Die Macht der Moschee – Eine kritische Rezension

Quelle: Flickr/​Omar Chatriwala

Joachim Wagner arbeitete als Fern­seh­jour­na­list für die ARD. Für sein neues Buch hat er sich durch einen Berg wissen­schaft­li­cher Studien gekämpft: „Die Macht der Moschee“ behauptet, es sei der Islam, der Muslime an der Inte­gra­tion hindere; den Beweis führt es mit Zahlen, Daten, Fakten. LibMod-Autor Micha Brumlik hat die Neuerschei­nung gelesen. Sie sei eine luzide Fleiß­ar­beit und trotzdem stimme etwas nicht mit ihr. Über ein Buch, verirrt zwischen Ideologie und Wissenschaft.

Die Immi­gra­tion – vor allem junger Männer – aus den Krisen­bögen des arabisch-nord­afri­ka­ni­schen Raums ist ein wesent­li­cher Faktor für das Erstarken rechts­ra­di­kaler Parteien in Europa, von den Nieder­landen bis nach Frank­reich, von Polen und Ungarn bis nach Deutsch­land. Unklar ist allen­falls, ob es sich dabei um eine echte Ursache oder lediglich einen Kata­ly­sator ohnehin vorhan­dener Vorur­teils­struk­turen handelt.

Joachim Wagner, bis Ende 2008 stell­ver­tre­tender Leiter des ARD-Haupt­stadt­stu­dios hat nun im renom­mierten Herder Verlag einen umfang­rei­chen Band vorgelegt, in dem er nach­weisen will, daß es vor allem der Islam als kultu­reller Hinter­grund dieser Immi­granten ist, der ihre Einglie­de­rung in die Gesell­schaft erschwert und mithin eine zentrale Ursache für frem­den­feind­liche Reak­tionen darstellt. Zwar ist der Titel des Buches noch als Frage gehalten: „Die Macht der Moschee. Scheitert die Inte­gra­tion am Islam?“ doch kann kein Zweifel daran bestehen, daß Wagner letztlich der Über­zeu­gung ist, daß – wenn die „Inte­gra­tion“ scheitert – der Islam die wesent­liche Ursache darstellt.

Der Autor verhält sich mit seinen einge­streuten Zitaten aus dem Koran, die er weder histo­risch noch wirkungs­ge­schicht­lich erläutert, ebenso funda­men­ta­lis­tisch wie die von ihm kriti­sierten Islamisten 

Anders als meist massiv vorur­teils­be­la­denen Traktaten dieser Richtung ist freilich dieser Neuerschei­nung zuzu­bil­ligen, daß sich ihr Autor in beinahe allen Bereichen sach- und fach­kundig gemacht hat. So gut wie alle empi­ri­schen Studien zum Schul­ver­sagen musli­mi­scher Kinder, zum hohen Anteil von Muslimen unter verur­teilten Straf­tä­tern sowie zu den isla­mis­ti­schen Neigungen vieler, keines­wegs aller Moschee­ver­eine und isla­mi­scher Verbände sind dem Autor bekannt; auch erörtert er belesen und urteils­fähig die vielen unter­schied­li­chen Begriffe und Konzepte zu jenem die Debatte beherr­schenden Schlüs­sel­wort: „Inte­gra­tion“. Diffe­ren­ziert und nur wenig alar­mis­tisch referiert er Klagen und Befunde zur Homo­phobie und zum Anti­se­mi­tismus musli­mi­scher Jugend­li­cher; kennt­nis­reich und mit Blick fürs Detail das relative Scheitern vieler Bildungs­in­sti­tu­tionen von der Krippe bis zum Arbeits­markt. Mit einem Wort: wer zuver­lässig über vorlie­gende Studien unter­richtet werden will, ist mit dieser sehr klar formu­lierten, immer wieder auch durch Zeit­zeu­gen­be­richte aufge­lo­ckerten Darstel­lung gut bedient.

Wagner Arbeits­hy­po­these: Der Islam ist schuld

Aller­dings verbirgt Wagner an keiner Stelle, daß er tatsäch­lich den Islam als Glauben, als Religion, mehr noch: als Kultur für die letzte Ursache – im Jargon der empi­ri­schen Sozi­al­for­schung für die unab­hän­gige Variable – des erklä­rungs­be­dürf­tigen Phänomens mangelnder Inte­gra­ti­ons­fä­hig­keit hält. Das wird vor allem daran deutlich, daß er immer wieder, wenn er sein Argument mangelnder Anpas­sungs­be­reit­schaft unter­mauern will, ein Zitat aus dem Koran einflicht.  Dabei kann er sich durchaus auf die eine oder andere empi­ri­sche Studie stützen, wonach 57% der Muslime dessen Aussagen für dogma­tisch richtig halten, ebenso wie auf Behaup­tungen ehema­liger Muslime.

Immer wieder disku­tiert Wagner auch die Frage, ob Muslime, die zwar glaub­würdig erklären, sich ans deutsche Recht halten zu wollen, aber dennoch weiter dem isla­mi­schen Recht im Zweifel den Vorzug geben, genügend inte­gra­ti­ons­be­reit sind. Das aller­dings stellt die Verschär­fung einer Debatte dar, die auch ethnische Deutsche berührt. Bisher nämlich wurde ausschließ­lich von Staats­be­amten erwartet, daß sie – wie das in Zeiten der Berufs­ver­bote hieß – „rück­haltlos auf dem Boden des Grund­ge­setzes stehen“. Von „normalen“ Bürge­rInnen wurde und wird dies nicht erwartet; so wäre es in der Tat inter­es­sant zu wissen, wie viele ethnische Deutsche grund­ge­setz­widrig für die Einfüh­rung der Todes­strafe stimmen würden bzw. wie viele sich wirklich darüber klar sind, daß der Ausschluss von Frauen vom Pries­teramt der katho­li­schen Kirche dem Geist der Verfas­sung und ihrem Gleich­be­rech­ti­gungs­an­spruch widerspricht.

Wer sucht, der findet…

Zudem verhält sich der Autor mit seinen einge­streuten Zitaten aus dem Koran, die er weder histo­risch noch wirkungs­ge­schicht­lich erläutert, ebenso funda­men­ta­lis­tisch wie die von ihm kriti­sierten Isla­misten. Immerhin weiß er – so auf Seite 62 – daß es im Koran wieder­strei­tende Meinungen zur Ausübung von Gewalt gibt, auch ist ihm bekannt, daß die über­wie­gende Mehrheit von Muslimen Gewalt ablehnt, gleich­wohl glaubt er – wiederum auf Umfragen gestützt – behaupten zu können, daß das Gewalt­mo­nopol des Staates „von einer starken Minder­heit infrage gestellt“ wird. Unter empi­ri­schen Sozi­al­for­schern gespro­chen: Einstel­lungen sind nicht auto­ma­tisch mit Hand­lungs­dis­po­si­tionen gleich­zu­setzen, weshalb eine empirisch erhobene Prozent­zahl, nach der für 47% der Deutsch­türken die Befolgung der Gebote ihrer Religion wichtiger seien als die Gesetze des Staates, in dem sie leben, solange unscharf bleiben muss, als nicht genau die betref­fenden Gebote genannt sind. Überhaupt sind derartige Erhe­bungen nur dann wirklich aussa­ge­kräftig, wenn sie im Längg­schnitt über Jahre hinweg wieder­holt werden.

Was aber letztlich Wagners These von der isla­mi­schen Kultur als Haupt­faktor mangelnder Inte­gra­tion frag­würdig werden lässt, ist das völlige Fehlen inter­na­tio­naler Vergleiche: etwa mit Ländern wie Groß­bri­tan­nien, Frank­reich und – last but not least – den USA. In den USA etwa leben bei einer Einwoh­ner­zahl von derzeit 320 Millionen Menschen etwas mehr als drei Millionen Muslime, also etwa 1%, während es in der Bundes­re­pu­blik bald 5% sind. Indes, bei Wikipedia ist zu lesen: „Unlike many Muslims in Europe, American Muslims overall do not tend to feel margi­na­lized or isolated from political parti­ci­pa­tion and have often adopted a poli­ti­cally proactive stance.“ Ähnliches gilt für Groß­bri­tan­nien, während das, was als „Inte­gra­tion“ bezeichnet wird, im dogma­tisch laizis­ti­schen Frank­reich sehr viel schlechter funk­tio­niert – und das dem Umstand zum Trotz, daß die meisten Muslime dort die fran­zö­si­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit besitzen.

Trotzdem, dieses Buch soll man lesen

So diffe­ren­ziert und umfassend also Joachim Wagner infor­miert, so weist sein Buch dennoch zwei Mängel auf: ein bisweilen naiv unhis­to­ri­sches Zitieren von wider­sprüch­li­chen Stellen aus dem heiligen Buch einer spät­an­tiken Religion sowie ein gänzlich fehlender Blick für inter­na­tio­nale Entwick­lungen. Dennoch ist allen, die sich für Immi­gra­tions- und Inte­gra­ti­ons­po­litik inter­es­sieren, anzuraten, sich mit diesem Buch und seinen Argu­menten zu befassen – und sei es nur deshalb, um rechts­ra­di­kalen Poli­ti­ke­rInnen der AfD, die sich dieses Buches gewiss bedienen werden, begründet wider­spre­chen zu können.

 

Joachim Wagner, Die Macht der Moschee. Scheitert die Inte­gra­tion am Islam? Freiburg/​Basel/​Wien: Herder 2018, 351 Seiten

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