NARRATIV-CHECK

Was hinter radika­li­sie­renden Botschaften steckt.

.

NARRATIV-CHECK

Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.

Apoka­lypse now what
Debatte
Im Bann des Untergangs?
Die Faszi­nation der Apoka­lypse und wie man mit ihr umgeht

von Alexander-Kenneth Nagel 

Der Reiz apoka­lyp­ti­scher Szenarien hält sich in modernen Gesell­schaften. Apoka­lyp­tische Deutungen sind im Alltags­wissen verankert. Sie werden aber auch zur politi­schen Mobili­sierung genutzt. Was können wir tun, um nicht in den Bann der Apoka­lyptik zu geraten und Debatten offen zu halten? Der Religi­ons­wis­sen­schaftler Alexander-Kenneth Nagel plädiert für eine Apokalypse-Kompetenz.

Unter­gangs­sze­narien aller­orten. Aus religi­ons­so­zio­lo­gi­scher Sicht ist es inter­essant, dass auch in modernen Gesell­schaften ein eigen­stän­diges Genre „apoka­lyp­ti­scher“ Krisen­deutung wirksam ist, welches nicht unbedingt inhaltlich, aber doch struk­turell in der Tradition der bibli­schen Apoka­lyptik steht. Zu den Kennzeichen dieses Genres gehören die Vorstellung einer weltweiten Katastrophe durch Faktoren von A wie Atomkraft bis Z wie Zombies in Verbindung mit einem ausge­prägten Gestus der Offen­barung, der Vorstellung, sich in einer histo­ri­schen Entschei­dungs­si­tuation zu befinden: Jetzt, oder nie!

Apoka­lyp­tische Deutung kann im Alltags­wissen einzelner Menschen verankert sein und ihre Situa­ti­ons­be­stimmung und ihr Handeln prägen, etwa wenn sogenannte „Prepper“ (s. „Prepper – Die Stunde der Apoka­lyp­tiker“ ) sich für Ernst­fälle unter­schied­licher Art wappnen. Sie kann aber auch zur politi­schen Mobili­sierung genutzt werden. Ein augen­fäl­liges Beispiel ist die Erzählung vom sogenannten „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch“ (s. auch > Großer Austausch) in der Neuen Rechten, die nicht weniger als den Untergang der „westlichen Zivili­sation“ ins Auge fasst und daraus weitrei­chende politische Forde­rungen ableitet. Aber auch in der früheren ökolo­gi­schen und in Teilen der aktuellen Klima­pro­test­be­wegung werden apoka­lyp­tische Sprach­fi­guren genutzt, um die Dring­lichkeit des eigenen Anliegens zu unterstreichen.

Die anhal­tende Faszi­nation des Apoka­lyp­ti­schen: vier Aspekte

Dabei stellt sich aus Sicht der Sozial­wis­sen­schaft und der politi­schen Bildung immer wieder die gleiche Frage: Worin besteht die anhal­tende Faszi­nation des Apoka­lyp­ti­schen? Unter welchen gesell­schaft­lichen und psycho­lo­gi­schen Rahmen­be­din­gungen werden Weltun­ter­gangs­er­zäh­lungen glaub­würdig oder attraktiv?

Ein zentraler Aspekt ist sicher die Verar­beitung von Unsicherheit und Krisen. Unter Bedin­gungen gesell­schaft­licher Diffe­ren­zierung und Fragmen­tierung verspricht die binäre Optik der Apoka­lypse Orien­tierung (s. auch „Vom Ende mit und ohne Schrecken. Endzeit­er­zäh­lungen und politische Apoka­lyptik“).

Ein weiterer Aspekt lässt sich mit dem Psycho­ana­ly­tiker Michael Bálint auf den Begriff der „Angstlust“ bringen. Gemeint ist das bewusste Aufgeben und Wieder­erlangen von Sicherheit, indem man sich kontrol­liert einer Gefah­ren­si­tuation aussetzt. Die moderne Apoka­lyptik wäre demnach eine Strategie, um Angst abzubauen oder Resilienz gegen künftige Krisen zu entwi­ckeln. In diese Richtung könnte man etwa die unter­schied­lichen Gedan­ken­ex­pe­ri­mente der Prepper inter­pre­tieren, zum Beispiel den Eintrag „Überleben in einer Zombie-Apoka­lypse“ auf dem öster­rei­chi­schen Prepper-Portal Pete’s Prepper Guide. Darin nutzt der Verfasser die Zombie-Apoka­lypse als Szenario, um hypothe­tisch verschiedene Vorbe­rei­tungs­stra­tegien durch­zu­spielen – etwa welche Gegen­stände ein Notfall­rucksack beinhalten sollte, oder welche Problem­si­tua­tionen sich durch Nachbarn ergeben könnten, die es auf die eigenen Vorräte abgesehen haben.

Und drittens wäre es möglich, dass moderne Apoka­lypsen weniger eine Antwort auf akute Krisen und Preka­rität darstellt als einen Ausdruck relativer Depri­vation. Demnach finden Unter­gangs­er­zäh­lungen vor allem bei jenen Gehör, die fürchten, dass es ihnen künftig und im Verhältnis zu anderen schlechter geht als jetzt. Auch wenn sich die Anzeichen des Klima­wandels mehr und mehr in Form konkreter Katastro­phen­er­eig­nisse manifes­tieren, befinden wir uns hier in Mittel­europa anders als die frühen Christ:innen derzeit nicht in einer Situation der unmit­tel­baren und letalen Bedrängnis. An die Stelle der konkreten gegen­wär­tigen Bedrohung tritt in diesem Fall die abstrakte Furcht vor dem künftigen Verlust.

Ein vierter Aspekt liegt schließlich in dem apoka­lyp­ti­schen Versprechen radikaler Erneuerung. In der bibli­schen Apoka­lypse ist das Himmlische Jerusalem ein idealer Ort, eine Utopie der bestmög­lichen Gesell­schaft voller Solida­rität, in der Hunger, Einsamkeit und Schmerz unbekannt sind. Dieses visionäre Versprechen hat von jeher einen großen Teil der Faszi­nation ausge­macht und nährt auch heute die Hoffnung, dass eine bessere Zukunft möglich ist. Anders als in der klassi­schen Apoka­lyptik ist es heute nicht Gott, sondern es sind die Menschen, die diese Zukunft herbei­führen und gestalten. Daher enthalten moderne Apoka­lypsen in der Regel einen klaren Aufruf zum Handeln.

Wie umgehen mit apoka­lyp­ti­schem Zeitgeist? Die Apokalypse-Kompetenz

Den apoka­lyp­ti­schen Zeitgeist moderner Gesell­schaften besser zu verstehen, ist das eine, mit ihm zu leben das andere. Und so stellt sich die Frage, wie mit der anhal­tenden Faszi­nation des Unter­gangs umzugehen ist. Um die Vielzahl apoka­lyp­ti­scher Szenarien einzu­ordnen und produktiv zu wenden, bedarf es einer Art „Apoka­lypse-Kompetenz“.

Diese umfasst zuallererst die Fähigkeit zur kriti­schen Rezeption und Dekon­struktion endzeit­licher Szenarien: Wer die narra­tiven und rheto­ri­schen Techniken apoka­lyp­ti­scher Insze­nie­rungen kennt, lässt sich, etwa durch mediale Diskurse oder politische Kampagnen, nicht so leicht von Ängsten überwäl­tigen und verschafft sich auf diese Weise einen Denkfreiraum zum Abwägen der vorbrachten Argumente.

Damit eng verbunden ist die Kompetenz zur diskur­siven Inter­vention. Gemeint ist die Fähigkeit, dem diskurs­bre­chenden Potential apoka­lyp­ti­scher Denk- und Redeformen etwas entge­gen­zu­halten und die Debatte wieder zu öffnen. Eine zentrale Heraus­for­derung besteht hierbei darin, sich dem thema­ti­schen Tunnel­blick und dem aufge­bauten Zeitdruck zu entziehen und zugleich offen dafür zu bleiben, warum das Gegenüber ein bestimmtes Problem als besonders drängend empfindet.

Versteht man Apoka­lyptik in diesem Sinne als eine Chiffre der Dring­lichkeit, fällt es leichter, die Bedürf­nisse wahrzu­nehmen, die sich in Unter­gangs­sze­narien artiku­lieren (s. auch „3 Fragen an Islam­wis­sen­schaft­lerin Sabrina Behrens“). Dabei geht es weniger um klassi­sches Debunking, also das Entlarven eines Mythos, als um Bezie­hungs­arbeit und sokra­ti­sches Fragen.

Im sokra­ti­schen Dialog nämlich kommt es darauf an, eigene Vorver­ständ­nisse zurück­zu­stellen und dem Gegenüber mögliche Wider­sprüche seiner Position nur durch nicht-suggestive immanente Nachfragen aufzu­zeigen. Aller­dings gilt es zu bedenken, dass einige apoka­lyp­tische Szenen (etwa im Umfeld der rechts­extremen und verschwö­rungs­ideo­lo­gi­schen > QAnon-Bewegung) selbst ausge­feilte Strategien der Belehrung und Verkün­digung entwi­ckelt haben, die einen solchen Dialog unter­laufen können.

Damit aller­dings die diskursive Inter­vention gelingen kann, ist aus meiner Sicht noch eine weitere Apoka­lypse-Kompetenz erfor­derlich, nämlich die der Intro­spektion und Selbst­re­flektion. Dass uns manche Unter­gangs­vi­sionen mehr anfechten als andere, liegt ja nicht nur an der Struktur oder rheto­ri­schen Technik der Erzählung, sondern hat auch etwas mit unseren eigenen Existenz­ängsten und Wünschen zu tun: Wo fühle ich mich von den herrschenden Verhält­nissen überwältigt? Welche positiven Visionen habe ich für mein Leben und die Gesell­schaft? Antworten auf diese Fragen verhelfen nicht nur zu Selbst­er­kenntnis, sondern können auch wichtige Quellen der Empathie im Rahmen der diskur­siven Inter­vention sein.


Dieser Text basiert zum Teil auf dem 2022 im Tages­spiegel erschie­nenen Artikel „
Das Ende der Welt, wie wir sie kennen?: Die moderne Apoka­lypse ist ein Aufruf zum Handeln“ von Alexander-Kenneth Nagel. 

 

Alexander-Kenneth Nagel ist Professor für sozial­wis­sen­schaft­liche Religi­ons­for­schung an der Univer­sität Göttingen. Zu seinen Arbeits­ge­bieten gehören Migration und religiöse Plura­li­sierung sowie apoka­lyp­tische Deutungs­muster in modernen Gesell­schaften. Dazu erschien zuletzt sein Buch „Corona und andere Weltun­ter­gänge. Apoka­lyp­tische Krisen­her­me­neutik in der modernen Gesell­schaft“ (transcript Verlag, ab 2024 open access).

GLOSSAR

Großer Austausch (Umvolkung, Volks­austausch, Bevölkerungsaustausch)

ist eine rassis­tische Verschwö­rungs­er­zählung, der zufolge eine imagi­nierte homogene, weiße, christ­liche Bevöl­kerung in Europa oder den USA durch Migration ersetzt werden soll. Dieses Vorhaben würde von herrschenden Eliten wie den > Globa­listen voran­getrieben durch Einwan­de­rungs­ge­setze, eine sinkende Gebur­tenrate oder durch Abtrei­bungs- und LGBTIQ-Rechte. 

Rechts­extreme greifen das Thema auf, um die eigene Position zu stützen und Hass gegen Menschen mit Migra­ti­ons­bio­grafie und Misstrauen gegen politisch Verant­wort­liche zu schüren. In der Vergan­genheit beriefen sich rechts­extreme Atten­täter etwa in Utøya, Christ­church oder Halle auf einen angeb­lichen Großen Austausch und legiti­mierten ihre Morde als Notwehr.
.

QAnon

ist eine Verschwö­rungs­theorie mit rechts­extremem Hinter­grund, die in den USA entstanden ist. Der anonyme Nutzer „Q clearance Patriot“ veröf­fent­lichte 2017 angeblich exklusive Infor­ma­tionen, wonach Donald Trump den > Deep State einer geheimen Elite bekämpfen würde. Der Nutzername spielt auf einen angeb­lichen Zugang zu Geheim­in­for­ma­tionen der US-Regierung an. Mit der Behauptung vom Blutkult eines weltum­span­nenden Geheim­bundes knüpft QAnon an Kernele­mente rechts­extremer und antise­mi­ti­scher Ideologeme an.

Auch im deutsch­spra­chigen Raum ist die Verschwö­rungs­er­zählung verbreitet. Blogs oder Messenger-Kanäle unter­schied­licher Reich­weite nehmen auf sie Bezug.

.