kommu­nis­ti­schen Partei Chinas. In: Daniel Leese/​Shi Ming (Hgg.), a.a.O., 306. Erstver­öf­fent­li­chung 2018 in der ersten Ausgabe der von der Akademie für Sozial­wis­sen­schaften in Guangzhou heraus­ge­ge­benen Open Times.

[42] A.a.O., 306f.

[43] Offizielle chine­sische Website auf https://eng.yidaiyilu.gov.cn/. Der 2013 lancierten „Belt and Road Initiative“ (BRI) gehören mittler­weile 149 Staaten an.

[44] China’s Position on the Political Settlement of the Ukraine Crisis, updated February 24, 2023, 09:00h, veröf­fent­licht auf der Website des chine­si­schen AM. https://www.mfa.gov.cn/eng/zy/gb/202405/t20240531_11367485.html

[45] Dem Papier sind kürzere Erklä­rungen voraus­ge­gangen bzw. gefolgt, die sich alle inhaltlich in den 12 Punkten wider­spiegeln. Im Mai 2024 gab China gemeinsam mit Brasilien einen „Six-Point Consensus“ zum „Political Settlement of the Ukraine Crisis“ heraus, der ebenfalls keine neuen Inhalte hinzufügt, aller­dings mit Blick auf das bilaterale Format und als Initiative zur Einbindung des Globalen Südens einen wichtigen neuen Akzent setzt. Im Mai 2023 ernannte Beijing den Sonder­ge­sandten für euro-asiatische Angele­gen­heiten Li Hui zum Beauf­tragten für die chine­si­schen Ukraine-Initia­tiven. Im Rahmen der Vereinten Nationen betreibt China seit Herbst 2024 eine „Group of Friends for Peace“, vgl. z.B. https://www.mfa.gov.cn/eng/wjbzhd/202409/t20240929_11500459.html

[46] So z.B. Sören Urbansky/​Martin Wagner, a.a.O., 249.

[47] Vgl. Xinhua-Meldung vom 8.7. 2022, China proposes coope­ration initiative on global food security at G20 meeting, https://english.news.cn/20220708/d0e86c46b7764a38b2320a62b72864dd/c.html

[48] Vgl. oben Anm. 3.

[49] „Common Under­standing between China and Brazil on Political Settlement of the Ukraine Crisis”, verkündet am 23.05. 2024 bei einem Treffen zwischen AM Wang Yi und Präsi­den­ten­be­rater Celso Amorim in Beijing. https://www.gov.br/planalto/en/latest-news/2024/05/brazil-and-china-present-joint-proposal-for-peace-negotiations-with-the-participation-of-russia-and-ukraine

[50] Am Rande der UNO-General­ver­sammlung im September 2024 warb China für die Etablierung einer „Friends of Peace“-Gruppe zur Unter­stützung des Plans, den (lt. Aussage des chine­si­schen Außen­mi­nis­te­riums vom September 2024) angeblich über 110 Länder befürworten.

[51] “ … support an inter­na­tional peace confe­rence held at a proper time that is recognized by both Russia and Ukraine, with equal parti­ci­pation of all parties as well as fair discussion of all peace plans.” (Punkt 2)

[52] Xi Jinping in seinem Bericht zum XX. Parteitag am 16.10.2022, 52: „Taiwan is China’s Taiwan. Resolving the Taiwan question is a matter for the Chinese, a matter that must be resolved by the Chinese. We will continue to strive for peaceful reuni­fi­cation with the greatest sincerity and the utmost effort, but we will never promise to renounce the use of force, and we reserve the option of taking all measures necessary.” https://english.www.gov.cn/news/topnews/202210/25/content_WS6357df20c6d0a757729e1bfc.html

[53] So der ehem. PLA-Offizier und Sicher­heits­experte der Tsinghua-Univer­sität Zhou Bo in einem DW-Interview am Rande der Münchener Sicher­heits­kon­ferenz am 17.2. 2025, https://www.dw.com/en/chinese-military-expert-donald-trump-has-asked-china-to-help-make-peace/video-7163318

[54] So Zhou Bo in demselben Interview.

[55] Die Großraum­theorie des antili­be­ralen Juristen und Nazi-Apolo­geten Carl Schmitt, erstmals dargelegt in dessen Schrift „Völker­recht­liche Großraum­ordnung mit Inter­ven­ti­ons­verbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichs­be­griff im Völker­recht“ (1939), wird in China anders als Schmitts Verfas­sungs­lehre erst seit wenigen Jahren breiter rezipiert. Das liegt daran, dass sein einschlä­giges Grund­satzwerk Der Nomos der Erde im Völker­recht des Jus Publicum Europaeum erst seit 2017 in einer chine­si­schen Übersetzung vorliegt. Gleichwohl werden seine Thesen schnell von einfluss­reichen Politik­wis­sen­schaftlern und Juristen wie Jiang Shigong (vgl. oben, Kap. 4) aufge­griffen, da sie sich zur Legiti­mation des multi­po­laren Weltbilds der KPCh mit norma­tivem Gestal­tungs­an­spruch in der eigenen Peripherie bestens eignen. Vgl. Ryan Martínez Mitchell, Chinese Recep­tions of Carl Schmitt since 1929. In: Penn State Journal of Law & Inter­na­tional Affairs 8 (1) 2020, 182–263.

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