„New World Order” –
Schulterschluss in der Isolation
Die Achse Teheran-Moskau scheint bedrohlich, ändert für Israel und den Nahen Osten aber nicht viel. Das Verhältnis Russland-Israel hat sich unabhängig von dieser neuen „Allianz“ bereits massiv verschlechtert.
Das Foto zeigt eine völlig absurde Situation: Irans Präsident Raisi und Russlands Wladimir Putin sitzen meterweit auseinander in einem leeren Raum. An der Wand ein Foto von Ayatollah Khomeini. So sah der „Gipfel“ aus, den die „Tehran Times“ großmundig als „New World Order“ auf ihrer ersten Seite bezeichnete. Im Grunde könnte man als westlicher Beobachter lachen. Zwei isolierte Länder versuchen den Schulterschluss, halten sich für wahnsinnig wichtig und mächtig und sind eigentlich schwächer denn je. Wenn nur nicht der eine Machthaber, Putin, über Tausende von Nuklearraketen verfügte und der andere, Raisi, kurz vor der ersten Bombe stünde.
Putins Reise in den Nahen Osten kam unmittelbar nach der Reise des amerikanischen Präsidenten, die ihn nach Israel, Palästina und Saudi-Arabien führte. Dort versuchte Joe Biden unter anderem den Israelis und den arabischen Partnern klarzumachen, dass Washington den Nahen Osten nicht aufgibt. Putin versuchte dagegen zu halten. Denn im Augenblick braucht er Erfolge. Der Ukrainekrieg ist für ihn bislang ein strategisches Debakel. Er hat das Land nicht im Durchmarsch erobern können, seine Armee erleidet riesige Verluste, sie kommt nur mühsam voran, der Westen steht bislang noch geschlossen gegen ihn und selbst sein zynisches Spiel mit Weizen und Gas hat die EU und die NATO noch nicht zum Einknicken gebracht. Dass der starke Mann aus Moskau im Iran Drohnen ankaufen will, ist ein implizites Eingeständnis, wie sehr man sich in der Ukraine verkalkuliert hat, wie schwach sich die große russische Armee in einem konventionellen Krieg bislang darstellt.
Man darf diese neue „Allianz“ durchwegs skeptisch sehen. Russland wird Syrien, wo seine Truppen stationiert sind und Mittelmeerhäfen kontrollieren, nicht so ohne weiteres den Iranern überlassen, die dort ihre ganz eigenen Interessen haben. Das iranische Regime versucht immer noch seinen sogenannten „schiitischen Halbmond“ über Irak, Syrien und Libanon zu errichten, um in der Region zur absoluten Regionalmacht aufzusteigen und gleichzeitig immer näher an die Grenze des verhassten zionistischen Feindes heranzurücken. Putin braucht den Nahen Osten als einen der vielen geopolitischen Standorte für die ewige Auseinandersetzung mit den USA. Dabei dient die russische Marine im Mittelmeer, gemeinsam mit der russischen Marine in der Arktis, als potenzielle „Zange“, um den europäischen Westen zu bedrohen. Der Iran braucht dagegen Russland als politischen, militärischen und auch wirtschaftlichen Partner. Doch Putin kann Teheran niemals das geben, was die EU und die USA dem Regime bieten könnten, wenn es sich für ein neues Nuklearabkommen entscheiden würde: Die Aufhebung der Sanktionen und den erneuten Zugang zu den westlichen Märkten, mit denen Russland niemals konkurrieren kann. Insofern würde das iranische Regime zumindest die Intensität seiner Freundschaft zu Putin überdenken, wenn es denn eine Chance sähe, mit dem Westen wieder so richtig ins Geschäft zu kommen.
Für Israel ergibt sich daraus zunächst einmal keine wirklich neue Situation. Der sogenannte „Schattenkrieg“ zwischen Jerusalem und Teheran ist längst ein ganz offen geführter Schlagabtausch mittels Militär, Proxies und Geheimdiensten. Das Verhältnis zu Russland trübt sich für Israel gerade massiv ein, unabhängig davon, wie eng Putin mit Teheran kooperiert oder nicht. Die immer schärferen Proteste gegen die lange Jahre geduldeten Luftangriffe Israels auf iranische Ziele in Syrien und das mögliche Verbot der israelischen Immigrationsorganisation Jewish Agency in Russland deuten schon seit Wochen darauf hin, dass Putin seinen Kurs gegenüber dem jüdischen Staat ändert. Warum und wieso, ist dem aktuellen israelischen Premier Yair Lapid und seinen Leuten noch nicht ganz klar. Worum geht es wirklich? Was stört Putin? Dass Lapid sich auf die Seite der Ukraine geschlagen hat, was Putin natürlich ein Dorn im Auge ist? Ist es gar eine indirekte „Hilfe“ für den rechten Benjamin Netanyahu? Letzteres scheint nicht so abwegig zu sein, wenn man weiß, wie Putin viele rechte Politiker und Parteien in Europa mittels – Manipulationen von Social-Media-Plattformen und Geld unterstützt.
Aus israelischer Sicht ist nur eine Frage wirklich entscheidend: Kann die israelische Luftwaffe weiterhin ungehindert in Syrien agieren oder nicht? Was geschieht, wenn Moskau den Israelis plötzlich den Luftraum verweigern würde? Könnte es zu einer militärischen Konfrontation kommen, zu Luftkämpfen zwischen russischen und israelischen Kampfjets? Zum Abschuss israelischer F‑15 oder F‑16 durch russische Luftabwehrsysteme? Und wenn es dazu käme, was dann? Einerseits ist die israelische Armee technologisch, taktisch und zahlenmäßig durchaus in der Lage, den russischen Truppen in Syrien Paroli zu bieten, wenn nicht gar sie zu demütigen. Andererseits hätte dies Implikationen, die Israel wohl teuer zu stehen kommen würden, Moskau ist immer noch Moskau, wohingegen Jerusalem nur ein „kleiner großer“ Player ist. Doch gleichzeitig ist klar, dass Israel, selbst wenn es diplomatisch sehr vorsichtig mit Putin umgehen muss, nationale Sicherheitsinteressen nicht aufgeben wird, nur weil der Kreml dies eventuell so will. Eine Abwägung, was schwerer wiegt – ein Konflikt mit Russland oder mit vom Iran gestützten schiitischen Milizen und Waffen an der eigenen Nordfront – dürfte stets zu Ungunsten Moskaus ausfallen.
Die Achse Teheran-Moskau ist aus der Not geboren. Beide brauchen sich gegenseitig zum aktuellen Zeitpunkt, eine echte „Freundschaft“ ist diese Verbindung sicher nicht. Putin wird Teherans Bedeutung in dem Augenblick herabstufen, in dem ihm dies nützlich erscheint. Israel ist mit Teheran längst im Krieg, daran wird sich nicht viel ändern, egal wie die politischen Konstellationen sind oder sich weiterentwickeln. Die Frage, wie sich die bisherige Verständigung zwischen Moskau und Jerusalem weiterentwickeln wird, wird vor allem bilateral geklärt werden müssen. Sie wird von zwei Faktoren abhängen: Was glaubt Putin für sich in der aktuellen Situation im Nahen Osten langfristig erreichen zu können, und: Wie stark ist Putin wirklich? Letzteres steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Entwicklung des Krieges in der Ukraine. Sollte die russische Armee sich darauf einrichten, einen lang andauernden Abnutzungskrieg führen zu wollen, um quasi per Masse an Menschen und Material die ukrainische Armee in die Knie zu zwingen, dann würden Putins Kräfte in anderen Regionen begrenzt bleiben. Sollte es der Ukraine gar gelingen, die Russen taktisch oder militärisch in die Enge zu treiben, würde das wahrscheinlich Israel neue Räume für das eigene Handeln eröffnen. Doch in der aktuellen Situation sind alle Voraussagen pure Spekulation. Wie immer in solchen Kriegen und Krisen gibt es eine Menge Imponderabilien, die man nicht voraussehen kann. Jerusalem wird also auf Sicht fahren müssen. Mehr geht im Augenblick wohl nicht.
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