NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
.
NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Popkultur von rechts
Literatur
Lektüre- und Vermarktungsstrategien
der Neuen Rechten
von Neela Janssen
Popkultur von rechts
Literatur
Lektüre- und
Vermarktungs-
strategien der
neuen Rechten
von Neela Janssen
„Von rechts gelesen, der rechte Kultur‑, Literatur- und Szenepodcast“ – so bewirbt der Jungeuropa Verlag seinen Podcast mit dem rechtsextremen Verleger Philip Stein. Besprochen werden eigene Publikationen und zeitgenössische Debatten, aber auch Mainstream-Literatur jenseits rechter Weltbilder. Dennoch sind die Folgen durchzogen von einer > völkischen Grundhaltung, die durch das popkulturelle Medium Podcast normalisiert werden soll.
Geht es um neurechte Literatur, kommt die Rede meist auf den rechten Verleger Götz Kubitschek, der mit dem Verlag Antaios, reger publizistischer Tätigkeit sowie taktisch-provokanten Aktionen immer wieder in Erscheinung tritt. Seit Längerem gibt es jedoch ein Bestreben der > Neuen Rechten, die eigenen Verlagstätigkeiten und literaturkritischen Formate auch über Kubitschek hinaus als vielgestaltig erscheinen zu lassen. Jede Nische soll besetzt und für jedes Publikum etwas geboten werden: So verlegt der Hydra-Verlag Comics, der Oikos-Verlag vertreibt die Zeitschrift Die Kehre zu Umwelt- und Naturschutz.
Auch der Jungeuropa Verlag bespielt eine Nische: Er gibt sich jünger und poppiger als sein großer Bruder Antaios. Neben eigenen Romanreihen mit bunten Covern und kurzen Essaybänden kann dort auch eine Jubiläumsausgabe von Tolkiens „Der Herr der Ringe“ bestellt werden, dessen Inhalte die Neue Rechte gerne für sich beansprucht. Trotz personeller Überschneidungen zwischen den einzelnen, teils sehr kleinen Verlagen, erscheint so nach außen das Bild einer lebendigen und diversen „Gegenkultur“ zum etablierten Literaturbetrieb.
Der Podcast des Jungeuropa Verlags existiert seit 2016, inzwischen ist Jungeuropa-Autor Volker Zierke Philip Steins fester Gesprächspartner; die Folgen erscheinen mal einmal im Monat, mal wöchentlich auf den üblichen Plattformen. In betont lockerer Gesprächsatmosphäre, gerne unterlegt mit hörbaren Schlucken aus der Bierflasche, werden neben eigenen Neuerscheinungen auch Bücher, Filme und Serien jenseits des Verlagsprogramms besprochen. Gerade bei den zahlreichen Buchbesprechungen geht es auch um eine Reflexion des eigenen Leseverhaltens. Lesen und Literatur sind hier für die Neue Rechte nicht nur Säule ihrer (politischen) Tätigkeit, sondern der Podcast auch Format bewusster Auseinandersetzung mit der eigenen Lektürehaltung und dem Publikum.
So diskutiert Zierke mit Stein eigene Veröffentlichungen im Jungeuropa Verlag genauso wie „Harry Potter“ oder Bücher von Christian Kracht. Ideologisch uneindeutige Literatur wird dabei stets auf die möglichen Überschneidungen und Abgrenzungspunkte mit dem eigenen Weltbild hin abgeklopft: Nimmt die Geschichte Aspekte rechter Kulturkritik auf? Werden Hierarchie, Ordnung und Autorität entsprechend gewürdigt? Gibt es Darstellungen von Diversität oder feministischer Emanzipation, die es zu problematisieren gilt? Wie lässt sich im Zweifel dennoch eine Lektüre „von rechts“ rechtfertigen?
In einer Folge mit dem Titel „Eisbrecher und Türöffner – Lesen von und nach rechts“ empfehlen Stein und Zierke beispielsweise gute Einstiegslektüren für junge Menschen, die sich intellektuell der Szene annähern wollen. Neben „Der Eisvogel“ von Bestseller-Autor Uwe Tellkamp, der nach Zierke ein jugendliches Frustgefühl produktiv macht und literarisch in die Radikalisierung führt – der Protagonist gerät in einen rechten Geheimbund, es kommt zu einer gewaltsamen Eskalation –, werden auch Autoren wie Domenico di Tullio empfohlen, Anwalt der neofaschistischen italienischen Bewegung Casa Pound.
Radikalität taucht wiederkehrend positiv konnotiert in den Folgen auf, mit einem ausgeprägten Bewusstsein für die Provokation: „(…) natürlich wollen wir die Gesellschaft radikal verändern, sonst würden wir hier ja nicht sitzen“, konstatiert beispielsweise Stein. Gespielt wird dabei auch mit der stereotypen Figur des Nazi-Schlägers in Springerstiefeln, von der sich Zierke und Stein in ihrem intellektuellen Habitus performativ absetzen – und sie gleichzeitig mit bewusst gesetzten verbalen „Entgleisungen“ immer wieder einholen. Dieser Gestus soll nicht nur mögliche Kritik ironisieren und entwerten, er zeigt auch auf, dass im Podcast linke Opposition und gesellschaftliche Empörung offensiv mitgedacht werden.
Immer wieder geht es bei Stein und Zierke um das Anliegen, mit Literatur eine Möglichkeit zur Identifikation zu bieten. Dabei ist beiden bewusst, dass der Jungeuropa Verlag aktuell zuvorderst für Menschen aus der radikal rechten Szene mit entsprechender Erwartungshaltung eine Anlaufstelle ist: Das Publikum bestehe vor allem aus Lesern, „die natürlich auch Literatur lesen wollen, die sich mit ihnen und ihrer Lebensweise beziehungsweise den Themen, mit denen sie sich beschäftigen, auch zu tun hat (sic).“ Eine solche literarische Ästhetisierung politischer Inhalte und Weltbilder lässt sich an der Besprechung des Buches „EuropaPowerbrutal” (erschienen 2021 im Jungeuropa Verlag) von John Hoewer, ehemaliger Fraktionsmitarbeiter der AfD in Sachsen-Anhalt, nachvollziehen. Das Buch wird im Podcast wiederholt als „Szeneroman“ beworben; auch Hoewer kommt ausführlich zu Wort, begleitet vom Klirren der Eiswürfel in den Aperol-Spritz-Gläsern, eine Anspielung auf das Buchcover. Der Alkohol wird während des Gesprächs demonstrativ und in trauter Männerrunde konsumiert und spiegelt damit einen Aspekt jenes jungrechten Lebensgefühls, das auch der Roman vermitteln soll.
Das Buch beschreibt den Roadtrip eines jungen Mannes, der unter dem Vorwand journalistischer Arbeit rechte und neofaschistische Bewegungen in Europa besucht, sich mit seinen Gastgebern besäuft und durch die Nächte prügelt. Was im Podcast – in Hinblick auf ein zu erreichendes Publikum – als „Lifestylisierung“ radikaler Inhalte in literarischer Form aufgegriffen wird, zeigt, wie die Neue Rechte auf Register des Populären zurückgreift, um sich für die eigene Szene, aber auch für junge Menschen allgemein als attraktiv zu inszenieren (> Mainstreaming).
Mit literarischen Roadtrips und kumpelhaftem Kneipenfeeling wird ein lockerer Ton gesetzt, der Harmlosigkeit suggeriert, in dem aber rassistische Diagnosen etwa von „Überfremdung“ ebenso vorgetragen werden wie homophobe und > antifeministische Spitzen gegen eine „linksliberale Ideologie“. Im Gestus des aufmüpfigen Dagegenhaltens werden rechte Positionen offensiv zur Schau gestellt und im Podcast die eigene Radikalität normalisiert. Zugleich werden rechte Lektüren beworben und angeleitet, um auch einem breiten Publikum den Weg in die Radikalisierung zu ebenen.
Neela Janssen promoviert am Germanistischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Literarisierung von Krise und Männlichkeit im Gegenwartsroman.
GLOSSAR
Antifeminismus
ist eine Gegenbewegung zu feministischen Anliegen wie Gleichberechtigungsbestrebungen, der Selbstbestimmung von Frauen und queeren Personen, der Bekämpfung von > Sexismus oder der Abschaffung patriarchaler Strukturen. Antifeminismus kann sowohl gegen Feminismus als kollektive Bewegung gerichtet sein als auch konkret gegen Frauen- und Gleichstellungsarbeit. Verbindend ist häufig ein antiliberales oder am Ideal der Dominanz von Männern über Frauen ausgerichtetes Weltbild, wie es auch Rechtskonservative oder rechtsextreme Szenen auszeichnet.
.
Kulturelle Hegemonie
ist ein Begriff aus dem Werk des italienischen Marxisten Antonio Gramsci. Er bezeichnet damit in der Gesellschaft zustimmungsfähige Ideen. Die > Neue Rechte eignet sich Gramscis damit verbundene Strategie an und sieht, solange sie keine Massenbewegung hinter sich hat, die Erlangung der „Diskurshoheit“ als taktisches Ziel. Konkret geht es um die Verankerung eigener Positionen in öffentlichen Debatten – zum Beispiel durch publizistische Aktivitäten.
.
Mainstreaming
ist eine Strategie, die u. a. Rechtsextreme nutzen, um ihre Ideen in die Gesellschaft zu tragen. Ziel des rechtsextremen Mainstreamings ist es, den öffentlichen Diskurs in Richtung extremer Positionen zu verlagern, ohne dass dies so wahrgenommen wird. Die direkte Folge ist weniger Widerspruch gegen extremistische Ideologien und eine größere Akzeptanz der Akteure – und letztlich zuvor abgelehnter Aussagen sowie die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren in Richtung rechtsextremer Ideologie.
.
Neue Rechte
bezeichnet eine Strömung zur Erneuerung des Rechtsextremismus in Abgrenzung zur am Nationalsozialismus orientierten „alten“ Rechten. Ausgangspunkt ist die Nouvelle Droite um den Philosophen Alain de Benoist. Ideologische Elemente sind die Ablehnung von Individualismus, Liberalismus, Parlamentarismus und gesellschaftlicher Vielfalt sowie Vorstellungen eines homogenen, hierarchischen und autoritären Staats. Die Neue Rechte bezieht sich u. a. auf autoritäre Denker der „Konservativen Revolution“ wie des Faschismus, um eigene Positionen im öffentlichen Diskurs zu verankern (> „Kulturelle Hegemonie“).
.
Sexismus
ist ein Oberbegriff für Einzelphänomene von Diskriminierung auf der Grundlage des Geschlechts. Sie alle umfassen die Fixierung auf eine Geschlechtsordnung, in der Frauen eine den Männern unterlegene soziale Rolle zugewiesen wird und schlagen sich in Rollenvorstellungen, Geschlechterstereotypen und Verhaltensweisen nieder.
.
Völkisches Denken
bezeichnet eine radikal-nationalistische Weltanschauung, welche eine homogene „Volksgemeinschaft“ total setzt und individuelle Rechte und Interessen unterordnet. Grundlage ist ein rassistischer, antisemitischer und antidemokratischer Volksbegriff aus dem 19. bis 20. Jahrhundert. Völkische Strömungen sind prägend für einen Teil des heutigen Rechtsextremismus.