NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
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NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Popkultur von rechts
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Musik
Von Gigi zu Gigi –
Rechtsrock im Wandel
von Christoph Schulze
Popkultur von rechts
Musik
Von Gigi
zu Gigi –
Rechtsrock
im Wandel
von Christoph Schulze
Lange war Musik ein wesentliches Instrument der extremen Rechten, um Interessierte anzusprechen und in den eigenen Reihen ein Bewegungsgefühl zu erzeugen. In den vergangenen Jahren hat sich das Verhältnis der extremen Rechten zu Musik, Pop- und Subkultur stark verändert und ist weiter im Fluss. Was sind aktuelle Tendenzen?
Springerstiefel, 12-Loch, weiße Schnürsenkel – dieses Fashion-Statement konnte man unlängst bei einem Aufmarsch von rund 300 Jugendlichen gegen den Christopher Street Day (CSD) in Magdeburg sehen. Die Hetze gegen LGBT und dort gezeigte Zeichen wie die „White Power“-Geste (s. auch „Emoji-Legende“) sind fester Bestandteil der derzeitigen rechtsextremen Konjunktur. Auffällig aber war die Retro-Optik des Protests: Stiefel, Reichsfahnen, Rechtsrock-Shirts und rasierte Schädel. Ein Teil der rechten Jugend hat sich ausgestorben geglaubte Subkultur-Accessoires wieder angeeignet.
Die extreme Rechte ist im Fluss, besonders seitdem die AfD Wahlerfolge feiert und zum Gravitationszentrum dieses politischen Lagers geworden ist. Eine markante Folge dieser Entwicklung ist ein neues Verhältnis zu Kultur und Musik. Lange hatte sich der Status quo anders dargestellt: Als sich die NPD ab 1996 unter Udo Voigt verstärkt zum Neonazismus öffnete, schöpfte sie aus dem Einsatz von Musik die nötige Kraft für ihre Annäherung an die rechtsorientierte Jugend. Die Partei organisierte Rechtsrockfestivals und verteilte Schulhof-CDs. Es folgten Landtagseinzüge in Sachsen (2004) und Mecklenburg-Vorpommern (2006). Die 1990er- und 2000er-Jahre waren die Hochzeit des Rechtsrocks. Bands wie Stahlgewitter um Daniel „Gigi“ Giese erreichten ein großes Publikum. Bands wie die Zillertaler Türkenjäger intonierten populäre Stimmungslieder mit menschenverachtenden Texten neu – ein zynischer Partyspaß für die Klientel. Und nicht zuletzt waren Rechtsrock-Netzwerke wie Blood and Honour direkte Unterstützer für den mörderischen Neo naziterrorismus dieser Zeit.
Die Konstellation von Politik und Subkultur, NPD, Kameradschaften und Rechtsrockszene verlor in den 2010er-Jahren an Bedeutung. Dafür ergaben sich für die Szene neue politische Möglichkeiten. 2010 eröffnete etwa Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ die gesellschaft lichen Diskursräume nach rechts außen. 2013 gründete sich die AfD. 2014 kam die Protestbewegung Pegida. Erprobte rechte Strukturen nahmen dort auf die neuen Straßenproteste Einfluss. Hinter den folgenden „Nein-zum-Heim-Bürgerinitiativen“ steckten häufig NPD-Leute. Und auch die AfD war von Anfang an mitgeprägt von Leuten aus dem Dunstkreis des Neo nazispektrums, wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz.
Trotz der Kontinuitäten veränderte sich der Kommunikationsmodus der rechtsextremen Politik. Statt ruppigem Distinktionsgehabe und Bekenntnissen zum Nationalsozialismus hieß es nun: Wir sind die ganz normalen Leute, wir sind die schweigende bürgerliche Mehrheit, wir haben berechtigte Sorgen. Auch auf die musikalische Unterfütterung der Politik hatte das erheblichen Einfluss: Rechtsrock taugte nicht als Soundtrack für die sich „bürgerlich“ präsentierenden Pegida-Aufzüge. Die Hymne der „Spaziergänge“ war entsprechend kein Gitarrenrock, sondern von einem lokalen Radio-DJ produzierter Elektrokitsch – offenbar anschlussfähiger an ein breiteres Publikum.
Der Rechtsrock existierte dennoch weiter. Rund 6.000 Neonazis trafen sich etwa 2017 beim „Rock gegen Überfremdung“ im thüringischen Themar, wo auch die alte Band von „Gigi“ als Hauptact auftrat. Am politischen Puls der Zeit waren solche Veranstaltungen aber nicht mehr. Wirkungsvolle rechte Politik fand anderswo statt. Die extreme Rechte schien auf ein subkulturelles Erscheinungsbild und Musik als wichtiges Gestaltungselement zunehmend verzichten zu können.
Allerdings wurde aus dem Rechtsextremismus frühzeitig an einer auch jugendlichen, kulturellen und bewegungsorientierten Unterfütterung der AfD gearbeitet. Die mit den Vereinigungen in Schnellroda rund um das ehemalige Institut für Staatspolitik verbundenen Instanzen wie die Identitäre Bewegung investierten erheblich, um Erwachsenen und Jugendlichen neue rechtsextreme Lebenswelten zu offerieren. Das Ziel: Die Beförderung eines AfD-Milieus (> „Vorfeld“) aus parteinahen Institutionen von Mittelstandsinitiativen über revitalisierte Studentenverbindungen, „Alternativ-Medien“ bis zu losen rechtsextremen Jugendszenen. Dieses Vorhaben soll auch einer „Domestizierung“ der AfD vorbeugen und variiert Vorstellungen zu Kulturarbeit, Milieubildung und Aufgabenteilung, die im Rechtsextremismus seit Jahrzehnten im Spannungsfeld zwischen > Neuer Rechter und Neonazismus, Gramsci-Rezeption und den Debatten um > „national befreite Zonen“, geführt werden.
Besonders in der AfD-Jugend organisation Junge Alternative und ostdeutschen AfD-Landesverbänden hatte dieses Vorhaben einen Resonanzraum. Bei ihrem Bundeskongress 2022 richtete die Junge Alternative eigens eine „Messe des Vorfelds“ aus. Auf der musikalischen Ebene wurden aus dem „Vorfeld“ Deutschrockbands wie Wutbürger gefördert, stärker aber rechter Rap etwa von Komplott, Chris Ares oder Proto NDS. Erfahrungen, Ressourcen und Personal aus der alten Rechtsrockszene flossen hier ein. Mit NDS und Subversion Productions sind außerdem zentrale rechte Rap-Vertriebe direkt mit der Neonaziszene verbunden. Längst veranstaltet auch die Junge Alternative eigene Rechtsrockkonzerte – früher Alleinstellungsmerkmal von Neonazis.
Hinzu kommt, dass sich im Zuge der Corona-Proteste einige Kulturschaffende dem Parteiumfeld annäherten und dann anschlossen. So musiziert inzwischen der in Brandenburg bekanntere Stadtfest-Ostrocker Krähe bei „Vorfeld“-Veranstaltungen. Und der ehemals auf Mallorca auftretende Schlagersänger Björn Banane singt „Mein Herz schlägt blau“ und nicht mehr über „Biergit“.
Intensiv bespielen die rechtsextremen Bewegungsakteure zudem popkulturelle Kontroversen, um aus ihnen „metapolitischen“ Mehrwert abzuschöpfen. Die demonstrative Positionierung rechtsextremer Akteure im Jahr 2023 für Rammstein und seinen Sänger, der unter dem Verdacht systematischen sexuellen Missbrauchs steht, ist dafür genauso ein Beispiel wie das Aufgreifen und die Weiterverbreitung des Sylt-Videos, auf dem junge Menschen rassistische Parolen zu Gigi D’Agostinos „L’amour toujours“ singen (s. auch Artikel „Der Flugsandeffekt: Wie Empörungsdynamiken der extremen Rechten nützen“). Die Junge Alternative hatte in ihren Materialversand umgehend ein „Shirt zum Sommerhit“ aufgenommen und sich somit die rassistische Hetzparole im neuen Text zu eigen gemacht, die schon 1992 das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen begleitet hatte.
Es gibt auch vollkommen neue Entwicklungen. Die Nutzung von KI-Musik, etwa in den ostdeutschen Landtagswahlkämpfen, ist so eine. Im computergenerierten Video zum Beispiel, das die Junge Alternative zu ihrem „Remigrations-Hit“ verbreitet, sieht man stereotyp-blondes Jungvolk, das sich an den angekündigten millionenfachen Abschiebungen einer imaginierten AfD-Regierung erfreut. Der Song selbst wiederum ist eine Umtextung des Atzen-Hits „Das geht ab“ (2009).
Ob sich diese Phänomene verstetigen und ein lebendiges Partei-Milieu hervorzubringen vermögen, wird sich noch zeigen. Die gesellschaftliche Stimmung aber begünstigt ein Anwachsen und eine Etablierung der rechten Kultur und Lebenswelt für ein umfassendes Milieu. Um dies zu erreichen, investiert die extreme Rechte in Kultur. Auf das Geschlecht bezogen zum Beispiel zeigen sich klare Tendenzen in den Potenzialen – Männer neigen stärker zu den rechten Angeboten. Zudem ist der Osten Deutschlands deutlich stärker belastet. Nicht zufällig werden deshalb im AfD-Umfeld zur Popularisierung der eigenen Inhalte immer wieder Ostparolen („Vollende die Wende“) und ‑nostalgika (Simson-Mopeds) eingesetzt.
Eine weitere Entwicklung: Jugendlicher Rechtsextremismus nimmt wieder an Fahrt auf. Bei den Protesten gegen CSDs und auf AfD-Wahlkampfkundgebungen zeigten sich rechtsextreme Jugendcliquen, die Wegweiser für eine neue rechte Kultur werden könnten. Auch die Ergebnisse der Landtagswahlen 2024 spiegeln diese Tendenz wider. In Thüringen etwa wählten 38 Prozent der 18- bis 24-Jährigen die AfD – anteilig mehr als in anderen Altersgruppen. Dies alles zeigt: AfD-blau, Tiktok (s. auch Artikel „Algospeak: ‚Unter dem Radar von Restriktionen‘“), rechter Atzenrap, Skinhead-Retro und andere Phänomene können womöglich zueinander finden und dann eine rechte Kultur zu neuer Wirksamkeit führen.
Um dem zu begegnen, wird es darauf ankommen, demokratische Gegenkulturen zu stärken. Wie viel Mut und Einsatzwille vor Ort geweckt werden kann, zeigten eindrücklich die Teilnehmer:innen der ostdeutschen Kleinstadt-CSDs in den vergangenen Sommermonaten.
Christoph Schulze ist Mitarbeiter des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. Sein Schwerpunkt ist die Rechtsextremismusforschung.
GLOSSAR
Kulturelle Hegemonie
ist ein Begriff aus dem Werk des italienischen Marxisten Antonio Gramsci. Er bezeichnet damit in der Gesellschaft zustimmungsfähige Ideen. Die > Neue Rechte eignet sich Gramscis damit verbundene Strategie an und sieht, solange sie keine Massenbewegung hinter sich hat, die Erlangung der „Diskurshoheit“ als taktisches Ziel. Konkret geht es um die Verankerung eigener Positionen in öffentlichen Debatten – zum Beispiel durch publizistische Aktivitäten.
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National befreite Zonen
ist ein Kampfbegriff von Rechtsextremisten und beschreibt ein Strategiekonzept des deutschen Rechtsextremismus. Gemeint sind „No-go-Areas“ oder „Angstzonen“, in denen Rechtsextreme das Sagen haben und als Feind markierte Menschen nicht geduldet werden. Der Ausdruck „national befreite Zonen“ stammt aus einem Konzeptpapier aus dem Umfeld der NPD.
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Neue Rechte
bezeichnet eine Strömung zur Erneuerung des Rechtsextremismus in Abgrenzung zur am Nationalsozialismus orientierten „alten“ Rechten. Ausgangspunkt ist die Nouvelle Droite um den Philosophen Alain de Benoist. Ideologische Elemente sind die Ablehnung von Individualismus, Liberalismus, Parlamentarismus und gesellschaftlicher Vielfalt sowie Vorstellungen eines homogenen, hierarchischen und autoritären Staats. Die Neue Rechte bezieht sich u. a. auf autoritäre Denker der „Konservativen Revolution“ wie des Faschismus, um eigene Positionen im öffentlichen Diskurs zu verankern (> „Kulturelle Hegemonie“).
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Vorfeld
bezeichnet ein Netzwerk extrem rechter Initiativen, Medien, Verlage, Bands, Jugendszenen oder anderen losen Gruppen rund um bestehende (Partei-)Strukturen und Institutionen. Sie bilden ein ideologisch gefestigtes Milieu, das zur Unterstützung bestimmter Bestrebungen und Inhalte ansprechbar und mobilisierbar ist.